Frankenthal, 24. Januar 2017. (red/cr/pro) Beim Prozess um den Mord an einem zwei Monate alten Säugling vor dem Landgericht Frankenthal wurde am Vormittag die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen. Der Grund: Fragen der Verteidigung berührten zu tief die Persönlichkeitsrechte der Mutter des getöteten Kindes, die als Nebenklägerin auftritt. Bevor die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde, wurden vereinzelt Chat-Protokolle vorgelesen, die “tief blicken” lassen – im nicht-öffentlichen Teil ging es um Sex-Videos und -Praktiken von Beschuldigtem und Nebenklägerin.
Von Christin Rudolph und Hardy Prothmann
Das Interesse der Zuschauer ist gegenüber dem Prozessauftakt zurückgegangen. Wie immer sitzt eine “Fan-Group” der Nebenklägerin im Raum. Ein paar Personen tragen Pullover mit dem Aufdruck “Unser Engel S.” (Anm. d. Red.: Namen von der Redaktion gekürzt). In der Vergangenheit suchten diese “Unterstützer” gerne die Medienkameras – offenbar verwechselt man eine Gerichtsverhandlung mit privaten Trash-TV. Allerdings muss das nicht verwundern – denn die Einblicke in das “Liebesverhältnis” von Beschuldigtem und Nebenklägerin erinnern genau daran.
Der Angeklagte David L. wirkt abwesend. Seine frühere Lebensgefährtin und Mutter des getöteten Babies hingegen klagt über gesundheitliche Probleme. Vor dem Gericht hatte sie noch eine Zigarette geraucht, im Saal beginnt sie zu schluchzen, wirkt immer aufgelöster und bekommt schließlich den Blutdruck im Krankenzimmer gemessen. Die Verhandlung beginnt nicht wie geplant um 09:00 Uhr, sondern um 09:45 Uhr.
Der Verteidiger des Angeklagten weist das Gericht darauf hin, dass aus juristischen Gründen die Schweigepflichtentbindung, die der Angeklagte früher einmal seinen Ärzten erteilt hatte, nicht mehr gültig sei. Beim vergangenen Termin am 16. Dezember 2017 wurde der toxikologische Befund zum toten Baby verlesen und die Befragung der Nebenklägerin fortgesetzt – das soll auch heute der Fall sein.
Der Verteidiger fragt die Nebenklägerin, ob sie ernsthaft oder als Test als Liebesbeweis vom Angeklagten verlangt habe, eine Frau umzubringen. Die Nebenklägerin Jesmira S. sagt:
Oh mein Gott!… David warum lügst du so, du Missgeburt?
Das Gericht ermahnt die Nebenklägerin. Die antwortet schließlich entsetzt mit einem “Nein” auf die Frage und sagt sehr aggressiv zum Angeklagten:
Was hab ich dir dazu gesagt? Ich hab gesagt das macht man nicht, vier Kindern ihre Mutter wegnehmen!
Liebesbeweise und Erinnerungslücken
Der Verteidiger fragt weiter, ob die Nebenklägerin Liebesbeweise vom Angeklagten gefordert habe. Die Nebenklägerin sagt, sie könne sich nicht erinnern. Der Verteidiger liest verschiedene WhatsApp-Chats vom Handy der Nebenklägerin vom April 2016 vor, in denen die Nebenklägerin den Angeklagten auffordert, ihr seine Liebe zu beweisen.
Die Nebenklägerin geht in Abwehrhaltung, scheint sich sehr angegriffen zu fühlen. In einem Chat vom 20. April fordert die Nebenklägerin den Angeklagten dazu auf, sich etwas zu überlegen, mit dem er seine Liebe beweisen könne. Daran kann die Nebenklägerin sich erinnern. In einem Chat vom 26. April spricht sie von einem Liebesbeweis, der besser sei als wenn er sie zehn Mal heirate oder ihr noch ganz viele Kinder mache. Was das sei, schreibt sie, wolle sie ihm persönlich zuhause erzählen.
Der Verteidiger fragt, ob das der Mord an einer Frau sein könne. Die Nebenklägerin verneint wieder vehement. Der Verteidiger fragt, warum sie solche Dinge schreibt, obwohl sie ausgesagt hat, zu dem Zeitpunkt im April nur noch “aus Angst” weiter mit dem Angeklagten zusammen gewesen zu sein. Die Nebenklägerin meint, es wäre doch normal, dass sie “auch mal wieder die andere Seite von ihm haben” wollte. Sie hätte zudem keinen Verdacht erwecken wollen, dass sie sich von ihm trennen wollte.
Sexvideos und Verabredung “zum Bumsen”
Außer diesen Chats wurden auf dem Handy der Nebenklägerin Sexvideos gefunden, auf denen Nebenklägerin und Angeklagter beim Geschlechtsverkehr zu sehen sind. Die Nebenklägerin sagt, immer habe der Angeklagte sie dazu gezwungen und nur er habe gefilmt.
Der Verteidiger scheint die Aussage unglaubwürdig zu finden und beginnt einen Chat der Nebenklägerin an den Angeklagten vorzulesen:
Lass uns später ein Video drehen, wo wir bumsen in Dessous…
Im Saal entsteht Unruhe. Die Nebenklägerin sagt entsetzt “Oh mein Gott”. Ihr Anwalt beantragt den Ausschluss der Öffentlichkeit bei solch intimen Fragen. Der Verteidiger fragt, ob es möglich wäre, dass Videos angesehen werden könnten. Die Nebenklägerin berät sich total aufgebracht mit ihrem Anwalt, während das Gericht über den Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit berät.
Dem Antrag wird stattgegeben, weil das Gericht ein schutzwürdiges Interesse bei Fragen zum Sexualleben der Nebenklägerin sieht. Der Verteidiger sagt:
Ich wollte da eigentlich nicht so in die Tiefe gehen, aber dann kann ich ja meine Fragen stellen.
Die Nebenklage widerspricht der Vorführung und Verwertung der Sexvideos, da keine “Aufklärungshilfe” gegeben sei, weil die Nebenklägerin bereits ausgesagt hat, sie hätte eine funktionierende Beziehung vorgespielt, um Repressalien zu vermeiden. Außerdem seien die Persönlichkeitsrechte der Nebenklägerin betroffen. Das Gericht meint, darüber werde entschieden, falls das Gericht Bedarf sieht, die Videos in die Beweisaufnahme einzubeziehen.
Die Öffentlichkeit wird von diesem Teil der Verhandlung ausgeschlossen.
Hinweis der Redaktion: Was zu einer Beweisaufnahme gehört oder nicht, ist nicht genau festgelegt. Selbstverständlich kann der Verteidiger Fragen an die Nebenklägerin oder andere Zeugen richten, damit Eindrücke zur Glaubwürdigkeit der Personen erlangt werden können. Ob das “Stil” hat, entscheidet der Verteidiger selbst. Dass das Gericht die Öffentlichkeit bei detaillierten Befragungen zum Intimleben des Beschuldigten und der Nebenklägerin ausschließt, ist nicht zu kritisieren. Fraglich ist, ob diese “Beweise” in irgendeiner Art und Weise die Tat erhellen – vermutlich nicht. Möglicherweise will die Verteidigung die Fatalität dieser Beziehung herausstellen und die “Opferrolle” der Nebenklägerin in Zweifel ziehen. Das kann sehr unangenehm werden – für alle Beteiligten. Aber es geht darum den Tod eines Säuglings aufzuklären. Möglicherweise spielt dabei die Vorbeziehung der Eltern eine wesentliche Rolle – wenn es auch nie eine so schreckliche Tat nachvollziehbar macht.
Hintergrund: Dem Angeklagten David L. (32) wird vorgeworfen, am 14. Mai 2016 seine erst zwei Monate alte Tochter ermordet sowie seine damalige Lebensgefährtin und einen Bekannten schwer verletzt zu haben. Das Kleinkind soll er vom Balkon geworfen haben. Dieses stürzte 7,5 Meter tief, schlug mit dem Kopf auf und verstarb vor Ort an einem schweren Schädel-Hirn-Trauma. Auf eine weitere sechs Jahre alte Tochter aus einem anderen Verhältnis stach er mit einem Messer ein – das Mädchen überlebt nur durch einen glücklichen Zufall.