Frankenthal, 01. März 2017. (red/cr) Im Prozess um den Mord an einem zwei Monate alten Säugling vor dem Landgericht Frankenthal kamen am Dienstag Polizeibeamte zu Wort. Sie bestätigten Aussagenprotokolle, gaben Einschätzungen von Zeugen ab und beantworteten Fragen zum Tatort und Ergebnisse der Untersuchung des Tatorts. Dabei fielen Widersprüche in Zeugenaussagen auf.
Von Christin Rudolph
Die Nebenklägerin, die Mutter des getöteten Säuglings, ist diesmal nicht anwesend. Zwölf Zuschauer befinden sich im Gerichtssaal. Es geht wesentlich weniger emotional zu als an vergangenen Verhandlungstagen.
Denn gehört wurden an diesem Verhandlungstag im Prozess um ein getötetes Baby Polizeibeamte, die entweder kurz nach der Tat vor Ort waren oder mit dem Fall befasst sind. Nüchtern sind ihre Schilderungen, zeichnen ein sehr vorstellbares Bild der Vorfälle in den Stunden vor und nach der Tat. Und von einem bestimmten Zeugen – Artur H..
Er war zum Tatzeitpunkt zu Besuch und soll nach übereinstimmenden Aussagen und Spuren versucht haben, David L. das Messer abzunehmen, mit dem dieser seine Freundin verletzt haben soll. Dabei zog sich Artur H. Abwehrverletzungen zu, die in einem Krankenhaus behandelt wurden.
Drogenkonsum eingeräumt
Die Polizeibeamtin, die Artur H. im Krankenhaus kurz nach der Tat verhörte, gab Teile seiner Aussage wieder. Besonders auffällig dabei: Damals soll er ausgesagt haben, am Abend der Tat keine Drogen konsumiert zu haben.
Der Aussage des Beamten Bachmann von der Kriminaldirektion Ludwigshafen nach habe Artur H. in einer Vernehmung drei Tage später “bereitwillig” zugegeben, zusammen mit dem Angeklagten etwa eine halbe Stunde (im Protokoll der Aussage war eine dreiviertel Stunde angegeben) gekokst zu haben. Jesmira S., die Mutter des getöteten Mädchens, habe davon nichts mitbekommen.
Gesprächsthema sei David L.s Eifersucht gewesen. Trotzdem habe Artur H. seinen Freund David L. als fröhlichen Menschen beschrieben, die Tat sei für ihn wie aus heiterem Himmel gekommen.
Ablauf in der Nacht der Tat
Der Polizeibeamte gab die Schilderungen von Artur H. zum Ablauf der Tat wieder. Demnach habe Artur H. versucht, David L. das Messer abzunehmen, als dieser seine Freundin bedrohte. Die zwei Männer sollen etwa 15 Minuten halb stehend, halb auf dem Bett des Schlafzimmers gerungen haben.
Ob die Angabe von 15 Minuten realistisch ist, zog der Polizist in Zweifel. Doch auf diese Bedenken habe Artur H. sinngemäß geantwortet:
Ich war früher mal Boxer, ich weiß wie lange drei Minuten sind.
Dass Artur H. David L. körperlich überlegen war, hält der Beamte jedoch für plausibel. Artur H. sei ein “richtiger Brocken”. Nach dem Kampf, so sei die Aussage von Artur H. gewesen, habe David L. seine zwei Monate alte Tochter am linken Arm aus ihrem Bett gezogen und mit der rechten Hand ein Messer auf sie gerichtet.
Fühlte sich David L. bedroht?
Dabei solle er gesagt haben:
Jetzt mache ich den Rest.
Artur H., so gab Herr Bachmann dessen Aussage wieder, soll angeboten haben, sich weiter mit David L. zu prügeln, solange dieser die Kinder in Ruhe lasse. David L. sei jedoch auf den Balkon getreten und habe nach einem Wortgefecht das Baby hinunter geworfen.
Der Verteidiger des Angeklagten fragte den Polizeibeamten, ob sich David L. vielleicht von Artur H. bedroht gefühlt haben könnte. Nach Aussage eines Nachbarn habe David L. sinngemäß geschrien “Komme mir nicht zu nah!”. Sicher konnte das Herr Bachmann auf Grundlage der Aussage von Artur H. jedoch nicht sagen.
Auch konnte er sich nicht daran erinnern, dass Artur H. gesagt hätte, dass David L. mit einem Messer in die Wiege seiner jüngsten Tochter gestochen haben soll. Vor Gericht hatte Artur H. das jedoch ausgesagt.
Widersprüchliche Aussagen
Definitiv habe Artur H. bei seiner Aussage vehement verneint, dass der Säugling vielleicht gefallen sein könnte. Er sagte aus, David L. habe es mit einer schwenkenden Armbewegung geworfen.
Danach sei er geschockt barfuß zuerst nach oben in Richtung Speicher gerannt. Erst dann sei er nach unten geflohen, hätte aber auf der Treppe noch ein Fenster geöffnet. Bei seiner Vernehmung im Krankenhaus hatte Artur H. gesagt, in seiner Verwirrung hätte er durch das Fenster fliehen wollen.
Vor Gericht sagte er jedoch, er habe das Fenster geöffnet, um die Polizei zu rufen. Erst als er draußen vor dem Haus war, so gab Herr Bachmann die Aussage von Artur H. wieder, habe er realisiert, dass im Schlafzimmer immer noch zwei Kinder zusammen mit David L. waren. Vor dem Haus waren ihm Handschellen angelegt worden, da er zuerst für den Täter gehalten worden war.
Herr Bachmann ordnete die Aussagen von Artur H. als plausibel ein, auch, da dieser während der Aussage “stabil gewirkt” haben soll.
Abweichende Aussagen
Von diesen Aussagen weichen einige Details ab, die Jesmira S. ausgesagt hat. Der Beamte Schmalz, Kriminalhauptkommissar bei der Kriminaldirektion Ludwigshafen, hat sie nach der Tat im Klinikum befragt und noch einmal später, am 09. Juni 2016, eine ergänzende Aussage aufgenommen.
Die ergänzende Aussage machte Jesmira S. freiwillig, da sie, so Herr Schmalz, im Beisein ihres Anwalts noch ergänzende Aussagen machen wollte, vor allem zu den Vergewaltigungen innerhalb der Beziehung.
Die Schilderungen von Herrn Schmalz über ihre weiteren Aussagen sowie über die Aussagen der Mutter und der Schwester von Jesmira S. decken sich mit den Aussagen, die die drei Frauen zuvor bei Gericht gemacht hatten.
Presseberichte seien falsch
Außerdem habe Jesmira S. bei der Aussage am 09. Juni Presseberichte dementiert, wonach David L. nicht geschlafen und Drogen konsumiert haben soll. Bei der Erwähnung dieser Berichte veränderte sich der Gesichtsausdruck von David L. von einem eher abwesenden hin zu einem aggressiven, gereizten. Den weiteren Verlauf verfolgte er wie gewohnt in sich gekehrt.
Des Weiteren hätte Jesmira S. bei der gleichen Befragung gesagt, berichtete Herr Schmalz, dass Artur H. ihr kurz nach der Tat vor dem Haus sinngemäß gesagt hätte:
Kann auch sein, dass der David alle Kinder aus dem Fenster werfen will.
Außerdem, dass er erfolglos versucht habe, die beiden Kinder zu retten, die sich zu dem Zeitpunkt noch im Schlafzimmer bei ihrem Vater befanden.
Wo genau lag die Leiche des Säuglings?
In der gleichen Aussage habe Jesmira S. auch behauptet, David L. habe etwa 20 bis 30 Minuten vor der Tat noch einmal alleine im Keller Drogen genommen, weil er nicht mit Artur H. hätte teilen wollen.
Das Gericht fragte die verschiedenen Polizeibeamten nach Details zu Abläufen, wie etwa welcher Polizeibeamte wann was gemacht oder veranlasst hat. Aber auch etwa wie David L. nach der Tat gewirkt habe oder wo und wann genau von wem die Leiche des Säuglings oder die Aufschlagstelle besehen wurde.
Zu der Stelle, an der die Leiche gelegen hatte, wurden zwei unterschiedliche Schätzungen von zwei Beamten abgegeben: einmal drei bis vier Meter und einmal fünf bis sechs Meter vom Haus entfernt. Da es jedoch dunkel und die Gefahrensituation zu dem Zeitpunkt noch nicht abgeklärt war, sind wahrscheinlich die Aufzeichnungen der Spurensicherung und der Polizeikräfte, die die Leiche zuerst gefunden haben, am aufschlussreichsten und die Schätzungen der Zeugen an diesem Verhandlungstag eher ergänzend dazu.
Fotos und Sex-Videos gefunden
Kriminalhauptkommissar Schmalz berichtete teilweise von Ergebnissen der Tatortdurchsuchung. So wurden neben 5,4 Gramm Kokain auch zwei Handys gefunden. Diese wurden, so Herr Schmalz, teilweise sowohl von Jesmira S. als auch von David L. benutzt. Darauf wurden Fotos gefunden, die die Aussagen von Jesmira S. teilweise stützen.
Etwa ein Foto von ihr mit einer Verfärbung im Gesicht, wahrscheinlich einem Hämatom. Fotos von Pärchen, auf denen weder David L. noch Jesmira S. zu erkennen sind – Jesmira S. hatte ausgesagt, ihr Partner hätte ihr immer wieder Fotos als “Beweise” vorgehalten, dass sie ihn betrügen würde.
Es befanden sich auch Fotos unter den ausgewerteten Daten, die den Angeklagten mit seiner jüngsten Tochter zeigen. Außerdem, so Herr Schmalz weiter, seien Websites zum Thema Eifersucht und eine Seite der Zeugen Jehovas zum Thema Risikofaktoren für Gewalt in der Beziehung aufgerufen worden.
Zudem wurden Videos gefunden, die David L. und Jesmira S. bei sexuellen Handlungen zeigen sollen. Ob diese jedoch unter Zwang entstanden oder nicht, das könne man nicht feststellen.
Verteidiger kritisiert Polizeibeamten
Als Herr Schmalz erwähnte, dass er fehlende Krankenakten von David L. angefordert habe, verstrickte er sich in einen Streit mit dem Verteidiger von David L.. Kriminalhauptkommissar Schmalz behauptete, er habe David L. eine Schweigepflichtsentbindungserklärung unterschreiben lassen und sei daher befugt, die Unterlagen anzufordern.
Der Verteidiger jedoch sagte, es existiere keine solche gültige Erklärung seines Mandanten. Weiter sah der Anwalt ein Fehlverhalten darin, dass Herr Schmalz beide Handys nach der Auswertung an Jesmira S. ausgehändigt hat, ohne vorher David L. zu dieser Sache zu hören.
Herr Schmalz begründete, Jesmira S. hätte angegeben, beiden Geräte würden auf ihren Namen laufen. Benutzt wurden sie von ihr und ihrem Partner.
Wer auch immer in diesen Punkten recht hat, in einer Sache gibt es Klarheit: Der Obduktionsbericht ergab, dass außer dem tödlichen Schädel-Hirn-Trauma keine Verletzungen am Körper des Säuglings festgestellt werden konnten. Auch keine älteren Datums – es wird also davon ausgegangen, dass das Mädchen vor ihrem Tod nicht misshandelt wurde.
Hintergrund: Dem Angeklagten David L. (32) wird vorgeworfen, am 14. Mai 2016 seine erst zwei Monate alte Tochter ermordet sowie seine damalige Lebensgefährtin und einen Bekannten schwer verletzt zu haben. Das Kleinkind soll er vom Balkon geworfen haben. Dieses stürzte 7,5 Meter tief, schlug mit dem Kopf auf und verstarb vor Ort an einem schweren Schädel-Hirn-Trauma. Auf eine weitere sechs Jahre alte Tochter aus einer früheren Beziehung stach er mit einem Messer ein – das Mädchen überlebte nur durch eine Notoperation und den glücklichen Zufall, dass keine lebenswichtige Gefäße verletzt worden waren.
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