Frankenthal, 29. November 2016. (red/cr) Im Mai soll ein 32-Jähriger seine zwei Monate alte Tochter getötet und seine Lebensgefährtin, eine weitere Tochter sowie einen Bekannten teilweise schwer verletzt haben. Am ersten Prozesstag hatte der Mann ein Geständnis verlesen lassen. Am zweiten Verhandlungstag sagte unter anderem die Mutter des getöteten Babys aus. Ihre Aussagen lassen darauf schließen, dass die Tat nur die Eskalation eines jahrelangen Missbrauchs war.
Von Christin Rudolph
Das waren keine Schläge mehr, das war schon Folter.
Im Saal 20 des Landgerichts Frankenthal sitzt eine junge Frau. Sie ist die Mutter des erst zwei Monaten alten Säuglings, den ihr damaliger Partner David L. in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai vom Balkon der Wohnung im zweiten Stock geworfen und so getötet haben soll.
Vorher soll er auf die 20-Jährige mehrfach mit einem Messer eingestochen haben. Seinen Bekannten Artur H., der dazwischen gegangen war, soll er beim Kampf ebenfalls durch das Messer verletzt haben. Zudem soll er einer weiteren Tochter aus einer früheren Beziehung danach in den Bauch gestochen haben.
Es deutet sich an, dass die junge Mutter eher problematische Beziehungen führte. Ein früherer Freund sei Zuhälter gewesen. Auf die Frage, ob sie für diesen arbeiten musste, antwortet sie mit einem knappen Ja. Das ist zwar nicht Gegenstand des Prozesse, wurde aber vom Gericht nachgefragt.
Eskalation jahrelanger Gewalt
Die Anklage der Staatsanwaltschaft lautet auf Mord in Tatmehrheit mit Körperverletzung und schwerer Körperverletzung sowie Geiselnahme. Doch am zweiten Verhandlungstag wird klar: Die Taten haben eine lange, brutale Vorgeschichte.
Das Drama der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 2016 hat sich möglicherweise lange angekündigt, folgt man den Ausführungen der Mutter. Sie wirken wie der finale Höhepunkt einer von jahrelanger systematischer psychischer, physischer und sexueller Gewalt bestimmten Beziehung gegen die Mutter des Säuglings.
Zwei von drei Zeugen gehört
Nachdem der Angeklagte David L. am ersten Prozesstag durch seinen Anwalt ein Geständnis verlesen ließ und damit die Taten im Wesentlichen eingeräumt hat, wurden am zweiten Verhandlungstag, dem 28. November, Zeugen gehört.
Ein Zeuge fehlte: Artur H., der bei der Tat versucht hatte, die Mutter zu schützen. Er ließ über eine Anwaltskanzlei ausrichten, er sei erkrankt. Daher wurden nur die Mutter des verstorbenen Säuglings und Frank E. gehört, ein Bekannter von David L., der am Tag vor der Tat zu Besuch war.
Frank E. zeigte sich einsilbig. Zwar gab er an, seit 20 Jahren mit David L. befreundet zu sein, auf viele Fragen der Juristen, die seinen langjährigen Freund betrafen, gab er jedoch an, die Antworten nicht zu kennen.
Kaum sichere Aussagen
David L. hätte über vieles nicht gesprochen – über seinen geplanten Drogenentzug nicht, über Streit in seiner Beziehung nicht, über seine krankhafte Eifersucht nicht.
Frank E. konnte zwar bestätigen, dass der Angeklagte früher, genauso wie wenige Stunden vor der Tat, Kokain konsumiert hatte. Zum aktuellen Konsumverhalten konnte oder wollte er jedoch keine Angaben machen.
Er gibt an, zusammen mit David L. vor der Tat Alkohol getrunken zu haben. Er gab jedoch an nicht zu wissen, wie viel der Angeklagte getrunken hatte.
Sicher war sich der Zeuge, dass er und David L. am 13. Mai keine Drogen konsumiert hatten. Auch, als der Anwalt von David L. diese Aussage und die generelle Glaubwürdigkeit des Zeugen hinterfragte.
Zweifel an Zeugenaussage
Der Verteidiger des Angeklagten zeigte sich sichtlich genervt:
Sie sind ein schlechter Zeuge, da können Sie nichts dafür. Ihre Erinnerung ist schlecht. Aber bei manchen Dingen ist sie sehr gut.
Im Anschluss wurde die Mutter des getöteten Säuglings als Zeugin aufgerufen. Sie berichtete von der Tat und den Geschehnissen davor und danach. Die Juristen fragten vor allem nach Details – war der Rolladen zum Tatzeitpunkt offen oder geschlossen? Wie sah das Messer aus?
Vor allem aber schilderte die Zeugin den Verlauf ihrer Beziehung zum Angeklagten. In den zweieinhalb Jahren ihrer Beziehung scheint Gewalt durch ihren Partner für die junge Mutter zum Alltag geworden zu sein. Der Beschuldigte wollte heiraten, die junge Mutter jedoch nur am Anfang der Beziehung, später nicht mehr – wegen der Gewalt.
Selbst in Schwangerschaft Übergriffe
Bei ihren Schilderungen einzelner Vorfälle und Verletzungen kam sie bereits teilweise durcheinander, was wann genau stattgefunden hat – weil es nach ihrer Aussage so viele waren.
Die Mutter berichtete davon, selbst noch hochschwanger vom Angeklagten geschlagen und vergewaltigt worden zu sein. Demnach hatte ihr damals eine Ärztin Hilfe angeboten – doch die junge Frau hatte zu viel Angst gehabt. Um sich, aber auch um ihre noch ungeborene Tochter:
Da hat er schon so bissig geguckt. Deswegen bin ich lieber wieder nach Haus.
David L. hatte immer gedroht, ihre Familie “auszulöschen”, wenn sie ihn verlassen würde. Einmal sei er mit mehreren Messern auf dem Weg zu ihrem Elternhaus gewesen. Auf alles und jeden sei er eifersüchtig gewesen. Auch auf ihr gemeinsames Baby.
Nach Aussage der Mutter war David L. zunächst “ganz verrückt” nach seiner Tochter. Der Angeklagte nickte eifrig.
Doch, so die junge Frau weiter, habe sich das verändert, als sie mit dem Baby aus dem Krankenhaus gekommen sei. Außerdem habe sie sich zuvor zwei Mal wegen Geschlechtskrankheiten behandeln lassen müssen – sie sei treu gewesen, er nach ihrer Aussage nicht.
Mutter hatte Fluchtplan
Weil sie Angst um ihr Kind hatte, habe die Mutter nach eigener Aussage mit ihrem zwei Monate alten Säugling “abhauen” wollen:
Weil ich den Terror nicht mehr ausgehalten habe.
Die meiste Zeit über berichtete sie recht gefasst über ihre Beziehung zu David L.
Als sie sich an die Ereignisse direkt vor dem Tod ihres Babies erinnerte, versagte ihr die Stimme. Sie reißt sich zusammen: Plötzlich sei er im Zimmer gewesen, habe die Wiege an die Wand geschleudert, sie in den Schwitzkasten genommen, ein Messer aus einer Schublade gekramt und ihr an den Hals gehalten. Der Bekannte sei ins Zimmer gekommen, habe mit David L. gekämpft, sie konnte mit drei Stichwunden fliehen.
Eifersucht, Desinteresse, Empörung
Sie schilderte, das Baby sei für seinen Vater mal zum Objekt von Eifersucht geworden, mal von Desinteresse. Als Last habe er seine Tochter empfunden.
Auch für seine eigenen Kinder habe David L. keine Verantwortung übernommen. Als sie ihn zitiert, ist die Empörung unter den Zuschauern fast greifbar:
Wenn was passiert, kann man ja neue Kinder machen,
soll der Angeklagte gesagt haben. Doch der schüttelt den Kopf und schreibt Notizen an seinen Verteidiger.