Rhein-Neckar, 16. März 2016. (red/pro) Die große Hoffnung ist, dass die etablierten Parteien ihre Lehren aus diesen drei Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ziehen. Man muss allerdings in größter Sorge sein, dass genau das nicht passiert. Eigentlich hatten alle einen gemeinsamen Gegner – und der hat aus dem Stand heraus unglaubliche Erfolge erzielt, die AfD ist der heimliche Wahlsieger. Die Alternative für Deutschland hat der SPD das letzte, verbliebene Direktmandat im Südwesten genommen und ist auch noch deutlich an Deutschlands traditionsreichster Partei vorbeigezogen. Wer da nicht nachdenklich wird, dem ist nicht mehr zu helfen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Kommentar: Hardy Prothmann
Was unterscheidet erfolgreiche von nicht-erfolgreichen Menschen? Erfolgreiche verbauen sich nicht ihre Chancen. Der noch amtierende stellvertretende Ministerpräsident Nils Schmid und seine SPD waren nicht erfolgreich und beerdigen ohne Not gleich eine wichtige Chance: Eine Koalition mit der CDU wurde ausgeschlossen.
Warum eigentlich? Erinnert sich noch jemand an die Aufregung, als eben dieser Nils Schmid einige Monate nach der Wahl 2011 die CDU im Hinterzimmer traf, was die Grünen als Affront begriffen hatten? Die SPD, so hörte man damals, betrachtete es als Demütigung, „Juniorpartner“ der Grünen sein zu müssen. Ausgerechnet der Grünen. Den kleinen Partner der CDU zu geben, konnte man sich in der Nach-Mappus-Phase damals noch vorstellen – heute aber nicht mehr? Warum eigentlich?
Die SPD will Kurs halten? Welchen?
Was ist mit diesem Nils Schmid los? Er sieht in der Wahl einen „Regierungsauftrag“ an die Grünen, weil die stärkste Kraft wurden. Aha. Bei der Wahl 2011 war die CDU stärkste Kraft und Herr Schmid hat mit dem schwächeren Partner die Regierung gebildet. Und ist heute schwächer denn je. Mit Verlaub: Was interessiert uns das Geschwätz von Herrn Schmid?
Die SPD gibt sich kämpferisch und will ihren Kurs beibehalten. Welchen? Denn der Spirale nach unten? In Mannheim kündigt der gedemütigte Dr. Stefan Fulst-Blei an, er werde weiter gegen Rechtspopulisten kämpfen. Sauber. Klingt gut, wenn man gerade an einen Rechtspopulisten sein Direktmandat verloren hat und die eigenen Wähler beschimpft. Wo hat Herr Fulst-Blei denn die eigenen Wähler beschimpft, fragen Sie? Die Antwort zeigt diese Grafik:

Nach der CDU hat vor allem die SPD an die AfD verloren – und auch frühere Grünen-Wähler haben sich für die rechtskonservative Partei entschieden. Quelle: Infratest dimap/tagesschau.de
Die Verunglimpfung der eigenen Wähler als Systemfehler
Herr Dr. Fulst-Blei verunglimpft also 90.000 ehemalige Wähler der SPD – ebenso wie der grüne Kandidat Gerhard Fontagnier 70.000 ehemalige Wähler der Grünen. Und beide zusammen geben sich der Illusion hin, die AfD-Wähler seien irgendwo aus braunem Schlamm entstanden. Das ist falsch – AfD-Wähler kommen in erheblicher Anzahl aus roten und grünen Reihen. Um es klipp und klar zu sagen: AfD-Wähler sind mitten unter den Wählern etablierter Parteien. Die AfD mobilisiert nicht die 1-Prozent-Partei NPD – sie greift im bürgerlichen Lager an und wer eben noch Genosse war, ist ab sofort „Nazi“ aus Sicht der „Kämpfer gegen rechts“.
Wieso das so viele sind? Darüber gibt es keine Reflexion. Null Analyse. Hauptsache mit Volldampf weiter „druffundawedda“. Ein erheblicher Teil der angeblich so „widerwärtigen“ Partei kommt aus den eigenen Lagern. Möglicherweise, weil diese Wähler angewidert von ihren früheren Lagern sind.
Wenn Herr Fulst-Blei das nicht wissen sollte, muss man ihn fragen, wie er dermaßen uninformiert sein kann. Falls er es weiß, muss man ihn fragen, wieso er das leugnet. Unterm Strich gewinnt die AfD.
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Chris Rihm übrigens, der CDU-Kandidat aus dem Norden, hat mit seinen 17,2 Prozent im Vergleich weniger verloren als die CDU im Land und weniger als der SPD-Konkurrent Fulst-Blei – und wäre da die AfD nicht gewesen, hätte er beste Chancen gehabt.
Raufelder ist ein wenig wie Kretschmann
Der souveräne Sieg im Süden für Wolfgang Raufelder hat übrigens Parallelen zum Ministerpräsidenten. Herr Raufelder ist immer moderat aufgetreten, bedächtig. Die Revoluzzer- oder gar Kämpfer-Attitüde ist seine Sache nicht. Der Erfolg gibt ihm recht. Seine Kontrahenten konnten überhaupt nicht reüssieren – und dementsprechend erreicht auch hier die AfD den Landesdurchschnitt, aber eben nicht den Durchbruch wie im Norden.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat eins von der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel gelernt: Teflon macht am wenigsten angreifbar.
Das gilt übrigens auch für die AfD – es wurde nicht gehetzt und gegen den Gegner gekämpft. Man gab sich handzahm, aber entschlossen. Die Häuser waren voll, um Längen voller als bei den etablierten Parteien. Man hat sich dem Wahlvolk angedient und den Krawall den anderen überlassen – die, allen voran Herr Fontagnier, haben die Rolle voll ausgefüllt und zu keiner Zeit bemerkt, dass etwas schief läuft.
Verantwortlichkeiten
Wir, liebe Leserinnen und Leser, sind auch verantwortlich. Für unsere Berichterstattung. Wir haben den Krawall der gewaltbereiten Antifa thematisiert, die Übergriffe auf Bürger, die Sachbeschädigungen und das Ende eines jeden politischen Dialogs.
Damit haben wir den Grünen und der SPD nicht geschadet, wir haben nur dokumentiert, wie diese sich selbst schaden. Und das lange vor der Wahl – bis heute haben wir den Eindruck, dass weder die SPD noch die Grünen das verstanden haben. Wir können nur anbieten, verstehen muss man selbst.
Wir haben überparteilich berichtet, wo wir die Möglichkeit dazu hatten. Gesprächsangebote an Herrn Dr. Fulst-Blei und Carsten Südmersen wurden nicht angenommen – deren Entscheidung. An einem Gespräch mit Herrn Fontagnier haben wir wie berichtet kein Interesse, sein Hilfsverein „Mannheim sagt Ja“ hat uns verklagt und Hausverbot erteilt. Es bleibt den verantwortlichen Personen überlassen zu entscheiden, ob das „klug“ war.
Wir werden Sie weiterhin transparent und unabhängig unterrichten. Immer mit dem Blick auf das Jetzt, nach hinten und nach vorne. In gut drei Jahren sind Kommunalwahlen. Das klingt weit weg, ist aber sehr nah.
Mannheims Umbruch in Serie?
Bei den Wahlen 2014 zogen vier AfD-Stadträte aus dem Stand in den Gemeinderat ein. Damals war die Partei gerade mal ein Jahr alt. Nach der Spaltung im Sommer 2015 wechselten drei Stadträte zu ALFA, einer blieb parteilos. SPD und CDU verloren, die Grünen konnten sich halten.
Was wird die nächste Kommunalwahl bringen, wenn die AfD drei Jahre lang in Stuttgart eine möglicherweise vernünftige Politik macht? Zieht die AfD dann im Mannheimer Gemeinderat an den Grünen und möglicherweise sogar an SPD und CDU vorbei? Das ist nicht unvorstellbar? Echt nicht?
Auch nicht, dass die AfD nach der Bundestagswahl 2017 auch im Bund vertreten sein wird. Möglicherweise sogar durch ein Mannheimer Mandat? Wieso sollte sich die AfD nicht auch die CDU holen? Die SPD hat sie schließlich im Handumdrehen kassiert und aktuell hat man viel mehr bei der CDU geräubert als bei den Sozialdemokraten, denen zunehmend die Basis wegbricht.
Alles was zählt, sind solide Informationen
Wir leben in politischen Umbruchzeiten und wissen nicht, was in drei Jahren sein wird. Dafür ist die Welt zu schnell geworden. Um zu verstehen was passiert, braucht man Informationen – sorgfältig zusammengetragenen Informationen.
Wenn Sie unsere Berichterstattung verfolgt haben, wussten Sie, dass diese Landtagswahlen sehr besonders werden würden. Wir sind zu klein, um „alles“ berichten zu können – das kann aber eh niemand. Aber was wir berichten, hat Hand und Fuß.
In Mannheim wollen Teile von Grünen und SPD und auch CDU das bislang nicht verstehen – man setzt auf alte Konzepte. Alte „Medienkontakte“. Alte Mechanismen. Ob das klug ist? Insbesondere die FDP zeigt sich überhaupt nicht so verbohrt und hat einen schönen Erfolg erzielt. Teile von Die Linke auch. Und ganz enorm die AfD.
Klar erzeugt das Panik bei gewissen Leuten – alte Kartelle funktionieren immer weniger.
Wir wissen, dass gewisse Leute versuchen, uns „parteipolitisch“ zu verhaften und „Schuldige“ suchen. Das zeigt nur das Ausmaß eines grassierend verqueren Denkens in diesen alten Schemata. Man muss sich Realitäten stellen oder man wird von Realitäten gestellt.
Wir haben auch eine Haltung – wir wollen kein Teil von Kartellen sein, sondern unseren Job machen. Ehrliche Information der Öffentlichkeit. Nichts weiter und das ist anspruchsvoll genug.
Meuthen – merken Sie sich den Namen
Zurück zum Anfang. In Baden-Württemberg steht mit Jörg Meuthen eine erfolgreiche, moderate Persönlichkeit an der Spitze der AfD. Ein Professor, der sich durchaus dem Volk verkaufen kann. Ein Intellektueller, der streng konservativ ist und sich nicht zu Hetz-Parolen verleiten lässt, aber ganz klar für das eintritt, was andere Medien beim Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann entdeckt haben: Haltung. Dabei neigt Jörg Meuthen eher zum „Understatement“: „Jetzt lassen Sie den Professor doch mal weg und lassen uns reden“, hat er mir beim letzten Interview gesagt.

Jörg Meuthen ist auf dem Weg, der starke, aber auch bedächtige Mann der AfD zu werden. Er ist klug, er ist bescheiden, er ist kämpferisch und vermutlich hat er einen Plan.
Dieser Mann ist erfolgreich und vor seiner Zeit bei der AfD nie negativ aufgefallen. Er ist neben Frauke Petry Bundessprecher der AfD – im Ländle. Dieser Jörg Meuthen wurde bislang medial kaum beachtet, weil er nicht für den Krawall steht, sondern für das Bedächtige. Das taugt nicht für Schlagzeilen, aber wir gehen davon aus, dass Herr Meuthen hart daran arbeitet, negative Schlagzeilen zu verhindern und positive zu generieren.
Jörg Meuthen ist klug, hat Manieren, hat sich auch in den TV-Duellen („alle gegen einen“) gut geschlagen und ist jemand, der lösungsorientiert denkt. Jörg Meuthen ist innerhalb der AfD die bislang von den meisten Medien nicht erkannte Kraft, die den Zorn gegen das „Establishment“ mit Elite und Nähe verbindet.
Stammland Baden-Württemberg – nach CDU und FDP auch für die AfD?
Baden-Württemberg ist das Stammland der CDU. Und der FDP. Und der Grünen. Und in Zukunft vielleicht der AfD auf dem Weg zu einem bundesweiten Erfolg. So bitter das für manche klingen mag: Das Erfinderland Baden-Württemberg ist möglicherweise auch das Gründungsland für eine langfristig erfolgreiche rechtskonservative AfD.
Ich habe Jörg Meuthen mehrmals für Gespräche getroffen. Er leidet unter dem Chaos in seiner Partei. Dem „Missverständnis“ in den Medien. Er will etwas verändern und das macht ihn zur zentralen Figur der AfD. Aus dem Nichts aufgetaucht wurde er Bundessprecher – ein Mann der leiseren Töne. Intelligent und garantiert nicht ohne Plan. Aber auch impulsiv und durchaus kämpferisch.
Er kann Frau Dr. Frauke Petry mit Schmerzen zuschauen, wie sie ihrem Hang nachgeht, sich selbst zu demontieren und weiter seine Pläne verfolgen. Wer einigermaßen bewandert in Geschichte ist, weiß, dass die Bedächtigen am Ende immer gewinnen.
Das macht Jörg Meuthen zum Konkurrenten für Winfried Kretschmann. Sie halten das für eine „steile These“? Ja, kann sein.
Beide sind bedächtig und wagen nicht zuviel. Der eine ist Professor, der andere Lehrer. Beide sind „kluge Leut“, die abseits von Schemata denken.
Weder die CDU, die SPD, die FDP oder Die Linke haben diesen beiden Persönlichkeiten etwas entgegen zu setzen. Das wird spannend werden.
Auch, wie die etablierten Parteien jemals Wähler der AfD zurückholen wollen – die haben doch schließlich „Nazis“ gewählt und die kann man doch nicht ernsthaft zurückholen wollen. „Heim ins eigene Reich“?
Und das ist jetzt ganz „revolutionär“ – die „undenkbare“ Koalition aus CDU, AfD und FDP könnte regieren. Das hätte auch angesichts der massiven Abwanderungen von der CDU zur AfD eine gewisse Logik – aber dieser Wahrheit traut sich niemand zu stellen. Mal schauen, ob der AfD dazu was einfällt.
Erinnern Sie sich eines Tages an diesen Kommentar.
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