Mannheim/Rhein-Neckar, 08. Mai 2014. (red/ms) Nadja B. wurde am 10. August 2013 das Opfer eines brutalen Überfalls. Sie hatte Todesangst. Heute schilderte sie vor Gericht, wie der Vorfall stattgefunden haben soll. Ihre Aussage lässt einen Mitgefühl mit dem Opfer verspüren – und Verachtung für den Täter. Die Geschädigte verlor bei dem Übergriff ihre Brille und sah den Angreifer nur schemenhaft. Es gelang ihr allerdings den Täter zu verwunden. Die DNA stimmt mit der des Angeklagten Emil S. überein.
Von Minh Schredle
So groß war der Andrang seit dem Prozessauftakt nicht mehr: Etwa 60 Besucher sind gekommen, um die Aussage der Frau zu hören, die am 10. August 2013 in Speyer überfallen und brutal zusammengeschlagen worden ist.
Nadja B. ist eher zierlich: Die 49-jährige Geschädigte ist schlank, etwa 1,70 Meter groß und trägt schulterlange, blonde Locken. Wenn man sie nur von hinten sieht, könnte man sich auch gut 20 Jahre jünger schätzen.
Opfer und Angeklagter lassen sich kaum etwas anmerken
Als sie den Saal betritt, schaut der Angeklagte weg. Er hat die Arme verschränkt und blinzelt ziemlich oft. Ansonsten ist ihm absolut nichts anzumerken. Keine Gefühlsregungen. Die Zeugin lässt sich ebenfalls nichts anmerken, sieht nur einmal zu dem Mann rüber, der für die brutalen Taten gegen sie verantwortlich gemacht wird.
Sie spricht sehr gefasst und sachlich. Ganz so als würde sie eine Geschichte nacherzählen, die sie irgendwann einmal gelesen hat. Ganz so als würde sie das gar nicht berühren. Aber manchmal bricht ihre Stimme ein bisschen ein und ein ganz leises Schluchzen ist zu hören.
Am 10. August sei sie mit einer guten Freundin spazieren gewesen. Man habe beim Griechen gut gegessen und anschließend in einer Gaststätte noch jeweils einen Cocktail getrunken. Kurz vor Mitternacht hätten sich die beiden auf den Weg gemacht. Sie seien noch eine Weile zusammen gelaufen, bis sie sich am Eselsdamm trennten.
„Ich habe mich auf den späten Spaziergang gefreut“
Von dort aus hatte sie noch etwa eine Viertelstunde nach Hause zu laufen. Die Geschädigte habe sich auf den Spaziergang gefreut, denn es sei bis dahin „eine wundervolle Sommernacht“ gewesen. Außer ihr habe sie sonst niemanden auf dem Damm bemerkt – bis sie plötzlich Schritte hinter sich hörte:
Es klang als würde jemand Anlauf nehmen und auf mich zu rennen. Noch bevor ich mich umdrehen konnte, rammte mich jemand wie eine Dampfwalze. Ich flog förmlich ein Stück und er landete auf mir.
Als sie gestoßen wurde, habe sie ihre Brille verloren – daher konnte sie den Täter nachher nicht beschreiben. Die Frau gibt an, auf dem rechten Auge 9,5 Dioptrin und auf dem linken Auge 11,0 Dioptrin zu haben. Sie sah den Angreifer „nur schemenhaft.“
Schlechte Sichtverhältnisse
Hinzu kommt: Die Stelle am Eselsdammist nicht besonders gut beleuchtet ist. Die beiden sind in ein Dornengestrüpp gefallen, dort sei es so dunkel gewesen, dass man „kaum noch etwas sehen konnte“:
Ich fühlte nur, wie er mit der einen Hand nach meiner Gurgel gegriffen hat. Mit der anderen schlug er mir immer wieder ins Gesicht, wenn ich versucht habe, mich zu wehren.
Zunächst dachte sie, der Mann würde versuchen, sie zu vergewaltigen – doch damit lag sie falsch: Denn obwohl es laut eigener Aussage „sehr leicht gewesen wäre, ihr Kleid hochzuschieben und ihre Unterhose herunterzuziehen“, habe der Angreifer so etwas nicht versucht.
„Täter wirkte kalt und regungslos“
Er sei auch mit seinem Gesicht weit von ihr weggeblieben. Er wirkte bei der Tat nicht aufgebracht, so als sei er von Hass erfüllt oder als müsste er seine Wut an jemandem abreagieren – sondern ganz kalt und gefühllos, beschreibt die Täterin. Dann sagt sie:
Irgendwann war ich mir sicher: Er will mich umbringen.
Die Todesangst habe ihr die Kraft gegeben, weiter zu kämpfen. Erst habe der Angreifer versucht, ihr das Genick zu brechen, indem er mit beiden Händen an ihrem Kopf ansetzte und versuchte ihn ruckartig nach links zu drehen. Doch damit habe er keinen Erfolg gehabt.
„Ich wehrte mich mit aller Kraft“
Die Geschädigte trug wie Gabriele Z. einen Schal. Der Angreifer habe dann versucht nach dem Schal zu greifen – doch die Frau wehrte sich mit aller Kraft:
Ich wusste, wenn es ihm gelingt, an den Schal zu kommen, ist alles vorbei. Dann hätte er mich stranguliert.
Also habe sie mit allen Mitteln probiert, sich zu verteidigen. Zwischendurch sei es ihr immer wieder gelungen, den Würgegriff etwas zu lockern und nach Luft zu schnappen.
„Ich konnte nicht schreien“
Sie hätte auch versucht zu schreien. Aber es kam nur ein Krächzen dabei heraus. Die Schreie habe sie dann nachgeholt – in den kommenden Monaten. Wenn sie allein war und ihre Emotionen sie überrumpelten.
Wie lange der Kampf zwischen den beiden dauerte, konnte die Geschädigte nicht sagen:
Es kam mir vor wie eine Viertelstunde. Aber vermutlich wirkte es wegen des Schockmoments viel länger als es tatsächlich war.
Schließlich habe der Angreifer von ihr abgelassen. Sie könne nur spekulieren, warum:
Wahrscheinlich hat es einfach zu lange gedauert und er hat Angst bekommen, dass jemand vorbei kommt und uns beobachtet.
Als der Angreifer von ihr ablässt, ist die Frau schwer verwundet. Ihre linke Gesichtshälfte ist komplett geschwollen, ihr Kiefer und eine Rippe sind gebrochen. Sie musste nach der Tat noch eine Woche im Krankenhaus bleiben und konnte ihre Arbeit als Beamte bei der Stadtverwaltung von Speyer erst sieben Wochen später wieder im vollen Umfang ausüben.
„Ziel des Angriffs war offensichtlich nicht die Handtasche“
Es habe eine Weile gedauert, bis sie wieder alleine spazieren gehen konnte. Mittlerweile funktioniert das wieder ganz gut – allerdings:
Sobald ich irgendein Geräusch hinter mir höre, muss ich mich sofort umdrehen.
Bei dem Überfall ist eine Handtasche abhanden gekommen – diese wurde nie gefunden. Sie kann aber kaum das eigentliche Ziel des Überfalls gewesen sein: Die Zeugin gibt an, sie habe ihre Tasche direkt fallen gelassen, als sie von hinten attackiert worden war.
Während des Übergriffs habe der Täter sich kein einziges Mal nach etwas umgesehen, sondern sei voll und ganz auf sie fixiert gewesen. Als die Polizei wenige Minuten später am Tatort eingetroffen war, konnte man die Handtasche allerdings nicht mehr auffinden.
„Bis jemand festgenommen wurde, hatte ich große Angst“
In der Tasche befanden sich der Schlüssel und die Personalien des Opfers. Das war lange Zeit eine große Belastung:
Über zwei Monate wurde niemand festgenommen – oft stand ich an meinem Fenster und habe geguckt, ob sich jemand auffällig verhält.
Das Opfer konnte keinen Täter identifizieren. Auch als sie Emil S. im Gerichtssaal wiedersah, erkannte sie ihn nicht. Die Handtasche wurde nie gefunden. Und dennoch ist es sehr wahrscheinlich, dass der Angeklagte auch hinter dieser Tat steckt: Der Frau gelang es, ihren Angreifer an der Backe blutig zu kratzen.
Mit dem getrockneten Blut unter ihren Fingernägeln wurde eine DNA-Probe durchgeführt – und Emil S. ermittelt. Es kommen nicht viele Möglichkeiten in Frage, wie das Blut eines eigentlich Unbekannten nach einem heftigen Kampf plötzlich unter den Fingern des Opfers gefunden wird, ohne dass es sich bei dem Angreifer um den Täter handelt.