Mannheim/Berlin, 28. September 2018. (red/pro) Der Besuch des türkischen Staatspräsidenten Erdogan sorgt für Debatte. Die einen meinen, ein “Aufeinanderzugehen” sei wichtig, andere schließen das aus. Dazwischen wird um den “korrekten” Umgang gerungen. Der Mannheimer Bundestagsabgeordnete Nikolas Löbel positioniert sich eindeutig. Nach seiner Auffassung ist die Türkei unter Erdogan kein Teil der europäischen Wertegemeinschaft. Das ist durchaus problematisch relevant, denn Türken stellen die mit Abstand größte Einwanderergruppe in seinem Wahlkreis Mannheim dar.
Kommentar: Hardy Prothmann
Nikolas Löbel stellt sich gerne als originaler Mannheimer dar. Vun Monnem, für Monnem. Doch welches Mannheim meint er?
Die Mannheimer Bevölkerung hat aktuell einen Migrationshintergrund von gut 43 Prozent. Es wird nur noch wenige Jahre dauern, bis die “zu Monnem” mehr sind als die “vun Monnem”.
Demographisch und demokratisch gesehen wird es also bald mehr “ned ursprünglisch vun Monnem” als “aus Monnem geben”. Welche Schlüsse folgen daraus für Mannheim? Gibt die Mehrheit der nicht “vun Monnem” vor, was Sache ist oder die Minderheit der “aus Monnem”? (Anm. d Red.: Wobei zu berücksichtigen ist, dass die CDU Mannheim immer wieder betont, dass Mannheim als Gesamtstadt eigentlich nicht existiert, sondern aus Stadtteilen besteht, also “vun dä Tschänau”, “aus Seggene” oder “de Neggaschdad”, und so weiter.)
Die Positionierung von Herr Löbel vor dem deutschen Bundestag ist differenziert zu sehen. Es ist richtig, dass er Demokratie, Rechtsstaat und Pressefreiheit in den Vordergrund stellt.
Er darf auch erhebliche Zweifel äußern, ob Staatspräsident Erdogan auch nur für einen dieser Punkte repräsentativ steht oder ein Problem darstellt.
Und die von ihm thematisiere “Denunzierungs-App” ist ein ganz und gar unglaublicher Skandal – für meinen Geschmack hat er diesen viel zu milde behandelt.
Aber: Herr Erdogan ist nicht “die Türken in Deutschland”. Herr Erdogan lebt auch nicht in Deutschland, aber wir Deutschen leben mit Ausländern aus fast 180 Nationen in dieser Stadt zusammen, die größte Gruppe sind Türken oder türkischstämmige. Und viele davon haben über Generationen dazu beigetragen, dass es diesem Land gut geht.
Ich vermisse erheblich einen angemessenen Respekt vor diesen Menschen, die zunächst als “Gastarbeiter” kamen und dann in Deutschland geblieben sind – ob als “Ausländer” oder Menschen, die hier eine neue Heimat gefunden haben, kann, darf und muss man thematisieren. Ohne Zweifel haben diese Menschen aber das deutschen “Bruttosozialprodukt” erheblich mehr vorangebracht, als sie es durch Sozialleistungen belastet hätten.
Ich kann leider aus der Rede des Herrn Löbel nicht erkennen, dass dieser diese Tatsachen vernünftig reflektiert und sich vor Ort den Herausforderungen stellt, die es zweifellos gibt.
Das stelle ich vor dem Hintergrund fest, dass aus redaktioneller Sicht Aufmärsche von nationalen Türken ebenso keinen Platz haben sollten wie Aufmärsche von türkischen Kurden, die beiderseits nur von Hass und Hetze gegeneinander geprägt sind und das deutsche Versammlungsrecht missbrauchen, um hier Proteste auf die Straße zu tragen, für die es hier keine Grundlage gibt.
Ich stelle aber auch fest, dass linksradikale oder linksextremistische Aufmärsche durchaus von gewissen Parteien, Grüne, Die Linke und auch SPD durchaus nicht-nachvollziehbar toleriert werden, während es gegen rechtsextreme eine richtige Null-Toleranz-Haltung gibt.
Gleichzeitig hat Nikolas Löbel recht. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat und zur Pressefreiheit sind wesentlich für demokratische Gesellschaften.
Wenn, wie aktuell passiert, ein muslimischer Kindergarten durch Rechtsextreme bedroht wird, erwarte ich von einem Nikolas Löbel, unabhängig davon, ob er mit einer solchen Einrichtung aus anderen Gründen schon vor vielen Jahren nicht einverstanden war, ein sofortiges Bekenntnis, dass der Rechtsstaat keinerlei solche Bedrohungen duldet. Schon gar nicht gegen Kinder.
Herr Löbel muss sich dazu nicht verhalten. Aber ein Nicht-Verhalten könnte als Egal-Haltung interpretiert werden. Er kann nach wie vor gegen muslimische Kindergärten für muslimische Kinder in Deutschland sein – und dabei die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit ignorieren – aber rechtsradikal anmutende Drohungen sind nicht nur nicht zu ignorieren, sondern erfordern eine sofortige und klare Positionierung.
Herr Löbel weiß darüber, wenn nicht, muss er sein Büro entlassen. Er hat als alleiniger Bundestagsabgeordneter für Mannheim bislang nicht reagiert. Das ist beschämend. Weil die Bedrohung von Kindern, auch muslimischen Glaubens, in Deutschland einfach nicht vorstellbar sein darf. Wer Staatspräsidenten anderer Nationen fordert, soll erst mal vor der eigenen Haustür kehren.
In der Politik kann man sich nicht aussuchen, was einem gerade ins Konzept passt. Verantwortliche Politiker planen nicht nur in die Zukunft, sondern sind jederzeit bereit, sich klar und unmissverständlich zu aktuellen Ereignissen zu positionieren.
Nikolas Löbel – Sie sind gefordert. Auch als Kreisvorsitzender der CDU Mannheim. Im Sinne der Stadtgesellschaft. Gegen Extremisten.
Es ist nicht akzeptabel, dass man sich einerseits als “multikulti” irgendwie inszeniert, große Reden im Bundestag schwingt und kein Wort übrig hat, wenn Kinder in Mannheim indirekt bedroht werden.
Die Türkei und Herr Erdogan mögen aus Sicht von Herrn Löbel – wofür es nachvollziehbare Argumente gibt – kein Teil der europäischen Wertegemeinschaft sein.
Kinder in Mannheim sind unbedingter Teil der Mannheimer Wertegemeinschaft. Sie sind zu schützen, vor allem und jedem. Egal, woher sie stammen und welche Sprache sie sprechen. Kinder sind Kinder, kommen neu in diese Welt und im Idealfall erhalten sie eine ordentliche Werteorientierung, zu der nicht gehört, bedroht zu werden, nur weil sie nicht “deutsch” sind.