Mannheim/Grünstadt/Rhein-Neckar, 29. April 2014. (red/ms) Emil S. ist nicht nur für den Mord an Gabriele Z. angeklagt – er soll auch für weitere gewaltsame Übergriffe auf Frauen verantwortlich sein. Im Oktober 2013 hat er laut Anklage der Staatsanwaltschaft die beiden minderjährigen Mädchen Vanessa K. (17) und Lena M. (14) in Grünstadt überfallen und ausgeraubt. Die beiden Mädchen haben sich zur Wehr gesetzt, bis der Täter flüchtete. Die beiden wichtigen Zeuginnen sagten heute vor Gericht aus – allerdings konnten sie den mutmaßlichen Täter nicht mit 100-prozentiger Sicherheit identifizieren. Trotzdem wurde klar – sie hatten Glück, weder verletzt noch getötet worden zu sein.
Von Minh Schredle
Wie gehabt, werden die Zuschauer vor Einlass in den Saal umfangreich kontrolliert – heute sind rund 30 Personen anwesend. Befragt werden mehrere Zeugen.
Die damals noch 13-jährige Lena M. soll am 17. Oktober ihre 17-jährige Freundin Vanessa K. in Grünstadt besucht haben. Zusammen seien sie um kurz nach 19:00 Uhr in Richtung Bahnhof gelaufen, Lena habe den Zug um 20:00 Uhr nehmen wollen. Da bis dahin noch etwas Zeit übrig war, wollten sie auf einem nahegelegenen Feld spazieren gehen. In der Unterführung seien sie einem Mann begegnet, der ihnen sofort „komisch“ und „unangenehm“ aufgefallen sei.

Unterführung Bahnhof Grünstadt – hier soll der Tatverdächtige Emil S. die zwei jungen Mädchen erstmals angesprochen haben.
Beschreibung passt zu Emil S. – aber auch zu vielen anderen
Er soll etwa 1,70 Meter groß gewesen sein, dunkle Kleidung getragen und einen markanten, großen Schnurbart gehabt haben. Es sei ein Ausländer mit dunklem Hautton gewesen, beide Zeuginnen vermuteten zunächst, dass es sich um einen Türken handle. Die Beschreibung trifft auf den Angeklagten Emil S. zu – allerdings ist sie auch nicht besonders präzise.
Interessant ist, dass beide Zeuginnen aussagen, er habe auf Deutsch mit ihnen geredet:
Es ist alles okay, wir sind Kollegen,
habe er zwar mit starkem Akzent, aber verständlich und grammatikalisch korrekt gesagt haben. Der Angeklagte Emil S. spricht so gut wie gar kein Deutsch – oder gibt das zumindest vor. Da den Mädchen die Situation Unbehagen bereitete, hätten sie sich schnell entfernt.
Mädchen nutzen „Waffen“ zur Selbstverteidigung
Als sie später auf dem Feld entlang liefen, soll der seltsame Mann aus einem Gebüsch hervorgekommen sein und seine Arme um die Köpfe der beiden Mädchen gelegt haben. Als sie sich lösen wollten, habe er seinen Griff verstärkt. Sie hatten den Eindruck, er wolle sie entführen.
Die beiden Mädchen hatten „Waffen“ dabei, die sie zogen: Die 17-jährige Vanessa eine Schere und die 13-jährige Lena ein japanisches Wurfmesser, mit einer etwa fingerlangen Klinge, das sie „eher zu dekorativen Zwecken“ mit sich führte. Damit setzten sie sich zu Wehr.

Umgebung des Bahnhofs – der Tatverdächtige soll die beiden Mädchen um den Kopf geschlungen haben. Diese sollen sich mit Nagelschere und kleinem Messer gewehrt haben, bis er von ihnen abließ.
Als Vanessa sich losreißen kann, packt der Täter sie an der Kapuze und zieht sie zurück. Mit der Schere versucht sie in seinen Arm zu stechen. Sie schafft es zwar nicht, ihn ernsthaft zu verwunden, aber er lässt sie los. Dann tritt der Mann das Mädchen, stiehlt ihre Handtasche und flieht. Wertvollen Besitz hat er nicht in seinen Besitz gebracht: Es waren kaum Geld und auch keine teuren Waren in der Tasche, sondern hauptsächlich persönliche Gegenstände. An der Schere konnten von der Polizei keinerlei DNA-Spuren, die Rückschlüsse auf den Täter ermöglichen, gefunden werden.
Richter Meinerzhagen deutlich respektvoller
Während der Vorsitzende Richter, Dr. Ulrich Meinerzhagen, in den ersten Verhandlungstagen wegen einiger deplatzierter Bemerkungen und unangebrachter Witzeleien unangenehm aufgefallen war, ist sein Verhalten am fünften Verhandlungstag ausdrücklich zu loben: Er wirkt wesentlich respektvoller, ist gegenüber den minderjährigen Zeuginnen sehr einfühlsam, spricht ein verständliches Deutsch mit ihnen und verzichtet auf Zweideutigkeiten.
Wie die Zeugin Vanessa K. allerdings befragt wurde, war teilweise ungeschickt. Sie kam vor zu dem Tisch, an dem die Richter sitzen und sollte Lichtbilder von möglichen Tätern, dem Bahnhof und der Umgebung anschauen und sich dazu äußern. Dabei war sie kaum zu hören, weil sie nicht in ein Mikrofon sprach. Damit der Angeklagte verstehen konnte, was gesagt wird, kam seine Dolmetscherin ebenfalls nach vorne und übersetzte per Mikrofon. Für die Zuschauer im Saal war dann kaum noch zu hören, was die Zeugin sagte, weil die bulgarische Übersetzung ihre Worte bei Weitem übertönten.
Dadurch können Teile ihrer Aussage leider nicht wiedergegeben werden. Es war zum Beispiel weitestgehend nicht zu verstehen, wie sie die Begegnung in der Unterführung schilderte. Die Öffentlichkeit muss sich in dieser Hinsicht auf die Schilderungen der 14-jährigen Lena M. verlassen. Erst als sich jemand aus dem Publikum lautstark beschwerte, kam man auf die naheliegende Idee, einfach die Zeugen in ein Mikrofon sprechen zu lassen, während die Dolmetscherin von ihrem üblichen Platz aus nur für den Angeklagten hörbar übersetzte.
Keine eindeutige Identifikation des Tatverdächtigen
Nach dem Überfall seien die beiden umgehend zur Polizei gegangen, sagten sie. Dort habe man geschildert, was geschehen ist. Die beiden wurden jeweils zwei Mal vernommen. Ihnen wurden Lichtbilder gezeigt, auf denen sie den Angeklagten Emil S. als Täter zu erkennen glaubten.
Keines der beiden Mädchen sagte jedoch aus, ihn mit absoluter Sicherheit wiederzuerkennen. Sie seien sich lediglich zu „75 Prozent, beziehungsweise 80 Prozent sicher“, dass es sich bei dem Angeklagten Emil S. um den Mann handelt, der sie überfallen hat.
Der Verteidiger des Angeklagten, Maximilian Endler, kritisierte die Vorgehensweise der Polizei: Man habe den Mädchen acht Bilder gezeigt, von Leuten, die sich nicht besonders ähnelten. Nur einer von ihnen habe einen markanten, großen Schnurrbart gehabt. Damit sei klar, dass die sieben anderen außer Emil S. von vornherein nicht als Täter benannt werden würden und die Identifikation per Lichtbild als Beweis mangelhaft.
Anm. d. Red.: Chefredakteur Hardy Prothmann ist in diesem Prozess am 5. Mai als Zeuge geladen. Vermutlich wird er zu dem Überfall auf die beiden Mädchen und sichergestelltem Beweismaterial vernommen. Bis dahin darf er am Prozess nicht teilnehmen.