Mannheim, 27. Oktober 2013. (red/pro) Der Mannheimer Morgen (MM) ist der lokale Zeitungsmonopolist. Eine Zeitung auf dem absteigenden Ast. Die Zahl der Abonnenten sinkt Jahr um Jahr. Auf der Suche nach der schwindenden Aufmerksamkeit bedient sich die Zeitung aller Methoden. Ob als Politprop-Agitationsmaschine in Sachen BUGA oder aktuell mit einem Kommentar zu einem Mord, der angeblich in Verbindung zu “vielen Bulgaren im Jungbusch” stehen soll. Die Zeitung fordert eine “unvermeidliche Diskussion”. Dieser Aufforderung sollte man folgen und darüber diskutieren, was man gegen medial verbreiteten Alltagsrassimus unternehmen kann.
Kommentar: Hardy Prothmann
Den Lokalredakteur Peter W. Ragge kenne ich noch aus meiner Studentenzeit, als ich freier Mitarbeiter für den MM war (1991-1994). Mein Einsatzgebiet damals: Vor allem die Innenstadt inklusive Jungbusch. Die Lieblingsthemen von Herrn Ragge waren immer Fasnacht und Vereine sowie der “Blumepeter”.
Als ich 1994 meinen letzten Text im MM veröffentlicht hatte, gab es einen kurzen Disput über den Inhalt. Ich hatte den damaligen Oberbürgermeister Gerhard Widder (SPD) nach einem Bürgergespräch in Käfertal als “Geschichtenerzähler” bezeichnet. Herr Ragge meinte, mir stehe sowas als freier Mitarbeiter nicht zu und wir hätten “unterschiedliche Auffassungen von Journalismus”. Letzteres fand meine Zustimmung.
Alltagsrassismus in Form eines “redaktionellen Kommentars”
Ich habe nämlich bis heute kein Verständnis für wahrheitswidrigen Journalismus und schon gar nicht für brandstiftende Biedermeier und Alltagsrassisten, wie Herr Ragge einer ist. Und ich habe auch kein Verständnis dafür, dass weder die Redaktion sich gegen solche Kommentare stellt, noch, dass ein Chefredakteur Horst Roth solche falsche Schlussfolgerungen zulässt:
An der Uni ist die Erleichterung besonders groß, dass der Täter nicht aus den Reihen der Studenten kommt. Dass es aber eine Verbindung zu den vielen Bulgaren im Jungbusch gibt, wird eine Diskussion auslösen, die unvermeidlich ist.
Herr Ragge missbraucht ein Verbrechen, den brutalen Mord an der litauischen Studentin Gabriele Z., geschehen Anfang Oktober am Rand des Viertels “Jungbusch”, um alle Bulgaren dort in Sippenhaft zu nehmen (Kommentar vom 21. Oktober im MM). Er konstruiert einen Zusammenhang, den es nicht gibt: Er fordert im Zusammenhang mit dem Mord eine Debatte “zu den vielen Bulgaren”. Herr Ragge weiß, was er will: Die “Bluttat” soll in Verbindung mit den Bulgaren gebracht werden. “Unvermeidlich”.
Das ist rassistischer, rechtspopulistischer Blödsinn vom Feinsten. Herr Ragge hat die Telefonnummer der Polizeipressestelle. Herr Ragge steht auch ständig mit der Polizei in Kontakt. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit weiß er, wie es um die Kriminalitätsrate bei den Bulgaren und anderen Ausländern bestellt ist.
Tatsachen über “Taten”
Zutreffend ist, dass die Mannheimer Polizei überhaupt keine Auffälligkeiten bei schweren Straftaten durch die rund 7.000 in Mannheim lebenden Bulgaren und Rumänen feststellen kann. Zutreffend ist, dass die Polizei sehr wohl eine Häufung von Delikten wie Ladendiebstähle, Schwarzfahren und Streitigkeiten mit Handgreiflichkeiten (ganz überwiegend innerhalb dieser Gruppen) feststellt. Die meisten dieser Menschen leben unter unzumutbaren Wohnbedingungen, haben große soziale Probleme, sind arm und chancenlos. Zutreffend ist auch, dass in Zusammenhang mit Bulgaren gegen einen Polizisten wegen Mietwuchers ermittelt worden ist. Zutreffend ist ebenso, dass es einen Arbeiterstrich gibt. Zutreffend ist auch, dass es große Sorgen und Vorbehalte bis hin zu offenem Rassismus bei Teilen der Bevölkerung gegenüber diesen südosteuropäischen Zuwanderern gibt.
Zutreffend ist auch, dass vorturteilsbeladene Schlüsse, wie sie Herr Ragge veröffentlicht, dazu weiter beitragen werden. Herr Ragge weiß, dass der mutmaßliche Täter, ein Bulgare, zuerst eine Frau in Speyer angegriffen hat. Dann Gabriele Z. in Mannheim tötete und zwei Tage vor seiner Verhaftung zwei junge Mädchen in Grünstadt angegriffen hat. Herr Ragge weiß auch, dass weder Polizei noch Staatsanwaltschaft eine Verbindung zu Bulgaren im Jungbusch sehen noch thematisieren. Zutreffend ist, dass Herr Ragge diesen Zusammenhang durch seine Forderung nach einer “unvermeidlichen Diskussion” konstruiert.
Sollen wir auch über die “Grünstädter Bedrohung” diskutieren?
Zutreffend ist ganz sicher, dass “die vielen Bulgaren” mit einem mutmaßlichen Sexualmörder nichts zu tun haben, außer, dass sie wie er Bulgaren sind. Er ist aber auch Bauarbeiter. Will Herr Ragge jetzt womöglich auch noch eine Debatte über die Verbindung von Bauarbeitern und Sexualmorden anstoßen? Der mutmaßliche Mörder wohnte in Grünstadt. Will Herr Ragge jetzt unvermeindlich darüber diskutieren, was Grünstadt mit dem Tod von Gabriele Z. zu tun hat? Der Mann war auch Boxer. Soll man jetzt über die “Verbindung” diskutieren, ob Boxer potenzielle Sexualmörder sind oder nicht?
Ab 2014 wird die Teilillegalität der Bulgaren und Rumänen aufgehoben – zumindest, was den Arbeiterstrich angeht. Sie dürfen dann legal als Tagelöhner arbeiten. Ob danach die Bezahlung auch nur annähernd in Richtung Mindestlohn gehen wird, darf bezweifelt werden. Selbstverständlich auch, ob diese Menschen eine Chance auf “normale” Arbeitsverhältnisse haben. Tatsache wird auch sein, dass diese Zuwanderer dann Sozialhilfen in Anspruch nehmen können und werden, was die Kassen der Stadt belasten wird. Auch zu diesem Thema wird wieder die Stunde von Salonrassisten wie Peter W. Ragge schlagen: Er wird, wie das bei Rechtspopulisten und Rassisten üblich ist, jede Gelegenheit nutzen, gegen die Südosteuropäer zu agitieren.
Widerstand zwischen Haltung und Egoismus
Wie kommt man solchen Leute bei? Nur durch offenen Widerstand. Nur durch klare Positionierungen, dass man nicht bereit ist, solche “Positionen” hinzunehmen, sondern Widerspruch einlegt und geeignete Maßnahmen trifft. Man darf nicht wegschauen oder “sich nur seinen Teil denken”, wenn angebliche “Qualitätsmedien” anfangen, rassistische Zusammenhänge zu konstruieren.
Die Kündigung des Abos ist die fürchterlichste Folge aus Sicht der angeschlagenen Zeitung. Weiter kann man Leserbriefe schreiben, diesen Artikel kommentieren, in sozialen Netzwerken über den Alltagsrassismus des Herrn Ragge aufklären und sich die Frage stellen, wieso die Chefredaktion und die Redaktionsmitglieder das zulassen.
Und man kann auch andere gesellschaftliche Kräfte in der Stadt auffordern, Front zu machen gegen die Frontmacher auf Kosten der Schwächsten der Stadtgesellschaft. Indem man sich klar äußert. Ob als Grüner, als SPD-ler oder auch aus den Reihen der CDU und FDP, selbst wenn man dort viele vermuten darf, die den Raggeschen Ausfällen offen oder insgeheim zustimmen.
Alle Bürger/innen dieser Stadt und im Einzugsgebiet der Zeitung müssen aber auch wissen, dass sich Kritiker genau überlegen, was sie öffentlich kritisieren. Schließlich will man es sich “mit der Zeitung nicht verscherzen” und hofft, das man selbst seine Positionen irgendwie “ins Blatt bringen kann”. Das ist ein Balance-Akt zwischen verantwortlicher Haltung und egoistischen Zielen.
Ich bin in den vergangenen Tagen von zahlreichen Menschen auf den Kommentar von Herrn Ragge angesprochen worden: “Da musst Du doch was machen”, war der Wunsch: “Das geht doch so nicht. Das darf der doch nicht so schreiben.”
Diesem Wunsch bin ich mit diesem Text nachgekommen. Herr Ragge wird seine rasstischen “Schlussfolgerungen” weiter so schreiben – bis man ihm oder seinem Dienstherrn klar zeigt, was man von diesem Rassismus hält. Das muss man offen, transparent und ehrlich machen. Und selbstverständlich die “unvermeidliche Debatte” darüber führen, bevor andere “das Problem” mit anderen Mitteln “lösen” wollen.
Eine umfassende Zusammenfassung findet sich in einem Beitrag vom Bermuda-Funk:
Das damalige gesellschaftliche Schreckgespenst waren nicht wie heute islamistische Terroristen, sondern angebliche über Deutschland herein brechende „Asylantenströme“ und das Asylrecht missbrauchende so genannte Wirtschaftsflüchtlinge. (…) Es gab Vorwürfe über sexuelle Belästigungen und Aufdringlichkeiten, durch welche besonders die Schönauer Mädchen gefährdet seien.
Damals machte das Gerücht über ein 16-jähriges Mädchen die Runde, das angeblich von einem Asylbewerber vergewaltigt worden sei. Das war falsch.
Anfang des Monats ist eine junge Frau Opfer eines Sexualmords geworden. Herr Ragge will nun über “die vielen Bulgaren” und deren angebliche Verbindungen zu dem mutmaßlichen Mörder diskutieren. Einen “unvermeindlichen” Kommentar zum mutmaßlichen Täter, der am 21. Oktober versucht haben soll, zwei Frauen zu vergewaltigen, hat Herr Ragge noch nicht geschrieben. Obwohl der Tatverdächtige mit dem Drogenmilieu Kontakt hat, was eigentlich eine “schöne” Vorlage wäre. Vielleicht störte, dass der 25-jährige Mann Deutscher ist. Aus Mannheim.
Anm. d. Red.: Interessierte sollten sich die Dokumentation von Gert Monheim “Wer Gewalt sät – Von Brandstiftern und Biedermännern” anschauen.