Mannheim, 19. Oktober 2017. (red/pro) Der Partei- und Fraktionswechsel von Thomas Hornung von den Grünen zur CDU hat für viel Aufregung und Furor gesorgt. Die Aufregung wird sich vordergründig wieder abkühlen, vergessen wird sie nicht werden. Ein Geschmäckle wird bleiben und die Aktion, von der vor allem die CDU profitiert und die vor allem den Grünen schadet, wir das Verhältnis der Fraktionen nicht verbessern. Auf Nachfrage hat die CDU angekündigt, dass sie eine Neuverteilung anderer Gremienämter verlangen wird, wenn die Stadt Mannheim dies nicht von sich aus anstoßen wird. Hier geht es um Geld und Einfluss. Dabei lockt der kurzfristige Gewinn – langfristig betrachtet könnte das teuer werden.
Kommentar: Hardy Prothmann
Einen Fraktionswechsel halte ich für politisch unglücklich, aber im Rahmen der baden-württembergischen Gemeindeordnung für legitim. Ebenso halte ich es für legitim, dass jemand beruflich andere Wege geht und aus der Konsequenz daraus seine Partei verlässt. Die Kombination beider Vorgänge ist meines Erachtens aber in hohem Maße problematisch. Der Mandatswechsel steht hier mit dem beruflichen Wechsel in untrennbarem zeitlichem Zusammenhang.
Das ist ein Auszug aus der Antwort auf eine Anfrage an den Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz zum Partei- und Fraktionswechsel des Herrn Hornung. (Hier das komplette Zitat)
OB Dr. Kurz macht das, was fast alle nicht gemacht haben, die sich zur Sache geäußert haben. Er betrachtet den Vorgang aus verschiedenen Perspektiven. Der promovierte Jurist und frühere Verwaltungsrichter kennt die Gemeindeordnung natürlich aus dem Effeff. Selbstverständlich ist der Vorgang juristisch nicht zu beanstanden und damit legitim, also dem Gesetz entsprechend möglich.
Perspektivisch betrachtet
Selbstverständlich kann man sich einen anderen Job suchen, sogar bei der Konkurrenz. Manager können von VW zu BMW wechseln oder von der ENBW zur MVV.
Ein Gemeinderatsmandat ist aber kein Job, sondern ein politisches Ehrenamt. Und Büroleiter eines Bundestagsabgeordneten ist erstmal eine Anstellung, aber dann doch wieder kein “normaler” Job, sondern einer von politischem Gewicht.
Der direkt gewählte Bundestagsabgeordnete Nikolas Löbel und Thomas Hornung kennen sich gut und vertrauen sich. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, wenn Herr Löbel den ausgebildeten Journalisten Hornung in sein Team holt. Auch daran ist nichts auszusetzen.
Ebenfalls nichts kann man an der von Herrn Hornung benannten “Entfremdung” aussetzen. Gut 20 Jahre lang war er Mitglied bei den Grünen und fühlte sich dort zuletzt nicht mehr wohl. Selbstverständlich kann er dann austreten und in eine andere Partei, in diesem Fall die CDU eintreten.

Claudius Kranz, Nikolas Löbel, Thomas Hornung auf der Pressekonferenz zum Thema.
Hätte, hätte
Die entscheidende Frage ist die, ob er sein Gemeinderatsmandat nicht hätte abgeben müssen. Juristisch betrachtet nicht, moralisch betrachtet ist das komplizierter. Aus der persönlichen Perspektive betrachtet hat er sich in die Partei eingebracht, wurde auf eine Wahlliste gewählt, kam zunächst nicht zum Zug und rückte dann als Gemeinderat nach, nachdem sich Wolfgang Raufelder im vergangenen Spätjahr das Leben genommen hatte und somit ein Gemeinderatssitz frei wurde. Herr Hornung war nach Stimmen auf Platz 9 der Liste und hat folgerichtig das freigewordene Mandat der achtköpfigen Fraktion erhalten.
Er hätte, sofern er schon damals entfremdet war, und danach sieht es nach eigenen Angaben aus, denn er spricht davon, dass er seit gut zwei Jahren mit den Grünen hadert, schon damals das Gemeinderatsmandat nicht antreten müssen. Rechtlich betrachtet wäre er allerdings verpflichtet gewesen, es anzunehmen – außer bei Vorlage eine wichtigen Grundes, die Amtsübernahme zu verweigern. Ein Austritt aus der Partei und der damit verbundene Wunsch wäre nach der Gemeindeordnung möglich gewesen.
Er hätte aber auch bei den Grünen austreten können und das Mandat trotzdem erhalten – als dann parteiloser Einzelstadtrat. Das wäre theoretisch auch mit der Aufgabe als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Grünen im Stuttgarter Landtag vereinbar gewesen. Es steht nirgendwo geschrieben, dass ein Angestellter einer politischen Partei oder Institution auch Parteimitglied sein muss. Praktisch ist das aber so gut wie nie der Fall.
Dann hätte er sein Mandat behalten, den Job wechseln müssen und ein späterer Eintritt in die CDU und Büroleiter bei Herrn Löbel hätte kein Geschmäckle gehabt.
Er hätte auch sein Mandat als parteiloser Stadtrat behalten können und trotzdem Büroleiter bei Herrn Löbel werden können. Warum nicht? Für die Grünen wäre durch die Abstufung zur kleinen Fraktion ein Schaden entstanden, das ist halt manchmal so.
Schaden vs Gewinn
Auszutreten, das Mandat zu behalten, in die CDU einzutreten und zeitgleich Büroleiter zu werden, verschafft aber der CDU-Fraktion zusätzliche Vorteile, die nun große Fraktion wird und mit der SPD mit 13 Sitzen gleichzieht.
Schaden und Gewinn und Verknüpfung von beruflichem Wechsel alles zur gleichen Zeit, ohne Karenz. Das ist dann doch etwas zu viel des “Guten” und, wie OB Dr. Kurz das beurteilt, “in hohem Maße problematisch”. Das ist, also würde man sich vom einem Partner “in gütlicher Einigung” scheiden lassen und nach am selben Tag einen anderen mit Ehevertrag heiraten. Oder so, als würde man einen Partner am Morgen beerdigen und noch am selben Abend mit dem neuen Partner eine rauschende Party feiern. Kann man machen – aber man muss dann aushalten, dass sich viele durch ein solches Verhalten irritiert abwenden.
Den viel größeren Schaden in der Achtung politischer Mandatsträger haben aber vor allem Politiker oder Sympathisanten von Grünen, SPD und Die Linke verursacht. Die teils willenlos obszönen Angriffe, vorwiegend über das asoziale Medium Facebook waren viele für sich und in Summe einfach widerlich und ohne jeglichen moralischen Anstand, den man bei Herrn Hornung vermisste. Wer das verfolgt hat, war nicht mehr irritiert, sondern musste angewidert sein.
Nach unseren Informationen hat OB Dr. Kurz hinter den Kulissen viele Gespräche geführt, um die Eskalation einzudämmen. Denn dieser Schaden war auf dem Weg durchaus sehr viel bedeutender für eine funktionierende “politische Kultur” zu werden.
Wieder einmal ein Dilemma
Herausgekommen ist ein Dilemma – bekanntlich muss man dann einen Tod sterben.
Die CDU-Führung, also der Fraktionsvorsitzende Claudius Kranz sowie der Kreisvorsitzende, Stadtrat und MdB Nikolas Löbel, mögen hier erstmal einen politischen Coup erkennen und sich über den vermeintlich erfolgreichen Beutezug freuen. Man zieht mit der SPD gleich und wird große Fraktion. Die Grünen werden geschwächt. Und zum Finale bestätigt Fraktionsgeschäftsführer Matthias Sandel auf Anfrage, dass die CDU die Neuverteilung von Ämtern in anderen Gremien einfordern werde, wenn die Verwaltung dies von sich aus nicht anstoßen werde. Bedeutet: Es wird mehr Aufsichtsratsposten und andere Gremienmitgliedschaften für die CDU geben.
Damit sind nicht nur die Grünen Verlierer. Auch die “Bürgerfraktion” (eigentlich LKR) wird Gremienmitgliedschaften verlieren, ebenso die Einzelstadträte Helmut Lambert (früher AfD, aus der LKR wurde) und Julien Ferrat (früher Die Linke). Nutznießer wird neben der CDU vermutlich auch die SPD sein.
Bislang wurde die Neuverteilung nicht eingefordert, weil man keine Unruhe in die Verteilung der zusätzlichen Ämter bringen wollte. Man ließ den drei LKR-Stadträten und den beiden Einzelstadträten zusätzliche Ämter, weil man darüber möglicherweise “in besseren Gesprächen” war.
Die eher gefühlte Mehrheit “links” mit einer Stimme ist durch den Wechsel beendet. Das führt aber nicht zu einer Mehrheit rechts. Unterm Strich verlieren vor allem Personen “rechts” Positionen, die teils auch nicht schlecht vergütet worden sind sowie einige “links”.
Angriffsschach mit ungewissem Ausgang
Die CDU spielt hier so eine Art Angriffsschach mit Hilfe eines plötzlich schwarzen Überläufers. Auf Nachfrage bei der Pressekonferenz am Dienstag bestätigten Herr Kranz und Herr Löbel, dass man sich bereits im Wahlkampf für die Kommunalwahl 2019 befindet.
Dieser Zug hat zunächst für Aufregung gesorgt und insbesondere die Grünen unter Druck gesetzt. Und über diesen “Hebel” auch das “linke Lager”. Aber auch das “rechte Lager” erleidet Schaden. Unterm Strich könnte das zu einem Gesamtschaden führen – davor warnt der Oberbürgermeister. Nicht als SPD-Mitglied und schon gar nicht als “Vorsitzender links”. Denn Beschlüsse mit einer Stimme Mehrheit sind auf Dauer Gift für eine gedeihliche Zusammenarbeit im Gemeinderat.
Vor allem in wichtigen Angelegenheiten braucht es möglichst breite Mehrheiten. Die CDU hat das “linke Lager” aktuell gegen sich aufgebracht. Ein Herr Hornung wird vor allem den Grünen ein Dorn im Auge sein, aber auch vielen in der SPD und bei Die Linke. Das wird politisches Aushandeln von Kompromissen extrem beschweren. Ausgerechnet vor den Haushaltsverhandlungen.
Es bleibt ein Ausweg für die CDU.
Herr Hornung kann dort neues Mitglied sein und seinen umweltpolitischen Sachverstand in die Arbeit der Partei einbringen sowie als erfahrener Kommunikationsprofi gute Arbeit für Herrn Löbel leisten. Aber Herr Hornung und die CDU könnten nochmals in Klausur gehen und dann verkünden, dass die erweckten Eindrücke zwar falsch seien und nicht der Realität entsprächen, dass hier ein “Komplott” veranstaltet worden sei und man deshalb – trotz anderer Überzeugung – zur Auffassung gelangt sei, dass es für die politische Kultur besser ist, nicht an dem Mandat festzuhalten und Herr Hornung trotz schweren Herzens dieses nicht weiter beanspruche. Rechtlich sei man auf der sicheren Seite. Inhaltlich auch. Vorzuwerfen habe man sich nichts.
Das würde keinen Schaden bei den Grünen erzeugen, keinen Vorteil für die CDU bedeuten und keine Neuverteilungen von Gremienposten nötig machen. Dafür aber die Großzügigkeit der CDU dokumentieren sowie den festen Willen, nicht über Taktieren, sondern über Inhalte zu überzeugen. Die CDU würde damit ein “Opfer” bringen und sich “moralisch” verantwortlich zeigen. Das “Bauernopfer” könnte das Spiel komplett neu drehen.
Dafür braucht es aber analytischen Sachverstand über den ursprünglichen Zug hinaus.
Die CDU freut sich über den Neuzugang Thomas Hornung, einen “Kommunikationsprofi”. Der könnte direkt zeigen, was er drauf hat und wie man eine vergaloppierte Kuh vom Eis kriegt.
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