Weinheim/Rhein-Neckar, 21. November 2015. (red/ms) Radikaler Kurswechsel bei der NPD: Auf dem Bundesparteitag in Weinheim setzen die Rechtsradikalen nicht mehr auf puren Fremdenhass, sondern wollen jetzt sympathisch und kumpelhaft rüberkommen. Eigentlich ist man ja gar nicht rassistisch. Aber… Rhetorisch lässt sich die Partei kaum noch von CDU und AfD unterscheiden – und das macht sie umso gefährlicher: Unter dem Deckmantel des seriösen Pragmatismus ist Rechtsradikalität auf dem Weg, salonfähig zu werden.
Von Minh Schredle
Die Lichter werden gedimmt, die Gespräche verstummen, dann spielt das Video ab: Nur die Farbe rot wird herausgehoben, ansonsten ist alles schwarz-weiß. Extreme Kontraste, dazu läuft Elektromusik, untermalt von Streichern. Ein Mann joggt durch weitläufige Natur, macht schließlich inmitten eines Waldes halt und beginnt, von seinem Leben und von seiner Weltsicht zu erzählen:
Friede und Freiheit – dafür stehe ich.
Es spricht der Saarländer Frank Franz, der Vorsitzende der NPD Deutschland. Sein Image-Filmchen lässt sich von der Machart kaum von einem Werbevideo der etablierten Parteien unterscheiden. Ein radikaler Stilbruch: Die NPD macht jetzt auf kumpelhafte Partei der Mitte. Man will wählbar werden – und versucht aus allen Lagern Stimmen abzugreifen. Anscheinend sogar dem linksextremen.
Weg vom Image der rohen Radikalität, hin zum Anschein der Seriösität – diese Linie verfolgt die NPD spätestens seit dem Bundesparteitag 2014 konsequent. 2015 präsentiert Parteivorsitzender Franz die NPD als fürchterlich missverstanden und von der Lügenpresse ganz falsch dargestellt:
Wir sind keine „normale Partei“ – wir sind die einzige Partei der Normalität. Wir sind die letzte verbliebene Bastion, die noch für das Wohl des Deutschen Volkes kämpft,
sagt Parteivorsitzender Franz und die 144 Delegierten in der Stadthalle Weinheim applaudieren frenetisch. Eigentlich seien NPD-ler nämlich gar nicht rassistisch. Eigentlich habe man gar nichts gegen Flüchtlinge. Eigentlich stehe man für humanistische Werte.
CDU-, AfD- oder NPD-Sprech?
Die NPD hat offensichtlich in der Asyldebatte ihren Schafspelz gefunden: Große Anteile der Bevölkerung befürchten eine Überforderung des Sozialstaats. Das missbrauchen insbesondere Populisten von CDU, CSU, AfD und natürlich NPD für Stimmungsmache und Bauernfängerei. Rhetorisch und auch inhaltlich lassen sich die Forderungen verschiedener Vertreter oft kaum mehr außereinander halten:
Echten Flüchtlingen müssen wir aufnehmen und ihnen zeitlich befristeten Schutz gewähren. Aber wir sind nicht das Sozialamt der Welt und können nicht Millionen von Sozialtouristen bei uns aufnehmen.
Diese Sätze hätte so auch ein Thomas de Maziére sagen können. Tatsächlich sagte sie Frank Franz. Die NPD-Delegierten applaudieren eher zögerlich. Dann sagt Franz:
Wer hält denn bitte noch einen Sigmar Gabriel für authentisch, dem in Flüchtlingslagern Tränen über die Wange kullern, aber der gleichzeitig nichts gegen Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und andere Staaten, die den IS aufbauen, unternimmt?
Das klatschen wird deutlich lauter. Einige trommeln auf die Tische. Herr Franz macht eine kurze Pause.
Dann redet er davon, dass keine Gutmenschen-Partei wirklich die Hauptursache der Krise angehen wolle – dafür müsse man nämlich zuerst das „missratene Kind Europas“ loswerden – den „Terrorstaat“ USA:
Mit Menschen wie Obama, dem Chef dieser Völkermordzentrale, wollen wir nichts zu tun haben. Wir sehen in ihm weder Freund noch Verbündeten.
Jetzt jubelt der ganze Saal regelrecht entzückt. Einige Delegierte springen sogar von ihren Plätzen auf und ein Beleibterer klatscht in die Hände und grölt: „Genau so sieht es doch aus. Endlich sagt mal jemand, wie es wirklich ist“. Aus diesem Grund könne man laut Franz auch nicht mit der AfD zusammenarbeiten:
Die AfD ist einfach zu westgebunden, pro-USA und noch nicht systemkritisch genug. Deswegen kommt eine Zusammenarbeit aus Sicht der NPD nicht infrage. Wir wollen raus aus der NATO und die Beziehungen mit Russland ausbauen.
Will sich die NPD auch Stimmen von Hardcore-Linken abgreifen? Unabhängig davon, ist das das neue Steckenpferd der NPD: Man gibt sich nicht mehr offen rassistisch, sondern „systemkritisch“ – oder zumindest dem, was verwirrte Verschwörungstheoretiker und verwirrte Sänger unter diesem doch sehr dehnbaren Begriff verstehen. Beispielsweise vertritt auch die NPD-Führungsebene die Ansicht, dass Deutschland seit 1945 gar kein souveräner Staat ist. Man sehnt sich ein – Wortlaut von Bundesvorstand Ronny Zasowk – „echtes Deutsches Reich“ zurück.
Endlich eine „echte Festung“ schaffen
Ronny Zasowk, Diplom-Politologe und ein laufendes Paradebeispiel für die Scheinheiligkeit der Rechtsextremisten. Das wird besonders deutlich, wenn er über die „heimliche Invasion“ spricht, die Europa erlebt:
Die Asylflut ist das trojanische Pferd des islamistischen Terrorismus.
Dafür hat Zasowk eine einfache Gleichung: „Trifft der Islam auf Gutgläubigkeit, ergibt das Gefahr.“ Man dürfe nach den Anschlägen auf Paris keine Muslime mehr ins Land einreisen lassen, ohne ihre Identität eindeutig ermittelt zu haben.
Auch deswegen fordere die NPD, alle Grenzen dicht zu machen, damit Europa „endlich eine echte Festung“ werden können. Abschottung wird ganz groß geschrieben in den Reihen der Rechtsradikalen – auch der Globalisierung steht man sehr kritisch gegenüber, weil durch sie ein Verlust der deutschen Identität drohe.
Radikal bleibt radikal – egal in welchem Gewand
Bundesvorsitzender Frank Franz antwortet ausweichend, aber eindeutig auf die Frage, ob man Landesgrenzen mit einem Schießbefehl sichern sollte:
Unsere Polizei ist gut ausgebildet. Die Beamten wissen, wann jemand etwas Illegales tut und wann sie schießen dürfen, um Straftaten zu verhindern.
Frank Franz verkauft Positionen wie diese als ganz normal und völlig legitim. Nichts, wofür man sich schämen müsse – im Gegenteil eher „Mut“, auf den man „stolz“ sein solle. Tatsächlich ist die Forderung genau so radikal wie frühere Positionen der NPD und wird nicht „humanistischer“ dadurch, dass sie jetzt in den Deckmantel der Seriösität gekleidet ist – sie wird dadurch nur noch gefährlicher.
Beträchtliche Teile der Bevölkerung dürften sich mit den neuen Forderungen der NPD identifizieren können. Nach der Eigendarstellung im Parteiprogramm ist die Neonazi-Partei nur ein kleines Stück rechts der CDU und vielleicht sogar ein bisschen links der AfD. Nur an den Wortbeiträgen einiger Delegierter wird klar, dass die NPD im Kern immer noch die menschenverachtende und ausländerfeindliche Partei ist, als die sie sich vor wenigen Jahren noch präsentiert hat.
Auch aus diesem Grund sollte der Parteivorsitzende Frank Franz ganz genau im Auge behalten werden – er verkörpert wie kaum ein anderer die „seriöse Radikalität“: eher unscheinbar, ruhig und leise. Immer in Anzug und Krawatte. Ein gepflegtes Äußeres, messerscharfe Rhetorik. Ein Meister der Manipulation. Sein Ziel:
Die Leute müssen sagen können: Die NPD ist sympathisch, was die sagen ist richtig – also wähle ich sie.
Und mit seinem Kurs findet er zunehmend Unterstützer in den eigenen Reihen. In den Wahlkampagnen orientieren sich die Neonazis immer stärker an CDU, SPD und Grünen. Die Poster und Plakate sind bunt, zeigen viel Natur, keine aggressiven Farben mehr. Strahlende blonde Mädchen mit leuchtenden blauen Augen. Hat alles etwas Einlullendes.
Die Strategie zeigt erste Erfolge: Das NPD-Propaganda-Blatt „Deutsche Stimme“ habe laut Franz 14 Prozent mehr Abonennten als noch im Vorjahr und erreiche nun eine Auflage von bis zu 20.000 Exemplaren. Außerdem könne man für 2015 einen Mitglieder-Zuwachs von bis zu 10 Prozent verbuchen.
Auch der NPD-Sender „ds.tv“ verbreitet effektiv die rechte Propaganda: Ein paar dieser extrem manipulativen und einseitigen Videos wurden mehr als 200.000 Mal abgerufen. Darüber würden sich andere Parteien – auch etablierte – glücklich zeigen.
Weinheim wird die NPD so schnell nicht wieder los
Zudem gelingt die Selbstsuggestion: Einige Delegierte gefallen sich selbst ganz hervorragend in der Rolle des verleumdeten Märtyrers – so auch Jan Jaeschke, Vorsitzender der NPD Rhein-Neckar. Er hat eine Botschaft für seine Heimatstadt Weinheim:
Wir erleben hier in Weinheim, wie Demokratie nicht funktioniert. Da draußen lauern rote Horden, die mit aller Kraft versuchen wollen, die freie Meinungsäußerung zu unterdrücken. Doch dort, wo die Freiheit am stärksten unterdrückt wird, müssen wir sie am entschiedensten verteidigen. Deswegen ist es nur folgerichtig, dass wir hier in Weinheim wieder und wieder Flagge zeigen werden.
Für 2016 hat die NPD die Stadthalle schon wieder angefragt. Wann wohl die Anfrage für 2017 bei der Stadtverwaltung eingehen wird? Die Protestaktionen waren auch dieses Jahr überschaubar bis beschämend: Ein Kulturfest, auf das nicht einmal die Hälfte der erwarteten Gäste kommt, und ein paar Linksradikale, die mit ihrem Protest zwar keine Nazis bekehrt, aber dafür ein paar Polizisten verletzt haben…
Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) sagt, er könne sich weitere NPD-Bundesparteitage in Weinheim nur schwer vorstellen und hofft, dass die Partei bald verboten wird. Peter Richter, der die NPD im Verbotsverfahren vertritt, hält das für unwahrscheinlich:
Ein Urteil ist momentan nicht absehbar. 2016 wird also höchstwahrscheinlich noch nichts entschieden. Außer das Verfahren wird eingestellt, weil es als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen wird.
Bevor es aber überhaupt erst zu einer Verhandlung kommen könne, müsse der Bundestag nachweisen, dass sich keine V-Leute in Führungspositionen bei der NPD befinden. Das sei allerdings noch nicht geschehen. Selbst wenn es V-Leute in Führungspositionen geben sollte, sagt Frank Franz, sehe er dem gelassen entgegen – man tue ja schließlich nichts Verbotenes
Was hat jetzt was gebracht?
Mit der neuen Außendarstellung könnte die NPD für wesentlich größere Probleme als bisher sorgen: Bislang spielte die Partei politisch betrachtet kaum eine Rolle. Doch die Hetze ist subtiler geworden. Schwieriger von dem zu unterscheiden, was andere Parteien für ihren Populismus missbrauchen. Paris ist nur ein Beispiel unter vielen – die Botschaft der Rechten sind dagegen immer gleich, wenn auch unterschiedlich radikal ausgedrückt: Passt bloß auf vor dem Fremden, es bringt Gefahr! Sperrt es am besten aus, schottet euch ab und das Problem ist gelöst.
Diese Xenophobie, die in großen Teilen der Bevölkerung verbreitet ist, hat nicht erst die NPD geschaffen – sie ist schon immer fester Bestandteil unserer Gesellschaft gewesen. Und sie wird auch nicht wegen elf Stunden bunter Kultur verschwinden. Sie wird auch nicht besiegt, weil ein paar vermummte Gestalten auf Aufmärschen in Trillerpfeifen pusten, eine Menge Rauch produzieren und Polizisten angreifen. Im Gegenteil: Diese Form des chaotischen Protests ist eine Steilvorlage für Rechtsradikale, sich selbst als Opfer zu inszenieren, die von den „wahren Feinden der Demokratie“ in ihrer freien Meinungsäußerung unterdrückt werden.
Für eine Welt ohne Fremdenfeindlichkeit reicht es nicht, einen offensichtlichen Sündenbock zu suchen und die NPD für geistige Brandstiftung verantwortlich zu machen. Wenn der Oberbürgermeister, CDU, SPD, Grüne, Freie Wähler, die Linke und FDP ihr buntes Weinheim wirklich so wichtig ist, wie die meisten von ihnen gerne medienwirksam betonen, müssen sie die eigenen Ideale konsequenter vorleben und zwar nicht nur dann, wenn die Chance besteht, sich als „aufrechter Demokrat“ zu inszenieren. Keine Arbeit für’s Image, sondern mit der ernsthaften Absicht, aufzuklären – so hat man eine Chance, effektiv etwas Handfestes gegen menschenverachtende Ideologien zu unternehmen und seinen Beitrag für eine weltoffene und tolerante Gesellschaft zu leisten.