Mannheim, 22. November 2016. (red/pro) Was sich vergangene Woche im Hauptausschuss zum Thema “Strategische Haushaltskonsolidierung (SHM)” ereignet hat, ist grundsätzlich geeignet, einfach nur zu staunen. Offenbar ist einigen Gemeinderäten nicht klar, was die Stunde geschlagen hat und was die eigene Rolle dabei ist. Was geboten wurde, war alles, nur keine sachbezogene Debatte. Ein konsensuales Ringen um das Wohl der Stadt und ihrer Bürger/innen schon gar nicht. Übrig blieb weitestgehend ein Hauen und Stechen. Man kann es auch verschwendete Zeit und Energie nennen. Dabei geht es um die Zukunftsfähigkeit der Stadt.
Von Hardy Prothmann
Im Vorfeld der Sitzung inszenierte der CDU-Kreisverband mit Unterstützung einer Lokalzeitung eine hanebüchene Rettungskampagne für die Bürgerdienste. Angeblich seien diese bedroht, sollten abgeschafft und konzentriert werden. Man tat so, als stehe diese Entscheidung unmittelbar bevor und die CDU sei die einzige Kraft, die sich für die Bürger in die Verteidigungsschlacht wirft und am Ende auch erfolgreich obsiegt habe.
Billige Nummern
Der SPD-Fraktionschef Ralf Eisenhauer nannte das in der Sitzung dann völlig zu recht eine “billige, populistische Nummer”, die ihn und andere “gehörig irritiert” habe und nannte die Kampagne “einzigartig”. Und das war sicher nicht als Lob gemeint. Er habe den Eindruck, statt gemeinsam ein Ziel für die Stadt zu erreichen, laufe man auseinander und die CDU führe einen Wettlauf des Populismus auf. Dabei scheue man sich nicht, sogar gegen den eigenen Dezernenten (Erster Bürgermeister Christian Specht) zu schießen.
Carsten Südmersen, noch CDU-Fraktionschef, meinte, es sei “ungeheuerlich, von einer billigen Nummer zu sprechen”. Man sei in Sorge gewesen, dass die Bürgerdienste abgeschafft werden sollen und hatte “große Zweifel, dass der Gedanke aufgegeben worden” sei. Man wolle aber der Verwaltung keinen Freifahrtschein geben.
Grünen-Fraktionschef Dirk Grunert meinte, die Verwaltung entwerfe ein Weltuntergangsszenario und nannte das Sparziel von 42 Millionen pro Jahr ab 2019 “unseriös”. Er sehe, dass es keinen “Konsens gibt, was kommunale Daseinsfürsorge” sein soll.
Inhaltlich waren alle Beiträge schwach – es ging um Wahlkampfgetöse.
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) warf sich schützend vor seinen Kämmerer Specht (CDU) und sagte, er halte es nicht für angebracht, diesen persönlich in Haftung zu nehmen:
Diese Scheindebatten bringen doch auf Dauer nichts und Aktionen zu machen, koste es was es wolle. Das steht dem Leitgedanken der Gemeindeordnung auf eine gedeihliche Zusammenarbeit diametral entgegen.
Was sind eigentlich die Aufgaben des Gemeinderats?
Und damit hat der Verwaltungsjurist recht. Ein Gemeinderat ist kein Parlament. Die gewählten Mandatsträger sind frei in ihren Entscheidungen und ihrem Gewissen unterworfen – aber sie sind ehrenamtliche Räte und keine Abgeordneten. Der Gemeinderat ist laut Gemeindeordnung Teil der Verwaltung und nicht, wie man anhand der Äußerungen von Herrn Südmersen meinten könnte, das Gegenteil. Der Gemeinderat beschließt keine Gesetze, sondern schafft im Rahmen der geltenden Gesetze Ortsrecht. Im Idealfall unter Abwägung aller wesentlichen Aspekte, nach dem Ringen um Positionen möglichst mit deutlicher Mehrheit um Entscheidungen auf einer breiten Basis des Konsens’ zu finden.
Ganz offenbar gibt es selbst bei “altgedienten” Gemeinderäten erhebliche Verständnismängel über die eigene Rolle und den Wirkungskreis, den es auszufüllen gilt. Mit Sicherheit machen wir uns bei den gemeinten Personen keine Freunde – das ist auch nicht grundsätzliche Aufgabe von Journalismus. Damit wir da nicht falsch verstanden werden. Journalismus sollte der Information verpflichtet sein und nicht der Hege von “Freundschaften”.
Dem Oberbürgermeister wird insbesondere innerhalb der CDU vorgeworfen, er sei ein “Machtpolitiker” – und dagegen müsse man sich wehren. Der CDU Mannheim muss man dringend empfehlen, an der eigenen Paranoia zu arbeiten. Denn Tatsache ist, dass die CDU sich über viele Jahre von der absolut dominanten Fraktion in die zweite Reihe runtergearbeitet hat. 1999 hatte sie 23 von 48 Sitzen – 2014 konnte sie bei der Kommunalwahl nur noch 12 Sitze erreichen. Sie hat sich also innerhalb von 15 Jahren fast halbiert – Oberbürgermeister Dr. Kurz ist erst seit 2007 im Amt, 2009 war die CDU bereits auf 15 Sitze abgestürzt. Und auch die SPD hat sich zwischen 1999 und 2014 von 17 auf 13 Sitze verschlechtert.
Kurz – Machtmensch oder Demokrat ist nicht die Frage
Oberbürgermeister Dr. Kurz sagte mir 2007 im Gespräch für ein Porträt, warum er Oberbürgermeister von Mannheim werden wolle, dass ihn die Wirkungsmacht reize, die ein Verwaltungschef nach der süddeutschen Ratsverfassung habe – die Gestaltungsmacht sei im Vergleich gesehen sogar größer als die eines Bundeskanzlers.
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Ist er also doch ein Machtmensch, dieser Oberbürgermeister, der nicht nur ein Parteibuch hat, sondern bekennender Sozialdemokrat ist? Selbstverständlich ist er das. Alles andere wäre auch eine Katastrophe – er ist der Chef von gut 8.000 Mitarbeitern, er trägt Verantwortung für über 300.000 Menschen. Er ist ein Arbeitstier, ein herausragender juristischer Fachmann, ein kühler Rechner und ein politischer Gestalter, der als überzeugter Demokrat nicht nur weiß, dass Demokratie aus dem Widerstreit der Ideen seine Kraft zieht, sondern dies auch fördert.
Was man ihm vorwerfen kann – und das ist eigentlich ein Kompliment – ist, dass er kein Kumpeltyp ist, sondern ein Intellektueller, der sich manchmal mit einfachen Botschaften schwer tut. Zum hemdsärmeligen Bierfass-Anstich taugt er weniger, dafür aber als sogar international gefragter Experte für Urbanismus um so mehr.
Mit Dr. Peter Kurz, einem Sohn Mannheims, hat die Stadt, die früher vielen (zu Unrecht) als Proletendorf galt, einen Top-Intellektuellen an der Spitze und da hat die CDU nichts Besseres zu tun, als zu sägen und zu nagen und zu sägen und zu nagen – Motto, irgendein Dreck wird schon hängenbleiben.
Die wesentliche Kritik kam nicht von der CDU, sondern von den kleinen Parteien.
Überforderungen allerorten – intellektuell und an der Basis
Diese Kritik wurde auch in der Sitzung deutlich, wenn man zwischen den Zeilen mitzuhören versteht. Die FDP-Stadträtin Dr. Birgit Reinemund hat vermutlich recht, wenn sie moniert, dass die Nicht-Fraktionen der kleineren Parteien zu wenig Informationen über SHM erhalten haben – denn immerhin habe fast ein Viertel der Stadträte keinen Fraktionsstatus und damit keinen privilegierten Zugang zu gewissen Informationen. Diese sachliche Kritik ist ernst zu nehmen.
Auch die breite Kritik der meisten Vertreter im Hauptausschuss hat einen wahren Kern: Ganz überwiegend wünschte man sich, die Zahl von Arbeitskreisen zu reduzieren oder ganz entfallen zu lassen, weil die Entscheidungen für wichtige Weichenstellungen nicht dort “vorentschieden” werden dürften, sondern in den Gemeinderat und die großen Ausschüsse gehöre.
An dieser Stelle zeigt sich ein strukturelles Problem. Die Aufgaben einer Stadtverwaltung werden immer komplexer und damit auch unverständlicher für die ehrenamtlichen “Feierabend-Politiker”. Diese versuchen sich arbeitsteilig zu organisieren, der eine macht Haushalt, der nächste Sport, wieder eine(r) Kultur und so weiter und berichtet an die Kollegen.
Was aber, wenn einer seine Aufgabe nicht gut macht und entsprechend schlecht die Kollegen unterrichtet? Diese Frage sollte man CDU-intern mal Herrn Südmersen stellen, wenn man schon “in Sorge” ist.
Je kleiner die Fraktionen sind, dann sogar nur noch Gruppen oder einzelne Stadträte, umso schwieriger ist es, den Überblick zu behalten und bei allen Themen mitzukommen – insbesondere beim Haushalt wird es ganz arg. Eine Stadt wie Mannheim gleicht einem Konzern und die überwiegende Mehrheit der Stadträte hat nicht die Qualifikation wie sie Vorstandsmitglieder und Aufsichtsräte von Konzernen mitbringen müssen.
Der Ansatz von Oberbürgermeister Dr. Kurz, die Komplexität der Thematik zu reduzieren, indem Arbeitskreise gebildet werden, ist arbeitstechnisch gesehen richtig – ebenso intellektuell. Wer ein komplexes Problem “entwickeln” will, muss erstmal den Knäul auflösen, bevor man alles neu verknüpft.
Nun kann nicht jeder überall mit dabei sein und nicht alle Parteivertreter sind überall zugelassen und alle erhalten alle Informationen (die sie sowieso vermutlich nicht bewältigen können) – und das schafft Misstrauen bei denen, die intellektuell überfordert sind. Und die allermeisten müssen das sein, weil sie niemals am Feierabend so tief in die Materie eindringen können, wie das professionelle Verwaltungsmitarbeiter oder arbeitsteilige Fraktionen leisten können.
Worum geht es überhaupt?
Insbesondere die CDU enttäuscht gewaltig, wenn sie der Verwaltung erstmal ein grundsätzliches Misstrauen entgegenbringt und unterstellt, diese versuche einen “Freifahrtschein” zu erhalten, wenn dem “Masterplan” SHM zugestimmt würde. Das ist vollkommener Quatsch. Ebenso, wenn die Grünen meinen, es werde ein “Weltuntergangsszenario” gezeichnet.
Tatsache ist, dass die Verwaltung erhebliche Teile der Ausgabenseite vorausschauend einigermaßen realistisch berechnen kann. Vor allem was den enormen Batzen an Personalkosten angeht. Wer die Vorlage verständig gelesen hat, erfährt, dass über die kommenden Jahre rund 1.000 Mitarbeiter durch Pensionierung und andere Effekte ausscheiden werden. Das sind 12,5 Prozent der Belegschaft und damit ein enormes Einsparpotenzial. Gleichzeitig werden aber die Aufgaben komplexer – man kann also eigentlich nicht auf Mitarbeiter verzichten, weil sonst “die Arbeit nicht mehr geschafft wird”.
Hier bietet sich die Digitalisierung und der Umbau von Verwaltungsabläufen an, um Routinen zu automatisieren. Dafür benötigt es aber entsprechende Investitionen in die Technik, um den Wegfall von Personal zu kompensieren. Hier kommt der Betriebsrat ins Spiel und auch die Machtfrage – trägt der das mit? Wenn er verantwortlich agiert ja – denn es gibt keinen anderen Weg. Nicht nur der Betriebsrat verliert “Macht”, weil er weniger Leute vertritt, auch der OB wird in einigen Jahren weniger Mitarbeiter haben, die aber effizienter arbeiten. Je besser das gelingt – umso mehr profitiert die Bürgerschaft durch einen modernen Service mit schlanken Abläufen, der nicht unnötig Steuergelder verbrennt.
Keinem Mitarbeiter wird dafür gekündigt – klar ist, die Zahl der Stellen wird geringer. Klar ist aber auch, die Qualifikation der städtischen Mitarbeiter muss steigen. Damit schafft man Anreize für qualifiziertes Personal, die hoffentlich genug Enthusiasmus mitbringen, um ihre Fähigkeiten der Kommune zur Verfügung zu stellen und nicht besser bezahlten Stellen in der Wirtschaft. Auch das wird oft übersehen – eine Führungskraft wie Dr. Kurz eine ist, könnte in der freien Wirtschaft locker ein Vielfaches dessen verdienen, was er als politischer Beamter auf Zeit an Besoldung erhält. Ohne einen gewissen Idealismus tut sich das in dieser Klasse niemand an. Das verdient eigentlich erhöhten Respekt, wir aber meistens komplett ignoriert.
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Herr Südmersen wie Herr Grunert haben nicht verstanden, was ihre Aufgabe ist. Oberbürgermeister Dr. Kurz überlässt dem “Souverän”, also dem Gemeinderat seine Entscheidungskompetenz, wo er zu entscheiden hat. Bei allen Aufgaben der Verwaltung hat der Gemeinderat nicht mitzuentscheiden, das ist das laufende Geschäft des Verwaltungschefs. Von den 42 Millionen Euro Einsparziel ab 2019 sollen zwei Drittel auf die Verwaltung entfallen und ein Drittel auf den Gemeinderat. Das heißt – die Verwaltung organisiert sich neu, aber die Verwaltung erwartet vom Gemeinderat, dass dieser jede Ausgabe verantwortlich prüft und im Zweifel auch verzichtet – meint Herr Grunert das mit “Weltuntergangsszenario”? Weil gewisse, ideologisch-geprägte, aber nutzlose Subventionen wegfallen könnten? Oder harte Debatten aufkommen, was wichtiger ist – die Wahrnehmung der Interessen von Mehrheiten oder schwul-lesbisch und sonstwie orientierten absoluten Minderheiten?
Die Verwaltung will intern 28 Millionen Euro stemmen und erwartet vom Gemeinderat eine Summe von 14 Millionen Euro “Einsparung”, die aber nicht ersatzlos eingespart werden, sondern für dringend notwendige Ausgaben benötigt werden. SHM ist also eher ein Umverteilungsprogramm.
Der Oberbürgermeister meint das ernst. Er rät dem Gemeinderat, dass man Ausgaben auch prüfen müsse, ob sie Sinn machen. Evaluation nennt man das. Eine Bewertung. Vollkommen unverständlich ist, dass der ML-Stadtrat Dr. Achim Weizel der Verwaltung vorwirft, sie würde unsinnig arbeiten:
Sie, Herr Dr. Weizel, kritisieren nicht, Sie bewegen sich fachlich an der Grenze zum Absurden. Sie machen die Verwaltung zum Steinbruch Ihrer Fundamentalkritik. Sie perpetuieren alles und das hat negative Auswirkungen,
schleuderte der OB dem Stadtrat entgegen. Zuvor hatte der OB mehrfach nachgefragt, was der Stadtrat meine – und ganz ehrlich, auch ich habe keinen inhaltlichen Sinn erkennen können. Das einzige, was hängenblieb, ist, dass Dr. Weizel wohl mal Magenarzt war oder ist.
Erstaunlich zurückhaltend gaben sich Die Linke, FDP und Alfa. Stadtrat Eberhard Will sprach ganz gegen die sonst erwartete Haltung der Verwaltung sein Vertrauen aus und dass Alfa SHM unterstützen werde.
Wenn der Gemeinderat am Dienstag über den “Masterplan” abstimmt, gibt es keine “Vorfestlegungen” oder “Vorentscheidungen” – sondern nur ein Ergebnis, wie breit die Mehrheit im Gemeinderat ist. In der Hauptausschusssitzung setzte der OB noch einen “Zaunpfahl” an die CDU ab:
Wir sollten nicht anfangen, zu jeder anstehenden Entscheidung ein Plakat zu drucken.
Nach unserer Auffassung ist die Sache mit den “Vorortrathäusern” nämlich noch längst nicht “geklärt”, sondern muss offen bleiben für sachbezogene Debatten und Entscheidungen. Ganz sicher werden die Bürgerdienste in der aktuellen Form über die nächsten Jahre nicht erhalten bleiben können. Und wenn Mannheim das Ziel verfolgt, eine der führenden und vorbildhaftesten Verwaltungen in Deutschland oder sogar in Europa zu werden, dann möchte ich mal Herrn Südmersen sehen, der 2019 umgeben von Landwirten im Mannheimer Norden demonstriert und ein Schild hoch hält:
Ned mit uns! Mer hänn des friea so gemacht, mache des heid so und morsche a!
Das Direktmandat bei der Bundestagswahl hat man dann vermutlich schon verloren. Mal schauen, ob es der CDU gelingt, bei der Kommunalwahl 2019 einstellig zu werden – möglicherweise ist das ja das selbstgesteckte Einsparziel. Sollte der Erfolg der AfD andauern, ist das gar nicht mal so unrealistisch.
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