Heidelberg, 16. März 2016. (red/nh) Die grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hat die Akademikerstadt Heidelberg gerockt – und sogar den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann haushoch überholt: 40,97 Prozent sind gut zehn Prozentpunkte über dem Landesschnitt und über fünf Prozentpunkte mehr als beim Regierungschef. 14 Wahlbezirke wählten grün, einer allerdings AfD. Für die SPD war die Wahl brutal, Die Linke konnte deutlich über dem Landesergebnis abschneiden. Der Blick auf einzelne Wahlbezirke lohnt.
Von Naemi Hencke
Lassen Sie uns zuerst in die Weststadt schauen – Grün holt fast 50 Prozent. Dieser Stadtteil ist sehr bei der jüngeren Bevölkerung beliebt, besser situierte Familien wohnen hier – die Arbeitslosenquote liegt unter dem Heidelberger Durchschnitt. Wenig überraschend – die Weststadt wählte schon im Jahr 2011 vornehmlich grün.
Die SPD verliert in diesem Bezirk die wenigsten Stimmen – „nur“ 8,1 Prozentpunkte und fällt demnach auf 12,26 Prozent. Trotzdem: Bei den vergangenen Landtagswahlen waren SPD und CDU ziemlich gleichauf – jetzt sieht es anders aus: Die CDU überholt die SPD – aber auch nur mit rund 3 Prozentpunkten. Letztendlich also doch ein härterer Verlust für die SPD.
AfD gewinnt den Emmertsgrund
Vollständig im Kontrast dazu der Emmertsgrund. Diesen Bezirk gewinnt die AfD mit 26,73 Prozent. Der Grünen-Anteil, mit nur 20,98 Prozent, liegt etwa 10 Prozentpunkte unter dem Landesergebnis. Die Grünen können hier überhaupt keinen Gewinn einfahren – im Vergleich zu den Landtagswahlen 2011 gewinnen sie nur 0,14 Prozentpunkte.
Die CDU sowie die SPD verlieren deutlich an Wählerzustimmung – beide Parteien stürzen zweistellig ab. Bemerkenswert ist zudem, dass, obgleich die Wahlbeteiligung mit 53,38 Prozent im Heidelberger Vergleich eher gering ausfiel, dennoch 5,58 Prozent mehr Wähler/innen ihre Stimme abgaben. Das ist ein deutlicher Zuwachs im Vergleich zu anderen Stadtteilen. Hat die AfD es in diesem Bezirk geschafft, rund 500 Nichtwähler/innen zu mobilisieren?
Der Emmertsgrund ist geprägt von Hochhäusern aus den 70-er Jahren. 6.500 Menschen aus mehr als 100 verschiedenen Herkunftsländern leben hier. Die Arbeitslosenquote ist in diesem Bezirk deutlich höher als der Heidelberger Durchschnitt. Doch längst nicht vergleichbar mit ärmeren Mannheimer Stadtbezirken wie die Schönau – hier erreicht die AfD sogar 30,1 Prozent.
AfD hätte fast einen zweiten Bezirk gewonnen
Zweitstärkster AfD-Bezirk ist Boxberg. Diesen Bezirk hat die AfD fast gewonnen. Und das hauchdünn – mit 24,21 Prozent – die Grünen erreichen hier nur 24,84 Prozent. Der Boxberg ist auch für die CDU ein Trauerspiel: Sie verliert hier 18,64 Prozentpunkte und damit beinahe 50 Prozent ihrer Wähler/innen. Im Jahr 2011 war sie in diesem Stadtteil mit 37,84 Prozent die stärkste Partei.
Die Arbeitslosenquote in diesem Stadtteil ist – wie auch im Emmertsgrund – wesentlich höher als der Heidelberger Durchschnitt. Die Einwohner sind eher älter. Haben die ehemaligen CDU-Wähler eventuell aus Protest die AfD gewählt?
Bio ist ein Luxusproblem
Insgesamt bleibt die AfD in der akademisch geprägten Stadt mit 10,93 Prozent deutlich hinter dem Landesergebnis zurück. Eigentlich war man ja als „Professorenpartei“ gestartet – doch mit der Abspaltung der „Lucke-Truppe“ von der AfD gingen auch die akademischen AfD-Gründer/innen zu ALFA. Es ist anzunehmen, dass besser situierte Wähler/innen – Bio muss man sich erst mal leisten können – dann doch eher grün statt blau wählen und umgekehrt. Denn wer mit Existenzängsten lebt – wie geht es morgen weiter? – wird sich wahrscheinlich weniger Sorgen machen, um die Pflanzen und Tiere, die auf seinem Teller landen, als um sich selbst und seine eigene Familie. In diesem Falle erreicht die AfD dann deutlich mehr Menschen.
Die Linke profitiert
Bester Bezirk für Die Linke ist Bergheim. 8,72 Prozent der Wähler/innen kann sie hier erreichen und fährt zudem den größten Gewinn mit 4,57 Prozentpunkten im Wahlkreis Heidelberg ein. Bemerkenswert ist, dass Die Linke im gesamten Wahlkreis ausschließlich gewinnt – immerhin 6,1 Prozent. Sahra Mirow darf sich freuen – denn so ein Ergebnis schaffte nicht einmal die Spitzenkandidatin Gökay Akbulut im Süden Mannheims – sie konnte nur 4,5 Prozent erreichen.
FDP – gewinnt, aber nicht genug
Die FDP kann den Landesschnitt halten. Im Vergleich zur Landtagswahl 2011 bringt ihr das Endergebnis in Heidelberg sogar 2,73 Prozentpunkte Gewinn ein. In Schlierbach kann die FDP die meisten Wähler/innen dazu gewinnen. In Neuenheim schlägt sie mit 11,68 Prozent sogar die SPD. In Pfaffengrund hingegen, kann die FDP die Wähler/innen nicht so wirklich von sich überzeugen: Hier liegt sie mit 5,73 Prozent nur knapp vor Die Linke.
SPD stürzt ab
Brutale Verluste für die SPD: Man muss von einem dramatischen Absturz sprechen. Mit 12,1 Prozent liegt sie zwar mit dem Landesergebnis von 12,7 Prozent etwa gleich auf. Dennoch verliert sie in Heidelberg knapp die Hälfte ihrer Wähler/innen – minus 10,74 Prozentpunkte muss die SPD verzeihen. Im Jahr 2011 erreichte die SPD noch fast 23 Prozent der gesamten Wählerstimmen.
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Vor allem in Pfaffengrund gehts steil bergab. Noch im Jahr 2011 gewann die SPD mit 33,75 Prozent diesen Stadtteil. Jetzt verliert sie 15,43 Prozentpunkte und kann nur noch 18,32 Prozent der Wähler/innen für sich gewinnen. Hier setzt sich die AfD durch. Und sammelt sehr wahrscheinlich die verlorenen Stimmen der SPD ein. Holt die AfD die enttäuschten SPD-WählerInnen ab? Fakt ist: Die AfD erreicht in Pfaffengrund ein über dem Landesschnitt liegendes Ergebnis von 18,56 Prozent. In den Bezirken Emmertsgrund und Boxberg sieht es ähnlich aus – auch hier verliert die SPD nahezu die Hälfte ihrer Wählerschaft.
CDU verliert
Auch die CDU muss harte Verluste ertragen. Vor allem die Wähler/innen in Emmertsgrund und Boxberg entfernen sich von der CDU – und wählen eine andere Partei. Vielleicht die AfD (siehe oben)?
Im Jahr 2011 konnte die CDU diese beiden Stadtteile noch gewinnen – jetzt verliert die Partei bis zu 18,64 Prozentpunkte.
Auch in Ziegelhausen – einem gewonnenen Stadtteil im Jahr 2011 – verliert die CDU drastisch. Dennoch schafft sie hier immerhin noch 25,52 Prozent. Demnach hat Ziegelhausen noch die meisten CDU-Wähler in Heidelberg – aber den Stadtteil hat die Partei trotzdem an die Grünen verloren.
In der Altstadt verliert die CDU am wenigsten. Nur 4,42 Prozentpunkte – dennoch erreicht sie gerade so eben 16,74 Prozent. Ist das wirklich ein Erfolg?
Bringen Flüchtlinge Wähler/innen dazu AfD zu wählen?
In Kirchheim fällt auf, dass die AfD 15,45 Prozent gewinnt – damit bestätigt die AfD immerhin „nur“ den Landesschnitt. Dennoch wählen in Kirchheim mehr die AfD als in innerstädtischen Stadtteilen wie Bergheim, Weststadt oder Altstadt. Woran könnte das liegen? In Mannheim Nord haben de facto 23 Prozent AfD gewählt. In Mannheim Nord wurden im vergangenen Jahr die meisten Flüchtlinge aufgenommen – insgesamt lag die Höchstzahl bei 19.000 Menschen. Auch Kirchheim nimmt im Patrick-Henry-Village viele Flüchtlinge auf – hier war der Höchststand knapp 6.000 Menschen. Könnten diese Zahlen einen Ausschlag auf die AfD-Stimmen gegeben haben?
Bauer darf ihren Erfolg genießen – Top 2 im Land
Von Erfolg kann unterm Strich nur Theresia Bauer schwärmen – sie holt für die Grünen das zweitbeste Ergebnis (41 Prozent) nach Muhterem Aras in Stuttgart (42,4 Prozent). Vorne eine vier – das kann man bislang eigentlich nur noch von der CDU und vor vielen Jahren hier und da bei der SPD.
Wahlbeteiligung steigt deutlich
Zu guter Letzt soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Wahlbeteiligung in Heidelberg deutlich ansteigt – nämlich genau um 3,19 Prozentpunkte. Somit liegt die Wahlbeteiligung in Heidelberg nur 0,5 Prozentpunkte hinter dem Landesergebnis von 70,4 Prozent.
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