Mannheim, 07. April 2016. (red/cr) Nicht immer nur über Menschen reden, die man gar nicht kennt, sondern ihnen ein Gesicht und eine Stimme geben. Das ist die Intention des Theaterprojekts zusammen mit Geflüchteten am Nationaltheater Mannheim. Schauspieler lesen die Geschichten von der Flucht und dem langen Warten auf den Asylbescheid. Gastschauspieler war an diesem Abend André Eisermann.
Von Christin Rudolph
Über der Bühne schwebt eine rießige Leinwand. Darauf sind Menschen zu sehen. Orte und Menschen.
Die Menschen auf den Fotos bleiben allerdings nicht auf der Leinwand, sie treten ins Scheinwerferlicht der Bühne. Sie sind Flüchtlinge und ihre Lebenswege Thema bei Mannheim Arrival am Nationaltheater.
Doch sie sind nicht allein auf der Bühne. Jede Fluchtgeschichte wird von einem Schauspieler gelesen.
Sind sie angekommen?
Der Titel Mannheim Arrival wirft mehr Fragen auf, als dass er das beschreibt, was auf der Bühne passiert. Sind diese Menschen wirklich angekommen? Oder immer noch auf der Flucht?
Leben sie frei in Mannheim und können sich ein neues Leben aufbauen? Oder sind sie immer noch hin- und hergerissen oder eingesperrt?
Die Erzählungen lassen den Zuschauer unglaublich unbefriedigt zurück. Es gibt nicht nur kein Happy End, es gibt überhaupt kein Ende. Die Geschichten enden hier und jetzt. In der Schwebe.
Unersträgliches Warten
Morgen könnte eine Entscheidung kommen, ob man bleiben darf – oder wieder zurück muss. Vielleicht kommt der Brief auch erst in ein paar Jahren. Man kann nichts machen.
Die Menschen sind zwar den Gefahren in ihrem Heimatland entkommen, können aber in Deutschland nicht ankommen. Ohne Anerkennung als Flüchtling und ohne Papiere können sie nicht arbeiten, kein Deutsch lernen, nichts.
Und ihre Familien sind teilweise noch immer im Herkunftsland in Gefahr. Shagufta Habibs zwei Kinder etwa sind noch immer in Pakistan – seit fünf Jahren haben sie ihre Mutter nicht mehr gesehen.
Wenn ich dich wiedersehe, dann hebe ich dich hoch…
Nein Mama, das kannst du nicht, ich hebe dich dann hoch.
Als Frau Habib sich nach Deutschland aufmachte, war ihre Tochter sieben und ihr Sohn zwölf. Er ist inzwischen 17 und größer als seine Mutter.
Geschichten von Menschen
Ihre Geschichte sorgt für besonders viel Schluchzen und Schniefen im Publikum. Denn es ist keine „Flüchtlings-Geschichte“, es ist die eines Menschen.
Einer Frau, deren Leidensgeschichte sich auch in Deutschland noch fortsetzte, weil sie im Alter von 23 Jahren an den falschen Mann geraten war.
Einer Mutter, die seit fünf Jahren von ihren Kindern getrennt ist, weil sie ein Leben in Würde will.
Ob der Flucht wie bei Frau Habib Jahre voller Gewalt und Verfolgung vorausgehen oder ob sich das eigene Leben über Nacht radikal ändert wie bei Modo, dem der Geheimdienst nicht glauben wollte, dass er nichts weiß: Die Geschichten handeln von dem Leben einer individuellen Person. Ihrer Familie, ihrer Arbeit und ihren Beziehungen. Und dann ändert sich alles ganz schnell.
Plötzlich Flüchtling
Man ist plötzlich ein Flüchtling, dann ist man das erstmal eine Weile, ein paar Jahre, und ob man jemals wieder etwas anderes sein kann, weiß man nicht.
Die Schauspieler des Nationaltheaters scheinen sich intensiv mit den Geflüchteten, deren Geschichten sie lesen, auseinandergesetzt zu haben. Die Premiere fand am 03. Oktober statt. Mittlerweile ist das Interesse nicht mehr so hoch, der Saal ist mit circa 250 Zuschauern nicht einmal halb voll.
Zu jeder Vorstellung wird ein Gastschauspieler eingeladen, der eine Erzählung liest. Am Mittwochabend unterstützte André Eisermann das Ensemble des Nationaltheaters.
Ensemble glänzt
Im Vergleich zu den Auftritten seiner Kollegen konnte er jedoch nicht überzeugen. Zu aufgeregt sein Vortrag, nicht nachdrücklich genug seine Stimme.
Die Schauspieler des Ensembles profitieren sicherlich von ihrer Routine und den Proben mit den Menschen, über die sie reden. Sie tragen authentisch vor, ohne die Geschichten zu vereinnahmen.
Ein Kontrast zum ersten Teil des Abends, in dem sie Teil der Geschichte waren. Vor jeder Vorstellung von „Mannheim Arrival“ führen sie „Ein Blick von der Brücke“ auf.
In diesem Eifersuchtsdrama führt das Aufeinandertreffen von illegalen Einwanderern und „ganz normalen Leuten“ direkt in eine Katastrophe. Die Figuren sind hin- und hergerissen zwischen Heimat und Perspektive auf ein besseres Leben, zwischen Loslassen und der Ungewissheit des Neuanfangs.