Mannheim/Rhein-Neckar, 11. Dezember 2017. (red/pro) Bei der Sondersitzung des Gemeinderats am Dienstag haben sich verschiedene Fraktionen zum Thema Finanzierung der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) geäußert – grundsätzlich will die Mehrheit den enorm gestiegenen Finanzbedarf genehmigen. Ohne jegliche Auflagen.
Der große Schlagabtausch fiel in der von der CDU-Fraktion beantragten Sondersitzung aus. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Claudius Kranz wünschte sich künftig mehr Transparenz und zeigte sich bereit, die urplötzlich neu genannten 58 Millionen Euro zur Finanzierung der UMM zu genehmigen: „Eine weitergehende Entwicklung kann in der Zukunft allerdings nicht fortgesetzt werden.“ Ähnlich äußerte sich der ML-Vorsitzende Prof. Dr. Joachim Weizel. Ratzel (CDU) ergänzte: „Es ist ein Trugschluss, dass die Stadt Mannheim sich alles leisten kann, was aber nicht zu bezahlen ist.“
Eberhard Will, Sprecher der Gruppe „Bürgerfraktion“, sprach von einem „Fass ohne Boden“. Thomas Trüper (Die Linke) meinte, es sei ein glücklicher Zufall, dass die Steuern gerade sprudeln, nachdem das Modell aktuell implodiert sei. Der freie Gemeinderat Helmut Lambert meinte, dass Ende 2019 kein Kapital mehr vorhanden sein wird.
Damit könnte er Recht haben. Der neu genannte Bedarf von 58 Millionen Euro setzt sich aus einer aktuellen Zuzahlung für 2017 von 32 Millionen Euro durch höhere Steuereinnahmen, je drei Millionen Euro als Zuschuss für die defizitäre Notaufnahme sowie je zusätzlichen 10 Millionen Euro Eigenkapitalzuschuss in den Jahren 2018-2019 zusammen. Je 10 Millionen Euro waren bereits vorgesehen – in Summe sind das 78 Millionen, wovon 20 Millionen bekannt waren und 58 Millionen neu hinzukommen. Der Erste Bürgermeister Christian Specht (CDU) bezeichnete das zusätzliche Kapital als „Rettungspaket“.
Zusätzlich erhält die UMM wieder Zugriff auf den Cashpool der Stadt Mannheim in Höhe von bis zu 25 Millionen Euro, die bis spätestens Sommer 2018 wieder zurückgeführt sein sollen. Übersetzt heißt das, das Klinikum hat aktuell einen dringenden Bedarf von 32 Millionen Euro und 2018 einen von 45 Millionen Euro (20 Millionen Euro Zuschuss plus 25 Millionen Euro Cashpool).
Im Frühjahr 2016 genehmigte der Gemeinderat bereits eine Bürgschaft über 65 Millionen Euro, durch die sich die UMM Geld bei einer Bank leihen konnte. Dieses Kapital ist wohl aufgebraucht. Bis wann das Geld zurückgeführt sein soll, ist uns nicht bekannt. Üblicherweise werden solche Kredite auf 5-20 Jahre angelegt.
Nach unseren Informationen dienen die Zuschüsse ins Eigenkapital nicht der Schaffung eines Kapitalpolsters mit Blick auf „die neue Mitte“ (Neubau eines zentralen Gebäudes), sondern der laufenden Finanzierung. Zwar werden dadurch auch Investitionen bezahlt, aber eben auch andere Kostenblöcke wie Personal und Materialbeschaffung, die enorm angestiegen sind.
Rechnet man den faktischen Kapitalbedarf von 65 Millionen Euro und nun 32 Millionen Euro für die Jahre 2016-2017 zusammen, ist die UMM faktisch um 97 Millionen Euro unterfinanziert. Dazu müssen allerdings noch 17 Millionen Euro Gewinnvortrag gerechnet werden, die 2015 noch als Eigenkapital aufgeführt waren. Zusammen sind das also 114 Millionen Euro Fehlbetrag.
Diese Zahl passt zum Abschluss des Konzerns 2015 mit einem Fehlbetrag von knapp 51 Millionen Euro. Der kaufmännische Geschäftsführer Dr. Jörg Blattmann betonte in seiner Vorstellung, dass man ab dem vierten Quartal 2015 sechs gute Quartale im Plan gehabt hätte, dann aber das zweite und dritte und voraussichtlich auch das vierte Quartal 2017 die Planziele deutlich nicht erreichen konnte.
Daraus lässt sich möglicherweise schließen, dass auch die jetzt anstehende Kapitalerhöhung von insgesamt 78 Millionen Euro für die Jahre 2018-2019 möglicherweise nicht ausreichen werden. Das sind 36 Millionen Euro weniger als in den Jahren 2016-2017 als Fehlbetrag aufgelaufen sind.
Vermutlich hofft die UMM, dass dieser Betrag durch die laufenden Umstrukturierungen einerseits eingespart werden kann und andererseits durch eine gesteigerte Leistungsfähigkeit mehr Geld eingenommen wird.
Bei einer Planzahl von jährlich 5 Prozent mehr Umsatz pro Jahr. Die Zahlen für 2016 und 2017 liegen uns noch nicht vor. Gehen wir von 2015 mit gut 340 Millionen Euro Umsatz beim Konzern aus, kommt man in der Berechnung Schritt für Schritt auf rund 413 Millionen Euro Umsatz für das Jahr 2019. Wenn diese angenommene Zahl erreicht werden sollte, kann der Plan sich erfüllen, ab 2020 zumindest ein ausgeglichenes Ergebnis zu erwirtschaften.
Wir können das nicht solide vorrechnen, weil wir die Zahlen 2016 und 2017 für den Konzern nicht kennen. 2017 wurde das Ziel verfehlt, soviel ist klar. Erstaunlich ist, dass es 2016 einen deutliche Umsatzanstieg von 246,2 auf 263,7 Millionen Euro bei der Klinikum GmbH, dem Herzen des Konzerns, gab. Trotzdem bleibt am Ende ein Verlust von 36,5 Millionen Euro in der Bilanz stehen.
Auf der Strecke bis 2020 dürfen sich keine neuen Überraschungen mehr ergeben, sonst entsteht ein noch höherer Kapitalbedarf. Ob es der UMM gelingt, die verfehlte Planzahl aus 2017 von nur rund 2 Prozent aufzuholen, ist schon mal ein Störfaktor.
Ein weiterer wäre, wenn die UMM nicht aus der Kritik herauskommt und damit eine Steigerung der Patientenzahlen ausbleibt. Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz appellierte daher dringend, den Ruf der UMM nicht weiter vorsätzlich zu beschädigen.
Auch der ärztliche Direktor Prof. Dr. Frederik Wenz stellte die hohe medizinische Leistungsfähigkeit und Top-Qualität des Klinikums heraus – die eben durch die Investitionen zukunftsfähig gemacht würde. Das hört sich gut an. Die Umsatzzahlen steigen, die Zuschüsse auch und trotzdem ist das Klinikum dramatisch defizitär. Da darf man schon die Frage stellen, was das für die Zukunft bedeutet?
Blickt man auf den „Hygieneskandal“ Ende 2014 zurück und die seitdem geäußerten Zahlen, bleibt festzustellen, dass ständig in erheblicher Höhe „nachjustiert“ werden musste. Raimund Fojkar (Grüne) thematisierte ein strukturelles Investitionsdefizit bereits vor der jetzt laufenden Restrukturierung.
Dies entspricht unseren Recherchen. Die Bilanzen sahen bis 2013 eigentlich gut aus – offenbar, weil über Jahre notwendige Investitionen unterblieben, die nun „schlagartig“ anstehen. Rechnet man nur die 143 Millionen Euro auf den Zeitraum von der Jahrtausendwende bis 2013/2014, fehlten Jahr für Jahr rund 10 Millionen Euro.
Schaut man voraus in Sachen „neue Mitte“ kann man davon ausgehen, dass es mindestens in der Höhe von 10 Millionen Euro jährlich Rücklagen geben müsste, um hier in eine solide Finanzierung zu kommen, wenn man von einer 50-prozentigen Förderung des förderwürdigen Betrags ausgeht. 350 Millionen Euro Kosten sind im Gespräch, förderwürdig könnten nach unseren Informationen rund 250 Millionen Euro sein. Abzüglich einer Förderung von 125 Millionen Euro blieben damit 225 Millionen Euro, die die UMM aufbringen müsste. Wie soll das gehen?
Angesichts der aktuellen Zahlen ist das utopisch. Lösen kann man das sicherlich, aber ganz sicher nicht aus dem laufenden Geschäft. Auch nicht in einigen Jahren.
Auch hier wird die Stadt Mannheim in die Pflicht gehen müssen. Nicht aktuell, aber schon sehr bald. Darüber wurde in der Sondersitzung nicht gesprochen.
Hinweis: Die Bilanzzahlen lassen sich nur schwer vergleichen, weil die Übernahme des Südhessischen Klinikverbunds und dessen Abschreibung einfließen. Klar ist aber, dass Aufwendungen für Personal- und Materialkosten explodiert sind – obwohl von 2015 auf 2016 genau 100 Mitarbeiter abgebaut worden sind. Das ist mit dem „Hygieneskandal“ nicht zu erklären. Interessant: Nur 47 Prozent der Patienten kommen aus Mannheim – der städtische Zuschuss kommt also zu 55 Prozent dem Umland zugute.
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