Frankenthal, 09. März 2017. (red/momo) Im Prozess um den “Babymord” in Frankenthal wurden heute medizinische Gutachten vorgelesen. Darin spielen neben den Folgen aufgrund der traumatischen Ereignisse vom 14. Mai 2016 auch Drogen eine große Rolle.
Von Moritz Bayer
Wie immer kommt der Angeklagte David L. mit vorgehaltener Heftmappe in den Saal 20 des Landgerichts Frankenthal, um sein Gesicht nicht öffentlich zu zeigen. Ein Kameramann des Rhein-Neckar-Fernsehens wird danach aus dem Raum geschickt, obwohl die dazugehörige Reporterin meint, dass er noch kurz bleiben dürfe. Nach einem kurzen Gespräch mit den Ordnern der Justiz kommt der Mann ohne Kamera zurück.
Rund ein Dutzend Zuschauer sind anwesend, zwei davon tragen ihre weißen Pullover mit der Aufschrift “Unser Engel S.” und geben sich damit als Anhänger der Nebenklägerin und Kindsmutter des getöteten Babys zu erkennen. Sie verfolgen das Geschehen wortlos und in sich gekehrt.
Die Vorsitzende Richterin Ulrich fragt nach dem Einverständnis beider Seiten, medizinische Gutachten über beteiligte Personen vorlesen zu können. Die Staatsanwaltschaft bejaht dies sofort, die Verteidigung allerdings möchte diese erst noch einmal selbst einsehen. Offenbar ist man sich
nicht sicher, welche genau jetzt gemeint sind.
Nach kurzer Rücksprache mit Ulrich wird klar, dass der Verteidiger nicht die aktuellste Sachlage in seinem Ordner hat, so wird die Verhandlung für etwa 15 Minuten unterbrochen. Danach hat er keine Einwände mehr und die Richterin beginnt.
Auch Arthur H. war während der Tat auf Drogen
Zuerst geht es um Arthur H., den Bekannten des Beschuldigten David L., der zur Tat in der Wohnung war und mit David L. gekämpft hatte, bevor dieser sein zwei Monate altes Baby vom Balkon geworfen haben soll. Bei seiner Versorgung in der Notaufnahme habe er zahlreiche Schnitte von David L’s Messer gehabt, die tief waren und stark bluteten, aber glücklicherweise zu keinerlei Sehnenverletzungen geführt hätten. Auch heute spüre Arthur H. noch manche dieser Verletzungen.
Weiter seien bei ihm Alkohol- und Drogenspuren im Blut gefunden worden. Wenngleich der Alkoholkonsum nicht übermäßig hoch gewesen sei, so lasse zumindest der Test auf verschiedene Rauschgifte den Rückschluss zu, dass Kokain in nicht geringem Maße und nicht nur einmal konsumiert worden sei. Arthur H. habe seit seiner Kindheit immer wieder Probleme gehabt und nach dem frühen Tod seiner Mutter als 20-Jähriger den falschen Weg eingeschlagen, damit umzugehen.
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Da bei dem Kampf Infektionen nicht ausgeschlossen hätten werden können, untersuchte die Klinik in Ludwigshafen das Blut auch auf Krankheiten und Viren wie HIV – mit negativem Ergebnis. Lediglich eine Auffrischung der Tetanus-Impfung sei veranlasst worden, da der Impfstatus von Arthur H. nicht bekannt gewesen sei.
Doch mehr als die körperlichen Verletzungen würden Arthur H. die Erinnerungen quälen. Nachts wache er oftmals schweißgebadet auf und habe Herzrasen. Tagsüber fühle er sich antriebslos und leide unter Depressionen. Meist ginge ihm eine entscheidenden Frage durch den Kopf:
Hätte ich anders handeln können? Hätte ich es besser machen können?
An Arbeit sei laut seiner Meinung so nicht zu denken – er ist seitdem krank geschrieben.
Als nächstes liest Richterin Ulrich über eines der Kinder, die in der Wohnung waren und alles miterleben mussten. Besagtes Mädchen befindet sich seitdem in psychologischer Betreuung. Aus dem ärztlichen Bericht des Kinderpsychiaters geht hervor, dass es bei den Erinnerungen “sehr traurig werde”. Durchzuschlafen sei nur in seltenen Fällen möglich, meist wache das Mädchen in der Nacht angsterfüllt auf und könne nur schwer wieder zur Ruhe kommen.
Die körperlichen Verletzungen (David L. ging auch auf sein eigenes Kind los) seien glücklicherweise vergleichsweise glimpflich abgelaufen. Man mag sich jedoch nicht einmal vorstellen, was ein solches Horror-Erlebnis, das alleine beim Durchlesen bei Erwachsenen für Gänsehaut und mulmige Gefühle sorgt, in einem unschuldigen, sechsjährigen Kind anrichten kann.
Streit über Audio-Dateien
Abschließend informiert Richterin Ulrich noch, dass sie das LKA Berlin beauftragen wird, Teile von gespeicherten Audio-Dateien wie Telefongesprächen des Beschuldigten mit der Nebenklägerin, der Mutter des getöteten Kleinkindes, erneut untersuchen zu lassen. Durch eine verbesserte Technik soll es Möglichkeiten geben, bisher unklare Teile qualitativ so zu verbessern, dass die gesprochenen Worte vor Gericht verwertbar würden.
Dies führt zu einem Disput zwischen Verteidiger und Staatsanwältin. Nachdem der Verteidiger genauere Informationen möchte und nicht einsieht, dass nur bestimmte Teile erneut überprüft werden sollen, ärgert sich die Staatsanwältin. Sie fragt nach der Intention des Verteidigers, da doch bis auf besagte Stellen alles bereits klar sei. Dieser reagiert leicht sauer und sagt:
Sie brauchen mich hier nicht für dumm verkaufen. Natürlich möchte ich, wenn, dass alles vorhandene Material nochmals überprüft wird.
Die Staatsanwältin lenkt zwar schnell ein und sagt, er habe sie missverstanden. Doch die Verteidigung will davon nicht viel hören. Die empfindliche Reaktion mag damit zusammenhängen, dass der Prozess heute wegen des Verteidigers erst mit kleiner Verspätung beginnen konnte, was zu einer angespannteren Atmosphäre beigetragen haben könnte. Doch es zeigt sich vor allem eines: Der Babymord-Prozess hat auch nach neun Prozessterminen nichts von seiner Brisanz verloren.