Frankenthal, 24. April 2017. (red/momo) Im Prozess um den Tod des Säuglings in Frankenthal kamen erneut seltsame Details ans Licht. Diesmal ging es um den forensischen Psychiater, der ein Gutachten über die Nebenklägerin Jesmira S. angefertigt hatte. Die Verteidigung des Angeklagten möchte diesen nun als befangen abweisen.
Von Moritz Bayer
Es zieht sich hin im Prozess um David L., dem vorgeworfen wird, am 14. Mai 2016 das mit Jesmira S. gemeinsame Baby vom Balkon geworfen und damit getötet zu haben. Einige der heute rund 14 Besucher im Landgericht Frankenthal bekamen große Augen, als Verteidiger Klein eine ausführliche Erklärung verlas, weshalb der Gutachter Dr. Haag, der Jesmira S. auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüfen sollte, als befangen für seinen Mandanten nicht mehr tragbar sei.
Denn es sei heraus gekommen, dass Herr Dr. Haag Jesmira S. bereits im Jahre 2015 schon einmal psychologisch untersucht habe und sie nun nicht wiedererkannt haben will. Damals sei es um die Feststellung eines möglichen Borderline-Syndroms gegangen, daher habe Herr Dr. Haag Jesmira S. seiner Abrechnung zufolge mindestens 18,5 Stunden untersucht und dem Gericht aufgrund seiner Ergebnisse ein 26-seitiges Gutachten übergeben.
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Verteidiger Klein meinte, dass es objektiv gesehen unmöglich sei, dass er danach, obwohl Jesmira S’. nicht alltäglicher Name über 40 mal im Gutachten genannt wurde, sich nicht daran erinnern könne, sie bereits zu kennen, nachdem er auch diesmal bei mehreren Prozesstagen anwesend war und selbst Befragungen durchgeführt hatte.
Könnte der Gutachter etwas bezwecken?
Ein solches Verhalten sei nach Klein nur dadurch zu erklären, dass der Gutachter andere Gründe haben müsse, was ihn für David L. in nicht hinnehmbaren Maße an dessen Integrität zweifeln ließe. Dafür spreche ebenso, dass Herr Dr. Haag im Februar, nachdem er sein Versäumnis erkannt habe, in einem Brief an die vorsitzende Richterin durch die Verwendung des Wortes “leider” die Schuld klar auch bei sich selbst sehen würde.
Die Erklärung, dass er ehemalige Patienten lediglich mit dem zuständigen Gericht in Verbindung bringen würde und erst durch die Nennung Weinheims (damals der Ort des Geschehens/Verhandlung) auf die identische Person gekommen wäre, da er nur einen Fall in Weinheim gehabt hätte, lässt Verteidiger Klein nicht als Ausrede zu:
Die generelle fachliche Qualität von Herrn Haag steht aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit und Erfahrung sicherlich außer Frage. Aber ein derart schlechtes Gedächtnis, dass er seine eigene Patientin nach so kurzer Zeit nicht wiedererkennt, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Laut eigener Aussage hat er etwa 70 Patienten pro Jahr, das macht einen oder zwei pro Woche. Mit Jesmira S. hat er viele Stunden im Gespräch verbracht. Weder das Erscheinungsbild, noch der Name sind alltäglich, das muss ihm vorher aufgefallen sein, andernfalls kämen mir erhebliche Zweifel an seiner generell Eignung als forensischer Psychiater.
Die Staatsanwaltschaft sieht Berechnung
Richterin Ulrich unterbrach die Verhandlung daraufhin für eine Stunde. Nach der Pause nahm die Oberstaatsanwältin Stellung zu den Vorwürfen und beantragte, das Gesuch Kleins abzulehnen: Ein vorwiegend aus Unterstellungen bestehender Antrag wäre kein Grund, an der Professionalität Herrn Haags zu zweifeln, den sie selbst immer absolut integer wahrgenommen habe.
Des Weiteren sei der Zeitpunkt, dass Herr Klein jetzt dem Gutachter das Vertrauen entziehen möchte, äußerst verdächtig. Für sie entstehe der Eindruck, dass die Verteidigung das Verfahren absichtlich in die Länge ziehen und somit verschleppen wolle, da er seit zwei Monaten Kenntnis von dem nun angeprangerten Sachverhalt gehabt habe.
Das ließ Verteidiger Klein so nicht auf sich sitzen und erbat sich von Richterin Ulrich noch einen Kommentar, welcher gewährt wurde:
Die Oberstaatsanwältin hat unsere Vorwürfe als böswillige Unterstellungen betitelt, ohne sie aber inhaltlich auch nur mit einem Wort zu entkräften. Weder ich noch mein Klient haben irgendein Interesse an einer Verschleppung des Verfahren. Wäre das der Fall, hätten wir mit diesem Antrag noch warten können.
Bei diesen Worten nickte der Beschuldigte David L. heftig zustimmend und zeigte dadurch mehr Emotionen als an vielen anderen Verhandlungstagen. Herr Klein sagte, dass es vielmehr der reiflichen Überlegung zwischen ihm und David L. geschuldet sei, dass der Zeitpunkt eben jetzt käme. Außerdem habe die Verteidigung ja nur auf eine Verfehlung des Gutachters reagiert und habe dies nicht vorhersehen können.
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Prozess weiter vertagt
Richterin Ulrich blieb angesichts der Tatsachen nichts weiter übrig, als den für Donnerstag bestimmten Termin abzusagen und die Verhandlung bis zum 8. Mai zu unterbrechen. Dann wird ab 13:30 Uhr auch der Gutachter Herr Dr. Haag selbst zu den Vorwürfen aussagen.
Natürlich ist bei einem derart schwerwiegenden Vorwurf jedes Detail wichtig. Natürlich muss jeder Spur nachgegangen und jedes rechtsstaatlich vorgeschriebene Gesetzt beachtet werden. Allerdings scheint der Prozess momentan mehr und mehr abzudriften, was den unschönen Nebeneffekt hat, dass keiner der Beteiligten mit den zweifellos grauenvollen Geschehnissen abschließen kann.
Es bleibt zu hoffen, dass sich das in den nächsten Prozessterminen ändert.