Rhein-Neckar/Berlin, 14. Juni 2018. (red/pro) Die von uns als „Kommandoaktion“ bezeichnete Rückholaktion des mutmaßlichen Mörders Ali B. aus dem Nordirak durch die Bundespolizei steht rechtsstaatlich auf sehr wackeligen Füßen – die Verantwortung ist nebulös und ein rechtsstaatliches Handeln zweifelhaft. Deshalb wurden gegen den Bundespolizeipräsidenten Dr. Dieter Romann sowie die beteiligten Beamten Strafanzeigen gestellt. Diese verlaufen womöglich im Sande, wenn es „politische Rückendeckung“ gibt. Wir haben mit dem Experten Elmar Giemulla exklusiv über die rechtlichen Hintergründe gesprochen.
Vorbemerkung: Im Interview erläutert der renommierte Luftfahrtrechtsexperte Prof. Dr. iur. Elmar Giemulla die rechtliche Situation an Bord eines deutschen Flugzeugs im Ausland. Danach hatten die GSG9-Beamten der Bundespolizei an Bord der Maschine, die den des Mordes an Susanna F. Tatverdächtigen Ali B. zurück nach Deutschland brachten, zum Zeitpunkt der Türöffnung und Übergabe des Mannes den Status von „Touristen“ oder auch Privatpersonen – außer, ein zwischenstaatliches Abkommen hat deren Status verbindlich anders geregelt. Doch ein solches Abkommen ist nicht bekannt und fraglich ist auch, ob die kurdischen Autonomiebehörden dafür zuständig sind oder die Zentralregierung des Irak. Damit stellt sich zwingend die Frage nach der rechtsstaatlichen Legitimation des Einsatzes. Das Bundesinnenministerium stellt die „Very Big Raushole“ bislang als Einsatz der Bundespolizei und als „Abschiebung“ eines Irakers durch nicht näher benannte „Sicherheitskräfte“ dar und bestreitet eine Anweisung oder eine Kenntnis der Kommandoaktion. Tatsächlich hätte der Einsatz aber über das Auswärtige Amt oder das Bundesjustizministerium oder beide durch ein zwischenstaatliches Abkommen legitimiert werden müssen, ähnlich wie der Einsatz der GSG9 im somalischen Mogadischu am 18. Oktober 1977.
Interview: Hardy Prothmann
Herr Professor Giemulla, kann man die rechtliche Situation der sogenannte „Abschiebung“ eines Irakers aus dem Nordirak Ihrer Meinung nach einfach beurteilen?
Prof. Dr. Giemulla: Überhaupt nicht.
Was sind die Schwierigkeiten?
Giemulla: Zunächst einmal die uneindeutigen Rechtsbegriffe und die zugrunde liegende tatsächliche rechtliche Situation.
Heißt?
Giemulla: War es eine „Auslieferung“ oder war es eine „Abschiebung“? Und wer hat mit wem was verhandelt? Die Feststellung beispielsweise, es gäbe kein „Auslieferungsabkommen“ mit dem Irak, hat überhaupt keine Bedeutung. Wenn zwei Länder in einem Einzelfall Entsprechendes vereinbaren, dann ist dies ohne jedes Abkommen grundsätzlich auf Basis der jeweiligen Rechtsstaatlichkeiten möglich. Wer hier nun mit wem was wie vereinbart hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Dazu fehlen mir die Informationen.
Die rechtliche Situation eines Flugzeugs hängt vom Status ab
Sie sind Luftfahrtsrechtsexperte. Lassen Sie uns darüber reden. Wer hat die Polizeigewalt an Bord einer Maschine?
Giemulla: Der Luftfahrzeugführer, vulgo der Pilot und sein Stellvertreter. Außer, es befinden sich Beamte mit an Bord, also beispielsweise Bundespolizisten. Die sind dem Kapitän übergeordnet und sprechen sich mit ihm ab, haben im Zweifel aber die Polizeigewalt.
Welches Polizeirecht gilt in einem Flugzeug?
Giemulla: Das des Landes, in dessen Hoheitsgebiet sich das Flugzeug befindet. Außer, es befindet sich in Fahrt, dann wird die Rechtslage über das Tokioter Abkommen von 1964 geregelt, was vereinfacht bedeutet, dass in einem Flugzeug in Fahrt die Hoheitsrechte des Herkunftslands gelten, auch wenn sonst grundsätzlich die Hoheitsrechte des betreffenden Landes gelten, in dessen Gebiet sich das Flugzeug befindet. Man nennt das auch „Bordgewalt“.
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Nach meinen Recherchen ist ein Flugzeug „in Fahrt“, wenn es fliegt und auch am Boden, solange die Türen geschlossen sind.
Giemulla: Richtig.
Wenn aber die Türen geöffnet werden, was gilt dann?
Giemulla: Dann gilt das Polizeirecht des betreffenden Hoheitsgebiets.
Und die Hoheitsrechte des Herkunftslandes gelten im Ausland nicht mehr?
Giemulla: Richtig.
Möglicherweise waren die GSG9-Beamten rechtlich gesehen zeitweise nur „Touristen“
Die an Bord befindlichen Bundespolizisten hatten also solange Polizeigewalt, wie das Flugzeug in Fahrt war, und mit dem Öffnen der Türen auf dem Flugplatz im Nordirak änderte sich ihr Status, sagen wir mal, in Touristen?
Giemulla: Wenn Sie so wollen, waren das dann Touristen, richtig. Auf jeden Fall Privatpersonen, außer, die betreffenden Personen wurden von der zuständigen ausländischen Behörde auf deren Staatsgebiet zu was auch immer ermächtigt. Dafür braucht es entsprechende Abkommen oder sonstige Absprachen, was die betreffenden Staaten untereinander vereinbaren können.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Giemulla: Klar: Mogadischu. Grundlage für den Zugriff der GSG9 auf somalischem Staatsgebiet waren entsprechende Vereinbarungen zwischen Somalia und der Bundesrepublik Deutschland, die die Operation der deutschen Anti-Terror-Einheit auf fremdem Staatsgebiet ermöglicht hat. Die damalige Bundesregierung hat sich das viele Millionen an Geld kosten lassen, natürlich als Entwicklungshilfe deklariert. Ob und welche Deals beim aktuellen Fall vorliegen, ist mir unbekannt.
Vereinbarungen kann man immer treffen – fraglich ist, wer zuständig ist
Nochmal zurück zum Rechtsstatus, weil das Bundesinnenministerium betont, dass die Bundespolizisten irakischen Boden nicht betreten hätten. Spielt das eine Rolle?
Giemulla: Nein. Das ist vollständig unerheblich. Ob die nun im Flugzeug gesessen haben oder sich im Flughafen die Beine vertreten haben, spielt keine Rolle. Hier wie dort waren diese Personen bei geöffneter Tür, wie Sie es nannten, „Touristen“ – außer, es lagen entsprechende andere Vereinbarungen vor. Ob es diese gab und ob die kurdische Autonomiebehörde das vereinbaren kann oder nur der irakische Zentralstaat, kann ich nicht beurteilen, da ich das irakische Recht nicht kenne. Nur soviel: Es ist doch sehr ungewöhnlich, dass ein Land, in diesem Fall der Irak, einen eigenen Bürger ins Ausland „abschiebt“.
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Kann das Bundesinnenministerium solche „Vereinbarungen“ treffen?
Giemulla: Das hängt wohl von der Aufgabenverteilung der Bundesregierung zwischen den Ministerien ab. Typischerweise würde ich bei Auslandssachen das Auswärtige Amt und oder das Bundesjustizministerium als zuständig sehen, aber das ist nur eine grundsätzliche Einschätzung. Im Einzelfall ist das wohl Sache der Bundesregierung.
Kann die Bundespolizei solche „Vereinbarungen“ treffen?
Giemulla: Das kann ich nicht zweifelsfrei beurteilen, würde aber annehmen, dass dies die übergeordnete Behörde zu entscheiden hat. Die Zuständigkeiten der Bundespolizei in einem Luftfahrzeug sind durch Bundespolizeigesetz, Paragraf 4a, geregelt. Danach können diese dort zur „Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Sicherheit und Ordnung“ eingesetzt werden. Sonst hat der Luftfahrzeugführer als „Beliehener“ nach Paragraf 12 Luftsicherheitsgesetz diese Aufgabe, wobei der Einsatz von Schusswaffen ausschließlich Polizeivollzugsbeamten erlaubt ist und ein Luftfahrzeugführer zwar Zwang anwenden kann, aber eingeschränkt.
Die Bordgewalt hat der Luftfahrzeugführer
Wer entscheidet, ob eine Person an Bord kommt oder nicht?
Giemulla: Der Luftfahrzeugführer. Er ist grundsätzlich für die Sicherheit an Bord verantwortlich.
Nochmals zum Verständnis. Mit dem Schließen der Türen und Flugbereitschaft waren die Bundespolizisten wieder im Dienst?
Giemulla: Ja, dann war das Luftfahrzeug in Fahrt.
Zur Person:
Prof. Dr. iur. Elmar Giemulla ist Honorarprofessor für Luftrecht an der TU Berlin sowie außerordentlicher Professor für Luftrecht und Luftsicherheitsrecht an der Embry-Riddle Aeronautical University. Als Experte erstellt er regelmäßig Gutachten zu aktuellen Fragen des Luftverkehrsrechts. Er ist Berater mehrerer osteuropäischer Regierungen bei der Formulierung eines zeitgemäßen Luftverkehrs- und Luftsicherheitsrechts und der Neustrukturierung der Luftfahrtinstitutionen (insbesondere Privatisierung ehemals staatlicher Aufgaben). Zudem ist er Berater von Hinterbliebenen in einer Vielzahl von Luftfahrtkatastrophen (z. B. Lockerbie, BirgenAir, Concorde, Überlingen, Air France 447, MH 17 Ukraine und Germanwings 9525) sowie Vertreter der Internationalen Hinterbliebenenvereinigung ACVFA (Air Crash Victims Family Association) bei der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO).
Hintergrund
In der Eigendarstellung beschreibt die Bundespolizei „Aufgaben im Ausland“ so:
„Gemäß § 8 (2) Bundespolizeigesetz kann die Bundespolizei zur Rettung von Personen im Ausland eingesetzt werden.
Neben dem KSK (Kommando Spezialkräfte) der Bundeswehr kann somit auch die GSG 9 zur Rettung von Menschenleben im Ausland befugt sein. Die jeweiligen Zuständigkeitsgrenzen sind durch die Ministerien klar definiert.
on den Medien spektakulär in Szene gesetzt wurde die Evakuierung der Geiseln aus Ägypten im Jahr 2008. Eine internationale Reisegruppe, in der sich auch fünf deutsche Staatsbürger befanden, wurde in der südlichen Sahara entführt und für mehrere Tage als Geisel gehalten. Die Bundesregierung entschied sich damals, die GSG 9 zu entsenden und für einen Einsatz vor Ort bereitzuhalten. Durch einen glücklichen Umstand konnten die Geiseln entkommen und von der GSG 9 aus der Wüste evakuiert und nach Deutschland zurück gebracht werden.
2009 stellte sich die GSG 9 für eine Schiffsentführung vor Somalia auf dem amerikanischen Hubschrauberträger USS Boxer im Indischen Ozean bereit. Aufgrund unklarer Gefahrenprognosen wurde der Einsatz damals verwehrt und der Verband musste nach Deutschland zurückverlegen.
Darüber hinaus hat die GSG 9 über Jahre Personenschutzaufträge an deutschen Auslandsvertretungen durchgeführt. Einsatzländer waren unter anderem der Irak, Afghanistan, Libyen und Mali.
Ebenso führt die GSG 9 weltweit im Falle von Entführungslagen deutscher Staatsangehöriger im Ausland Beratertätigkeiten durch. Zuletzt war sie im Zuge dessen 2016 auf den Philippinen tätig.“