Heidelberg, 26. Juli 2015. (red) In Heidelberg sind Migranten ganz toll integriert – stimmt. Das ist auch kein Wunder, denn in Heidelberg leben ganz überwiegend “Elite-Migranten”. Die Heidelberger “Migrantenstudie” ist zwar von 2008 – dürfte aber in etwa bis heute zutreffend sein. Zwei Drittel der Migranten haben einen hohen Bildungsabschluss, der Anteil von Migranten aus wirtschaftlich entwickelten und westlich geprägten Ländern ist überdurchschnittlich hoch. Kein Wunder, dass man Menschen vom Balkan oder Afrika eher nicht haben will. Und worüber reden wir eigentlich, wenn wir über Flüchtlinge, Asylbewerber oder Migranten reden?
Von Hardy Prothmann
Das Thema Flüchtlinge ist aktuell top – bundesweit. Doch wer redet beim Thema eigentlich über welche Fakten? Hier geht vieles vollständig durcheinander.
Begrifflichkeiten
Schon beim Wort “Flüchtling”. Sind Menschen, die aus den Balkan-Staaten kommen “Flüchtlinge”? Vor was fliehen die dort? Es gibt keine Kriege oder bewaffnete “Konflikte”. Keine “ethnischen Säuberungen” oder systematische Verfolgung mit schweren Menschenrechtsverfolgungen. Sind das also “Wirtschaftsflüchtlinge”? Auch so ein deppertes Wort – fliehen Wirtschaftsflüchtlinge vor der Wirtschaft wie Kriegsflüchtlinge vor dem Krieg? Korrekt sollte man von Armutsflüchtlingen sprechen. Denn Armut gibt es viel in Albanien, Bosnien oder Serbien.
Zugegeben, auch wir haben nicht immer gut genug aufgepasst, wen wir wie nennen, werden das aber künftig beachten. Als allgemeinen Begriff verwenden wir künftig Asylsuchende und Zuwanderer, weil auch das Wort Asylbewerber nicht zutreffend ist. Wenn schon sind es Asylantragsteller – das klingt uns aber zu bürokratisch.
Und dann ist da das Wort Migranten. Wer oder was ist das? Das muss man genau nachfragen, denn in vielen Statistiken fallen darunter nicht nur die Türken oder “Türkischstämmigen” oder andere aus muslimischen Ländern, sondern genauso Menschen aus westeuropäischen Ländern oder auch Deutschstämmige aus Russland und anderen Ostgebieten. In anderen Statistiken sind die Deutschstämmigen nicht enthalten. In vielen Statistiken fallen zudem alle “Migranten” mit deutscher Staatsangehörigkeit aus dem Raster – will man allerdings Bevölkerungen nach der Herkunft betrachten, ergibt das erhebliche Verzerrungen.
Heidelberg ist ein absoluter Sonderfall
So auch in Heidelberg. Rund 17 Prozent sind “Ausländer”. Aber 30 Prozent haben einen Migrationshintergrund (auch “Hintergrund” ist nicht wirklich passend). Und sehr interessant sind diese zwei Zitate aus der Heidelberger “Migrationsstudie” von 2008:
Seite 7: “der Anteil von Migranten aus wirtschaftlich entwickelten sowie aus westlich geprägten Ländern ist überdurchschnittlich hoch”.
Seite 11: “Zwei Drittel der Heidelberger Migrantinnen und Migranten verfügen über Hoch- bzw. Fachhochschulreife oder vergleichbaren Abschlüssen, mit denen man studieren kann.”
Fraglich ist auch immer die Datenbasis und die Form der Erhebung. Die größte Datenbasis ist der “Zensus”. Darin heißt es:
Im Jahr 2013 lebten rund 16,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) auf Basis des Mikrozensus 2013 weiter mitteilt, entspricht dies einem Bevölkerungsanteil von 20,5 Prozent. Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund besteht aus den seit 1950 nach Deutschland Zugewanderten und deren Nachkommen sowie der ausländischen Bevölkerung. Mit 9,7 Millionen hatte der Großteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund einen deutschen Pass, gut 6,8 Millionen waren Ausländerinnen und Ausländer.
Belastungsvergleich Mannheim-Heidelberg
Das ist auf ganz Deutschland bezogen. Vergleicht man regional, sind die Unterschiede erheblich. Mannheim ist mit (nach Zensus) 290.000 Einwohnern rund doppelt so groß wie Heidelberg mit 146.000 Einwohnern. In Heidelberg lebten 2011 nach Zensus 5.190 Türken, in Mannheim 27.400. 3.530 Polen lebten in Heidelberg, 13.570 in Mannheim. Allein bei diesen sehr großen Gruppen hat Mannheim also fast drei Mal so viele Türken und fast doppelt so viele Polen wie Heidelberg.
In Heidelberg lebten (laut Zensus 2011) 420 Bulgaren und 480 Rumänen. In Mannheim 1.900 Bulgaren und 1.270 Rumänen – das war allerdings vor einem massiven Zuzug seit 2011, der Heidelberg nicht betrifft. Aktuell leben in Mannheim offiziell 9.000 Südosteuropäer aus diesen Ländern, geschätzt sind es 15.000. Also 15 Mal mehr als in Heidelberg – auf die Größe bezogen Faktor 7,5.
US-Militärs waren keine Migranten
Ein Argument in Heidelberg, man habe 16.000 Amerikaner (Stand 2010 vor dem Abzug des Militärs) hier ganz einfach integriert, ist ein Beispiel, dass man nicht differenzieren will. Diese “Migranten” waren keine – sondern Besucher auf Zeit, alle in Arbeit, alle aus “westlicher” Kultur und streng reglementiert als Militärangehörige. Zudem gab es keinerlei Konkurrenz um Jobs und Wohnungen. Und wer sich ehrlich erinnert, weiß, dass auch die GIs, die Mädels anmachten, nicht gerne gesehen wurden und es immer wieder Vorbehalte gegenüber den Amerikanern gab und es hat auch hier und da mal “geknallt” – Kriminalität gab es auch.
Auch Mannheim hatte diese Amerikaner – aber aktuell ganz andere Probleme. Insbesondere den Zuzug aus Bulgarien und Rumänien bezeichnet der Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz als “größte Herausforderung der Stadt”. Während Heidelberg vergleichsweise sehr viel mehr Asiaten hat, die sich in aller Regel sehr viel schneller anpassen und sehr leistungsorientiert sind, kämpft Mannheim mit einer hohen Zahl von “Leistungsbeziehern” und Niedriglöhnern.
Bildung bedeutet Integration
Die Strukturen bestätigen eine wichtige Erkenntnis – Bildung ist eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration. Zwei Drittel der Heidelberger Migranten erfüllen dies. Zahlen zu Mannheim liegen uns noch nicht vor – vermutlich sind es dort weniger als die Hälfte. Der Ruf Heidelbergs als “Akademikerstadt” ist zu einem gewichtigen Teil diesen von sich aus sehr gut integrierbaren Menschen geschuldet.
Während sich gut 80 Prozent der in Deutschland lebenden Migranten zu einer Religionsgruppe zugehörig aussprechen, sind das in Heidelberg nur 48 Prozent. Und: Ein sehr großer Teil der Migranten ist zwischen 30 und 60 Jahre alt und hat teils bessere Einkommen als die vergleichbare deutsche Heidelberger Bevölkerung.
Wenn Heidelberg also “stolz” auf eine erfolgreiche Integration ist, dann muss man das vor dem Hintergrund dieser überwiegend sehr gut ausgebildeten, gut verdienenden und familiär gebundenen Gruppe von Migranten sehen. Heidelberg hat in Bezug auf Migranten kein Problem und wenn, ist es ein Luxusproblem.
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Lesetipp:
Das Flüchtlingscamp am Rande von Schwetzingen ist ein trostloser Ort und sinnbildlich für eine gescheiterte Asyl- und Flüchtlingspolitik. Die täglich erlebbare Perspektive für rund 350 Menschen sind ein Betonparkplatz, stickige Container, schmuddelige Ecken, überquellende Mülleimer, versiffte Sanitäranlagen und zwei funktionierende Duschen. Dagegen ist PHV ebenfalls Luxus.
Schwetzingens Camp der Beschämung
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Heidelberg – Insel der Glückseligen
Die zeitweise Unterbringung von Asylsuchenden in einer außerhalb der Wohnbebauung gelegenen Kaserne ist unter diesen Umständen perspektivisch anders zu betrachten. Heidelberg ist in Bezug auf Migration eine Insel der Glückseligen und hält an diesem Idyll fest – die deutschlandweit zunehmenden Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen will Heidelberg zwar lösen helfen, aber nur so ein Bisschen. Alles andere wird als zu belastend “empfunden” – es kommt also gar nicht auf eine echte Belastung an, sondern nur auf die “Empfindlichkeit”.
In Mannheim leben bis zu 15.000 Rumänen und Bulgaren mitten in der Stadt – nicht weit draußen in einer Kaserne. Und Mannheim muss selbst dafür aufkommen, weil das Zuwanderer und keine Asylsuchenden sind.
Befindlichkeiten
Die Stadt Heidelberg selbst wird nicht belastet – nicht finanziell, nicht in ihren Strukturen. Die Menschen, die in der Patrick Henry Village untergebracht werden, befinden sich im Aufnahmestatus und werden durch das Land verwaltet. Niemand dieser Menschen wird in Heidelberg eine Arbeit suchen und kein Kind wird auf eine Schule gehen. Aus der Bedarfsorientierten Erstaufnahme (BEA) heraus werden die Asylsuchenden innerhalb von wenigen Wochen oder Monaten in Land- und Stadtkreise verteilt, wo sie mehrere Monate bis zwei Jahre in der vorläufigen Unterbringung verbringen und erst dann den Kommunen zugewiesen werden.
Viele Menschen beschäftigen sich mit den “Zuständen” im PHV – diese betreffen aber die Menschen dort und nicht die Kirchheimer. Das sind unterschiedliche Probleme. Integrationsbereitschaft ist da, aber Ideen wie “Theateraufführungen” sind gut gemeint, aber vollständig realitätsfern. Nicht in einer BEA – es bleibt viel zu wenig Zeit dafür. Wer ehrenamtlich diese Menschen unterstützen will, muss wissen, dass das immer nur für kurze Zeit und für das Nötigste sein wird – denn dann sind diese Menschen weg und andere kommen.
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Lesetipp: Warum es dringend eine eigene Koordinierungsstelle von Ehrenamtlichen für Ehrenamtliche braucht, lesen Sie hier.
Wir brauchen einen regionalen Flüchtlingsgipfel
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Das bedeutet auch, dass es wochen- und monatelang ruhig zugeht und dann wie vor kurzem ein Schwung kommt, der für jede Menge Ärger sorgt. Beispiel: Ein Teil der Algerier, die in Ellwangen für Tumulte sorgten, kamen nach Heidelberg und sorgten hier auch für Ärger. Das Problem: Wenn nur eine kleine Anzahl für Ärger sorgt, wird oft die Gesamtheit in Mitleidenschaft gezogen. Und nicht nur die Kirchheimer “leiden” unter “Befürchtungen” – die Menschen in den Camps auch. Dazu fehlt die eigene Wohung, der Job, die Familie – die Zukunft ist vollkommen ungewiss. Deshalb sind viele dieser Menschen unter enormen emotionalem Stress und verhalten sich nicht immer wie Musterbürger. Das soll nichts entschuldigen, aber vielleicht verständlich machen.
Gegen Illusionen helfen Fakten
Wer sich überregional umschaut, sieht, dass überall mittlerweile Zeltstädte entstehen. Wer glaubt, man könne eine Begrenzung auf 1.000 Personen auf alle Zeit vereinbaren, der stellt sich der Realität nicht. Aktuell sind rund 26.000 Menschen in Baden-Württemberg neu als Asylsuchende in diesem Jahr angekommen. Bis Jahresende werden es vermutlich 60.000 oder mehr. Und im kommenden Jahr mindestens 80.000 oder mehr.
Wir haben aus Kirchheim sicher noch keine “rechten” Parolen gehört – Kirchheim ist auch kein deutsches Problemviertel mit entsprechender Klientel. Aber es gibt schon heute böse Gerüchte, die “Asylanten pinkeln gegen Grabsteine” und weiteres dummes Zeugs. “Gefühle von Bedrohung” werden zu echter Bedrohung umerzählt, Straftaten werden automatisch zugeordnet – obwohl jeder Beweis fehlt. Und Fakt ist auch: 25-30 Prozent der Deutschen sind fremdenfeindlich eingestellt – durch alle Bevölkerungsgruppen hindurch. Also auch in Kirchheim. Alles andere ist eine Illusion.
Aktuell sind also gerade mal 18 Prozent der Menschen in Baden-Württemberg, die Ende 2016 hier sein werden – ein Fünftel. Von den mindestens 140.000 Menschen, die dieses und das kommende Jahr nach Baden-Württemberg kommen, werden 60 Prozent bleiben, das sind 84.000. Also mehr als drei Mal so viel wie heute. Und wie es 2017 und 2018 weitergehen wird, weiß noch niemand. Überall fühlen sich die Bürger schlecht informiert, aktuell kracht es gerade in Schriesheim – weitere Orte werden folgen.
Aufgabe der Politik wird sein müssen, die Informationsarbeit gegenüber der Bevölkerung massiv zu verbessern. Sonst fliegt uns die Lage um die Ohren. Soviel ist sicher.
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