Ludwigshafen, 14. Dezember 2015. (red/ms) Veranstaltungen der AfD im Umkreis locken regelmäßig überdurchschnittliche Besucherzahlen an. Meist geht es emotional zu – so auch vergangenen Freitag in Ludwigshafen, als Uwe Junge, Spitzenkandidat in Rheinland-Pfalz, das Parteiprogramm für die anstehenden Landtagswahlen vorstellte. Herr Junge wettert gegen Propaganda und bekämpft sie – mit Propaganda. Die AfD will sich nicht mehr in die Ecke von Nationalisten gedrängt sehen. Vielleicht müssen ihre Vertreter dafür ein bisschen am Sprachgebrauch feilen und ihre Anhänger besser aufpassen, was sie bejubeln.
Von Minh Schredle
Er sieht sich selbst und seine Partei im Zentrum einer Hetzkampagne – teils scheint die Kritik angemessen, teils vollständig überdramatisiert.
Uwe Junge, Parteivorsitzender und Spitzenkandidat der AfD Rheinland-Pfalz, warnt vor Manipulation – und manipuliert selbst. Er fühlt sich diffamiert und diffamiert darum munter drauf los. Er fordert Sachlichkeit und spielt mit Emotionen. In Ludwigshafen stellte er vergangenen Freitag das Programm für die Landtagswahlen 2016 vor. Rund 50 Gäste lauschen gespannt und hängen begeistert an seinen Lippen.
„Wir wollen nicht mit den Spinnern…“
Die AfD, das sei „ja viel mehr als nur Asyl“, oder „nur Eurokritik“, auch wenn „die Medien“ die Partei immer gerne auf ein Thema reduzieren wollten. Die AfD sei die Partei, die sich „deutlicher als alle anderen Parteien zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands“ bekenne. Die AfD sei die Partei, die mit ihren Forderungen die politischen Debatten in Deutschland dominiere. Herr Junge wird ernst:
Sind hier irgendwelche Nazis da? Nazis raus! Wollen wir hier nicht. Wir wollen nicht mit den Spinnern von der NPD oder Pegida in Verbindung gebracht werden. Wir sind keine Nationalisten! Wir sind keine Faschisten! Wir sind die Partei der Vernunft.
Tosender Applaus im Publikum. Man habe wiederholt versucht, ihn zu diffamieren, sagt Herr Junge. Man habe ihn als „Nazi in Nadelstreifenanzug“ bezeichnet. Das sei er aber nicht, betont er und zeigt demonstrativ auf sein kariertes Jacket:
Allmählich verliert die Propaganda ihre Wirksamkeit, weil sie nicht mehr glaubwürdig ist. Das Volk merkt, wie es verraten wird.
„Ideologisierte Fehlentwicklung“
Die „Altparteien“ würden ihre „Allmacht“ noch weiter ausbauen wollen und der Bürgerschaft die „Souveränität“ wegnehmen. Daher sei er sehr stolz auf das Parteiprogramm der AfD Rheinland-Pfalz, da dieses als wichtigsten Punkt nicht die Flüchtlingskrise aufführt, sondern die Stärkung der direkten Demokratie. Dadurch hätten einige „ideologisierte Fehlentwicklung“ von vornherein verhindert werden können:
Um nur einige Perlen zu nennen: Die Aufgabe der eigenen Souveränität, der Euro, der überhastete Ausstieg aus der Kernenergie, die Aussetzung der Wehrpflicht und damit de facto die Aufgabe der Verteidigungsfähigkeit des Landes und zuletzt: der emotionale Willkommensruf an alle Völker dieser Welt.
Vollmundige Rede über mundtot gemachte AfD
Diese „von medialen Helfern begleiteten, propagandistischen Schnellschüsse“ hätte er lieber direkt vom „deutschen Volk“ abstimmen lassen. Nicht bei jeder Kleinigkeit brauche es Bürgerentscheide – aber bei „richtungsweisenden Entscheidungen“. Stattdessen würde aber „jeder, der auch nur ansatzweise eine differenzierte Meinung hat, ausgegrenzt, verschwiegen, für dumm erklärt und als Nazi diffamiert“:
Andersdenkende werden mundtot gemacht. Die DDR lässt grüßen! Das sind die Methoden eines totalitären Staats.
Die Worte „Gleichschaltung“, „Systemmedien“ und „Lügenpresse“ vermeidet Herr Junge – die Aussagen gehen inhaltlich aber eindeutig in diese Richtung. So lese er etwa in der „Rheinpfalz“ kaum noch „unverfälschte“ Artikel – die Zeitung wolle ihn „belehren“, „manipulieren“ und „bevormunden“. Vielleicht wären „die harmoniebedürftigen Wohlstandsbürger satt und träge“ geworden – er wolle aber noch selbst denken dürfen. Daher hoffe er darauf, dass es noch ein paar Kritiker gebe, die als „einzig wählbare, bürgerlich-konservative Alternative natürlich die AfD erkennen würden“.

In gemütlicher Stammtisch-Atmosphäre folgen rund 50 Gäste gebannt den Worten von Herrn Junge. Viel Zustimmung zu fast allen Aussagen.
Vater, Mutter, Kinder in „sozialistischen Verwahranstalten“
Er sei sehr stolz auf das Parteiprogramm, betont Herr Junge. Schon seit 2014 arbeite man daran, es sei überwiegend auf sechs großen Konferenzen entstanden. Neben mehr direkter Demokratie, die durch eine Absenkung der für Volksentscheide nötigen Quoren erreicht werden soll, steht die „Stärkung der Familie“ im Vordergrund:
Mit Familie meine ich übrigens ein klares Leitbild: Vater, Mutter und Kinder. Das heißt nicht, dass alle anderen Lebensformen verboten gehören – sollen die Homosexuellen doch machen, was sie wollen. Aber ich will das nicht auch noch fördern.
Großer Beifall. Kindertagesstätten seien laut Herrn Junge „sozialistische Verwahranstalten“ und „Orte der Indoktrination“. Die Familie allein müsse und dürfe vermitteln, „was richtig und was falsch ist“.
Die Leistungsgesellschaft sei laut Herrn Junge eine absolute Voraussetzung für „unseren Wohlstand“. Daher wäre „Vollbeschäftigung unter der AfD Pflicht“ – was damit nun konkret gemeint sein soll und wie er das umsetzen will, lässt Herr Junge offen.
Verplichtung zur Vollbeschäftigung?
Nur soll außerhalb eines totalitären Staats ein Volk zur Vollbeschäftigung verpflichtet werden? Und wie wäre das mit dem Grundgesetz vereinbar, auf das man sich ja angeblich beruft, wie keine zweite Partei? Offene Frage, die Herr Junge sich nicht stellt.
Schließlich kommt Herr Junge auf die innere Sicherheit zu sprechen. Er selbst habe mehr als drei Jahrzehnte für die „deutsche Armee“ gedient, sagt Herr Junge stolz. In dem Zusammenhang sei er auch mehrfach in Afghanistan gewesen – und habe dort „den Islam“ kennengelernt:
Der Islam ist keine Religion des Friedens. Er wendet sich gegen alles, was unsere Werte ausmacht. Er ist mit unserer weltoffenen Gesellschaft komplett inkompatibel. Er befürwortet Gewalt und verhindert Toleranz und Gleichberechtigung.
Wieder frenetischer Beifall – der lauteste des Abends. Dass „der Islam“ nun gar nicht der Islam ist, sondern Sunniten und Shiiten, Hanafiten, Malikiten, Hanbaliten, Schafiiten,Wahhabiten und Imamiten, Ismailiten, Zaiditenoder, Aleviten, Bektaschi sowie Nusairier und noch etliche andere Glaubenströmungen teils fundamental in ihren Positionen und Koranauslegungen von einander abweichen, erwähnt Herr Junge dagegen nicht. Dass etwa das Alevitentum in fast allen Grundsätzen deutlich liberaler als beispielsweise die katholische Kirche ist, wird ebenfalls unterschlagen. Dafür will Herr Junge aber wissen:
Solange die Muslime in einer Minderheit sind, geben sie sich tolerant. Aber wehe, die sind in der Mehrheit…
Differenziert wird bei dieser Aussage kein bisschen. Das Publikum applaudiert, wenn Herr Junge zum „kritischen Denken“ aufruft und es applaudiert noch lauter, wenn „der Muslim“ unter Generalverdacht gestellt wird.
Der Übergang zum nächsten Punkt ist fließend: Die innere Sicherheit des Landes sei „hochgradig bedroht“, so Herr Junge:
Durch den unkontrollierten Import von Flüchtlingen holen wir uns arabischen Antisemitismus und potenzielle Terroristen ins Land.
„Willkommenskultur“ sei für ihn daher schon jetzt „das Unwort des Jahrzehnts“. Nur wenig später fügt er hinzu: „Hetzreden gegen die Schwächsten sind erbärmlich. Meinungsmache auf dem Rücken der Flüchtlinge – das geht gar nicht.“ Wieder applaudiert das Publikum – offenbar unfähig, die fortwährenden „hochgradig bedrohlichen Widersprüche“ zu erkennen.
Wo lesen Sie unabhängige, inhaltliche Kritik über Parteien?
Viele Medien haben sich dazu entschieden, nicht über Veranstaltungen der AfD auf lokaler Ebene zu berichten. Das hält unsere Redaktion für den vollständig falschen Ansatz.
Mit meist deutlich überdurchschnittlich mehr Besuchern als bei anderen Parteien haben die Veranstaltungen eine gesellschaftliche Relevanz, die sich nicht leugnen lässt. Nach den Redebeiträgen gibt es regelmäßig Standing Ovations und tosenden Beifall – so viel Begeisterung ist eher selten bei politischen Vorträgen.
Eine Demokratie muss auch unliebsame Positionen aushalten – und sie auf sachlicher Ebene entkräften. Oft wird von AfD-Vertretern vollkommen gerechtfertigte Kritik geübt – manchmal wird sie allerdings mit so viel Unschärfe, Polemik und gelegentlich auch Paranoia vermischt, dass sie nicht unkommentiert stehen gelassen werden kann. Wir sehen es in der Redaktion als unsere Aufgabe, einzuordnen. Herr Junge mag das gerne als „Manipulation“ oder mindestens „Bevormundung“ bezeichnen – es herrscht Meinungsfreiheit und dazu machen wir unser Angebot.
Herr Junge war übrigens vor seinem Eintritt in die AfD Mitglied in der Partei „Die Freiheit“, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch und islamfeindlich eingeschätzt wird – allerdings nur vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz, das nach einem Bericht von Die Welt die dortige Landespartei seit März 2013 beobachtet.
Nach Berichten des SWRs gibt es in der AfD eigentlich einen Unvereinbarkeitsbeschluss, der unmöglich machen soll, dass Menschen AfD-Mitglieder werden, die Mitglied in einer Vereinigung sind oder waren, die der Verfassungsschutz beobachtet. Somit dürfte Herr Junge eigentlich gar kein AfD-Mitglied sein. Jetzt tritt er als Spitzenkandidat für Rheinland-Pfalz an – verwunderlich, dass darin niemand der Anwesenden ein „Problem“ erkennt.
Aktualisierung: Nach Darstellung des AfD-Kreisverbands Neuwied enthält der Bericht des SWRs verschiedene Falschinformationen. Zu Herrn Junges Mitgliedschaft in „die Freiheit“ wird dort wie folgt Stellung genommen: „Im April 2013 ist Uwe Junge der AfD beigetreten und hat das ordnungsgemäß in seinem Mitgliedsantrag bei der AfD angegeben. Das war lange, bevor der bayerische Verfassungsschutz den bayerischen Landesverband der Partei die Freiheit als extremistisch erachtete, was im April 2013 geschah. Im Oktober 2013 sprach die damalige Bundesspitze aus diesem Grund eine Empfehlung aus, Personen, die die „Freiheit“ nach dem April 2013 verlassen haben, nicht in die AfD aufzunehmen. Ein formaler Unvereinbarkeitsbeschluss wurde nicht gefällt! Für Personen, die die „Freiheit“ davor verlassen hatten, wurde eine Einzelfallprüfung empfohlen. Uwe Junge hat sich seit seiner Aufnahme in die AfD stets als hoch integres Parteimitglied erwiesen, das fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Landes und der Satzungen der AfD steht.“
Dort wird außerdem aufgeführt, dass Junge schon 2011 aus „die Freiheit“ ausgetreten sei. Also zwei Jahre bevor die Partei vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft worden ist. Die islamfeindlichen Tendenzen waren dort allerdings von Anfang an zu beobachten – und diese spiegeln sich nach Auffassung der Redaktion auch heute noch in Aussagen von Herrn Junge wider. „Die Freiheit“ bezeichnet sich in der Eigendarstellung als „wertkonservativ“ und „bürgerlich-liberal“, nach der Gründungsphase hat sich die Partei zunehmend radikalisiert.
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