Schwetzingen/Rhein-Neckar, 19. Juli 2015. (red/pro) Das Flüchtlingscamp am Rande von Schwetzingen ist ein trostloser Ort und sinnbildlich für eine gescheiterte Asyl- und Flüchtlingspolitik. Die täglich erlebbare Perspektive für rund 350 Menschen sind ein Betonparkplatz, stickige Container, schmuddelige Ecken, überquellende Mülleimer, versiffte Sanitäranlagen und zwei funktionierende Duschen. Die meisten Flüchtlinge sind anständige Leute. Aber es gibt eine große Zahl, für die das nicht gilt. Die einen müssen unter der Verwahrlosung der anderen leiden. Wer ist dafür verantwortlich?
Von Hardy Prothmann
Samstag, 18. Juli, 13 Uhr. Die Hitze liegt über dem Flüchtlingscamp auf einem Parkplatz der ehemaligen Kilbourne-Kaserne. Wie überall in der Region. 30° Grad. Ich laufe zwischen den Wohncontainern einmal durch. Am Ende stehen Sanitärcontainer. Der Toilettencontainer stinkt bestialisch. Der Blick hinein bestätigt die Vermutung. Er ist vollständig versifft. Ekelerregend.
Ein Schlauch läuft quer über den Hof und versorgt den Duschcontainer mit Wasser. Allerdings ist er provisorisch angeschlossen. Kontinuierlich spritzt es heraus, der Container steht unter Wasser. Die Duschen funktionieren nicht – dafür die ebenfalls versifften Waschbecken gerade so.
Keine Ahnung, wie man das in den Griff kriegen soll
Ich bin oft in Kontakt mit Flüchtlingen. Ich stelle mich immer namentlich und als Reporter vor und gebe Gesprächspartnern die Hand. Heute werde ich nach diesen Eindrücken auf den Handschlag verzichten, weil ich mir nichts holen will.
Im Zuge der Recherche wird mir jemand erzählen, dass der Kreis ständig die Toiletten reinigt und repariert – nur Stunden später würde es wieder so aussehen wie jetzt. „Keine Ahnung, wie man das in den Griff bekommen soll.“ Viele der Bewohner würden ihre Notdurft im Wald um den Parkplatz herum verrichten. Das habe ich nicht recherchiert.
Weiß das Gesundheitsamt von den Zuständen oder guckt man weg?
Ich frage mich, welches Gesundheitsamt solche Zustände genehmigt und nicht eine sofortige Schließung verfügt. Oder drückt man hier beide Augen zu, weil es halt ist, wie es ist, weil man nicht weiß, wie man diese rund 350 Menschen sonst unterbringen soll?
Willst Du ein Fahrrad kaufen?
Zwischen den Containern haben bosnische Flüchtlinge eine „open-air-Fahrradwerkstatt“ aufgemacht. Sie montieren an verschiedenen Rädern herum. Ich beobachte die Szenerie aus rund sechs Metern Entfernung. Ein Mann um die 30 Jahre guckt mich nicht an, er stiert. Feindselig. Ich halte den Blick, weil ich wissen will, was passiert. Ein Heranwachsender versucht zu entschärfen: „Wer bist Du?“ Ich stelle mich vor. „Das ist Hakan, ein guter Monteur. Willst Du ein Fahrrad kaufen?“ Ich verneine. Man kann also hier Fahrräder kaufen. Zusammenmontiert aus anderen Fahrrädern, deren Gerippe ausgeschlachtet hinter den Containern liegen.
Teils wirkt das Containercamp wie eine Sperrmüllhalde, teils wie ein Piratennest. Eins ist sicher: Die Atmosphäre ist trost- und hoffnungslos. Mir tun die vielen Kinder leid – gerade die jüngeren sind wie kleine Kinder sind: Offen, neugierig. Die älteren sehen schon mürrischer aus, misstrauischer, ja, da bin ich ehrlich – auch „verschlagener“.
Aus manchen Containern klingt orientalisch anmutende Musik. Dazwischen das Geknatter eines Motorrollers, dessen Gashebel jemand sinnlos bedient, während zwei andere das Gefährt waschen. Der Roller hat ein Nummernschild – interessant. Kann mal sich als Flüchtling erstens solch ein Fahrzeug leisten und zweitens, es auf sich zulassen?
Ich spreche sechs Sprachen
Ein hübsches Mädchen spricht mich an. 9 Jahre alt. Wir plaudern. Sie geht in die dritte Klasse, hat vier jüngere Geschwister. Mag sie die Schule? „Oh ja, das ist toll. Viel besser als hier.“ Was macht sie da gerne? „Ich male und bastle da.“ Welches ist ihr Lieblingsschulfach? Die Frage versteht das Mädchen nicht. Schreiben und lesen oder rechnen? „Ja, manchmal schreiben wir auch.“ Die Flüchtlingskinder gehen stundenweise auf eine Hauptschule in Schwetzingen in eine altersübergreifende Klasse. In Deutschland gibt es ja schließlich Schulpflicht. Und die wird eingehalten – wenn auch nur pro forma – malen und basteln klingt eher nach Kindergarten.
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Lesetipp:
Lesen Sie zum Thema auch unsere erste Reportage zum Containercamp:
Flüchtlinge: Ab in die Container – Welcome to the jungle
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In einem Jahr ist meine Freundin wieder da
Das Mädchen ist Albanerin, kommt aus Macedonien und spricht sechs Sprachen: Albanisch, Macedonisch, Serbisch, Kroatisch, eine, die ich nicht verstanden habe und Deutsch. Kommen andere Kinder aus der Schule mal hierher oder ist sie schon mal zu deutschen Kindern eingeladen worden? „Nein. Meine beste Freundin ist aus Serbien. Die haben ein Schreiben gekriegt und müssen zurück nach Serbien“, erzählt sie nachdenklich und lächelt dann wieder, nickt mit dem Kopf: „Aber in einem Jahr ist sie wieder da.“ Offenbar lernen die Kinder schon früh das Wandersystem von Ein- und Ausreise als Normalzustand kennen.
Ein etwa 14-jähriger Junge kommt vorbei, spricht sie an. Sie antwortet. Er blafft sie an und guckt böse. Was hat er gesagt? „Er wollte wissen, worüber wir reden. Ich habe ihm gesagt, dass ich sechs Sprachen kann und er kein deutsch. Dann hat er gesagt, warum ich Dreckstück dem Mann das gesagt habe.“ Sie lächelt mich an und sagt: „Der ist ein Idiot.“ Andere Kinder rufen sie. Das Mädchen verabschiedet sich und geht zu einer Gruppe von Kindern. Ich hatte sie vorher schon beobachtet. Sie scheint die Gruppe aus gut zehn Kindern zu führen, spricht in verschiedenen Sprachen mit den anderen.
Das Warten macht mich verrückt
Ali ist mit seinem Mittagessen fertig. Ich habe ihn kurz vorher getroffen – er will sich mit mir unterhalten. Er nimmt mich nochmals mit auf einen Rundgang. „All the Duschen sind kaputt. Guck die Toiletten. Stinkt.“ Wir laufen durch den Küchentrakt – versiffte Böden, zerbrochene Flaschen. „It looks like this every day.“ Warum? „It’s the people from Albania, Bosnia and others.“
Sind das Vorurteile eines Somaliers gegenüber Menschen vom Balkan? Oder ist das die Bestätigung der Vorurteile, die auch viele Deutsche gegenüber Menschen vom Balkan haben? Haben Somalier „traditionelle“ Vorurteile gegenüber Menschen vom Balkan – oder bilden sich die Urteile erst nach eigener Erfahrung, hier vor Ort? Wo Fremde unter Fremden leben?
Mein Job ist es, Tatsachen zu recherchieren und was ich sehe, bestätigt viele Vorurteile. Wer Flüchtlinge „romantisiert“, kann sich jederzeit selbst ein Bild vor Ort machen und wird Ernüchterung erfahren. Die Verwahrlosung ist allgegenwärtig.
Ali ist aus Somalia über Libyen nach Italien geflohen und wurde von den Behörden dort direkt weiter nach Deutschland geschickt, wo er vor acht Monaten Asyl beantragt hat. Was weiß er über sein Verfahren? „Nothing. Ich muss warten. Day by day. That makes me crazy.“ Er zeigt mir seine Medikamente. Schlaftabletten und Neuroleptika. „I take this for sleeping in the night and this to calm my nervs.“
Amerikanische Bomben + terroristische Bedrohung = Flucht
In Somalia war er „Manager“ in einer NGO, sagt er. Ich nehme das so hin, überprüfen kann ich es nicht. „Das war gute Arbeit.“
Hier lernt er ein paar Stunden in der Woche deutsch in der Volkshochschule. Was er auf Deutsch sagen kann, versucht er, sonst redet er englisch. „Amerikaner haben Leader von Al-Schabaab mit Drohne getötet. After the bombing everybody Warnung, dass getötet, wenn weiter arbeiten. Dann bin ich auf Flucht.“
Er erzählt mir von der Flucht, wie man das organisiert, auch mit dem Geld. In Libyen musste er sich mehrmals aus dem Gefängnis freikaufen: „I had no luck. It depends of the human trafficker.“ Dann fand er einen Menschenhändler, der in Ordnung war. Er schaffte es über das Mittelmeer nach Italien und von da direkt nach Deutschland.
Flüchtlingscamp als Warenlager für Geschäfte auf dem Balkan
Dann erzählt er mir von Autos, die im Lager vorfahren, ausländische Kennzeichen haben und beladen werden. „They take all the stuff to their countries to sell it.“ Nur zwei Duschen im Männertrakt sind nutzbar. Bei den anderen sind die Duschschläuche und – köpfe abmontiert. „They have all the tools to disassemble everything.“
Bewohner, die vermutlich aus den Balkanstaaten stammen, schlurfen vorbei, gucken kurz. Kein Gruß, keine Gesprächsbereitschaft.
Er setzt sich mit mir auf zwei verranzte Stühle in den Schatten der Bäume um den Parkplatz. Zuvor waren wir in seinem „Zimmer“, in dem ein kleiner Ventilator auf Hochtouren die schneidende Luft umwälzt. Alle Türen und Fenster im Container stehen auf – ein verzweifelter Versuch auf Durchzug: „Es ist schrecklich hier drin“, sagt er. Stimmt. Ich bin nach wenigen Minuten klatschnass geschwitzt. Draußen ist es erträglicher.
Warum stecken sie uns mit Kriminellen zusammen?
„Why do they put us together with all these criminals?“, sagt er und ist ehrlich empört. Die Polizei kann auch nichts machen. Es gibt keine Zeugen. Und sie kommt dann, wenn die ausländischen Autos nicht da sind. Nie weiß jemand was. Nie hat jemand was gesehen.
Er bestätigt mir, was ich auch Polizeikreisen in vielen Gesprächen erfahren habe: Insbesondere Flüchtlinge aus den Balkanstaaten betreiben offenbar einen schwunghaften Handel mit Diebesgut und allem, was sich abmontieren lässt. Deren Anerkennungsquote liegt bei unter zwei Prozent. Dank langer Verfahren bleiben sie monatelang in den Lagern. Sie reisen aus und wieder ein. Über Jahre. Und sie machen hier den größten Teil der „Flüchtlinge“ aus.
Polizei am Rande der Belastbarkeit
Offiziell darf die Polizei nichts sagen. Wir erfahren alles unter der Hand – den Frust, die Wut auf das Integrationsministerium: „Die pferchen die Leute zusammen und wenn ein Sicherheitsproblem entsteht, sind wir schuld. Entweder, weil wir angeblich zu wenig tun oder wenn wir was tun, dann fremdenfeindlich sind. Das Integrationsministerium fühlt sich nicht zuständig.“
Ganz sicher seien die meisten Flüchtlinge anständige Leute – aber zwei, drei, vier Prozent unter ihnen seien klar und eindeutig Kriminelle: Ob Einbrecher, Taschendiebe, Räuber oder Drogenhändler. Die Polizei verhaftet fleißig – aber kaum jemand komme ins Gefängnis. Und wieso bei Abschiebungen häufig niemand anzutreffen sei – ist der Polizei ein Rätsel: „Man hat den Eindruck, als würden die vorher informiert werden. Von wem auch immer.“
Kritisiert werden auch die aufgehobene Residenzpflicht und Barauszahlungen: „Die reisen munter herum – auch die Ganoven. Und das Geld geht zurück in die Herkunftsländer.“
Ali zückt ein Galaxy S4-Smartphone, tippt etwas und zeigt es mir: „Is it correct?“ Unter der email steht: „Schöne Wochenend“. Ich korrigiere ihm den Gruß. Er freut sich und drückt auf senden. „German friends who help me“, sagt er.
Ich fühle mich beschämt
Wie ist die Betreuung hier vor Ort? „Two social-workers come for some hours“, erzählt er. Sie erledigen Aufgaben im Büro und gehen wieder. Er selbst kann ab und zu arbeiten – als Hausmeistergehilfe. „Ich will arbeiten, aber richtige Arbeit. Aber ich muss warten, warten, warten. I feel ashamed.“
Eine Deutsche, die ich nach dem Besuch zufällig vor dem Camp treffe, kümmert sich um ein paar Familien: „Vor allem für die Schwangeren ist das hier die Hölle – die sind immer kurz vor dem Umkippen.“
Wer ist verantwortlich? Mit Sicherheit die, die solche Camps beschließen, also Landrat Stefan Dallinger. Aber auch die, die darin hausen und die Einrichtung offenbar als Warenlager betrachten und weder Rücksicht auf sich noch auf andere nehmen. Wenn man sich das Bild anschaut, hat man den Eindruck, dass bestimmte Flüchtlinge genau die Zustände herstellen wollen, wegen derer sie angeblich geflohen sind.
Camp wird verlängert
Die beschämenden Zustände wurden nach unseren Informationen aktuell bis Ende 2016 verlängert. Als dieses Camp errichtet worden ist, sollte dies bis Ende 2015 sein. 2016 werden die Flüchtlingszahlen prognostiziert von 450.000 in diesem Jahr auf 600.000 Menschen steigen. Damit dürfte sicher sein, dass dieses Schwetzinger Camp der Schande auch 2017, 2018 und länger in Betrieb bleiben wird.