Rhein-Neckar, 03. Oktober 2016. (red/pro) Der 03. Oktober ist ein Feiertag. Der Tag der Deutschen Einheit. Der Wiedervereinigung zwischen West- und Ostdeutschland. Zwischen “BRD” und “DDR”. Und Symbol des Endes des kalten Krieges. Doch was feiern wir aktuell? Einheit ist weit und breit nicht in Sicht und auch Recht und Freiheit wirken immer unsicherer. Überall herrscht Krieg. 2015 sind viele fremde Menschen in unser Land gekommen und spätestens dann wurden die Deutschen gewahr, wie fremd sie sich sind. Es gibt eine Lösung für die Entfremdung – man muss sich nur erinnern.
Von Hardy Prothmann
1990. Ich war damals 24 Jahre alt – jetzt werde ich 50. Ich war damals Student. Auf dem Weg, Sozialwissenschaftler zu werden. Zum Journalismus habe ich erst 1991 gefunden.
Der damals regierende Kanzler Dr. Helmut Kohl (CDU) versprach blühende Landschaften. Die Massen und die Massenmedien waren euphorisiert.
Damals Zweifel an blühenden Landschaften und heute an Integration
Ich zweifelte an den Versprechen des Herrn Kohl. Und ich weiß heute, dass meine Zweifel gerechtfertigt waren. Die Deutsche Einheit hat den Soli gebracht, den es bis heute gibt. Die Deutsche Einheit hat enorme Belastungen mich sich gebracht und bringt sie weiter mit. Die blühenden Landschaften waren nur ein Sprachbild – selbstverständlich blüht es im Osten während der Blütezeiten. Die wirtschaftliche Prosperität – und nichts anderes meinte Herr Kohl und nicht anders wollten andere ihn verstehen – ist nicht eingetroffen.
Es gibt kein Land auf dieser Welt – da sind sich Experten einig – das die Deutsche Einheit außer Deutschland hätte stemmen können und weiter stemmen muss. Für diese enorme Kraftanstrengung gebührt dem wiedervereinigten Deutschland enormer Respekt. Weltweit.
Ich kann mich aber auch genauso an Integrationsdebatten erinnern – und habe den Eindruck von “ewig grüßt das Murmeltier”. Es hat sich kaum etwas verändert seit Anfang der 90-iger Jahre. Nicht nur die Integration ist gescheitert, sondern vor allem die Debatte darüber. Das allermeiste sind Sprechblasen. Aus welchem Mund auch immer.
Die Mauer steht
Gleichzeitig schaut man auf die vielen Probleme, die es über all die Jahre gab und bis heute gibt. 26 Jahre nach der Wiedervereinigung steht die innerdeutsche Mauer noch – in vielen Köpfen. Und nach dem Einriss der Mauern nimmt die Zahl der Betonköpfe zu.
Gemeinsam ist allen, dass West und Ost immer weiter auseinander definiert werden. Der Osten, ist angeblich Braunland. Der Westen steht angeblich für Buntland.
Die Treiber dieser Differenz sind vor allem Medien – traditionell stärker im Westen. Da, wo man das Geld verdient, mehr als im Osten.
Der Osten wird als “braun” beschrieben und so viele Menschen werden vor den Kopf gestoßen, die keine Nazis sind, die aber keine Zustände wie in Berlin, in Hamburg, in Düsseldorf, Köln oder Mannheim wollen. Die sich sorgen.
Konformitätsdruck
Im Westen wird ein unglaublicher Konformitätsdruck erzeugt – fremd muss gut sein und jeder, der widerspricht, ist ein Nazi. Die politische Korrektheit wurde hier um Jahrzehnte länger geübt, aber auch das Dogma der politischen Korrektheit, die widerwortlos machen soll.
Ungarn, das Land, das ganz wesentlich die Deutsche Einheit ermöglicht hat, ist heute für viele Westdeutsche das Land der Schande. Viktor Orban wird überwiegend von westlichen Medien zum rechtsradikalen Monster stilisiert.
Was passiert hier? Die Polen, die Tschechen, aber auch die Franzosen und die Ostdeutschen sind plötzlich alle keine Freunde mehr. Viel zu rechts für die westmediale Seele.
Was westdeutsche Journalisten nicht verstehen, ist, dass es ihnen selbst an Verstand und Analysefähigkeiten fehlt.
Der kalte Krieg – wirkt bis heute
Die osteuropäischen Länder standen bis mindestens 1990 unter der (oft brutalen) Knute des kommunistischen Ostblocks. Sie waren darauf getrimmt, den Westen als Feind anzusehen. Plötzlich waren sie frei und mussten sich neu ordnen. Das gilt auch für die neuen Bundesländer. Der kalte Krieg wirkt bis heute.
Kolonialistische Länder wie Frankreich und Großbritannien haben erst viele andere Länder mit willenloser Grausamkeit ausgebeutet und später erst gemerkt, wie willenlos sich das rächt.
Die Ostländer haben gerade mal ein Vierteljahrhundert Zeit, sich selbst zu entdecken, die Kolonialmächte entdecken, welche negativen Kräfte sie ausgeübt haben, die nun im Innern wirken.
Gleichzeitig sind mit über 60 Millionen Menschen so viele wie selbst zu Zeiten des 2. Weltkriegs nicht auf der Flucht – viele davon nach Europa und hier speziell nach Deutschland.
Warum ausgerechnet nach Deutschland? Weil es hier soziale Sicherheit und eine offene Gesellschaft in einem Maße gibt, wie sonst nirgendwo auf der Welt. Und weil sich herumgesprochen hat, dass man in Deutschland versorgt wird und möglicherweise eine Chance auf ein besseres Leben hat.
Doch wie einig ist sich dieses Deutschland über Recht und Freiheit? Wie authentisch ist dieses Land mit sich selbst?
Historisches Verbrechen
Der Jahrestag der Deutschen Einheit ist und muss Erinnerung bleiben für das größte Verbrechen der Menschheit und eine der dunkelsten Zeiten der Menschheitsgeschichte. Der Genozid an den Juden und anderen wie Sinti und Roma ist ein Verbrechen ohne Vergleich. Und das gilt als historische Verantwortung auf alle Zeit.
Deutschland hat in unfassbarem Ausmaß Unglück über die Welt gebracht. Klar, auch andere Länder sind “irgendwie mit schuld”, weil sie den Hitler nicht verhindert haben oder eigene Interessen verfolgten. Es wurden eben viele Fehler gemacht, die in einem beispiellosen Desaster endeten.
Kann man aus dieser Geschichte nicht lernen? Was gilt es zu lernen?
Erstmal so viel: Deutsche, die mit dem erhobenen Zeigefinder durch die Gegend laufen und auf Ungarn, Polen, Tschechien oder andere Länder zeigen, denen sollte man in den Finger beißen. Recht ordentlich und schmerzhaft, damit sie wieder zu Verstand kommen.
Das 3. Reich unter Adolf Hitler wurde (zum Glück für die Menschheit) vernichtend geschlagen. Deutschland lag in Schutt und Asche. Die Entnazifizierung sollte das Land weiter von Verbrechern säubern. Die alliierten Streitmächte kontrollierten über viele Jahre dieses Land und genehmigten einen Wiederaufbau aus durchaus eigennützigen, aber auch vernünftigen Interessen.
Das Dilemma ist keine deutsche Erfindung – aber wirkt fort
Das Dilemma war: Es gab keine andere Möglichkeit, als Deutschland am Boden zu lassen oder kontrolliert und mit Härte wieder aufzubauen.
Über 12 Millionen Deutsche haben enorme Härten zusätzlich erfahren – die so genannten “Heimatvertriebenen”. Sie wurden in Russland und anderswo geschnitten und gejagt. Sie kamen als Flüchtlinge und waren Deutsche. Auch in Deutschland wurden sie geschnitten und all das machte sie zu Menschen, die allem Fremden und Wanderung zutiefst misstrauen. Wer sich darüber wundert, hat gar nichts verstanden.
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Vertreibung erzeugt Wunden, die über Generationen nicht heilen.
Deutschland ist sich nicht eins. Die Zeit der “Volksparteien” in großen, überschaubaren Blöcken, ist vorbei. In den Länderparlamenten sind es nicht mehr zwei, drei Parteien, die Politik “gestalten”, sondern häufig mehr, sogar bis zu sechs Fraktionen. Was bei den Parteien offensichtlich passiert, ist in der Bevölkerung virulent – man zersplittert.
Das ist eine große Katastrophe – insbesondere in Zeiten, in denen es Geschlossenheit statt Separatismus benötigte.
Das AfD-Dilemma
Großer Gewinner ist die AfD, bei der zurecht kritisiert wird, dass sie zu wenig bietet. Tatsächlich bietet sie aber etwas an, was alle anderen nicht anbieten. Sie sagt: “Schluss damit”. Das kann man “populistisch” nennen – das Problem ist, das wird man erst in einigen Jahren mit Sicherheit bewerten können. Aktuell kann niemand einer erst drei Jahre alten Partei ohne Regierungsverantwortung etwas vorwerfen, wofür sie nicht verantwortlich ist.
Den etablierten Parteien kann man das vorwerfen. Sie sind in der Verantwortung und ihnen entgleitet das Vertrauen und die Kontrolle der politischen Führung. Die fortdauernde Stigmatisierung der AfD durch etablierte Parteien und etablierte Medien hat die Partei überhaupt nicht aufgehalten. Ganz im Gegenteil.
Das ist ein absolutes, sogar gefährliches Dilemma. Bekennt man sich zu den etablierten Parteien, wählt man ein “weiter so”, was immer mehr Menschen nicht gefällt. Bekennt man sich zur AfD, lässt man sich auf ein Abenteuer ein, dessen Ausgang noch niemand kennt und bei dem man sich zu Recht Sorge machen muss, wo das enden könnte.
Aktuell ist von einer angeblichen “postfaktischen” Zeit der Rechtspopulisten die Rede. Das ist zutreffend. Und zwar insbesondere, weil Massenmedien ähnlich wie der Goebbels’sche Apparat oft nur noch Erfüllungsgehilfen von Propaganda sind. Getrieben durch vorauseilenden Gehorsam. Fakten spielen hier nur noch selten eine Rolle – insbesondere das Fernsehen setzt auf Emotionen und die Boulevardisierung der Printmedien schreitet voran.
Im Ergebnis kommt die Bewertung Lügenpresse raus, weil die Menschen insbesondere durch das Internet Zugang zu vielen Quellen haben, deren Prüfung unzureichende Berichterstattung erkennbar macht. Hinzu kommt eine Vielzahl von Hetzportalen, deren vergiftete Botschaften die, deren Meinungsfreiheit bereits vergiftet ist, begierig aufnehmen
Postfaktische Zeit? Blödsinn
Unser kleines Angebot Rheinneckarblog arbeitet faktenorientiert wie möglich und wir haben damit Erfolg. Wir erreichen immer mehr Leserinnen und Leser und Unterstützung von “links” bis “rechts”, weil die Basis unserer Arbeit objektive Fakten sind. Wir ordnen diese subjektiv ein – machen das aber transparent. Deswegen erfahren wir Wertschätzung aus vielen Lagern und werden umgekehrt mal als “links” oder “rechts” eingeordnet, weil es halt immer Leute gibt, die in Schemata denken müssen.
Zurück zu Helmut Kohl. Die Wiedervereinigung wurde organisatorisch gestemmt – die blühenden Landschaften sind ausgeblieben, aber das wiedervereinigte Deutschland steht gut da.
“Wir schaffen das”, der Dr. Angela Merkel, einst “Kohls Mädchen”, später Verstoßene, ist ein ebenso hohler Spruch wie die Mär der blühenden Landschaften, aber unterm Strich wird es gelingen.
Was lernen wir daraus? Deutschland ist ein starkes Land. Durch die Deutschen und durch die Ausländer, die mit den Deutschen zum Gelingen eines funktionierenden Staates beigetragen haben und beitragen.
Gesamtdeutschland hat die Lasten der Wiedervereinigung bis heute getragen und auch wenn sich die Pläne anders entwickelt haben, ist es unterm Strich ganz gut gelungen.
Die Integration der Flüchtlinge aus 2015 und 2016 und den kommenden Jahren kann auch gelingen.
Denken Sie nach – was anderes bleibt nicht übrig
Wenn eine entsprechende Härte und Entschlossenheit wirkt, wie damals nach dem Krieg. Das “Wirtschaftswunder” brauchte gut 20 Jahre, um sich entwickeln zu können. Seit Kriegsende wurde dieses Land aufgebaut – mit Fortschritten und Rückschlägen. Mit Herausforderungen, denen man begegnen konnte, weil es Einigkeit und Recht und Freiheit gab.
Wenn Einigkeit und Recht und Freiheit angegriffen werden, wird es kein gutes Ende mit diesem Land geben.
Die massiv befeuerte Missachtung von Staat, Repräsentanten und rechtsstaatlich verfasster Demokratie wird Säure, die die freiheitlich verfasste Grundordnung auflöst. Da braucht man nicht nach Dresden zu Pegida schauen, sondern das findet man überall. Die Wutbürger jeglicher Couleur, die sich jeder Debatte verweigern. Auf der anderen Seite stehen politische Eliten, die fernab vom “Volk” keine Lösungen erarbeiten und sich im Zweifel ebenfalls in Schmähungen ergehen. Beide extremen Haltung sind falsch und können möglicherweise dramatische Folgen haben.
Denken Sie darüber nach – in einem Artikel kann ich nicht alles Notwendige beschreiben, was zu tun ist. Ich kann nur appellieren, dass man gemeinsam an einem Strang ziehen muss, um Herkulesaufgaben zu bewältigen.
Wenn die etablierten Parteien die AfD weiterhin mit Schaum vorm Maul bekämpfen, wird es ein böses Ende nehmen.
Das heißt nicht, dass die AfD in irgendeiner Art und Weise geeignet ist, zukünftige Herausforderung zu lösen. Aber sie stellt im demokratischen System eine “Alternative” dar, die belegt mehr und mehr gewählt wird.
Freiheit ist alles – und ohne Kontrolle nichts
Die blühenden Landschaften hat es nicht wie versprochen gegeben, aber Deutschland ist daran nicht zerbrochen. Die Integration wird vermutlich ebenfalls nicht gelingen und Aufgabe muss sein, daran nicht zu zerbrechen. Wenn ich 75 Jahre alt bin, mag ich auf ein Deutschland schauen, das stark ist. Kein Idealstaat, aber wie heute, der beste Staat, den es gibt. Und ein Land, das für Freiheit steht. Das ist das höchste Gut überhaupt.
Aktuell erleben wir den Tag der Deutschen Fremdheit. Das ist hochgradig bedauerlich.
Ziel muss die gesellschaftliche Einheit sein. Miteinander. Füreinander. Nur so kann jeder einzelne von einer demokratischen Gesellschaft profitieren und die Gesellschaft durch jeden einzelnen.
Dafür braucht es Auseinandersetzung, also den Wortsinn des griechischen Begriffs “Kritik”. Dazu muss man streiten, aber nach Regeln und mit dem Willen, Kompromisse zu finden und sich daran zu halten.
Dazu braucht es Kontrolle – die bieten wir so gut es geht mit unserer journalistischen Arbeit.
In diesem Sinne
Ihr
Hardy Prothmann
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