Weinheim/Rhein-Neckar, 12. November 2014. (red/pro) Wird der Rechtsstreit um den NPD-Bundesparteitag in der Weinheimer Stadthalle nicht nur ein juristisches, sondern auch ein politisches Nachspiel haben? Haben sich Stadt und Kirchen mit unredlichen Mitteln zusammengetan, um diese Hauptversammlung zu verhindern? Nach unseren Informationen deutet sich an, dass Stadt und Kirchen gemeinschaftlich den Bundesparteitag zu verhindern gesucht haben, indem man sich möglicherweise zu einer Lüge verabredet hat. Die NPD verlangt von Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) eine eidesstattliche Versicherung und wirft ihm „versuchten Prozessbetrug“ vor. Der Staatsgerichtshof jedenfalls folgte bei der Eilentscheidung der Verfassungsbeschwerde des Anwalts – ein Urteil steht aber noch aus.
Von Hardy Prothmann
Der Weinheimer Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) verlor am vergangenen Sonntag kurzzeitig die Fassung während seines Vortrags zum 9. November anlässlich der „zentralen Gedenkfeier“ in der Weinheimer Stadthalle und kämpfte mit den Tränen:
Wir in Weinheim haben am letzten Wochenende erfahren müssen, wie schnell Geschichte wieder „geschehen“ kann. Mit allen rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln hat die Stadt Weinheim sich dafür eingesetzt, dass in unserer Stadt kein Bundesparteitag der NPD stattfinden kann. Dass wir dies nicht verhindern konnten und der NPD Räume zur Verfügung stellen mussten, macht uns betroffen/wütend.
Waren es allein „alle rechtlichen Mittel“ oder auch andere? Und trifft die auch vom Ersten Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner (GAL) behauptete Tatsache zu, dass der Staatsgerichtshof die Stadt ohne jegliches politisches Gespür zwingen wollte, die Stadthalle der NPD selbst zum historischen Datum 9. November zu überlassen?
Rechtsstaatlichkeit kennt nur eine „grundsätzliche Gleichbehandlung“
Auf unsere Anfrage nimmt der Präsident des Staatsgerichtshof, Eberhard Stilz, Stellung:
Der Staatsgerichtshof entscheidet als Verfassungsgericht des Landes nicht nach politischen Gesichtspunkten, sondern allein am Maßstab der Landesverfassung. Deshalb hat er auch politische Parteien, solange sie nicht verboten sind, grundsätzlich gleich zu behandeln.
Entscheidungen eines Verfassungsgerichts können nicht immer ungeteilte Zustimmung finden, müssen jedoch im Interesse des Rechtsstaats von Vertretern anderer staatlicher Gewalten akzeptiert und respektiert werden.
Die Gründe, die zur Entscheidung im Verfahren der NPD zur Überlassung der Stadthalle Weinheim geführt haben, ergeben sich aus dem Beschluss des Staatsgerichtshofs vom 30. Oktober 2014. Dort wurde die Stadt Weinheim im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Stadthalle am 1. und 2. November 2014 zu überlassen. Der Stadt wurde die Möglichkeit eingeräumt, stattdessen einen der von der Beschwerdeführerin hilfsweise beantragten Termin zu wählen.
Die Bedeutung des 9. November war dem Staatsgerichtshof bewusst. Allerdings hatte sie in dem Ausgangsverfahren in der Argumentation der Stadt keine Rolle gespielt. Die Stadt hatte sich vielmehr allein auf eine zeitlich vorhergehende anderweitige Reservierung bzw. Sperrung der Stadthalle berufen. Insbesondere bezüglich des Termins 8. und 9. November 2014 hatte der Staatsgerichtshof Zweifel daran, ob die Sachverhaltsermittlung zu der behaupteten anderweitigen Belegung hinreichend war. Er konnte die Verfassungsbeschwerde daher nicht als offensichtlich unbegründet verwerfen. Dies führte im Eilverfahren zu einer Entscheidung im Wege der Folgenabwägung.
Der Staatsgerichtshof ist kein „politisches Gericht“, sondern ein Verfassungsgericht, den obersten Verfassungsorganen Landtag und Landesregierung gleichgestellt. Mithin das oberste Gericht der Rechtsstaatlichkeit in Baden-Württemberg. Und die Verfassungsrechtler entscheiden einzig auf Basis des geltenden Rechts.
Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Stadt
Der Saarbrücker NPD-Anwalt Peter Richter, dessen außerordentliches juristisches Talent auch in Medien wie Spiegel und FAZ bereits festgestellt wurde, vertritt die Partei im Verbotsverfahren und hatte die Verfassungsbeschwerde am 26. Oktober eingereicht, nachdem der Verwaltungsgerichtshof Mannheim (VGH) mit Urteil vom 17. Oktober eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (VG) aus dem Juni bestätigt hatte. Demnach stehe die Halle am 01./02. November niemandem zur Verfügung, an allen anderen Wochenende habe die Stadt „glaubhaft“ dargelegt, dass es bereits „frühere“ Reservierungen gegeben hat.
Der Anwalt fordert in dem uns vorliegenden Schreiben eine eidesstattliche Versicherung und wirft dem Oberbürgermeister einen „versuchten Prozessbetrug“ vor. Wann eine Entscheidung erfolgt, ist noch nicht bekannt.
Aufgrund der Ausführungen des NPD-Anwalts hat auch der Staatsgerichtshof Zweifel an einem korrekten Ablauf – zum Einen, dass die Halle nicht am 01./02. November überlassen werden könne. Und falls dies unumgänglich sei, ob die Halle am 08./09. November tatsächlich „glaubwürdig“ bereits durch andere vor der NPD-Anfrage gemietet worden sei, wie Rechtsanwalt Peter Richter ausführlich in seiner Verfassungsbeschwerde darlegte.
Recherchen ergeben erhebliche Zweifel an der Darstellung der Stadt
Tatsächlich ergeben unsere Recherchen erhebliche Zweifel an der Darstellung der Stadt. Auf Rückfrage bei verschiedenen Stadträten erhalten wir die immergleiche Auskunft, dass der Gemeinderat über den Anmietungsversuch der NPD erst vor wenigen Wochen „über die Medien“ erfahren hatte. Dasselbe gilt für die „zentrale ökumenische Veranstaltung“ zum 09. November 2014 in der Stadthalle.
Die Stadt Weinheim selbst hatte diese Veranstaltung erstmalig am 24. Oktober 2014 per Mitteilung angekündigt – also eine Woche nach dem VGH-Urteil. Ist das glaubwürdig, dass eine solch zentrale Veranstaltung von solch „historischer Bedeutung“ (100 Jahre Beginn 1. Weltkrieg, 75 Jahre Beginn 2. Weltkrieg, Reichspogromnacht 1938 , 25 Jahre Mauerfall) erst zwei Wochen vor Termin bekannt gegeben wird? Dass jegliche Werbemaßnahmen unterbleiben?
Keine Hinweise bei den Kirchen auf die „zentrale Gedenkveranstaltung“
Es gibt weitere Hinweise, die stutzig machen. Sowohl im Veranstaltungskalender der evangelischen Kirche als auch der katholischen Kirche wird der Termin in der Stadthalle nicht aufgeführt. Beide Kalender sind im Internet als PDF abrufbar. Die St. Laurentius-Gemeinde führt am 09. November einen Gottesdienst um 10:00 Uhr an und in der Peterskirche wird am 09. November ein AcK-Gottesdienst (Arbeitskreis christlicher Kirchen) angekündigt – in der Peterskirche.
Insbesondere das PDF zur Veranstaltung in der Peterskirche ist interessant: Wenn der zentrale AcK-Gottesdienst angeblich bereits vor der Anfrage der NPD im Februar 2014 geplant und die Stadthalle dafür reserviert war, wie kann es dann sein, dass das PDF-Dokument mit dem AcK-Gottesdienst in der Peterskirche am 29. September 2014, um 16:45 Uhr erstellt worden ist und am 18. Oktober 2014 um 20:08 Uhr letztmalig bearbeitet worden ist? Kann es wirklich sein, dass niemand den „Fehler“ bemerkt hat – oder „wusste“ man schlicht und ergreifend noch nicht, dass der Gottesdienst in der Stadthalle stattfinden sollte?
Auf Anfrage erklärt das Sekretariat der katholischen Gemeinde, es komme schon mal vor, dass man für den Gemeindebrief einen Termin „übersieht“. Auch eine solch historisch bedeutsamen?
Zentrale Gedenk- oder Verdrängungsveranstaltung?
Zum Gottesdienst selbst bleibt anzumerken, dass durchaus selbstkritische Töne zu hören waren – insbesondere zur Waffensegnung durch Kirchenvertreter im 1. Weltkrieg. Eine angemessene Darstellung zur Schuld der Kirchen bei der Judenverfolgung hingegen gab es nicht. Beide Kirchen billigten nicht nur die Judenverfolgung – sie stellten sich auch öffentlich an die Seite der Nazis. Ein Beispiel aus dem Amtsblatt Mecklenburg vom 24. November 1938:
Nicht der Mörder, sondern der Ermordete ist schuldig“ hat das Weltjudentum [!] 1918 seinen Krieg gegen das Zweite Reich gewonnen, durch seine Greuelpropaganda den Widerstandswillen der Nation untergraben und schließlich im deutschen Zusammenbruch alle politischen und kulturellen Kommandohöhen in Deutschland besetzt. Das an seiner Michelei zugrunde gegangene deutsche Volk aber wurde, weil es mit seinen Peinigern Mitleid gehabt hatte, mitleidlos erpreßt und ausgesogen, bis es nach furchtbarsten Erfahrungen langer Jahre den Weg zu sich selber [!] zurückfand. Es ist nötig, sich diese Tatsachen immer wieder vor Augen zu stellen.
Das ist nur ein Beispiel für den Hass und die Billigung der Judenverfolgung durch die Kirchen in bester antisemitischer Nazi-Manier – bis heute die Schuld ausschließlich bei den Nazis zu erkennen, ist widerwärtig. Nicht nur damals, auch heute wird überwiegend geschwiegen. Nur wenige Christen protestierten damals. Pfarrer Julius von Jan im württembergischen Oberlennigen predigte als einer von Wenigen kritisch – und wurde im Anschluss fast totgeschlagen und danach in „Schutzhaft“ genommen. Auch die Darstellung der Rolle der Kirche vor dem Mauerfall war bedenklich – man hatte den Eindruck, die Ereignisse seien fast ausschließlich durch kirchliche Kreise vorangetrieben worden – das war ein wenig Selbstbeweihräucherung zuviel.
Sollte sich nun herausstellen, dass die Stadtverwaltung in verabredeter Verbindung mit den Kirchen die Öffentlichkeit über das Zustandekommen dieser „zentralen Gedenkfeier“ getäuscht hat, wäre das ein Skandal, der einen massiven Vertrauensverlust nach sich ziehen würde.
Es bleiben viele Fragen offen:
- Wieso erfahren die Stadträte und das „Bündnis für ein buntes Weinheim“ nicht frühzeitig, dass die NPD möglicherweise ihren Bundesparteitag in Weinheim abhalten wollte?
- Wieso wird der Gemeinderat nicht über die juristische Auseinandersetzung in Kenntnis gesetzt?
- Wieso weilt der Oberbürgermeister in Kenntnis des Termins im Urlaub?
- Wieso wurde die Ausstellung des Stadtarchivs zur Reichspogromnacht nach unseren Informationen erst drei Wochen vor der Veranstaltung beauftragt, wenn man diese über Monate hätte vorbereiten können und im Vorfeld beispielsweise auch die Schulen hätte einbinden können, was sicherlich eine gute Idee gewesen wäre?
- Wann genau wurde die Stadthalle durch die Kirchen gebucht?
- Wann wurden welche Planungssitzungen abgehalten?
- Warum war das Bündnis „Weinheim bleibt bunt“ nicht mit eingebunden?
- Hätte eine frühzeitige Information der Öffentlichkeit nicht viel eher dazu beigetragen, einen zivilen Widerstand gegen den NPD-Bundesparteitag zu organisieren?
- Muss man nicht umgekehrt eine Behinderung dieses Widerstands unterstellen, da kaum Zeit blieb, Gegendemonstranten zu mobilisieren?
- Wer trägt für diese Vorgänge die politische Verantwortung?
Unsere Anfrage an die Stadt beantwortete der Pressesprecher Roland Kern wie folgt:
Sehr geehrter Herr Prothmann, wie allgemein bekannt ist, befindet sich die Stadt Weinheim seit einiger Zeit in einer Rechts-Auseinandersetzung mit der NPD. Deshalb werden wir Fragen, die diese Auseinandersetzung betreffen können, falls erforderlich, mit dem zuständigen Gericht besprechen und bitten um Verständnis, dass wir hierzu keine Angaben in der Öffentlichkeit machen.
Wieso kann man nicht Informationen auf unsere Fragen beantworten, wenn alles mit rechten Dingen zugegangen ist? Dadurch erlangt man im Prozess keinen Nachteil – man könnte schon im Vorfeld einer Gerichtsentscheidung klar und deutlich machen, dass alles seine Ordnung hat. Diese ausweichende Haltung schürt eher Zweifel, dass man auf keinen Fall öffentlich etwas behaupten will, was man vor Gericht nicht beweisen kann.
Beide Kirchengemeinden sind nicht in einem Rechtsstreit mit der NPD, beide haben unsere Anfragen bislang aber ebenfalls nicht beantwortet. Warum führen die Kirchen keinen Nachweis, dass sie schon vor der NPD die Stadthalle angemietet haben? Können Sie es nicht?
Ebenfalls erstaunlich – von einer Stadträtin der GAL müssen wir uns anhören, dass es „wichtigere Recherchen“ gäbe, wir nur an einem Skandal interessiert seien und man nicht bereit sei, solche Recherchen zu unterstützen. Außerdem scheine es uns „Spaß zu machen, im Sinne der NPD“ zu recherchieren. Auch die verkorkste Haltung zur Meinungs- und Pressefreiheit macht fassungslos. Unsere Haltung, im Sinne der Rechtsstaatlichkeit zu recherchieren, hat für die Dame keine Bedeutung.
Die NPD jedenfalls findet Gefallen an Weinheim und hat für 2015 und 2016 nach unseren Informationen bereits wieder Termine in der Stadthalle angefragt.