Mannheim/Rhein-Neckar, 16. März 2016. (red/ms) Der Schock saß: Die AfD entmachtet die SPD in ihrer letzten Hochburg. Man könnte meinen, die Ideologien der Parteien liegen so weit auseinander, dass die Lager gänzlich unvereinbar sind. Die Analyse zeigt: So stimmt das nicht. Zwischen ehemaligen SPD-Wählern und heutigen AfD-Anhängern gibt es große Schnittmengen. Die Landtagswahl in Mannheim ist eine unmissverständliche Botschaft an die Politik: So kann es nicht weitergehen.
Von Minh Schredle
Unglaube und Fassungslosigkeit am Wahlabend – das Ergebnis im Norden ist eine schallende Ohrfeige für die Kandidaten Dr. Stefan Fulst-Blei (SPD) und Gerhard Fontagnier (Bündnis90/Die Grünen). Niemand hatte im Vorfeld damit gerechnet, dass Rüdiger Klos von der AfD ernsthaft Chancen auf den Gewinn des Direktmandats gehabt hätte. Doch der Außenseiter hat sich durchgesetzt. Als unbekannter Neueinsteiger aus Eppelheim – gegen ein Feld von Konkurrenten, die sich zum Großteil schon seit Jahrzehnten politisch in Mannheim und Umgebung engagieren.
Deutlicher kann ein Denkzettel kaum ausgestellt werden. Indes reden Herr Fontagnier und Herr Fulst-Blei weiterhin davon, Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit entschlossen bekämpfen zu wollen und Rassismus eine klare Kante zu zeigen. Für sich genommen ist das ja schön und gut und sicher ein ehrenwertes Anliegen. Doch müssen sich SPD, Grüne und grundsätzlich alle politischen Gegner nach einem solchen Wahlergebnis die Frage gefallen lassen:
Soll das etwa alles sein? Ist das euer einziges Allheilmittel für unliebsame Ansichten?
Wie effektiv die bisherigen Bemühungen gewesen sind, hat sich an der Wahlurne gezeigt: Die verfolgten Konzepte laufen in eine völlig falsche Richtung und vertreiben immer mehr Wähler. Sicher, unter den AfD-Wählern gibt es auch eine Reihe von Rassisten – aber den Erfolg der Partei bloß auf die vermeintliche Fremdenfeindlichkeit all ihrer Anhänger reduzieren zu wollen, greift zu kurz. Und anscheinend denkt niemand über „Rassisten“ in den Reihen der eigenen, früheren Wähler nach – insbesondere die Wanderbewegungen von der SPD zur AfD waren enorm. Die AfD-Wähler sind keine homogene Masse, deren einzige Triebfeder der Hass auf Flüchtlinge ist. Vielmehr ist die Partei ein Symbol für den Protest – und der hat die unterschiedlichsten Beweggründe.

Von hier kamen die AfD-Wähler. Quelle: Infratest dimap/tagesschau.de
Um den gewaltigen Zulauf für die AfD wirklich verstehen zu können, muss man tief in die Analyse einsteigen, statt reflexartig „Alles Nazis!“ zu rufen. Die ernsthafte und unvoreingenommene Auseinandersetzung mit komplexen politischen Inhalten ist eine anstrengende Arbeit und es dauert, bis sie Früchte trägt. Es lohnt sich trotzdem.
AfD in Mannheim: viertstärkste Kraft
In der Aufregung über das Direktmandat im Mannheimer Norden wird ein kleines Detail vergessen: Betrachtet man die Wahlergebnisse für das gesamte Mannheimer Stadtgebiet ist die AfD mit 18,2 Prozent der Wählerstimmen nur die viertstärkste politische Kraft – nach SPD (19,2), CDU (19,3 Prozent) und den Grünen (27,2 Prozent). Auch das ist historisch: Die SPD wird nicht nur von den Grünen überholt – das war in Betracht des Landestrends zu erwarten – sondern auch von der CDU. Und zwar nicht, weil die CDU in Mannheim besonders gut abgeschnitten hätte. Sondern weil sie nicht ganz so dramatisch abgestürzt ist wie die SPD, die mit 11,4 Prozentpunkten weniger als 2011 noch drastischere Verluste als die stark schwächelnde Landes-SPD zur Kenntnis nehmen muss.

Wolfgang Raufelder verteidigt souverän das grüne Mandat im Süden.
Was sich bereits bei der Oberbürgermeisterwahl abzeichnete, ist spätestens jetzt eigetreten: Das „rote Mannheim“, als letzte Hochburg der Sozialdemokraten im deutschen Südwesten, ist überrannt worden. Zwar gewinnen mit Dr. Boris Weirauch und Dr. Fulst-Blei beide Kandidaten ein Zweitmandat, weil sie noch immer überdurchschnittlich „gute“ Ergebnisse im Vergleich zum Rest der Landes-SPD einfahren. Allerdings sind 16,8 Prozent im Süden und 22,2 Prozent im Norden ein mehr als bedenkliches Ergebnis: 2006 kam die SPD im Wahlkreis Mannheim I noch auf stolze 40 Prozent. Das ist gerade einmal 10 Jahre her – wenn es so weiter geht, ist die ehemalige Volkspartei bald in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Dass Herr Dr. Fulst-Blei immer noch das beste Ergebnis im Land hat, ist kein Trost.
Auch die CDU hat ihre Vorherrschaft verloren. Jetzt ist man nach zweistelligen Stimmverlusten nur noch die zweitstärkste Kraft und müsste für eine Beteiligung an der Regierungsverantwortung die Demütigung hinnehmen, zum Juniorpartner der Grünen zu werden. Vor diesem Hintergrund wird wohl auch in Mannheim kaum Freude aufkommen, weil man die SPD in ihrer ehemaligen Hochburg überholt hat und die Stimmenverluste merklich moderater ausgefallen sind, als im Landesschnitt (7,5 Prozentpunkte Verlust in Mannheim gegenüber 12 Prozentpunkten weniger in Baden-Württemberg).
Der vergessene Wahlsieger
Im Trubel um die Erfolge von AfD und Grünen wird ein Wahlsieger bislang weitgehend übersehen: Die FDP. Die Liberalen gehören zu den großen Gewinnern dieser Wahl, auch wenn das bislang offenbar kaum jemandem aufgefallen ist: Nachdem 2013 der Einzug in den Bundestag verpasst wurde und das Ausscheiden aus verschiedenen Landtage folgte, waren die Liberalen von vielen Medien bereits tot gesagt. Noch um die Jahreswende lag die FDP in Baden-Württemberg in etwa gleichauf mit den Linken, die nun den Einzug in den Landtag deutlich verpassten. Vor diesem Hintergrund sind 8,3 Prozent mehr als respektabel. Offenbar haben sich die Anstrengungen im Wahlkampf bezahlt gemacht: Im Landtag hat die FDP nun zwölf Sitze, das sind fünf mehr als bisher.

Die FDP-Kandidaten in Mannheim und im Wahlkreis Weinheim haben erfolgreich Punkte gemacht.
Auch in Mannheim konnten die freien Demokraten ihr Ergebnis deutlich verbessern: Beide Kandidaten können sich über Zugewinne über dem Landesschnitt freuen: Im Norden, wo die FDP traditionell eher geringen Rückhalt in der Wahlbevölkerung hat, erreicht Birgit Sandner-Schmitt 6 Prozent; im Süden kommt Florian Kußmann auf 8,4 Prozent. Frau Sandner-Schmitt kann damit das Ergebnis der FDP im Vergleich zu 2011 mehr als verdoppeln (damals: 2,7 Prozent). Herr Kußmann erreicht in seinem besten Wahlbezirk – Schwetzingerstadt/Oststadt – sogar ein zweistelliges Ergebnis (10,5 Prozent). Vielleicht hat er dabei einige Stimmen der Unterstützung durch den Oberbürgermeisterkandidat und Stadtrat Christopher Probst (Mannheimer Liste) zu verdanken, der hier Bezirksbereit gewesen ist und sich lange Zeit selbst in der FDP engagierte.
Beide FDP-Kandidaten können sich über große Zugewinne freuen, obwohl oder gerade weil keiner von ihnen im Wahlkampf nur ansatzweise durch Polemik, unnötige Zuspitzungen oder Diffamierungen Andersdenkender aufgefallen wäre – vielleicht dient das anderen Parteien als Vorbild, denn es verdeutlicht: Auch mit gutem Stil kann man erfolgreich sein. Insbesondere im Mannheimer Norden täte es dem ein oder anderem gut, sich daran zu orientieren.
Die Linke als große Verliererin
Neben SPD und CDU gehört auch Die Linke zu den großen Verlieren dieser Wahl. Zwar hat sich das Ergebnis der Partei mit 2,8 Prozent minimal verbessert (o,1 Prozent mehr als 2011). Das erklärte Ziel, in den Landtag einzuziehen, wurde aber nicht ansatzweise erreicht. Nach Einschätzung der Redaktion hätte die Partei eigentlich ein sehr großes Wählerpotenzial, denn auch in Baden-Württemberg gibt es Millionen von „kleinen Leuten“, die von der „großen Politik“ bislang weitgehend vernachlässigt werden. Doch ist der Linken nicht gelungen, aus den riesigen Verlusten der SPD auch nur den geringsten politischen Profit zu schlagen. Nach einer ARD-Analyse der Wählerwanderungen hat die Linke etwa 12.000 Stimmen ehemaliger SPD-Wähler erhalten – die AfD aber 90.000.

Die Linke hat nicht punkten können.
Da sollte sich also eine Partei Gedanken um ihre Kampagnenfähigkeit machen – denn auch die Spitzenkandidaten Bernd Riexinger und Gökay Akbulut haben eher enttäuschende Ergebnisse eingefahren. Im Wahlkreis Stuttgart IV liegt Herr Riexinger mit 5,9 Prozent zwar über dem Landesschnitt – er bleibt aber merklich hinter Hannes Rockenbauch, einem Stadtrat ohne Parteibuch, zurück, der im benachbarten Wahlkreis Stuttgart I 7,3 Prozent für die Linke einfährt. Auch Frau Akbulut schwächelte: Als Spitzenkandidatin erreichte sie im Mannheimer Norden nur 5,1 Prozent. Damit hat sich die Partei hier um 0,7 Prozentpunkte gegenüber 2011 verschlechtert. Und das, obwohl die SPD hier im gleichen Zeitraum 12 Prozentpunkte und etwa 5.000 Wählerstimmen verloren hat. Dieses Potenzial wurde kein bisschen genutzt und offenbar kommen die Botschaften der Linken nicht in ihrer Zielgruppe an, wenn diese sich lieber für die AfD entscheidet. Alles Nazis?
160.000 grün-rote Stimmen gehen an die AfD
Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, die AfD würde ihre Wählerschaft nur aus enttäuschten CDU-lern und Rechtskonservativen speisen, die den Merkel-Kurs verachten und nun endlich ein Sprachrohr rechts der Union gefunden haben, das nicht ganz so radikal wie die NPD auftritt. Nach Analyse von Infratest dimap für die ARD kommen zwar von den 809.311 AfD-Stimmen in Baden-Württemberg etwa 190.000 Stimmen von ehemaligen CDU-Wählern und 210.000 Stimmen von Nichtwählern. Allerdings sollen auch 70.000 Stimmen von abtrünnigen Grünen-Anhängern und ganze 90.000 Stimmen von ehemaligen SPD-Wählern stammen.
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Das deckt sich auch mit den Wahlergebnissen in Mannheim, vor allem im Norden: Tendenziell ist die AfD vor allem dort stark, wo die SPD besonders hohe Verluste hat. In Sandhofen verliert die SPD 10,6 Prozentpunkte, die AfD kommt auf 26,1 Prozent. Auf der Vogelstang verliert die SPD 15,4 Prozentpunkte, die AfD kommt auf 28,8 Prozent. Auf der Schönau, früher einmal die SPD-Bastion schlechthin, verliert die SPD 13,8 Prozent und erzielt immer noch ihr bestes Ergebnis in Mannheim (27,1 Prozent) – aber unterliegt auch hier klar der AfD, die aus dem Stand 30,1 Prozent der Wähler für sich gewinnen kann.
Nur aus den Verlusten der CDU und einer gestiegenen Wahlbeteiligung lassen sich die Ergebnisse der AfD nicht erklären. FDP und Grüne haben leicht dazu gewonnen – die fehlenden Stimmen sind also weitgehend auf enttäuschte Sozialdemokraten zurückzuführen. Diese Erkenntnis mag für die erklärten Feinde des Rechtspopulismus vielleicht sehr bitter sein. Verleugnet man aber weiterhin diese Schnittmengen, wird es der Partei nicht gelingen, die Protestwähler zurückzugewinnen. 2006 und 2011 hat die SPD im Mannheimer Norden ihr einziges Direktmandat für den Landtag gewonnen. 2016 ist es ihr noch nicht einmal gelungen, auch nur in einem der siebzehn Mannheimer Stimmkreis eine relative Mehrheit zu erreichen – überall liegen AfD und Grüne vorne. Das „rote Mannheim“? ist Vergangenheit.
Fontagnier verspielt sicheres grünes Mandat
Auch der CDU gelingt kein einziger Stich. Zwar hat auch sie die SPD überholt. Aber 19,2 Prozent sind dennoch nicht unbedingt ein Ergebnis, auf dem man sich ausruhen konnte. Im Süden kommt Carsten Südmersen, CDU-Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat, nur auf 14.258 Stimmen. Bei der Kommunalwahl 2014 erzielte Herr Südmersen als bester CDU-Kandidat noch 39.416 Stimmen. Allerdings gibt es hier die Möglichkeit, zu kumulieren, also bis zu drei seiner 48 Stimmen an einen einzelnen Bewerber zu vergeben.

Der ewige „Nazigator“ – Grünen-Kandidat Gerhard Fontagnier hat gerade mal 0,7 Prozent Steigerung hinbekommen. Im Wahlkampf war er der schärfste und lauteste AfD-Gegner.
2011 war der Kampf um das Direktmandat im Süden noch spannend: Zwischen CDU-Kandidat Claudius Kranz und Wolfgang Raufelder von den Grünen machten am Ende nur gut 700 Stimmen den Unterschied. Diesmal konnte Herr Raufelder sich mit fast 10.000 Stimmen Vorsprung durchsetzen und sein Direktmandat verteidigen. Sein persönliches Ergebnis hat er um 1,8 Prozentpunkte auf 31,4 Prozent verbessern können. Die Zunahme ist damit im Vergleich zu den Erfolgen der Landesgrünen zwar eher gering – allerdings liegt Herr Raufelder ohnehin schon über dem Durchschnitt der Grünen (30,3 Prozent).
Ganz anders Gerhard Fontagnier: Im Mannheimer Norden kommt er auf 21,9 Prozent und verbessert sich damit nur um 0,7 Prozentpunkte gegenüber 2011. Die Grünen haben in Baden-Württemberg 6,1 Prozentpunkte hinzugewinnen können. Hätte Herr Fontagnier davon ansatzweise profitieren können, wäre auch der Mannheimer Norden ein sicheres grünes Direktmandat geworden. So trennen ihn 566 Stimmen von Rüdiger Klos. Vielleicht haben Herrn Fontagniers Verhalten gegenüber dem ein oder anderen Gastwirt, die Nazifizierung Andersgesinnter und sein Auftreten auf Demonstrationen den grünen Kandidaten die entscheidenden Stimmen für den Sieg gegen die AfD gekostet. Ein paar hundert gemäßigte und moderate potenzielle Grünen-Wähler könnten dadurch jedenfalls vergrault worden sein.
Untergang der SPD
Insgesamt ergibt sich die Stärke der Grünen aus der Schwäche der anderen: In Mannheim gewinnen Sie kaum dazu, während SPD und CDU massiv verlieren. Damit verbessern sich die Grünen nur unmerklich (insgesamt 1,2 Prozentpunkte), sind aber plötzlich mit deutlichem Abstand stärkste Kraft, weil die Konkurrenz gnadenlos abgestürzt ist. Die Gründe dafür sind auch hier vielfältig. Sicher ist, dass die immense Popularität von Herrn Kretschmann den Grünen einen gewaltigen Bonus verschafft hat. Dieser Effekt wurde zudem verstärkt, weil es sicher charismatischere Spitzenkandidaten als Guido Wolf (CDU) und Nils Schmid (SPD) gibt – letzterer hat nach fünf Jahren als „Superminister“ in seinem Wahlkreis Reutlingen erbärmliche 14,2 Prozent eingefahren. Dennoch will er an der Spitze der Landes-SPD bleiben. Ob das den erhofften Aufschwung bringt?

Dr. Stefan Fulst-Blei verliert das letzte SPD-Direktmandat im Südwesten – ausgerechnet an die AfD. Immerhin holt er im Ländle die höchste Punktzahl und bleibt über das Zweitmandat Landtagsabgeordneter. Doch das Lachen dürfte ihm vergangen sein.
Nach Einschätzung der Redaktion hat Herr Schmid in den vergangenen Jahren eigentlich keine besonders schlechte Arbeit geleistet – aber er hat ein ganz massives Imageproblem und kein Profil. Auf dem SPD Landesparteitag in Mannheim hat er angekündigt, die SPD wolle kämpfen. Das war im Herbst 2015, damals stand die SPD in Umfragen noch bei annähernd 20 Prozent. Es folgte einer der miserabelsten und energielosesten Wahlkämpfe, die nur vorstellbar wären. Auch deswegen musste die SPD vermutlich ordentlich Federn lassen. Plakate mit Aufschriften wie „Wert.Arbeit.“ und „Eltern.Zeit.“ sollen welche Zielgruppe ansprechen? Was genau ist jetzt die Botschaft? Kommt man damit gut auf der Schönau an?
Mit einem Großteil des eigenen Klientels haben es sich die Sozialdemokraten ohnehin verscherzt: Die Riesterrente und Hartz IV haben irreversible Schäden in der Stammwählerschaft angerichtet. Hinzu kommt eine ganze Reihe von mindestens fragwürdigen Entscheidungen – das aber eigentlich nicht unbedingt in den vergangenen Monaten in Baden-Württemberg. Die drastischen Stimmverluste sind somit vor allem auf einen auffällig unauffälligen Wahlkampf zurückzuführen, in dem der Stammwählerschaft aus dem Arbeitermillieu so gut wie gar keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
In den Umfragen vom September 2015 trennten SPD und Grüne nur vier Prozentpunkte – jetzt sind es gut 17. Den Grünen ist es gelungen, fast jeden Regierungserfolg als ihre Leistung auszugeben. Die SPD hat gekuscht und das mit sich machen lassen. Es gehört schon einiges dazu, die eigene Leistung so schlecht zu verkaufen. Es fehlt das Aushängeschild, besonders wenn man zumindest indirekt gegen einen Kretschmann konkurrieren will. Vielleicht hat sich die SPD aber bereits mit ihrem Niedergang abgefunden und überlässt Baden-Württemberg fortan den Grünen, denen die Gunst der Wähler aktuell gewiss zu sein scheint.
Historischer Wahlsieg der AfD

Rüdiger Klos aus Eppelheim nimmt den Mannheimer Norden im ersten Anlauf: 23 Prozent – Direktmandat.
Der größte Gewinner ist aber ganz klar die AfD. Das kann einem gefallen oder nicht – unabhängig davon steht fest: Noch nie war eine neu antretende Partei bei Landtagswahlen so erfolgreich wie die AfD im Jahr 2016. In Sachsen-Anhalt kommt die Neu-Partei auf 23 Prozent. Das ist historisch und unerreicht – obwohl die meisten Medien der AfD nicht gegenüber wohlgewogen berichtet haben und die „etablierten Parteien“ versuchten, die viel gescholtenen Rechtspopulisten mit allen Methoden zu bekämpfen. Man könnte sich nun fragen, ob die AfD ohne diese Maßnahmen nicht noch ein viel höheres Wahlergebnis hätte erzielen können. Spannender ist aber die Frage: Hat die massive Ausgrenzung der AfD der Partei womöglich zu einem Erfolg verholfen, den sie sonst vielleicht nie erreicht hätte?
Die Vehemenz die etablierten Parteien sich gegen die AfD positioniert haben, hat letzterer womöglich erst zu der Aufmerksamkeit verholfen, die ihr nun die Wahlerfolge in drei Bundesländern eingebracht hat: Sie wurde wortwörtlich zur Alternative, zu dem Symbol schlechthin für den Protest gegen den Kurs der Bundestagsparteien. Und dieser hat viele Feinde, wie spätestens seit dem 13. März klar sein muss – die Botschaft an Berlin war in dieser Hinsicht unmissverständlich.
Keine AfD-Erfolge in Mannheims Problemvierteln
Dabei geht es nicht nur um Flüchtlingspolitik. Die ist zwar unstreitig das Top-Thema in allen drei Bundesländern gewesen. Es wäre aber verkürzt, anzunehmen, der Zulauf der AfD lasse sich ausschließlich damit begründen, dass sich die AfD als einzige größere Partei entschieden und geschlossen gegen eine Politik der offenen Grenzen ausspricht. Das mag ihr zwar unzweifelhaft viele Stimmen eingebracht haben – daneben gibt es aber noch eine ganze Menge anderer Themen, wegen derer es viele offenbar für nötig befinden, den Parteien links der AfD einen Denkzettel zu verpassen.
Vielfach wird berichtet, die AfD habe dort den größten Zulauf, wo viele Flüchtlinge untergebracht sind. Das ist nicht die ganze Wahrheit und das zeigt sich auch am Beispiel Mannheim: In Käfertal, wo mit dem Benjamin Franklin Village die größte Flüchtlingsunterkunft Baden-Württemberg geschaffen wurde, erreicht die AfD 23,8 Prozent – das liegt nur knapp über dem Durchschnitt im Mannheimer Norden (23 Prozent). Ihr beste Ergebnis erzielt sie aber auf der Schönau, wo keine Flüchtlinge untergebracht sind. In Feudenheim, Standort für das Flüchtlingslager Spinelli, kommt die AfD nur auf 13,7 Prozent und erreicht damit nicht einmal ihren Landesschnitt. Das stärkste Ergebnis im Süden erzielt sie in Rheinau: nämlich 23,1 Prozent. Auch hier sind keine Flüchtlinge untergebracht.
Die Neckarstadt-West und der Bereich Innenstadt/Jungbusch gelten als die Mannheimer Problembezirke, gerade hier leben Menschen häufig in prekären Verhältnissen und die Kriminalität ist auffällig hoch. Die Bewohner selbst scheint das aber gar nicht so sehr zu stören, zumindest nicht so sehr, dass sie reihenweise den Law-and-Order-Parteien CDU oder AfD zulaufen würden – die schneiden hier am schwächsten ab. Dafür kann hier die Linke ihre relativen Erfolge feiern, sie kommt auf 8,5 Prozent im Innenstadt/Jungbusch und 12,9 Prozent in der Neckarstadt-West.
Ein Sammelbecken für Unzufriedene
Mit Ausnahme dieser Stadtteile hat die AfD vor allem dort starke Wahlergebnisse, wo wenig Wohlstand auf Abstiegsängste trifft: Sandhofen, Schönau, Waldhof, Rheinau und Vogelstang. Die Partei ist wie ein Sammelbecken für Unzufriedene und Verunsicherte. Nach einer Untersuchung von Infratest dimap haben sich nur 21 Prozent der AfD-Wähler für die AfD entschieden, weil sie von der Partei überzeugt sind. 70 Prozent der Befragten gaben als Hauptgrund an, von anderen Parteien enttäuscht zu sein. 81 Prozent der AfD-Wähler gaben an, sie wären mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden, 92 Prozent finden, die AfD wird von den Medien unfair behandelt. 93 Prozent (!) der befragten AfD-Wähler stimmen der Aussage zu:
Die AfD löst zwar keine Probleme, aber nennt die Dinge beim Namen.
Die Botschaft aus dem Mannheimer Norden, aber auch aus Baden-Württemberg ist also eindeutig: So nicht weiter. Nicht alle AfD-Wähler sind Fremdenfeinde, viele sind noch nicht einmal von der AfD überzeugt. Aber alle sind entschlossen, ihre Unzufriedenheit mit der „herrschenden Ordnung“ zum Ausdruck zu bringen – da ist eine Denkzettelwahl eines der wenigen Mittel, die verbleiben. Anlass zur Kritik haben die Parteien – und da ist die AfD eingeschlossen – allesamt genug geboten. Vielleicht sehen sie das Erdbeben vom vergangenen Sonntag als Anlass, sich berechtigte Kritik zu Herzen zu nehmen. Wenn es aber weitergeht wie heute, graut es mir vor der Demokratie von morgen.
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