Rhein-Neckar, 27. Mai 2020. (red/pro) Aktuell tobt der Kampf um die richtige und die falsche Meinung am Beispiel der Coronakrise in bislang kaum gekannter Weise – dabei geht es noch heftiger zu als bei der sogenannten Flüchtlingskrise. Ob Ken Jebsen, Xavier Naidoo oder Attila Hildmann auf der einen oder Georg Restle, Karl Lauterbach oder Christian Drosten auf der anderen Seite – es geht allen um Aufmerksamkeit, teils mit allen Mitteln. Das Problem dabei – es gibt sie nicht, die richtige Meinung. Sondern es gibt viele Meinungen, mit denen kann man sich auseinandersetzen, man muss es aber nicht. Wer behauptet, es gäbe keine Meinungsfreiheit mehr, redet dummes Zeug – was nicht bedeutet, dass frei geäußerte Meinungen massive Folgen haben können.
Von Hardy Prothmann
Xavier Naidoo ist und bleibt ein irrlichternder Geist – meine Meinung. Sein Gebrabbel über geheime Logen, die auf Kinderblut aus sind, ist tatsächlich nur schwer zu ertragen, noch schwerer, dass er das wirklich selbst glaubt und so ergriffen ist, dass im die Tränen kullern vor lauter Verzweiflung. Angeblich lebt er in einem unfreien Land – nutzt dessen Justizsystem aber sehr erfolgreich, um seine Rechte einzuklagen.
Attila Hildmann ist ebenfalls schwer zu ertragen. Das Adoptivkind türkischer Abstammung schimpfte gegen Bundesgesundheitsminister und meinte, keiner wolle eine von Gates bezahlte Zwangsimpfung und einen Überwachungsstaat.
Beide sind aber nichts gegen Ken Jebsen, weil der ehemalige Radiosuperstar sein Handwerk bestens beherrscht und mit seinem Youtubekanal Ken FM eine regelmäßige und riesige Reichweite aufgebaut hat und dem es auch immer wieder gelingt, seriöse Gesprächspartner zu finden, die dann allerdings der Kontaktschuld unterliegen – wer bei Jebsen war, ist für die angeblich seriösen Medien verbrannt.
Auf der anderen Seite stehen Leute wie der Monitorchef Georg Restle, der öffentlich-rechtliche Empörungsobermotz, der wie auch der SPD-“Gesundheitsexperte” Karl Lauterbach immer alles besser weiß. Am besten Bescheid weiß angeblich der Virologe Christian Drosten, der Masken mal als unsinnig bezeichnet, um dann deren Schutzwirkung zu unterstreichen. Der mal sagt, die Schulen und Kitas zu schließen sei nicht nötig, um dann davor zu warnen, diese zu schnell wieder zu öffnen.
Studien widersprechen Studien
Angeblich hat Herr Drosten über eine Studie herausgefunden, dass Kinder echte Virenschleudern sein können, nun haben vier Universitätskliniken im Land ebenfalls in einer Studie angeblich herausgefunden, dass Kinder keine große Rolle bei der Verbreitung von Corona-Infektionen spielen und Ministerpräsident Kretschmann verkündet das freudig.
Ja, was denn nun?, fragt sich da jeder vernünftige Mensch und es ist nachvollziehbar, dass die Unruhe steigt, weil eigentlich nur eine Wahrheit erkennbar ist: Nichts Genaues weiß man nicht. Dann hat man halt eine Meinung, doch was ist das eigentlich? Das Bundesverfassungsgericht beschreibt das in einem Urteil vom 27. August 2019 so:
“Gegenstand des Schutzbereiches des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sind Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen. Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden. Neben Meinungen sind vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG aber auch Tatsachenmitteilungen umfasst, da und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind beziehungsweise sein können. Nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen hingegen bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, da sie zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung nichts beitragen können. Im Einzelfall ist eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile aber nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte.”
Meinungen können alles Mögliche sein – sie bleiben frei
Nochmal ” ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden”. Das Urteil hob übrigens je ein Urteil des Amtsgerichts Tiergarten und des Kammergerichts Berlin gegen einen NPD-Funktionär auf, der wegen Meinungsäußerungen zunächst verurteilt worden war.
Könnte man nun der Auffassung sein, das Bundesverfassungsgericht sei irgendwie auch rechtsradikal, weil es immer wieder Urteile gegen Rechtsradikale aufhebt? Das traut sich bislang keiner. Umgekehrt wurde ich in Weinheim vor einigen Jahren zu einem “Steigbügelhalter” der NPD gebranntmarkt, weil ich eine gezielte Täuschung der Stadtverwaltung gegenüber Gerichten aufgedeckt hatte.
Selektiver Rechtsstaat?
Wollte ich erreichen, dass die NPD ihren Bundesparteitag in der Stadthalle abhalten kann? Nein, ich hatte durch exklusive Recherche einen Missstand aufgedeckt und diesen veröffentlicht. “Es ging doch aber gegen die Nazis von der NPD”, hielt mir damals im Gespräch einer vor. Meine Antwort: “Geht in Ordnung, aber nur mit einwandfreien rechtsstaatlichen Mitteln und nicht illegal.” “Doch, bei denen ist das egal”, war die Antwort. Auch dieses vollständig kaputte Verständnis von Rechtsstaat muss man aushalten, weil solche Meinungen gefestigt sind und für Tatsachen nicht mehr erreichbar.
Man muss aktuell ebenfalls aushalten, dass ein nicht unerheblicher Teil der Menschen der Meinung ist, dass die Maßnahmen wegen der Coronakrise unsinnig oder mindestens überzogen sind. Als Journalist bin ich mit sehr vielen Menschen vernetzt und mein Eindruck ist, dass deutlich mehr dieser Meinung sind, aber sich aktuell noch die deutliche Mehrheit trotzdem an die Verordnungen hält – auch, wenn man am Ende feststellt, dass die eigene Meinung falsch war und die Maßnahmen richtig. Doch was, wenn es sich umgekehrt herausstellen sollte? Was dann?
Selbstverständlich ist die Meinungsfreiheit bedroht – durch Andersmeinende
Und was, wenn man seine wie auch immer geartete Meinung frei äußert? Dann muss man möglicherweise mit Strafanzeigen rechnen oder mit erheblichen persönlichen, sozialen und auch wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
Ich persönlich halte Xavier Naidoo für nicht besonders schlau, was den aber nicht davon abhält, zu meinen, er habe sich schlau gemacht. Herr Naidoo hat mich schon abmahnen lassen und mir mit Prozessen gedroht. Das beeindruckt mich aber nicht in der Beurteilung der aktuellen Lage. Die Boykott-Aufrufe von links, die fordern, dass er “keine Bühne” mehr erhält, halte ich für grundfalsch. Denn sie widersprechen nicht den kruden Thesen von Naidoo, was ok wäre, nein, sie fordern eine persönliche, soziale und wirtschaftliche Ächtung. Wer das macht, ist kein “guter Demokrat”, sondern hat nicht ansatzweise das Grundgesetz verstanden und agiert antidemokratisch. Insbesondere die Grünen, aber auch Teile der SPD zeigen hier immer wieder eine erschreckend böse Fratze.
Das ist ebenso bei Demos immer wieder zu erkennen. Wenn es zu Gegendemos kommt, dann meist aus dem linksgrünen Lager und häufig auch durch demokratiefeindliche Linksradikale – und extremisten der Antifa, der Interventionistischen Linken und wie sie alle heißen.
Weil die eine Demo eben “rechts” ist, traut sich fast niemand sich gegen “links” zu positionieren, weil die halt gegen rechts sind und das ist doch irgendwie gut? Oder nicht?
Rechte und Risiken müssen abgewogen werden
Nein, ist sie nicht. Insbesondere, weil meist von diesen Gruppen ein nicht unerhebliches Gewaltpotenzial ausgeht und deshalb massive Polizeieinsätze notwendig werden. So auch am vergangenen Wochenende, als die AfD in Stuttgart zu einer großen Demo aufrufen wollte, was die Stadt Stuttgart verboten hatte und durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe bestätigt worden war, dann aber durch einen Beschluss des Verwaltungsgerichtshof Mannheim (1 S 1586/20) aufgehoben wurde. Besonders interessant wird es am Ende der Pressemitteilung zur Sache, nachdem die Sachlage geschildert wurde und begründet wurde, warum diese Demo nur mit 100 Personen und anderen Auflagen möglich sei, dann aber stattfinden könne:
“Diese verbleibenden Risiken müssten aber angesichts der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit derzeit hingenommen werden. Andernfalls hätten es zu Rechtsverstößen bereite Personen auf möglicherweise lange Zeit – unter Umständen bis zum Bereitstehen eines Impfstoffes gegen das Coronavirus – in der Hand, durch Ankündigung von rechtswidrigem Verhalten per se rechtmäßige Versammlungen vollständig unmöglich zu machen. Ein solches Ergebnis wäre rechtsstaatlich auf Dauer kaum tragbar. Diese Abwägung zwischen Infektionsgefahren und Versammlungsfreiheit könne in künftigen Einzelfällen auch wieder anders ausfallen, falls sich das Infektionsgeschehen deutlich anders entwickele.”
Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim führt hier völlig richtig aus, dass Grundrechte nicht schrankenlos gelten, sondern es bei gegenläufigen Rechtssituationen immer eine Abwägung in der Sache geben muss.
Meinung gegen Meinung ergibt teils Gefahrenpotenziale
Hier sind jeweils die Ordnungsbehörden der Kommunen gefragt, sehr sensibel zu handeln. Einerseits das Versammlungsrecht zu achten, andererseits aber klare Auflagen zu machen – und diese auch durchzusetzen. Was in Mannheim regelmäßig nicht passiert – wie am 16. Mai 2020, also auf dem Marktplatz rund 400 Menschen “für die Grundrechte” demonstrierten und rund 70 Personen der linksradikalen Szene dagegen demonstrierten.
Die Polizei schützt auch die andere Meinung
Unter den “Grundrecht”-Demonstranten waren eindeutig Hooligans des Waldhofs sowie äußerlich eindeutig als rechtsradikal erkennbare Personen. Etwa 200 Personen waren zunächst anwesend, es kamen dann aber weiter hinzu, auch Passanten, die sich das anschauen wollten. Die Gruppe derer, die “Merkel muss weg” und andere Parolen riefen, waren so 30-40 Personen. Ein Rufer wünschte sich das Kaiserreich zurück. Die andere Hälfte waren “normale” Bürger, eher Mittelalter und älter, viele Frauen, die allesamt mit den Corona-Maßnahmen insgesamt oder in Teilen nicht einverstanden sind.
Das Gewaltpotenzial lag bei der Gegendemo, die versuchten, die andere Demo zu stürmen und massiv aggressiv auftraten.
Beide Demos hielten sich auch nicht im Ansatz an Auflagen, was das Abstandsgebot und die Masken angeht – stimmt nicht ganz, die Linksradikalen waren wie üblich vermummt.
Wer aber hatte nun die Demokratie verteidigt? Ganz einfach – die Polizei. Die sorgte dafür, dass beide Demos stattfinden konnten, ohne dass es zu Gewalt und einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung kam. Auch das stimmt nicht ganz – eigentlich hätte man die “Grundrecht”-Demo abräumen müssen, weil die Verstöße gegen die Auflagen zu krass waren. Und welche Auflagen gelten, entscheiden nicht einzelne Teilnehmer, sondern Behörden und im Zweifel Gerichte – so läuft das im Rechtsstaat, alles andere wäre Anarchie.
Wer meint, dass seine Grundrechte verletzt werden, kann jederzeit klagen. Wer meint, dass Naidoo ein gefährlicher Spinner ist, hat die Möglichkeit, seine Meinung frei zu äußern und möglichst auch zu begründen.
Boykott-Aufrufe sind meist völlig undemokratisch
Wer aber zum Verbot, zum Boykott, zur Ächtung aufruft, der ist kein Demokrat, sondern will jede inhaltliche Debatte beenden und die Meinungs- wie Kunstfreiheit massiv, selektiv und damit willkürlich einschränken oder sogar beenden. Man kann der Meinung sein, dass das bei “gewissen” Leuten oder Organisationen “egal” sei – man kann aber auch nochmals darüber nachdenken und prüfen, ob man nicht einem erheblichen Denkfehler aufsitzt.
Wer umgekehrt, wie die FAZ, Menschen, die eine andere Meinung haben, als “Covidioten” bezeichnet, sollte auch nochmals nachsitzen. Interessanterweise positionierte sich die Medienlandschaft anfangs stark gegen solche Demonstrationen und ruderte dann schnell zurück – offenbar hat man auch dort erkannt, dass nicht alles Aluhüte, Esoteriker und Verschwörungstheoretiker sind, die sich in ihren Rechten eingeschränkt sehen und dagegen aufbegehren.
Meine Meinung
Meine persönliche Meinung dazu teile ich natürlich auch gerne mit. Ich bin der Auffassung, nach meinen Recherchen und den mir vorliegenden Tatsachen, dass sowohl die Bundesregierung als auch die Länder völlig unzureichend auf eine pandemische Lage, wie aktuell durch das Corona-Virus gegeben, vorbereitet waren – obwohl sie es hätten besser wissen können. Spätestens Ende 2012 lag ein entsprechendes Szenario “Modus-SARS” des Robert-Koch-Instituts Berlin vor.
Auch die Bevölkerung war und ist unzureichend vorbereitet, weil alle Arten von Gefahren, ob Pandemie oder Terroranschläge viel zu wenig debattiert und bewusst gemacht wird, wie man damit vernünftig umgeht. Stattdessen empfinden viele Menschen heute Angst oder gar Panik – verantwortlich dafür sind die, die die politischen Entscheidungen getroffen haben.
Weiter bin ich der Auffassung, dass viel zu spät reagiert wurde. Auch das kann man wie – Taiwan beispielsweise hatte umgehend reagiert und hatte einen sehr gut funktionierenden Krisenplan.
Zudem teile ich die Kritik am Lockdown. Dieser hätte nicht in diesem Umfang stattfinden müssen, sondern die Maßnahmen hätten differenziert zur Anwendung kommen müssen – das ist übrigens der Zustand, der jetzt eintreten soll.
Weiter halte ich für fatal, dass überwiegend der Eindruck vermittelt wird, dass die Sache nun langsam vorbei sei. Das ist nach meiner Meinung nicht der Fall. Unklar ist, ob es eine zweite oder weitere Wellen von Infektionen geben wird. Mit Sicherheit wird es aber einzelne Hotspots immer wieder geben, wie die aktuellen Fälle in einem Restaurant in Niedersachsen und einem Gottesdienst in Hessen aufgezeigt haben.
Wie lange wir mit immer neuen Infektionen leben müssen, ist völlig unklar. Das kann Jahre dauern und ich kann noch nicht erkennen, dass die politischen Entscheider in den vergangenen drei Monaten auch nur ansatzweise einen Plan hätten, wie man auf Jahre hinaus damit umgeht. Kleines Beispiel gefällig: Der Reiseverkehr soll in einigen Wochen wieder möglich sein – allerdings wollen viele Länder keine Schweden einreisen lassen.
Es geht dabei explizit nicht um Schweden, das wäre das falsche Verständnis. Es geht darum, dass man im eigenen Land vielleicht weniger Infizierte und Tote hat und sich damit “erfolgreich” fühlt – was aber, wenn das in anderen Ländern nicht der Fall ist? Was bedeutet dann der Erfolg, wenn man Handelsbeziehungen und Personenverkehr mit diesen Ländern einstellt oder stark reglementiert? Was bedeutet das für supranationale Organisationen wie beispielsweise die EU?
Was insgesamt eine mittlere Katastrophe ist, ist die völlig unzureichende Kommunikation der Regierenden. Klar gab es Pressekonferenzen, klar gab es Presseinformationen – aber mit teils so widersprüchlichen Aussagen, dass viele daran verzweifeln, weil sie nicht wissen, ob man aufrichtig mit ihnen umgeht oder sie anlügt oder nur eigene Unzulänglichkeiten vertuschen möchte.
Weiter bin ich der Meinung, dass “die Medien” sich ebenfalls mal an einen Tisch setzen sollten, um zu prüfen, ob ihre Berichterstattung tatsächlich so “seriös” ist, wie viele immer vorgeben oder nicht doch mindestens in Teilen falsch oder tendenziös? Es wäre sehr erstaunlich, wenn Journalisten allgemein unfehlbar wären und nur Fehler bei anderen aufdecken müssten – auch dazu fehlt eine grundsätzliche Debatte.
Bevormundung ist nämlich für viele Menschen schwer zu ertragen und das ist nachvollziehbar. Es ist aber auch schwer zu ertragen, wenn man erkennen muss, wie viele Menschen ihre Rechte einfordern, aber wenig über den Rechtsstaat wissen und gleichzeitig anderen Rechte absprechen wollen.