Mannheim/Rhein-Neckar, 28. Januar 2014. (red/ld) Sie kommen nach Mannheim auf der Suche nach dem kleinen Glück. Und viele werden Opfer. Sie wollen arbeiten, sie tun das auch, aber ihre Arbeitskraft wird ausgebeutet. Ihre Zukunft bleibt unsicher. Ein aktueller Prozess vor der Wirtschaftsstrafkammer offenbart, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt. Ein Mann ist wegen Sozialbetrugs angeklagt. Andere Profiteure stehen nicht vor Gericht.
Kommentar: Lydia Dartsch

Lydia Dartsch ist Redaktionsvolontärin beim Rheinneckarblog.de
Ein rumänischstämmiger Bauunternehmer mit deutschem Pass soll 293 seiner Landsleute schwarz oder scheinselbständig beschäftigt haben. Als Gesellschafter oder Subunternehmer. Über einen Zeitraum von vier Jahren ist den Sozial- und Krankenkassen dadurch ein Schaden in Höhe von rund 870.000 Euro entstanden. Davon geht die Staatsanwaltschaft Mannheim aus. Ungeachtet dessen, wie lange diese „Angestellten“ jeweils für den Mann gearbeitet hatten, bedeutet dies eine Beitragsschuld in Höhe von 60 Euro pro Person pro Monat. Im Einzelfall zeigt das, wie wenig diese Menschen verdienen. In der Summe der Fälle kommt ein enormer Betrag zusammen.
Das wahre Drama durchleben die 293 Rumänen, die für ihn gearbeitet haben. Welchen Stundenlohn muss man verdienen, um 60 Euro an Sozial- und Krankenkassenbeiträgen pro Monat bezahlen zu müssen? Die Staatsanwaltschaft Mannheim geht bei dem vorliegenden Fall von einem Stundenlohn von 5,25 Euro aus. Bei einem acht-Stunden-Tag sind das knapp 42 Euro.
„Das lohnt sich nicht?“ – Für wen doch?
„Was bleibt einem übrig, wenn das Damoklesschwert über einem baumelt?“, fragte der Angeklagte bei der Verfahrenseröffnung heute. Damit meinte er zwar sich – aber tatsächlich hängt es über den Menschen, die ausgenutzt werden. Bis zur Jahreswende war eine „Selbständigkeit“ oder Schwarzarbeit oft die einzige Möglichkeit für Menschen aus Rumänien und Bulgarien – seit 2007 EU-Mitgliedsstaaten – sich in Deutschland einen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Und sie wollen arbeiten.
Das macht sie zu Opfern der Lohnsklaverei. 40 Euro, die er als Taxifahrer verdient habe, hätten sich nicht gerechnet, hatte der Angeklagte gesagt, als er Angaben zu seiner Person machte. Mehr bringt man mit einem Stundenlohn von 5,25 Euro auch nicht nach Hause. Dazu fehlt diesen Menschen die Sicherheit. Krankheitsfälle sind nicht nur Arbeitsausfälle, sondern vor allem Verdienstausfälle. Verlieren sie ihren Job, fängt sie kein soziales Netz auf. Einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Hartz IV hatten sie nicht. Sie haben auch nicht in die Renten- oder Pflegekasse einbezahlt. Auch nicht in die Arbeitslosenversicherung.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass diese „Vertragspartner“ kein unternehmerisches Risiko getragen haben, weil sie scheinselbständig waren. Aber sie haben das volle existenzielle Risiko getragen.
Auch die deutschen Beitragszahler sind Opfer. Die 870.000 Euro fehlen in den Sozialsystemen. Sowohl für die Zugewanderten als auch für die deutsche Bevölkerung.
Wie viele sind von der Ausbeutung betroffen? Welche deutschen Unternehmen profitieren?
Wer profitiert davon? Diese Frage wird in dem Verfahren sicher nicht beantwortet werden. Sind es nur die Baufirmen, wie der Angeklagte eine betrieben hat, die die Menschen beschäftigen und keine Sozialabgaben abführen? Profitieren sie, indem sie Aufträge bekommen, weil sie günstigere Angebote machen können, als ihre Mitbewerber? Was ist mit deren Auftraggebern, den Bauträgern? Darunter sicher viele deutsche, renommierte Unternehmen. Was wissen sie von den Zuständen auf ihren Baustellen? Fragen sie nach? Was wollen sie nicht wissen? Schuld lässt sich durch Unwissen nicht verringern.
293 Rumänen sollen für den Angeklagten über vier Jahre lang schwarz gearbeitet haben. Seit 2007 haben rund 6.400 Rumänen und Bulgaren allein in Mannheim ihren Wohnsitz angemeldet. Die Dunkelziffer liegt bei 10.000 Menschen, schätzt die Stadt Mannheim. Zwar arbeiten nicht alle von ihnen auf dem Bau, aber es lässt erahnen, dass es noch ein Vielfaches dieser Fälle gibt.
Diese Zuwanderer waren bereit, sich an der Wertschöpfung in Deutschland mit Arbeit zu beteiligen. Sie wurden ausgenommen und abgekocht. Und es ist definitiv nicht ihre Schuld.