Rhein-Neckar/Frankfurt/Hamburg/London, 06. Juni 2017. (red/pro) Aktualisiert. Der amerikanische Nachrichtensender ist wegen angeblicher Fake News in die Kritik geraten. Und was machen deutsche Medien? Sie beschäftigen sich mit falschen Fragen und entlasten CNN ohne jeden Beleg. Ob CNN eine Aufnahme gefälscht hat, ist nicht die entscheidende Frage, sondern, wie CNN Videoaufnahmen in Szene setzt, um einen falschen Eindruck zu erzeugen.
Kommentar: Hardy Prothmann
Der Frankfurter Konzertveranstalter Marek Lieberberg ist wegen einer Wutrede nach dem Abbruch von Rock am Ring mächtig in die Kritik geraten. Er sagte unter anderem (siehe hier unseren Artikel mit Auszügen seiner Rede):
„Es muss jetzt Schluss sein mit diesem „this is not my islam“, „and this is not my shit“ und „this is not my whatever“. Jetzt ist die Situation, wo jeder einzelne sich dagegen artikulieren muss. Ich möchte endlich mal Demos sehen, die sich gegen diese Gewalttäter richten. Ich habe bisher noch keine Moslems gesehen, die zu Zehntausenden auf die Straße gegangen sind und gesagt haben: „Was macht ihr da eigentlich?“.
Aktuell strahlte CNN einen Beitrag der Reporterin Becky Anderson aus. Zu sehen sind „muslimische Mütter“, die in London gegen Isis demonstrieren. Die Reporterin bezeichnet das so (siehe zweites Videos am Ende des Artikels):
This is a wonderful scene.
Tatsächlich hält die CNN-Kamera so nah auf die Gruppe, dass man meinen könnte, hier zeige sich ein entschlossener Widerstand von Muslimen gegen islamistischen Terror.
Tatsächlich handelt es sich um ein paar Frauen und Männer sowie einen kleinen Jungen, die Ausdrucke in die Kameras halten, auf denen steht:
#turntolove, #forlondon
Fälschungsvorwurf vermutlich gegenstandslos, aber…
Der Vorwurf, dass CNN diese Bilder gefälscht hat, ist vermutlich gegenstandslos. Weder die ARD noch die FAZ haben dies ordentlich überprüft, das lässt sich vermutlich auch nicht mehr überprüfen. Der Faktenfinder der Tagesschau lässt sich in einem langen Beitrag darüber aus, wieso die Szene echt sein soll. Irgendeine Reflexion über die Umstände der Szene? Fehlanzeige.
Denn es lässt sich überprüfen, wie die Szene aufgenommen worden ist. Da steht dieses Grüppchen von rund einem Dutzend Menschen mit den Ausdrücken einer viel größeren Gruppe von Journalisten gegenüber, die mit hohem Aufwand ihre Ausrüstung aufgebaut haben: Scheinwerfer, große Kameras – großes Geschirr.
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Und: Das Grüppchen auf menschenleerer Straße wird dirigiert. Sie sollen enger zusammenstehen, damit das Bild „dichter“ wird. Und dann halten die Kameras aus kurzer Entfernung drauf und suggerieren eine Nachricht:
Seht her. Hier demonstrieren muslimische Mütter gegen den Terror. Eine wundervolle Szene.
Die FAZ zeigt ein Video der Reporterin Becky Anderson und schreibt:
Der Kommentar, den die CNN-Reporterin Becky Anderson an besagter Straßenecke in London sprach – die Demonstranten waren nicht zu sehen –, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Die Demonstranten waren also nicht zu sehen? Was soll das heißen? Dass CNN diese „verdichtete Szene“ nicht gezeigt hat? Richtig – in dem benannten Kommentar ist das Grüppchen nicht zu sehen, in einem anderen Beitrag schon. Hat der Medienredakteur Michael Hanfeld den Beitrag nicht gefunden oder bewusst der Leserschaft unterschlagen, weil es sonst nicht zu seiner Recherche gepasst hätte?
12 von 1.000.000
Mit ein wenig Recherche hätten ARD und FAZ hätten diese Medien herausgefunden, dass rund 8,5 Millionen Menschen in London leben, davon rund 12 Prozent Muslime, was etwa eine Million Menschen sind.
Ein Dutzend davon positioniert sich vor Kameras, die die Szene so aufnehmen, dass sie als muslimischer Protest gegen islamistischen Terror gedeutet werden könnte.
Welche journalistischen Qualitätskriterien haben sich eigentlich wann und wie bei CNN, ARD und FAZ so krass verschoben, dass erstens solche Inszenierungen entstehen und dann noch verteidigt werden?
Richtig: Sofern CNN die Leute nicht dorthin bestellt und mit Schildern ausgerüstet hat, läuft der Vorwurf der Fälschung fehl. Aber: Die Reporterin greift ein, indem sie die Leute zusammenrücken lässt. CNN strahlt Aufnahmen aus, die einen Eindruck erwecken, begleitet von emotionalisierenden, positiven Kommentaren der Reporterin. Damit wird die Wirklichkeit verzehrt und dem Publikum eine Wahrnehmung angeboten, die vollständig verhältnislos ist.
Ein Grüppchen als Symbolbild
Mindestens sieben Menschen wurden Samstagabend in London getötet, rund 50 teils schwer verletzt, 18 schweben immer noch in Lebensgefahr. Drei Männer haben erst Menschen angefahren und dann mit Messern ein Gemetzel veranstaltet. Wer dagegen ein Grüppchen von Demonstranten aus einem Bevölkerungsanteil von einer Million Menschen stellt, der hat den Schuss nicht gehört.
Es sind nicht Zehntausende, nicht Tausende, nicht Hunderte von Menschen, die hier in der „wundervollen Szene“ für London und die Liebe und gegen den Terror demonstrieren, sondern ganze 12. Wer ein solches Grüppchen über die Symbolmacht von Bildern in Szene setzt, verfälscht nicht die „Wirklichkeit“, denn die Gruppe ist mit hoher Wahrscheinlichkeit echt, sondern manipuliert gezielt und vorsätzlich die Wahrnehmung. Das ist keine „wahrhaftige Berichterstattung“, das ist Propaganda.
Die FAZ schreibt im Vorspann des Artikels zum Thema:
Nach dem London-Anschlag säen rechte Blogger und die AfD Zwietracht. Sie unterstellen dem Sender CNN, er habe den Protest von Muslimen gegen den Terror erfunden. Der Vorwurf ist Fake News pur.
Auch das ist eine Perspektive, die sprachlos macht. Es mag schon sein, dass „rechte Blogger“ und die AfD einen Fake News Vorwurf verbreiten. Das ist aber nicht die entscheidende Frage. Vielmehr muss man die journalistischen Qualitätsstandards genau betrachten und die Frage stellen, wie es sein kann, dass ein internationaler Nachrichtensender nach einem furchtbaren Attentat ein kleines Grüppchen von Menschen so in Szene setzt, dass der Eindruck eines „Protests“ entstehen kann.
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Immerhin: Udo Seiwert-Fauti, Senior Europe & Scotland Affairs Correspondent, teilt uns auf Anfrage mit, dass rund 130 Imame in London sich geweigert haben, die Totenfeier für die drei erschossenen Mörder abzuhalten. Damit können diese nicht muslimisch bestattet werden, was ein eindeutiger Protest und eine harte Strafe gegenüber diesen Mördern und deren Familien ist. Der Kollege teilt weiter mit, dass die Stimmung in England gegen Ausländer, insbesondere Muslime, äußerst negativ ist.
Wenn nun vereinzelt Ausländer auf die Straße gehen und sich zu London bekennen, kann das bedeuten, dass sie sich gegen Isis positionieren. Es kann aber auch bedeuten, dass sie sich Sorgen um sich selbst und die ausländerfeindliche Stimmung machen, die auch sie trifft. Auf den Schildern steht nichts von Beileid mit den Opfern und deren Familien, sondern die Aufforderung, sich zur Liebe zu bekennen. An wen diese Botschaft gerichtet ist, ist offen.
Hier die Szene, die das Grüppchen und den Medientross zeigt:
Hier die Szene auf CNN:
Aktualisierung, 07. Juni, 13:21 Uhr:
Die Tagesschau hatte für einen Bericht zunächst auch ein Foto der Demonstranten verwendet, dieses dann aber ohne Erklärung ausgetauscht.
Hier der ursprüngliche Bericht.
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