Mannheim, 15. August 2017. (red/pro) Am 24. September wird ein neuer Bundestag gewählt. Rund 40 Prozent der Wahlberechtigten sollen aktuellen Umfragen zufolge noch nicht wissen, welche Direktkandidaten und welche Partei sie wählen werden. Jeder Wahlberechtigte hat zwei Stimmen und sollte analytisch damit umgehen. Wir erklären, warum wir in Mannheim den CDU-Kandidaten Nikolas Löbel empfehlen.
Von Hardy Prothmann
Die Parteibindung über sogenannte „Wählermilieus“ hat in den vergangenen 30 Jahren massiv abgenommen. Das zeigt sich insbesondere in den rückläufigen Zahlen der großen Parteien. Nach der Wiedervereinigung hatten die im Bundestag vertretenen Parteien 2,3 Millionen Mitglieder – 2013 waren es nur noch 1,3 Millionen Parteimitglieder.
Mitgliederschwund
Besonders hart hat es die SPD getroffen. 1977 erreichte sie erstmals über eine Million Mitglieder. 1995 zählte die Partei 831.000 Mitglieder. Ende 2016 waren es noch 432.796 Mitglieder. Die CDU hatte Anfang der 90-iger Jahre 750.000 Mitglieder, verlor ebenso, konnte sich aber vor die SPD schieben und erreichte am Jahresende 2016 mit 431.920 Mitglieder wieder Platz zwei der beiden großen Volksparteien. Rechnet man die rund 140.000 bayerischen CSU-Mitglieder hinzu, liegen die Unionsparteien deutlich vor der SPD. Bei beiden Parteien ist die Mehrzahl der Mitglieder mit rund zwei Dritteln männlich und eher älter. Das Durchschnittsalter bei der CDU liegt bei 59 Jahren, bei der SPD bei 60 Jahren.
Die kleineren Parteien haben deutlich weniger Mitglieder. Zum Jahresende 2016 zählten Bündnis90/Die Grünen 61.596 Mitglieder, Die Linke 58.910 Mitglieder, FDP 53.800 Mitglieder und die AfD rund 25.000 Mitglieder.
Sechs-Parteien-Parlament
Zur Bundestagwahl 2017 treten noch weitere Parteien und Wahllisten an, die man getrost allesamt als chancenlos ansehen kann. Nach den Ergebnissen der Umfrageinstitute werden CDU/CSU stärkste Fraktion zwischen 37-40 Prozent. Die SPD muss kämpfen und kommt auf 23-25 Prozent, Grüne erreichen 7-8 Prozent, Die Linke 8-10 Prozent, FDP 7-9 Prozent und die AfD 7-10 Prozent. Damit wären im Deutschen Bundestag erstmals sechs Parteien im Parlament vertreten.
Wie sich der Bundestag zusammensetzt, können Wähler maßgeblich mit beeinflussen – über die Erst- und die Zweitstimme. Hier ist analytisch-strategisches Denken gefragt, denn man kann mit den beiden Stimmen unterschiedliche Parteien wählen.
Entscheidend für das sogenannte „Direktmandat“ ist die Erststimme. Hierüber werden 299 Direktkandidaten in ebenso vielen Wahlkreisen gewählt. Wer die meisten Stimmen erhält, bekommt das Mandat. Über die Zweitstimme werden die Wahllisten der Parteien und Wählervereinigungen gewählt – hier handelt es sich also um eine Verhältniswahl. Alle, die mindestens 5 Prozent der Stimmen oder drei Direktmandate erreichen, ziehen darüber in den Bundestag ein. Durch sogenannte Ausgleichs- und Überhangmandate vergrößert sich die eigentliche Anzahl von 598 Bundestagsabgeordneten – aktuell sind es 631 Abgeordnete.
Strategische Analyse für Mannheim
Unsere Leserschaft weiß, dass wir überparteilich berichten. Unsere Situationsanalyse ist deshalb rein strategisch zu verstehen. Aktuell sind im Wahlkreis 275 Mannheim vier Abgeordnete im Deutschen Bundestag vertreten. Prof. Dr. Egon Jüttner (CDU) hatte das Direktmandat klar gewonnen, Stefan Rebmann (SPD) kam auf Platz zwei, Dr. Gerhard Schick (Grüne) auf Platz drei und Michael Schlecht (Die Linke) auf Platz vier. Herr Jüttner tritt ebenso wie Herr Schlecht nicht mehr an. Neuer Direktkandidat für die CDU ist der Stadtrat und CDU-Kreisvorsitzender Nikolas Löbel, für Die Linke kandidiert die Stadträtin Gökay Akbulut.
Schaut man sich die Wahlprognosen und die Ergebnisse der vergangenen Wahl an, kann man mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass Herr Dr. Schick und Frau Akbulut über die Landeslisten, also den Anteil der Zweitstimmen ein Mandat erreichen.
Die Grünen sind mit zehn Abgeordneten vertreten. Selbst wenn die Partei weniger als zuletzt 8,4 Prozent erreichen sollte und Mandate in Baden-Württemberg verliert, kann Herr Dr. Schick mit dem Listenplatz 3 mit erheblicher Sicherheit davon ausgehen, erneut ein Bundestagsmandat zu erhalten. Die Linke ist mit fünf Abgeordneten vertreten, hatte 8,6 Prozent erreicht und wird das wohl mindestens halten können – da Frau Akbulut ebenfalls auf Listenplatz 3 steht, dürfte ihr der Einzug gelingen. Wer diese Kandidaten unterstützen will, sollte also hier jeweils sein Kreuz bei der entsprechenden Liste machen. Die Erststimme hingegen kann man als „verschenkt“ betrachten, weil beide garantiert keine Chance auf das Direktmandat haben.
Dieses Mandat werden die CDU und SPD unter sich ausmachen, also die Kandidaten Löbel und Rebmann. Herr Löbel kandidiert erstmals und hat nur die Chance auf dieses Direktmandat, weil er nicht auf der Liste der Südwest-CDU steht. Das bedeutet: Er gewinnt das Direktmandat und wird Abgeordneter oder er gewinnt es nicht und Mannheim hat keine Vertretung durch einen CDU-Abgeordneten in Berlin.
Es kann nur einen Direktmandatsgewinner geben
Stefan Rebmann ist 2005 und 2009 als Bundestagskandidat der SPD gescheitert, ein Mal im Wahlkreis Bruchsal-Schwetzingen und dann in Mannheim. 2011 rückte er für den ausgeschiedenen Peter Friedrich nach und 2013 erreichte er ein Mandat über den Listenplatz 17. Bei der diesjährigen Wahl könnte das für ihn knapp werden, denn er steht auf Listenplatz 20 – und 20 Abgeordnete aus dem Südwesten hat die SPD aktuell. Allerdings bei 25,7 Prozent, die die SPD 2013 erreicht hatte und die nach aktuellen Umfragen nicht mehr erreicht werden.
Auf lokale Themen haben Bundestagsabgeordnete viel weniger Einfluss als Stadträte oder Landtagsabgeordnete – trotzdem ist eine politische Vertretung in Berlin natürlich von Vorteil. Stichwort Bahntrasse – das ist ein bundespolitisches Thema mit hohem lokalem und regionalem Bezug. Oder auch die Flüchtlingspolitik.
Bei der vergangenen Landtagswahl ist es der CDU nicht gelungen, in den beiden Landtagswahlkreisen einen Abgeordneten nach Stuttgart zu entsenden. Bekanntlich hat der AfD-Kandidat Rüdiger Klos den letzten verbliebenen direkten Wahlkreis der SPD gewonnen. Der bisherige Direktmandatsinhaber Dr. Stefan Fulst-Blei (SPD) ist über das Zweitmandat weiter Abgeordneter geblieben. Im Süden gewann der verstorbene Wolfgang Raufelder (Grüne), für den Elke Zimmer nachgerückt ist und Dr. Boris Weirauch (SPD) wurde ebenfalls über das Zweitmandat gewählt.*
Würde Herrn Löbel der Einzug nicht gelingen, bedeutet das in der Konsequenz, dass Mannheim weder in Stuttgart noch in Berlin durch die CDU vertreten ist. Unabhängig von der Parteipräferenz wäre das aus unserer Sicht ein Nachteil für Mannheim, denn die CDU wird stärkste Kraft werden und ein Mitglied aus Mannheim in dieser Fraktion sichert Einfluss.
Wie strategisch wählen?
Wer seine Parteipräferenz kennt, wählt mit der Zweitstimme die Liste, die er als die beste betrachtet. Aber bei der Erststimme sind alle Stimmen für Grüne, Die Linke, FDP oder AfD verschenkt – hier sollte man sich für CDU oder SPD entscheiden. „Wieso sollte ich das? Das will ich nicht?“, könnte man einwenden. Klar, das kann man so sehen, man kann es aber auch anders sehen: Je mehr Stimmen der Direktkandidat auf sich vereinigt, umso mehr wird dieser auch „beauftragt“. Dies traf auf beide Kandidaten von CDU und SPD bei der vergangenen Wahl zu.
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Herr Jüttner erreichte 39,8 Prozent (Zweitstimme: 35,1 Prozent) und Herr Rebmann 32,4 Prozent (Zweitstimme: 27,5 Prozent). In beiden Fällen hatten also mehr Wähler mit der Erststimme einen dieser Kandidaten gewählt, als die Parteien insgesamt erreichen konnten – ein klar strategischer Einsatz der Erststimme, der besonders deutlich bei Herrn Rebmann zu erkennen ist, der fünf Prozentpunkte mehr erhielt, als die SPD gesamt in Mannheim.
Strategische Wähler müssen also entscheiden, wem der beiden Kandidaten sie die Stimme geben. Für Herr Löbel spricht, dass er nur diese Chance hat und nur der Gewinn des Direktmandats eine CDU-Vertretung für Mannheim in Berlin bewirkt. Für Herrn Rebmann spricht, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass er über den Listenplatz 20 wird einziehen können, das wird knapp werden. Aber: Die SPD ist mit zwei Abgeordneten in Stuttgart präsent – natürlich könnte man sich das auch für Berlin wünschen, aber die Folge wäre keine CDU-Vertretung in Stuttgart und Berlin. Das ist die Abwägung, die der Wähler zu treffen hat.
Für Herrn Löbel (31) spricht weiter, dass er Chef der Jungen Union in Baden-Württemberg ist. Damit hat er auch einen nicht unerheblichen landespolitischen Einfluss. Zudem ist er Stadtrat und Kreisvorsitzender der CDU und erheblich stärker in Mannheim verwurzelt als Herr Rebmann (55), der eine Karriere als DGB-Funktionär machte und den größten Teil seines Schaffens eben nicht in und für Mannheim verbracht hat. Es gibt zudem Gerüchte, dass Herr Rebmann Mannheim verlassen wird, denn er hat vor kurzem Patricia Popp geheiratet, die jetzt Rebmann heißt und darauf wartet, dass eine Wahlanfechtung in Eppelheim entschieden wird – aller Voraussicht nach wird sie dann dort Bürgermeisterin und die Rebmanns wollen dem Vernehmen nach nach Eppelheim umsiedeln.
Spannende Entscheidung
Die Entscheidung zwischen diesen beiden Kandidaten wird spannend werden – insbesondere, weil ein prominenter Wahlkampfhelfer für Herrn Rebmann der scheidende Abgeordnete Jüttner (75) ist. Der agiert nach Kräften, um Herrn Löbel zu beschädigen, denn er wollte nochmals antreten, die Partei wollte das aber nicht. Es gibt sogar Gerüchte, dass Herr Jüttner als Stadtrat aus der CDU-Fraktion austreten wird und andere, die wegen parteischädigendem Verhaltens einen Parteiausschluss für möglich halten. Möglicherweise gibt das aber auch Sympathiepunkte für den jüngeren Nachfolger, weil „der Alte“ sich so unwürdig verhält.
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Spannend wird auch, ob die FDP in Mannheim wieder Fuß fassen kann. 2009 erreichte sie 15 Prozent und stürzte 2013 auf 5,5 Prozent bei den Zweitstimmen ab. Auch hier ist strategisches Wählen erkennbar, allerdings umgekehrt. Die Kandidatin Dr. Birgit Reinemund erreichte mit 8,9 und 2,8 Prozent jeweils klar deutlich weniger Erst- als Zweitstimmen. Hier hatten also Wähler die FDP gestützt, aber nicht die Kandidatin.
Ebenfalls spannend wird sein, ob die AfD in Mannheim den schier unglaublichen Erfolg wird wiederholen können – sicher nicht den Gewinn des Direktmandats, das ist ausgeschlossen. Aber es wird spannend sein, welche Zweitstimmenzahl die Partei erreicht. Der Kandidat Robert Schmidt steht nicht auf der Landesliste, damit ist ein Einzug eines Mannheimer AfD-Abgeordneten in den Bundestag ausgeschlossen. Stimmen, die an die AfD gehen, werden vor allem die Ergebnisse von CDU und SPD belasten. Auch hier könnte es einen Vorteil für Herrn Löbel geben, denn wer mit der Zweitstimme AfD wählt und strategisch ausgerichtet ist, wird eher den „Sicherheitspolitiker“ Löbel mit der Erststimme wählen als den „Entwicklungspolitiker“ Rebmann.
Ebenso für die FDP – Florian Kußmann steht zwar auf der Landesliste, aber auf Platz 25. Der FDP wird vermutlich der Wiedereinzug gelingen, damit werden auch einige Abgeordnete aus dem Südwesten nach Berlin entsendet, vermutlich aber im Bereich von bis zu fünf Kandidaten.
Dr. Gerhard Schick ist eine wichtige Vertretung für Mannheim – der finanzpolitische Sprecher der Grünen hat als Fachmann Gewicht in der Fraktion. Eindeutig nicht empfehlen wir Gökay Akbulut – die Kandidatin war beim Kurdenkrawall in Mannheim Sprecherin der Veranstalter. Damals wurden rund 70 Polizeibeamte verletzt. Uns fehlt bei dieser Kandidatin, die sich stark für Kurdenpolitik einsetzt eine klare Abgrenzung von Extremismus und Gewalt.
Unabhängig von diesen strategischen Überlegungen kämpfen natürlich alle Parteien um jede Stimme – denn dafür gibt es nach dem Parteiengesetz Geld: 0,83 Cent für jede Listenstimme. Aus Sicht der Parteien ist also jeder Nichtwähler nicht nur einer, der seine Stimme nicht abgegeben hat, sondern auch ein finanzieller Verlust.
Service
Das Video der Bundeszentrale für politische Bildung erklärt anschaulich Erst- und Zweitstimme.
Weitere Informationen beim Bundeswahlleiter.
* Hinweis: In der ersten Fassung hatten wir von Landeslisten bei der Landtagswahl berichtet. Das war eine nicht zutreffende Information. Es gibt bei der Landtagswahl nur eine Stimme. Im Wahlkreis wird der Direktmandatsgewinner ermittelt. Andere Bewerber können über Zweitmandat oder Überhangmandat sowie Ausgleichsmandate in den Landtag einziehen.