Mannheim/Heidelberg/Rhein-Neckar, 27. November 2015. (red/hmb) Für 2016 wird die Zahl der minderjährigen, unbegleiteten Ausländer (UMA) in Baden-Württemberg auf bis zu 10.000 junge Menschen geschätzt. Sie dürfen nicht in Landeserstaufnahmeeinrichtungen und vorläufige Unterbringung gesteckt werden – sie müssen in die Obhut des Staates und werden den Gemeinden zugewiesen. Die besonderen Bedürfnisse der Minderjährigen erzeugen besondere Kosten: Rund 5.000 Euro kostet die Betreuung eines Jugendlichen. Pro Monat.
Von Hannah-Marie Beck
Zahlreiche Menschen verlassen ihre Heimatländer – unter ihnen auch viele Kinder und Jugendliche: Sie kommen aus Syrien und aus Afghanistan. Aus Somalia, Gambia, Eritrea, dem Irak und vielen weiteren Ländern. Sie fliehen vor Krieg. Sie suchen nach einem friedlichen Leben. Sie erhoffen sich bessere Zukunftsperspektiven.
50 Prozent aller Flüchtlinge weltweit sind, nach Angaben der Diakonie, jünger als 18 Jahre. Rund fünf Prozent seien unbegleitete Minderjährige. Das heißt, sie fliehen ohne Verwandte. Größtenteils sind es Jugendliche im Alter zwischen 15 und 18 Jahren – aber vereinzelt auch 14-, 12- oder 10-jährige Kinder. Was diese auf ihrer Flucht durchlitten haben, kann man sich kaum vorstellen.
Viele berichten nicht über das, was sie auf der Flucht erlebt haben und wie sie sich ohne ausreichendes Geld für die Schleuser doch durchgeschlagen haben. Es müssen furchtbare Erlebnisse gewesen sein,
meint Achim Fischer, Pressesprecher der Stadt Heidelberg.
Flüchtlingskinder
Was muss Eltern dazu bewegen, ihre Kinder alleine loszuschicken – in ein vollkommen fremdes Land, ohne Gewissheit, dass sie je sicher ankommen werden? Manche Familien sparen jahrelang, um ihren Kindern ein besseres und sichereres Leben ermöglichen zu können. Andere Jugendliche verlieren ihre Eltern vor oder auf der Flucht.
Häufig steckt wohl auch der Gedanke dahinter, dass später ein Familiennachzug stattfindet und die Kinder nach ihrer Ankunft ihre Eltern nachholen. Wenn sie anerkannte Flüchtlinge sind, ist das durchaus möglich. Wenn. Nicht jeder unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) erhält umgehend Asyl (Anm. d. Red.: Die UMA hießen bis vor kurzem noch UMF, unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge). Manche leben daher in dauerhafter Angst vor der Abschiebung. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr sind die Kinder und Jugendlichen davon zwar ausgeschlossen, aber spätestens mit dem Erreichen der Volljährigkeit müssen sie einen Asylantrag stellen – ob sie dann bleiben dürfen oder nicht hängt, wie bei anderen Flüchtlingen auch, vom Fluchtgrund und vom Heimatland ab.
Das Schicksal dieser jungen Menschen berührt einen besonders, denn in ihre Lage kann man sich kaum hineinversetzen. Der Gedanke, seine Heimat für immer verlassen zu müssen, ist für jeden ein Schock. Alleine als Kind losziehen zu müssen, scheint unvorstellbar.
Diese jungen Menschen brauchen besondere Hilfe, das ist klar. Und die erhalten sie auch: UMA sind nach Angaben des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis allen anderen Jugendlichen gleichgestellt. Bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs gelten sie also nicht wirklich als „Flüchtlinge“, sondern mehr als Jugendliche. Für UMA ist daher das Jugendamt zuständig und sie stehen unter einem besonderen Schutz – denn im Vordergrund soll das Wohl des Kindes stehen.
Bis zu 600 Millionen Euro Kosten
Das Schicksal der Kinder und Jugendlichen berührt – aber es erzeugt auch harte Fakten: Im Durchschnitt kostet die Unterbringung eines Jugendlichen zwischen 160 und 180 Euro am Tag – also rund 5.000 Euro kostet ein einzelner UMA im Monat. Diese Zahl bestätigte die Stadt Mannheim auf Anfrage.
Und es werden immer mehr: Während nach Angaben der Diakonie 2014 rund 10.000 UMA von Jugendämtern in ganz Deutschland in Obhut genommen wurden, prognostiziert die Rhein-Neckar-Zeitung, dass 2016 6.500 alleine nach Baden-Württemberg kommen werden. Diese Zahl basiert auf der Annahme einer Million Flüchtlinge und davon fünf Prozent Minderjähriger. Das wäre ein Gesamtaufwand von 390 Millionen Euro. Sollten es 10.000 UMA werden, müssen dafür 600 Millionen Euro im kommenden Jahr aufgewendet werden.
Wie viele UMA wirklich kommen, lässt sich nur schätzen, da sind sich die Städte Heidelberg und Mannheim sowie das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis einig. Man stellt sich aber darauf ein, dass die Zahl weiter (stark) wächst. Das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis rechnet zum Beispiel mit 580 UMA für Ende 2016 – Kosten von knapp 35 Millionen Euro werden dann entstehen. Teile der Kosten übernimmt das Land, Personalkosten für Betreuer allerdings nicht.
Platzkapazitäten werden massiv ausgebaut
Heidelberg betreut momentan rund 60 UMA, der Rhein-Neckar-Kreis 184. Es sind deutlich mehr Jungs als Mädchen. Der Rhein-Neckar-Kreis ist zum Beispiel nur für acht weibliche UMA verantwortlich.
In Mannheim sind 256 UMA untergebracht: Im Schifferkinderheim, im Johann Peter Hebel Heim und im Kinderheim St. Josef. Im Kinderheim St. Anton gibt es außerdem eine Mädchenwohngruppe, denn weibliche und männliche UMA wohnen getrennt. Zusätzliche Notaufnahmen für UMA wurden dieses Jahr in Mannheim eingerichtet. Auch die UMA werden mittlerweile nach dem „Königsteiner Schlüssel“ verteilt.
Das sind bereits viele Unterbringungen in der Region – aber auf Dauer werden sie nicht reichen. Platzkapazitäten sind massiv im Ausbau.
Außerdem sucht man nach Gastfamilien – es gibt aber nur sehr wenige. Die Anforderungen an solche sind sehr viel höher, als an Gastfamilien für Kinder, die hier aufgewachsen sind.
Viele UMA haben auf der Flucht furchtbare Erfahrungen machen müssen. Sie benötigen eine professionelle Betreuung – Pflegeelternbewerber sind sich in der Regel kaum bewusst, auf was sie sich mit der Aufnahme eines UMA einlassen: Sprachprobleme, Auseinandersetzung mit kulturellen und religiösen Gepflogenheiten, Traumatisierungen,… Die Aufnahme eines UMA ist sicher nicht leicht. Das heißt nicht, dass man es nicht versuchen sollte – wichtig ist nur, dass man seine Entscheidung gut abwägt.
Im Rhein-Neckar-Kreis gibt es schon einige positive Beispiele: Auf einen Aufruf hin erhielt das Landratsamt eine überwältigende Resonanz. 42 Familien wurden durch das Jugendamt zugelassen, 13 UMA wurden bereits in Gastfamilien untergebracht – bei weiteren läuft die sogenannte „Anbahnung“. Auch die Städte Heidelberg und Mannheim sind bereits mit Interessenten in Kontakt.
Wie geht es den jungen Menschen?
Wenn die UMA ihre Flucht endlich beenden können sind sie erschöpft und brauchen Erholung – eventuell auch eine medizinische und psychologische Betreuung. Aber sie seien nach Auskunft unserer Gesprächspartner im Regelfall auch unglaublich froh, in Deutschland angekommen zu sein – betreut und versorgt zu werden.
Es ist schön zu sehen, dass fast alle geradezu lernbegierig sind. Sie wollen Deutsch lernen und zur Schule gehen. Sie wollen die Chance nutzen, die Ihnen eine Gesellschaft wie die unsere bietet,
meint Achim Fischer. Es gibt übrigens keine Anhaltspunkte dafür, dass UMA krimineller als vergleichbare Jugendliche sind – die Häufigkeit ihrer Straffälligkeit unterscheidet sich auch nicht von der altersgleichen Bevölkerung in Mannheim, das stellten die Stadt Mannheim und das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis klar. Im Gegenteil: Viele Jugendämter berichten, dass UMA die anderen Jugendlichen häufig mitziehen und motivieren können.
Allerdings hatte Mannheim bis vor kurzem mit einer hochkriminiellen UMA-Gruppe zu tun – die hat sich mittlerweile abgesetzt, vermutlich nach Frankreich.