Rhein-Neckar, 28. September 2018. (red/pro) Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt seit August gegen die Bundespolizei im Fall des aus dem Irak nach Deutschland gebrachten mutmaßlichen Mörders Ali B. (20), der im Mai in Wiesbaden die 14-jährige Susanna F. ermordet haben soll. Die Zuständigkeit liege in Frankfurt, weil das Flugzeug, in dem der Mann zurückgebracht worden war, dort zugelassen und gelandet ist.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt bestätigte auf Anfrage des RNB die Ermittlungen wegen des Tatverdachts der Freiheitsberaubung nach § 239 StGB. Zunächst hatte gestern der SWR dazu berichtet.
Am 08. Juni informierte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Öffentlichkeit gegen 14 Uhr über den Fahndungserfolg. Er lobte die Festnahme und die gute Zusammenarbeit der Behörden. Dies könnte nun zum Politikum werden – sollte tatsächlich eine Freiheitsberaubung vorliegen, ist das eine Straftat, die mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Gegen wen persönlich die Staatsanwaltschaft ermittelt, wollte diese nicht mitteilen. Mutmaßlich sind das der Chef der Bundespolizei, Dr. Dieter Romann sowie alle beteiligten Beamten. Die Bundespolizei untersteht dem Bundesinnenministerium.
In der Nacht vom 22. auf den 23. Mai soll Ali B. die 14-jährige Susanna F. in einem Vorort von Wiesbaden vergewaltigt und ermordet haben. Am 2.-3. Juni reiste er mit seiner achtköpfigen Familie aus Deutschland über Düsseldorf-Istanbul nach Erbil aus. Mutmaßlich, um sich einer Verhaftung zu entziehen.
Legale oder illegale Handlung der Bundespolizei?
Bundespolizeipräsident Dr. Dieter Romann reiste persönlich mit einigen Bundespolizeibeamten in einem privaten Linienflugzeug in den Nordirak. Dort wurde Ali B. von “Sicherheitsbehörden” an die Bundespolizei übergeben. Das Problem: Nach internationalem Recht hat die Bundespolizei außerhalb Deutschlands überhaupt keine Handlungsvollmacht – Beamte sind wie andere auch Zivilisten. Ein Auslieferungsabkommen zwischen Irak und Deutschland existiert nicht. Eine offizielle Abschiebung des irakischen Staatsbürgers nach Deutschland lag nicht vor. Die irakische Zentralregierung hatte wegen des nicht-legitimierten Einsatzes deutscher Beamter auf irakischem Boden protestiert. Angeblich soll Herr Romann eigenverantwortlich gehandelt haben.
Der bekannte Strafverteidiger Maximilian Endler schrieb damals in einem Gastbeitrag für das RNB:
Bemerkenswert und besonders sind aber vor allem die Umstände der Ergreifung und der Rückführung des B. in die Bundesrepublik. Was anfangs wie ein schlauer Coup der Ermittlungsbehörden wirkte, wirft im Nachhinein viele Fragen auf. In welchem Umfang hat sich die Bundespolizei in dieser Sache engagiert? Wenn sie es getan hat, war das im Rahmen des legal Zulässigen? Und vor allem: Geschah es mit Rückendeckung des Bundesinnenministeriums?
Das Rheinneckarblog hatte als eines der ersten Medienangebote die Frage aufgeworfen, ob diese Kommandoaktion rechtmäßig war oder eine illegale Entführung.
Ali B. war als Flüchtling nach Deutschland gekommen – er gab an von der PKK verfolgt zu werden. Sein Asylantrag war abgelehnt worden. Ein Anwalt aus Wiesbaden hatte dagegen geklagt. Nach Polizeiangaben ist der Fall damals noch nicht entschieden gewesen und solange wurde der Aufenthalt von Ali B. geduldet. Dass der mutmaßliche Täter Wochen nach dem Mord mit seiner achtköpfigen Familie durch bar bezahlte Flugtickets Deutschland einfach so verlassen konnte, hatte für große Aufmerksamkeit gesorgt. Auch die Frage, wieso man einen Mörder, der mutmaßlich kein Aufenthaltsrecht hat, zurück nach Deutschland holt und nicht der irakischen Strafverfolgung überlässt.
Später wurde bekannt, dass möglicherweise ein elfjähriges Mädchen durch Ali B. und mögliche Mittäter Wochen vor dem Mord vergewaltigt worden sein soll. Die Leiche der Susanna F., ein Mädchen jüdischen Glaubens, wurde erst Wochen nach der Tat in einem unzugänglichen Gebüsch nahe einer Bahnlinie gefunden. Todesursache soll Gewalteinwirkung gegen den Hals gewesen sein. Ein weiterer, mutmaßlich minderjähriger Flüchtling (14) hatte der Polizei entscheidende Hinweise gegeben und ist danach selbst als mutmaßlich tatverdächtig eingestuft worden.
Ali B. befindet sich in Untersuchungshaft. Bis Anfang Dezember muss die Staatsanwaltschaft Wiesbaden die Anklage erheben. Fraglich ist, ob nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht, denn es ist unklar, ob Ali B. 20 Jahre alt ist oder älter.
Anm. d. Red.: Neben einem Anwalt aus Karlsruhe und anderen hatte auch das RNB Strafanzeige gegen Dr. Dieter Romann gestellt.