Mannheim/Rhein-Neckar, 05. September 2013. (red/pro) Der Mannheimer Morgen ist quasi ein Sanierungsfall, so eine Art „Schrott-Medium“. Das wird aktuell beim Streit um die BUGA mehr als deutlich. Je mehr die Auflage sinkt, so scheint es, umso mehr werden handwerkliche Fehler gemacht und umso mehr entwickelt sich die ehemals geachtete Zeitung zum Revolverblatt. Die Gründe sind systemimmanent.
Von Hardy Prothmann
Das Zitat war einfach zu geil: „Die BUGA akzeptiert nicht jede Schrott-Immobilie“, wurde Dr. Konrad Hummel, der Konversionsbeauftragte der Stadt, von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) wiedergegeben. Da der Text ungenau war, konnte die Feudenheimer Au oder gar der Luisenpark gemeint sein. Beides war nicht der Fall, wie uns Dr. Hummel klar darlegte. Das Zitat war richtig, der Zusammenhang falsch.
Der Mannheimer Morgen hat sich keinerlei Mühe gegeben, eine Überprüfungsrecherche zu unternehmen. Viel zu schön war der absehbare Streit. Die Mannheimer Liste pumpte Luft, ebenso eine Bürgerinitiative, selbsternannte Experten. Das aus dem Zusammenhang gerissene Zitat bot Stoff für Zoff ohne Ende.
Gepanschter „Journalismus“
Dann wurde aber klar: Der Stoff für den Zoff war gepanscht. Zusammengerührte Soße. Ein schlecht geschriebener Agentur-Text. Ein faules Ei.
Das wird er nicht. Der Fehler ist ein systemimmanenter. Man nennt das auch „Agenturhörigkeit“. Was die Agenturen schreiben, übernehmen alle gleich (egal, ob richtig oder falsch). Je mehr Medien die Agenturtexte bringen, umso „wahrer“ wird die Geschichte – meinen jedenfalls Zeitungsleute und andere Journalisten des alten Systems. Es ist weder Schwarmintelligenz noch Schwarmdummheit, es hat fast einen faschistoiden Charakter. Einer befiehlt, alle folgen.
Die Politik, die Wirtschaft, der Sport, „Aus aller Welt“ sowieso – schauen Sie sich das „Qualitätsprodukt“ Zeitung ein. Überall steckt die gleiche Soße drin, zusammengerührt von den Agenturen.
Früher hatte man das Gefühl, dass diese sehr genau arbeiteten. War das so, ist es heute anders? Heute ist anders, dass man es überprüfen kann.
Heute spüren auch die Agenturen den Druck, übernehmen Pressemitteilungen, recherchieren nicht mehr genau und hauen die Meldungen so schnell als möglich raus, denn auch den Agenturen macht das Internet enorm Druck. Sie merken ebenso wie die Zeitungen, dass das Informationsmonopol schwindet. Und sie machen Fehler über Fehler, weil sie das mit dem Überprüfen nicht gecheckt haben.
Schwindsüchtiges System
Wie schwindsüchtig dieses kranke System ist, erzähle ich Ihnen mit einer Geschichte von vor 12 Jahren. Ich hatte einen nicht ganz unbedeutenden Wirtschaftsskandal recherchiert. Bei meinem damaligen Haussender bot ich die Geschichte mehreren Redaktionen an und wurde sie nicht los. Sie war zu heikel. Einem befreundeten Kollegen erzählte ich von meinem „Unglück“, der meinte: Pass mal auf, nahm den Telefonhörer, rief einen Kumpel bei dpa an, erläuterte ihm die Story, gab ihm einige Ankerinformationen, schwätzte noch ein wenig und legte auf. Dann sagte er: „Der xy ist schnell, in spätestens 15 Minuten hast Du einen Auftrag.“
Plötzlich klingelte mein Telefon wie wild. Ich hatte nicht einen Auftrag, sondern von allen Redaktionen, denen ich vorher vergeblich das Thema angeboten hatte. Was war passiert? dpa meldete einen Wirtschaftsskandal, der Prothmann war dran und alle wollten meine Story.
Die war im Gegensatz zum aktuellen dpa-Bericht journalistisch einwandfrei recherchiert und ein Geschäftsführer musste später „seinen Hut nehmen“.
MM-Auflage im Sinkflug
Wer fühlt sich eigentlich für das Berichtsdesaster beim MM verantwortlich? Niemand. Da wird draufgehauen, wo sich eine Chance bietet. Anstatt mal innezuhalten und sich das Desaster anzuschauen. Im zweiten Quartal 2013 zählt die ehemals große Zeitung von 75.830 täglich unter die Leute gebrachte Exemplare. Vermutlich wird im ersten oder zweiten Quartal 2014 die 70.000-er-Marke unterboten. Die Auflage ist kontinuierlich im Sinkflug.
Spätestens 2015/16 wird der MM zum tatsächlichen Sanierungsfall, weil der inhaltliche Schrott, den die Zeitung produziert, nur noch ein Zielpublikum von 60+ erreicht, die irgendwann auch merken, dass die Zeitung sie auf den Arm nimmt und nach und nach ebenfalls ins Internet abwandern.
Meine Kritiker werden ebenfalls pumpen und mich zum wiederholten Male als „Zeitungshasser“ bezeichnen, werden mir anzudichten versuchen, ich übte Rache, weil die Zeitung mich nicht wollte. Und ich werde nicht wiederholen, dass ich mich dort nie beworben habe, sondern Ende 1994 meine freie Mitarbeit eingestellt habe, weil mir die Zeitung schon damals zu verschimmelt war.
Ich habe mit dieser Zeitung aber tatsächlich ein großes Problem. Die journalistisch schlechte Arbeit dieses Monopolisten beschädigt den Ruf aller Journalisten, also auch meinen. Denn das, was Journalismus zu sein vorgibt, ist binnen kurzer Zeit und eigener Recherche über’s Internet als gepanschter Müll erkennbar.
Schrottplatz-Journalismus macht die Branche kaputt
Die Kritik an dieser Zeitung, an der Agenturhörigkeit (die fast alle haben), an dem bräsigen Stil der immergleichen Wiederholungen, am Bratwurstjournalismus mit seinen Wettergöttern, Gerstensaft und für Speiß und Trank war gesorgt, ist ein permanenter Angrif auf den Journalistenberuf an sich.
Freie Mitarbeiter werden für lächerliche Zeilenhonorare auf Bratwursttermine geschickt, Lokaljournalisten sind für alles in ihrem Gebiet zuständig, ein möglicherweise noch vorhandener Sachverstand in der Politik- und Wirtschaftsredaktion wird nicht abgerufen oder kann nicht abgerufen werden, weil sich die „besseren“ Fachjournalisten zu schade für die Niederungen der Ebene sind.
Derweil diskutiert die Branche, dass sich Print- und Onlineredaktion mehr „begegnen“ müssten. Dass eine Gesamtredaktion an einem journalistisch-relevanten Produkt arbeitet und es keine „Elfenbeintürme“ gibt, haben die Zeitungen noch nicht verstanden.
Kein Mitleid für’s alte System
Um guten Journalismus zu machen, kann es nur um Inhalte gehen. Um das harte Erarbeiten von Fakten. Um ehrgeizige Recherchen und nicht das Abschreiben oder blinde Zitieren von Agenturen, die immer nur eine Sekundärquelle sind. Und ganz bitter wird es, wenn sich Medien im eigenen Berichtsgebiet hörig auf Agenturen verlassen. Dann hat man jeden Anspruch an sich selbst verloren.
Wer, nachdem er Agenturen geguttenbergt hat, sich nicht verantwortlich fühlt, eine schlechte Arbeit gemacht zu haben, hat nichts verstanden. Wer denkt, er könne wie früher eine beliebige Sau durch’s Dorf treiben, aber nicht merkt, dass er selbst die mittlerweile abgemagerte Sau ist, die sich selbst treibt, rennt sich zu Tode.
Und wer dann stur weitermacht wie bisher, verdient noch nicht einmal Mitleid.
Giftmüll wird entsorgt
Das Zeitungssterben hat begonnen, weil so viel Schrott auf dem Markt ist, dass man genau schauen muss, welche Sanierung lohnt. Der Rest wird entsorgt.
Dr. Konrad Hummel hat recht: Zukunftsprojekte lassen sich nicht auf jedem Schrottplatz umsetzen. Und unrealistische Forderungen bleiben unrealistisch. Egal, wie viele Leserbriefe man sich „bestellt“ oder als passend auswählt oder zur Not selbst schreibt.
Zeitungen geht es nicht anders als anderen wilden Deponien – sie werden entsorgt oder abgeriegelt. Im Fall vom MM mit quartalsweise konstanten fast minus drei Prozent Auflagenverlust.