Mannheim/Rhein-Neckar, 07. Mai 2014. (red/ms) Das gestohlene Handy der ermordeten Gabriele Z. war nur für zwei Minuten eingeschaltet – doch diese geringe Zeitspanne genügte der Polizei, es zu orten und die Wohnung des Angeklagten ausfindig zu machen. Am siebten Verhandlungstag im Prozess gegen Emil S. sagten zehn Polizisten aus, wie es ihnen gelang, den mutmaßlichen Mörder zu ermitteln. Ganz „sauber“ war ihr Vorgehen offenbar nicht – aber allem Anschein nach erfolgreich.
Von Minh Schredle
Wer ein Handy dabei hat, kann geortet werden. Vielen ist gar nicht bewusst, dass jeder Schritt, den sie tun, überwacht werden kann. Überall, wo sich ein Mobilfunkgerät an Sendemasten anmeldet, wird dies registriert – und damit sind die eigenen Standorte mindestens eine Woche, manchmal auch über mehrere Monate hinweg nachverfolgbar. Normalerweise sind diese Daten privat. Wenn die Polizei in einem Mordfall ermittelt, werden allerdings auch Ausnahmen gemacht.
13 Tage nach dem Mord an Gabriele Z. war ihr Handy plötzlich an. Für zwei Minuten – das war genug Zeit, um die Wohnung des Angeklagten ausfindig machen zu können.
Zwei Minuten reichten für die Ortung aus
Am 16. Oktober 2013 wurde das Handy der Toten zwischen 19:44 Uhr und 19:46 Uhr eingeschaltet. Dieser knappe Zeitraum genügte, um folgende Informationen zu erlangen: Das Telefon ist in Grünstadt und es wurde nicht mit der Sim-Karte aus Litauen betrieben, sondern mit einer 0157-Nummer. Am 19. Oktober erhält die Polizei auf Antrag und Bestätigung durch einen Amtsrichter die Daten.
Als am 10. August 2013 eine Frau in Speyer überfallen wurde, benutzte jemand ein Handy mit dieser 0157-Nummer keine halbe Stunde vor dem Vorfall in unmittelbarer Nähe des Tatorts. Als am 17. Oktober die zwei minderjährigen Mädchen in Grünstadt überfallen wurden, wurde ein Handy mit dieser 0157-Nummer ebenfalls in Grünstadt geortet.
Schließlich konnte die Polizei am 19. Oktober feststellen, dass die Daten ausgehend von dieser Sim-Karte aus einem Gebäude der „K.“ Straße 17 in Grünstadt stammten.
Zugriff noch am selben Tag
Noch am gleichen Tag machten sich acht Mann auf den Weg zu einer Hausdurchsuchung, die innerhalb von Minuten übers Telefon von der Staatsanwaltschaft und durch das Amtsgericht Mannheim genehmigt wurde. Später kamen noch Ermittler der Sonderkommission Cäsar dazu.
Sie hatten noch keine Ahnung, was sie erwarten würde, sagt ein Polizist aus, der als Zeuge befragt wurde. Man habe vorher nicht einmal nachgesehen, wer auf die Adresse gemeldet war.
Vor dem Haus wartete man zunächst und „observierte die Situation“. Hier unterscheiden sich die Schilderungen der befragten Polizisten: Einer gibt an, man habe auf einen günstigen Moment warten wollen. Der andere sagt, man habe die Tür nicht aufbekommen.
Jedenfalls öffnete sie schließlich ein Anwohner, darin stimmen alle Schilderungen überein. Der Mann ist ein Arbeitskollege und Mitbewohner des Angeklagten gewesen. Zwei Polizisten seien unten geblieben und hätten sich um ihn gekümmert, schildert ein Zeuge. Die anderen sechs seien zügig nach oben.
Angeklagter reagiert teilnahmslos
Die Tür zur Wohnung des Angeklagten sei schon offen gestanden. Der Polizist schildert, wie Emil S. im Türrahmen stand und vollkommen ausdruckslos aussah, als er die Polizisten im Treppenhaus bemerkte. Er habe sich wortlos umgedreht, sei in sein Zimmer gegangen, habe sich dort auf ein Sofa gesetzt und eine Zigarette angezündet.
Die habe ich ihn aber nicht rauchen lassen und ihm klar gemacht, dass er sitzen bleiben muss,
sagt der Zeuge weiter. Er habe ihm dann ein paar Fragen gestellt, was aber sehr mühsam gewesen sei, da der Angeklagte nur gebrochen Deutsch gesprochen habe. Er habe sich danach erkundigt, wo er schläft und wie viele Leute in der Wohung leben. Zum Zeitpunkt des Zugriffs sei der Angeklagte allein in der Wohung gewesen.
Persönliche Gegenstände der Opfer im Schrank des Angeklagten
Als Emil S. mit seiner Hand auf sein Bett und den dazugehörigen Schrank deutet, geht ein Kollege hin und durchsucht die Schubladen. Darin findet er das Handy von Gabriele Z. und andere Gegenstände, die belastendes Beweismaterial darstellen: Zwei Speicherkarten.
Die beiden werden in der Folge analysiert. Auf der einen finden sich Bilder und Dokumente von Gabriele. Die andere ist formatiert. Einem Forensiker gelingt es jedoch, einige Daten zu rekonstruieren – WhattsApp-Nachrichten, die vom Handy der 17-jährigen Vanessa K. versendet wurden.
Obwohl die Gegenstände in seiner Wohnung gefunden wurden, habe er in dem Angeklagten „noch keinen Beschuldigten“ gesehen, sagte der Polizist aus, der Emil S. vor Ort die Fragen gestellt hat. Die Rechtsanwälte des Angeklagten finden das auffällig.
„Es gab keinen Grund ihn zu verdächtigen“
Wenn jemand als Beschuldigter betrachtet wird, muss er über seine Rechte belehrt werden: Man muss keine Angaben machen und darf einen Anwalt verlangen. Das hat beim Angeklagten niemand getan. Der Polizist sagt:
Er hätte die Sachen ja auch von jemandem gekauft haben, es gab keinen Grund, ihn zu verdächtigen.
Außerdem wäre eine Belehrung aufgrund der eingeschränkten Sprachkenntnisse des Angeklagten ohnehin unmöglich gewesen. Obwohl es „keinen Grund gab, ihn zu verdächtigen“ nahmen die Polizisten den Angeklagten mit auf das Revier.
„Kampfspuren“ am Körper des Angeklagten
Eine vorläufige Festnahme wurde scheinbar nicht ausgesprochen. Zwar erwähnen mehrere Beamte, ein bestimmter Kollege habe das getan. Dieser bestimmte Kollege sagte aber vor Gericht aus, es nicht gemacht zu haben.
Der Angeklagte leistete offenbar keinen Widerstand, als er mitgenommen wurde. Wäre er allerdings gegen seinen Willen dazu gezwungen worden, ohne dass ihm klar gemacht worden ist, dass er festgenommen wird, würde es sich um Freiheitsentzug handeln. In diesem Fall könnte der Angeklagte die Beamten wegen Freiheitsberaubung verklagen.
Als sie auf dem Revier angekommen sind, wurde Emil S. untersucht. Dabei wurden mehrere Verletzungen an seinem Körper festgestellt, die laut Aussage des zuständigen Polizisten wie „Kampfspuren“ aussahen: Mehrere Kratzer und ein stark geschwollener Finger.
Ordungsmäßigkeit der Belehrung umstritten
Noch in derselben Nacht wurde der Angeklagte polizeilich verhört. Dabei soll er zunächst angegeben haben, die Gegenstände gekauft zu haben. Allerdings ist strittig, ob die Vernehmung rechtlich in Ordnung war. Denn scheinbar wurde Emil S. nicht ordnungsgemäß belehrt. Irgendwann verlangte er laut Rechtsanwalt Maximilian Endler nach einem Anwalt und solle angekündigt haben, vorher gar „nichts mehr zu sagen“.
Wenn Richter Ulrich Meinerzhagen feststellt, dass die Belehrung nicht korrekt war, dürfen alle Angaben, die bei der Polizei gemacht worden sind, nicht im Prozess verwendet werden. Dann ist es für das Gericht so als „sei das nie passiert“, wie der Vorsitzende Richter sagt.