Mannheim/Rhein-Neckar/Bar-le-Duc, 26. April 2013. (red) Ein 22 Jahre alter Franzose hat sich am Freitagnachmittag gegen 16:50 Uhr in der Höhe Wasserturm Richtung Fressgasse (in der Nähe vom Rosengarten) mit einer großkalibrigen Waffe erschossen. Passanten, darunter ein Arzt, versuchten, erste Hilfe zu leisten. Wie die Polizei berichtet, war der Mann sofort tot. Die Polizei verfügt offenbar über genauere Informationen, ist aber nicht bereit, diese für die Öffentlichkeit verständlich zu kommunizieren.
Von Hardy Prothmann
Es ist ein tragisches Ereignis. Am späten Nachmittag des 26. April, um kurz vor 17:00 Uhr, setzt ein Mensch seinem Leben ein Ende. Die genauen Umstände sind nicht bekannt, die Polizei teilt überraschend schnell mit, dass „die Hintergründe der Tat nach den Ermittlungen im persönlichen Bereich liegen dürften“.
Selbsttötungen behandeln wir meist diskret – ein solcher Vorfall, wie der Mannheimer Morgen schreibt „mitten in der Stadt und im Trubel von Menschen“ ist allerdings keine private Angelegenheit mehr, sondern eine, die sich öffentlich zugetragen hat. Ob beabsichtigt oder nicht. Viele Menschen sind betroffen und viele Menschen wollen Informationen, was passiert ist.
Soviel ist nach Angaben der Polizei sicher: Gegen 16:50 Uhr versuchen Passanten, darunter ein Arzt, einer Person erste Hilfe zu leisten. Dabei handelt es sich laut Polizei um einen 22-jährigen Franzosen, der leblos neben seinem Motorrad liegt. Die Hilfe nützt aber nichts. Der Mann ist tot. Ein Schuss ins Herz hat sein Leben sofort beendet – so die Polizei, die sich auf den Notarzt bezieht.
Auf Nachfrage bestätigt die Polizei:
Wir haben mitgeteilt, dass Passanten versucht haben, erste Hilfe zu leisten.
Zeugen für den Vorfall gibt es laut aktuellen Polizeiangaben nicht. Im Polizeibericht liest sich das anders:
Der aus Frankreich stammende und als vermisst gemeldete Mann hatte sich nach einem Lokalbesuch auf sein Motorrad gesetzt, sich anschließend einen großkalibrigen italienischen Revolver, Kaliber 44, vor die Brust gehalten und abgedrückt.
Woher weiß die Polizei das, wenn es keine Zeugen gab? Nach dieser Darstellung muss jemand beobachtet haben, dass sich der Mann die Waffe vor die Brust gesetzt und abgedrückt hat. Auf Nachfrage sagt der Polizist vom Dienst (PvD), dass er keine weiteren Informationen hat.
Im Mannheimer Morgen liest sich der Hergang so:
Mitten in der Stadt und im Trubel von Menschen hat sich am späten Freitagnachmittag ein junger Mann durch einen gezielten Schuss das Leben genommen. Die Polizei geht davon aus, dass es sich um einen 22-jährigen Franzosen aus der Stadt Bar-le-Duc im Nordosten Frankreichs handelt. Er war mit dem Motorrad nach Mannheim gekommen. Vor seiner Fahrt hatte er den Suizid angekündigt.
War der Mann also von Bar-le-Duc über hunderte von Kilometern im Regen nach Mannheim gefahren, um sich in der Öffentlichkeit zu erschießen? Wo und wie hatte er die Selbsttötung angekündigt? Oder lebte der Franzose in Mannheim? Woher hatte der die „italienische Waffe mit langem Lauf“? Was ist an einem „langen Lauf“ im Unterschied zu einem „kurzen Lauf“ besonders erwähnenswert? Was macht den Unterschied, ob es sich um eine deutsche oder italienische oder andere Waffenproduktion handelt? War der Suizid, da angekündigt, möglicherweise zu verhindern?
Der Mannheimer Morgen schreibt insbesondere ein Restaurant am Friedrichsplatz in den Text. Gibt es hier einen Zusammenhang zum Restaurant? Woher weiß die Polizei, dass der Mann zehn Minuten bei laufendem Motor im Regen vor diesem Restaurant stand? Gab es doch Zeugen dafür? Und haben die nicht gesehen, wie sich der Mann erschossen hat?
Unsere Nachfrage beim Restaurant ergibt – es wurden Zeugen befragt. Durch den Schichtwechsel weiß die verantwortliche Betriebsleiterin aber nicht, wer zu was befragt wurde. Nur soviel: „Die Kollegen waren geschockt.“
Ein Anruf um kurz nach 21 Uhr beim Pressesprecher des Mannheimer Polizeipräsidiums, Martin Boll, verwirrt noch mehr. Der Mann reagiert ungewohnt aggressiv. Es sei eine „Unverschämtheit“, ihn um diese Uhrzeit zu kontaktieren:
Ich bin nicht bereit, Ihnen Auskünfte zu erteilen. Ich habe Feierabend.
Alle Informationen habe der Polizist vom Dienst. Bevor die Rechercheanfrage vollständig eskaliert, beenden wir das Gespräch mit dem vollständig aufgebrachten Pressesprecher.
Der anschließend kontaktierte PvD kann die Frage nach dem Modell der „italienischen Waffe“ oder dem „langen Lauf“ nicht beantworten. Warum wurde das überhaupt kommuniziert? Das Kaliber 44 steht hingegen fest. Das ist ein großes Kaliber und das macht ordentlich Krach. Wieso gibt es keine Augenzeugen? Wie kommt ein junger Franzose an eine großkalibrige Waffe aus „italienischer Produktion“? Ist das mit der Erklärung „aus dem persönlichen Bereich“ abgetan? Auf Nachfrage sagt der PvD:
Ich habe geschrieben, dass Passanten nach dem Vorfall erste Hilfe leisteten. Alle Informationen haben ich vom Pressesprecher.
Also keine Zeugen? Nein – es gibt nur den Hinweis auf die kurze Mitteilung.
Von Martin Boll gibt es an diesem Abend keine Informationen mehr. Der PvD weiß nur, was Martin Boll mitgeteilt hat und der hat definitiv Feierabend und steht für Auskünfte nicht mehr zur Verfügung. Das öffentliche Interesse ist dabei schnurzegal.
Erstaunlich ist, dass die Mannheimer Polizei sofort „mit den französischen Kollegen in Kontakt steht“, wie der MM vermutlich den Pressesprecher Boll indirekt zitiert. Geht das so schnell? Innerhalb von zwei Stunden zwischen Selbsttötung um 16:50 Uhr und der Meldung beim MM umd 19:27 Uhr? An einem Freitagnachmittag? Sicher sind auch die „französischen Kollegen“ wie Herr Boll längst im Wochenende?
Wie hat man sich das vorzustellen? „Bonsoir, je m’apelle Martin Boll. Il y a ici une suicide. Monsieur xy est mort, est-ce-que vous avez quelques informations pour nous? Ah, merci bien!“ Kann es sein, dass an einem Freitagnachmittag deutsche und französische Behörden so eng und effizient zusammenarbeiten? Soll man das für eine standardmäßige Zusammenarbeit halten?
Auch das ist mysteriös. Das Rhein-Neckar-Fernsehen verbreitet bereits um 18:30 Uhr, also eineinhalb Stunden nach dem Vorfall die fehlerhafte Meldung, ein 51-jähriger Franzose habe sich getötet. Der MM folgt um 19:27 Uhr mit Bezugnahme auf Martin Boll sehr viel detaillierter.
Auch dazu muss sich der Polizeisprecher Fragen gefallen lassen. Und wieso es erst weitere zwei, drei Stunden später am Abend Informationen für die „allgemeine“ Presse gegeben hat, die weit kürzer ausfallen, als er sich beispielsweise gegenüber dem Mannheimer Morgen anscheinend schon vor 19:37 Uhr geäußert hat? Angesichts des Vorfalls wäre eine sofortige Information der relevanten Pressevertreter mindestens angebracht gewesen. Tatsächlich waren nur „gewisse“ Medien „detailliert“ informiert und auskunftssuchende Medien wie unsere Redaktion wurden harsch, unverschämt und aggressiv abgewiesen.
Eine mögliche Entschuldigung, „gezielte Rechercheanfragen“, dürfte angesichts des Vorfalls im öffentlichen Raum wohl kaum greifen.
Ob es eine ordentliche Unterrichtung der Öffentlichkeit über den Vorfall am Wochenende geben wird, muss abgewartet werden, denn schließlich hat der Sprecher Feierabend und steht für Auskünfte vorerst nicht zur Verfügung.
Dokumentation
Information des Polizeipräsidiums Mannheim:
„Tragischer Vorfall
Am späten Freitag Nachmittag setzte ein 22-jähriger Mann am Mannheimer Friedrichsplatz seinem Leben ein tragisches Ende.
Der aus Frankreich stammende und als vermisst gemeldete Mann hatte sich nach einem Lokalbesuch auf sein Motorrad gesetzt, sich anschließend einen großkalibrigen italienischen Revolver, Kaliber 44, vor die Brust gehalten und abgedrückt.
Mehrere Passanten, die auf den Vorfall aufmerksam geworden waren, leisteten sofort Erste Hilfe, darunter auch ein Arzt. Der kurz darauf eintreffende Notarzt konnte jedoch nur noch den Tod des Mannes feststellen. Die Hintergründe der Tat dürften den Ermittlungen zufolge im persönlichen Bereich liegen.“