Schwetzingen/Mannheim/Rhein-Neckar, 18. Mai 2017. (red/momo) Am frühen Morgen des 03. Mai 2017 kam es zu einer Durchsuchung im Hotel Atlanta in Schwetzingen, in dem 120 Flüchtlinge untergebracht sind. Dabei wurden alle 24 Asylsuchende eines Stockwerks aus Gambia aufs Revier gebracht. Die Aktion sorgte für großes Aufsehen und die Schwetzinger Zeitung tat sich mit zahlreichen Vorwürfen an die Polizei hervor. Auch äußerten sich einige freiwillige Helfer negativ über das Vorgehen der Beamten. Das Rheinneckarblog hat bei Polizeisprecher Thomas Habermehl nachgefragt und räumt mit Vorverurteilungen und Halbwahrheiten auf.
Von Moritz Bayer
Herr Habermehl, wie viele Beamte waren bei der Aktion am Morgen des 03. Mai im Hotel Atlanta in Schwetzingen im Einsatz. Trifft 60 zu?
Kriminalhauptkommissar Thomas Habermehl: Genaue Zahlen nennen wir aus sicherheits- und einsatztaktischen Gründen nicht. Aber es war eine für diesen Einsatz angemessenen Anzahl von mehreren Dutzend Beamten.
Wie lange dauerte die gesamte Aktion?
Habermehl: Grob kann man sagen, dass es sich um den Zeitraum von 06:00 Uhr bis 11:00 Uhr stattfand.
Trugen die Beamten dabei Sturmhauben, falls ja, wieso?
Habermehl: Nicht alle, aber einige Beamten trugen Gesichtsmasken, keine Sturmhauben. Es handelte sich dabei um die Kollegen der Bereitschaftspolizei Bruchsal. Die Gesichtsmasken kamen aus polizei- und ermittlungstaktischen Erfordernissen zum Einsatz. Darüber hinaus dienen sie mit Blick auf ihre Brandschutzwirkung der Eigensicherung der eingesetzten Beamtinnen und Beamten.
In der Schwetzinger Zeitung ist die Rede von “neutralen Augenzeugen”. Waren solche tatsächlich anwesend? Waren außer den Asylbewerbern und den Beamten sonst noch Personen anwesend?
Habermehl: Ja, wie vorgeschrieben hatten wir solche neutralen Augenzeugen, die aus der Gemeinde kommen, dabei. Wegen der vier Zimmer, für die ein Durchsuchsungsbeschluss vorlag, waren es vier solcher Zeugen. Dazu kamen sechs Mitarbeiter des Landratsamtes Rhein-Neckar, die sich zur Durchführung der in Zuständigkeit des LRA vollzogenen Belegungskontrollen in den übrigen Zimmern ebenfalls vor Ort befanden. Zu dieser Belegungskontrolle leistete die Polizei Amtshilfe zur Unterstützung der Maßnahme des Landratsamtes.
Statische Lage zur Sicherheit aller Beteiligten
Trifft es zu, dass die Gewahrsamnahmen wie in der Schwetzinger Zeitung dargestellt abgelaufen sind? Stichworte: Halbnackte Personen bei einstelligen Graden aus dem Bett gezogen, am Boden fixiert, Knie im Genick, mussten lange Zeit auf dem Boden ausharren.
Habermehl: Wir sind nach dem für solche Aktionen üblichen und angemessenen Schema vorgegangen. Durch Herstellen einer statischen Lage, die deutlich weniger Gefährdungspotenzial als eine dynamische beinhaltet, wurde die Sicherheit aller beteiligten Beamten, aber auch der betroffenen Personen, gewährleistet. Dabei wurden auch einige Personen in ihren Betten fixiert. Unangemessene Gewalt lag nicht vor.
Trifft es zu, dass sämtlichen Flüchtlingen die Handys abgenommen worden sind? Falls ja, warum?
Habermehl: Mitgenommen wurden ausschließlich Mobiltelefone, die als potenzielle Beweismittel für Strafverfahren in Frage kamen. Die Handys werden im Rahmen des Verfahrens ausgewertet und, wenn dies erfolgt ist, entscheidet die Staatsanwaltschaft, wann sie wieder zurückgegeben werden.
Gegen vier Personen gab es konkrete Verdachtsmomente und dementsprechend auch richterliche Durchsuchungsbeschlüsse. Wieso wurden statt dieser vier dann doch alle 24 Gambier mitgenommen?
Habermehl: Im Rahmen des Einsatzes ergaben sich bei weiteren Personen Verdachtsmomente, dass diese Personen Straftaten begangen haben könnten, deshalb sind diese dann auch für weitere Ermittlungsmaßnahmen zum Polizeirevier mitgenommen worden.
Waren auch Asylbewerber vor Ort, die eigentlich in anderen Unterkünften untergebracht sind?
Habermehl: Ja, eine der angetroffenen Personen hätte eigentlich nach Ketsch gehört.
Gefahr der Verbrechensverschleierung machte weitere Durchsuchungen notwendig
Auf welcher rechtlichen Grundlage beruhte die Untersuchung? Auf welcher Grundlage wurden die Räume der Personen durchsucht, die nicht zu den vieren gehören, gegen die richterliche Beschlüsse vorlagen?
Habermehl: Diese Untersuchungen sind genau gesagt Durchsuchungen. Grundlage dafür ist die Strafprozessordnung. Einschlägige Fundstellen sind die Paragrafen 102 und 103. In diesem Fall ging es bei den vier Beschlüssen um die Durchsuchung bei verdächtigen Personen. Vor Ort haben sich weitere konkrete Verdachtsmomenten ergeben, dass auch in anderen Zimmern Betäubungsmittel versteckt sein oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz vorliegen könnten. Diese wurden dann auch sofort durchsucht und zwar auf der rechtlichen Vorschrift der “Gefahr im Verzug”. Die Einholung eines richterlichen Beschlusses hätte so lange gedauert, dass eventuell vorhandene Betäubungsmittel in dieser Zeit längst beiseite geschafft worden wären. Deshalb hat die Polizei in solchen Fällen die Möglichkeit, da sofort reinzugehen.
Sind solche richterlichen Beschlüsse denn in einer Flüchtlingsunterkunft überhaupt vonnöten? Haben die Unterkünfte den gleichen Status wie “normale” Wohnungen?
Habermehl: Ja. Alles, was zur Unterbringung oder zum Aufenthalt von Menschen gemacht ist, ist für uns als Polizei eine Wohnung. Auch wenn offizieller Mieter hier das Landratsamt ist, macht das für uns keinen Unterschied.
-Anzeige- |
Was genau wurde an Drogen und mutmaßlichem Diebesgut gefunden und wie verteilt sich das? Was davon konnte bisher als tatsächliches Diebesgut verifiziert werden?
Habermehl: Es waren ca. 15 Gramm Marihuana auf mehrere Fundstellen verteilt. Dann wurde ein Mobiltelefon gefunden, ein Laptop, mehrere Kleidungsstücke, eine Nähmaschine, ein Rucksack und 12.500 Euro. Das Geld war aufgeteilt in 10.000 Euro, 2.000 Euro und 500 Euro. Mobiltelefon und Laptop sind bereits als gestohlen verifiziert. Bei den 500 Euro hatten wir die Vermutung, dass es sich um Deal-Geld handeln könnte, die Ermittlungen haben aber schnell ergeben, dass es legales Geld ist. Es wurde ordentlich verdient und wurde auch sofort nach dieser Erkenntnis zurückgegeben. Bei den 2.000 und den 10.000 Euro laufen die Ermittlungen derzeit noch.
Was haben die betroffenen Personen zur Herkunft des Geldes gesagt?
Habermehl: Das wird Beweiswert vor Gericht haben, was sie in ihren ersten Einlassungen dazu gesagt haben. Deshalb kann ich derzeit dazu keine Ermittlungsdetails preisgeben.
32 Strafverfahren sind zu erwarten
Welche Verfahren wurden jetzt im Einzelnen eingeleitet?
Habermehl: Nach aktuellem Stand der Ermittlungen gehen wir von zehn Verfahren wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Asylverfahrensgesetz, acht Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Diebstahl, vier Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Sozialbetrugs und zehn Verfahren wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetztes aus.
Welche erkennungsdienstlichen Maßnahmen wurden denn durchgeführt und wieso? Müssten Asylbewerber, die bereits in einer offiziellen Flüchtlingsunterkunft wohnen, denn nicht alle bereits derartig behandelt worden seien?
Habermehl: Nein. Da muss man unterscheiden zwischen einer ausländerrechtlichen Erfassung, wenn jemand einreist, und einer förmlichen erkennungsdienstlichen Behandlung zum Zwecke der Durchführung eines Strafverfahrens. Beim ersten wird nur ein Fingerabdruck genommen, bei zweiterem alle zehn Finger. Und es wird ein Lichtbild erstellt, sowie eine körperliche Beschreibung hinzugefügt. Es handelt sich hierbei um zwei sehr verschiedenen Maßnahmen. Im Übrigen wurden einige Personen, nachdem im Rahmen eines Abgleichs auf dem Polizeirevier festgestellt wurde, dass bereits in der Vergangenheit die erforderlichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen durchgeführt wurden, ohne weitere Maßnahmen entlassen.
Es wird von Zeugen behauptet, einigen vernommenen Personen seien Geständnisse in Deutsch zur Unterschrift vorgelegt worden. Stimmt das?
Habermehl: Nein, das stimmt nicht. Ich verstehe aber, wie dieses Missverständnis womöglich zustande gekommen sein könnte. Es gibt bei uns Belehrungsbögen, weil jeder, der vorläufig festgenommen wird, umfangreich über seine Rechte belehrt wird. Diese Belehrungsformulare sind vorgelegt worden, sowohl in deutscher, als auch in englischer Sprache. Die meisten der vorläufig Festgenommenen haben relativ problemlos auf Deutsch kommuniziert.
Wann wurden die betroffenen Personen denn wieder auf freien Fuß gesetzt?
Habermehl: Sukzessive. Jeder, der belehrt und danach erkennungsdienstlich behandelt wurde, durfte dann wieder gehen. Das Ganze war am gleichen Tag ungefähr um 15:00 Uhr abgeschlossen.
Versorgung wurde eigeninitiativ gesichert
In einem Leserbrief der Schwetzinger Zeitung beschwert sich die Verfasserin über die Betonung, dass “sogar Brezeln” ausgeteilt worden seien, obwohl es doch selbstverständlich sei, dass jemand, der lange verhört wird, Nahrung bekäme. Wie sieht es denn rechtlich überhaupt aus mit der Versorgung während eines Verhörs?
Habermehl: Ab einer gewissen Dauer besteht ein Anspruch auf Nahrungsversorgung. Die Polizei sieht es aber so, dass man gar nicht genau auf die Zeit schauen sollte, bis jemand Anspruch hätte. Für uns war es selbstverständlich, dass den Festgenommenen eine Versorgung angeboten wird. Daher haben wir sowohl Getränke als auch Brezeln beschafft. Diese haben die Beamten von ihrem eigenen Gehalt gekauft. Das hätten sie nicht tun müssen, aber der Aspekt der Menschlichkeit stand für sie im Vordergrund.
-Anzeige- |
Wieso gab es zu dem Vorfall seitens der Behörden keine Pressemeldung?
Habermehl: Bevor wir überhaupt eine hätten schreiben können, wurden wir von der Schwetzinger Zeitung noch am Einsatzmorgen angefragt. Dem anfragenden Redakteur habe ich an diesem und dem nächsten Tag ausführliche Informationen über den Einsatz gegeben. Dann haben wir uns mit der Staatsanwaltschaft Mannheim abgesprochen und keine überregionale Bedeutung gesehen. Die lokale Zeitung war ausführlich informiert, daher haben wir von einer eigenen Pressemitteilung abgesehen.
Naja, uns interessiert das auch. In einem weiteren Leserbrief wird der Polizei vorgeworfen, dass Personen, die im Zuge der Razzia 2016 abgeführt wurden, Hauben über den Kopf gezogen worden seien. Was sagen Sie dazu?
Habermehl: Auch da handelte es sich um eine Durchsuchung, keine Razzia. Sie hat sich am 21. Juli 2016 ereignet. Es war eine Aktion der Ermittlungsgruppe Rauschgift wegen des Verdachts auf Drogenhandel mit Unterstützung des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Bei den Durchsuchungs- und Festnahmeaktionen waren wir – übrigens unter Medienbegleitung – auch im Hotel Atlanta. Es sind mehrere Personen festgenommen worden und da kommt der missverständliche Punkt: Die Personen haben nach ihrer Festnahme selbst darum gebeten, aus Persönlichkeitsschutz unerkannt zu bleiben, wenn sie abgeführt werden. Wir haben ihnen erlaubt, ein T-Shirt übers Gesicht zu ziehen. Niemand wurde dazu gezwungen oder hat eine Haube über den Kopf bekommen.
Wie viele der jetzt vernommenen 24 Personen waren denn schon im Vorfeld polizeilich auffällig (ohne Verstöße gegen das Ausländergesetz)?
Habermehl: Ohne oder mit – dazu darf und möchte ich keine Angaben machen. Über Bestand oder keinen Bestand in unseren polizeilichen Dateien geben wir keine Auskünfte.
Konkrete Verdachtsfälle haben mit “racial profiling” nichts zu tun
Was sagen Sie zu dem impliziten Vorwurf, Beamte hätten sich rassistisch geäußert und die Durchsuchung sei ein “racial profiling”?
Habermehl: Das trifft definitiv nicht zu. Wir hatten ja einen konkreten Tatverdacht, wir hatten Zeugenaussagen, aufgrund derer wir bei der Staatsanwaltschaft Durchsuchungsbeschlüsse angeregt und dann auch richterlich bestätigt bekommen haben. Das hat mit “racial profiling” überhaupt nichts zu tun, sondern schlicht und ergreifend mit dem Verdacht auf Straftaten.
Trifft es zu, dass einige der Tatverdächtigen, die bei einem Angriff auf türkische Freizeitkicker beteiligt sein sollen, im Hotel Atlanta untergebracht sind?
Habermehl: Das ist richtig. Drei der insgesamt sieben Tatverdächtigen sind dort untergebracht.