Rhein-Neckar, 18. September 2014. (red/pro) Wir hatten dieser Tage den SWR kritisiert, dass dort rechtsradikale Argumentationsmuster ohne Einordnung geäußert werden konnten und der Sender das sogar mit „Meinungsfreiheit“ begründet. Das komplette Konzept der Sendung basiert auf einem inhaltlichen Fehler, wie auch viele Berichte in anderen Medien. „Flüchtlinge bringen Kommunen in Not“ ist eine pauschalisierte Falschbehauptung. Die allermeisten Kommunen werden nur gering bis gar nicht belastet. Träger der Kosten sind die Kreise.
Von Hardy Prothmann
Die Annahme, dass die steigenden Flüchtlingszahlen „Kommunen in Not bringen“, ist erstens reißerisch und zweitens falsch – betrachtet man die Gesamtheit der Kommunen. Man muss hier zwischen Stadtkreisen und Landkreisen unterscheiden. Für die Stadtkreise trifft zu, dass diese die Kosten für die Flüchtlinge zu tragen haben – jedenfalls die, die über die einmalige Pauschalzahlung von aktuell 12.566 Euro pro Flüchtling hinausgehen. Für alle Kreiskommunen im Land ist die Aussage grundfalsch – denn keine Gemeinde, die zu einer Kreisverwaltung gehört, hat direkte Kosten in Zusammenhang mit Flüchlingen zu tragen.
In Baden-Württemberg gibt es 1.101 Gemeinden, 35 Landkreise und 9 kreisfreie Städte – eine direkte Belastung liegt also nur für 9 Kommunen vor. In Baden-Württemberg leben rund 10,5 Millionen Menschen – die für dieses Jahr erwarteten 23.000 Flüchtlinge machen also ein Viertelprozent aus – oder einen auf 450 Einwohner. Wer da von einem „Ansturm“ redet, hat ein merkwürdiges Zahlenverständnis.
Der Eindruck einer „Masse“ entsteht hingegen überall dort, wo „massiert“ untergebracht wird – also an Standorten mit Sammelunterkünften. In Mannheim kommt der verstärkte Zuzug von Südosteuropäern hinzu, der aber nur einzelne Stadtgebiete belastet – die aber durchaus enorm. Deswegen darf sich Mannheim als stark belastete Kommune einschätzen, während die allermeisten der 54 Gemeinden im Rhein-Neckar-Kreis nichts zu jammern haben.
Zunächst keinerlei finanzielle Belastungen für Kreiskommunen
Der Eindruck einer Massierung gilt für die Standorte Weinheim, Schwetzingen, Sinsheim oder Walldorf/Wiesloch. Aber: Alle Kosten werden hier über das Landratsamt beglichen, das die Kopfpauschale über das Land erhält. Die Pauschale wird 2015 auf 13.260 Euro und 2016 auf 13.972 Euro steigen. Die Landkreise meinen, die aktuelle Pauschale sei zu gering und man bezweifelt auch, dass die Erhöhung „auskömmlich“ ist. Verlangt wird eine „Spitzabrechnung“, also die Übernahme aller konkreten Kosten.
Solange der Status der Flüchtlinge nicht geklärt ist, hat eine Kreiskommune also keine direkten finanziellen Belastungen „zu ertragen“. Tatsächlich wird das aber in vielen Medien immer wieder falsch dargestellt. Indirekte Kosten entstehen, wenn zusätzlicher Raum zur Betreuung von Kindern geschaffen werden muss, ob in Tageseinrichtungen oder Schulen. Hier geht es aber ausschließlich um infrastrukturelle Kosten. Kita-Gebühren beispielsweise übernehmen wiederum die Landratsämter und erstatten diese den Kommunen.
Belastung? Nein, Geld für die Gemeindekasse
Ganz im Gegenteil bringen die Flüchtlinge den Kommunen Geld in die Kasse. Über den Finanzausgleich fließt nämlich pro Kopf vom Land Geld in die Kommunen, da die dort „gemeldeten“ Flüchtlinge wie Bürger der Gemeinde bewertet werden. Beispiel Weinheim: Wenn die vorgesehenen 200 Flüchtlinge in Weinheim untergebracht werden, erhält die Stadt zwischen 150.000 und 200.000 Euro aus dem Finanzausgleich, je nachdem, wie hoch die Kopfpauschale ausfällt. Zudem erhält die Stadt Pacht für das Gelände. Die Gebäude werden vom kreiseigenen Betrieb Bau & Vermögen erstellt und dann an den Kreis vermietet. Weitere Einnahmen können Kommunen erzielen, wenn sie gemeindeeigene Wohnungen an den Kreis vermieten.
Einer Kreisgemeinde können auch Kosten entstehen – ganz freiwillig. Wie beispielsweise in Schwetzingen, wo die Stadt den Flüchtlingen eine Reihe von Vergünstigungen oder kostenlosen Nutzungen erlaubt. Das aber ist allein die Entscheidung der Stadt – in diesem Fall eine humanitäre ohne Pflicht.
Fehlender Wohnraum für Flüchtlinge
Der Rhein-Neckar-Kreis muss in diesem Jahr 5,11 Prozent der geschätzt 23.000 Flüchtlinge aufnehmen, also fast 1.200, sagt Stefan Becker, Leiter des Ordnungsamts beim Rhein-Neckar-Kreis. Für diese Menschen ist ausschließlich das Landratsamt zuständig, dass Massenunterkünfte unterhält und baut, Containersiedlungen wie in Schwetzingen, aber auch private Wohnungen anmietet, um die Menschen unterzubringen. Die Kapazitäten der großen Unterkünfte sind wie folgt verteilt: Sinsheim 420, Schwetzingen 270, Eberbach 240, Wiesloch 240, Weinheim 200 – in Summe sind das 1.370 Plätze.
Das scheint angesichts der für dieses Jahr erwarteten 1.200 Personen ausreichend – ist es aber nicht. Denn Weinheim beispielsweise wird frühestens im Herbst 2015 bezugsfertig sein. Und ab 2016 werden auch diese nicht mehr reichen – aktuell werden die meisten Flüchtlinge noch mit dem Anspruch auf 4,5 Quadratmeter untergebracht, diese Zahl wächst per Gesetzbeschluss auf 7 Quadratmeter, was unterm Strich rein rechnerisch die vorhandenen Plätze weit über die Hälfte reduziert. Der Strom der Flüchtlinge wird aber vermutlich nicht abnehmen, sondern deutlich zunehmen, was den Raumbedarf noch vergrößert.
Die beim Landesfeuerwehrverband Bruchsal untergebrachten 450 Flüchtlinge oder die 470 in den Patton-Barracks in Heidelberg und 750 in Mannheim liegen weder den Stadt- noch den Landkreisen finanziell auf der Tasche. Diese Flüchtlinge bringt die Landeserstaufnahmestelle unter, deren eigene Kapazitäten vollkommen überlastet sind. Hier zahlt das Land.
Unter welchen Bedingungen Flüchtlinge hier leben müssen, kann sich jeder selbst vorstellen: Man nehme eine vierköpfige Familie, die auf 100 Quadratmetern wohnt und verordne ihr den Umzug in ein Zimmer mit 20 Quadratmetern – unzumutbar für uns Deutsche.
Nur ein Viertel darf bleiben – und erzeugt kaum Kosten
Erst, wenn das Verfahren für einen Flüchtling abgeschlossen ist, kommen Kosten auf die Gemeinden zu: Anerkannte Flüchtlinge, Kontingentflüchtlinge sowie geduldete Flüchtlinge werden dann prozentual herunter gebrochen vom Landkreis den Gemeinden zugewiesen. Sprich: Einwohnerzahl des Kreises sind 100 Prozent, anteilig daran wird nach der Einwohnerzahl der Gemeinden zugewiesen. Weinheim muss also vier mal mehr aufnehmen als Hirschberg oder Heddesheim.
Erst jetzt kommt es möglicherweise zu finanziellen Belastungen für die Gemeinden: Es entsteht der Anspruch auf Sozialleistungen. Allerdings müssen nur geduldete Flüchtlinge in der zugewiesenen Gemeinde bleiben – die anderen können sich auch Wohnraum in anderen Gemeinden suchen, sowie Arbeit. Tatsächlich kommen die meisten Flüchtlinge schnell in Arbeit – weil sie billig sind oder weil sie gut qualifiziert sind. Insgesamt stellen sie keine auffällige Belastung für die Kommunen dar. Ganz im Gegenteil sogar:
Dabei zeigen Untersuchungen, dass die Migranten den Einwanderungsländern zumindest ökonomisch mehr Vor- als Nachteile bringen. Auch wenn einzelne Einwandererfamilien sich in die Nischen des Sozialstaats kuscheln, insgesamt gilt: Die Zuwanderer zahlen mehr in Sozial- und Steuerkassen ein, als sie kosten, und sie sind langfristig ein Segen für die alternden und schrumpfenden Gesellschaften Europas.
Flüchtlinge dringend gebraucht – wegen des demografischen Wandels
Tatsache ist nämlich der demografische Wandel: Deutschland braucht dringend Zuwanderung – ein Teil davon können Flüchtlinge sein. Pro Asyl informiert:
„Im Jahr 2013 wurden 109.580 Asylerstanträge in Deutschland gestellt – ein Anstieg um rund 45.000 (70 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr. Bereits 2012 waren die Anträge deutlich angestiegen. Es besteht aber kein Grund zu dramatisieren, denn mit Schwankungen in der Zahl der ankommenden Flüchtlinge ist im Kontext der weltpolitischen Lage immer zu rechnen.“
Wenn man sich reale Zahlen anschaut, wird die Klage über durch Flüchtlinge angeblich notleidende Kommunen deutlich als das, was es ist: Ein peinliches Gejammere. Denn andere Länder „leiden“ tatsächlich unter der „Flüchtlingswelle“ – während es für Deutschland und Europa nur ein mäßiger „Pegelanstieg“ ist. Pro Asyl:
Zum Vergleich: Von Anfang 2011 bis März 2013 sind rund 30.000 Personen aus Syrien nach Deutschland eingereist, die Europäische Union erreichten insgesamt rund 90.000 syrische Flüchtlinge. In den Nachbarstaaten Syriens halten sich hingegen rund 2,6 Millionen Flüchtlinge auf (UNHCR, Stand März 2014).
Rund ein Viertel der Flüchtlinge gelten also nach Abschluss ihrer Verfahren als „normale Bürger“ – die Anspruch auf Leistungen hätten. Die aber, wie der Spiegel-Korrespondent berichtet, unterm Strich mehr in die Sozialsysteme einzahlen und deshalb den Kommunen keine Not, sondern Gewinn bringen.
Echte Integrationspolitik könnte beginnen, wenn Politiker und Verwaltungen endlich ordentlich differenzieren würden und die Flüchtlinge nicht als Belastung, sondern gute Chance bewerten würden.