Mannheim, 05. Juni 2015. (red/ms) In der Fatih-Moschee und der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee wurde es in den vergangenen beiden Wochen politisch: Muslimische Jugendorganisationen haben die Oberbürgermeisterkandidaten Dr. Peter Kurz (SPD), Peter Rosenberger (CDU) und Christopher Probst (Mannheimer Liste) eingeladen. Die überwiegend jugendlichen Gäste waren interessiert, gut informiert und haben ein lobenswertes Demokratieverständnis. Drei Veranstaltungen mit Vorbildcharakter.
Von Minh Schredle
Die drei Oberbürgermeisterkandidaten wurden an drei verschiedenen Tagen jeweils einzeln für etwa 1,5 Stunden von den muslimischen Jugendorganisationen der IGMG RNS Mannheim und DITIB Mannheim zu Podiumsdiskussionen eingeladen.

Cem Yalçinkaya (SPD): „Herr Rosenberger (CDU) war für mich die größte Überraschung – im positiven Sinn.“ Foto: Seyma Sadikoglu.
Es ist laut Cem Yalçinkaya, der für die Organisation maßgeblich mitverantwortlich war, bundesweit das erste Mal, dass Jugendorganisationen von IGMG und DITIB gemeinsam eine politische Veranstaltung ausgerichtet haben. Beide übergeordeten Organisationen – die Islamische Gemeinschaft Millî Görüs und Diyanet Isleri Türk Islam Birligi (die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) – sind nicht unumstritten.
Die IGMG wird von Bundesamt für Verfassungsschutz als sogar als verfassungsfeindlich eingeordnet und beobachtet. Allerdings stellen die Landesämter für Verfassungsschutz in der jungen Vergangenheit zunehmend in Frage, ob die Beobachtung tatsächlich gerechtfertigt ist. So hieß es etwa im April 2014 aus Hamburg:
Es gibt keine Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung.
Immer mehr Landesämter sprechen davon, dass es unangebracht sei, die gesamte Vereinigung unter Generalverdacht zu stellen und dass man den Standpunkt neu bewerten müsse.
Feinde der Verfassung?
Die DITIB wird von Kritikern als „verlängerter Arm der Türkei“ bezeichnet und solle angeblich die Islamisierung des Westens vorantreiben. Über sich selbst schreibt die Organisation:
Die DITIB verfolgt Ziele, die ausschließlich mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland im Einklang stehen. Wir bekennen uns zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Sie legt Wert auf Freundschaftlichkeit, Achtung, Nachsicht, Toleranz und Solidarität der Menschen untereinander und gegenüber anderen Glaubensangehörigen. Diese Eigenschaften stimmen auch mit den Grundsätzen des Islam überein. Jede Art von Gewalt und Aufruf zur Gewalt wird abgelehnt.

Christopher Probst: „Auch wenn ich mich damit unbeliebt mache: Ich sehe mich Religionen eher fern. Deswegen habe ich die Diskussion um einen muslimischen Kindergarten auch nie nachvollziehen können. Wenn es evangelische und katholische Kindergärten gibt, muss es natürlich auch muslimische geben dürfen.“
Die beiden Mannheimer Jugendorganisationen erschienen bei den Veranstaltungen nicht im Geringsten verfassungsfeindlich. Ganz im Gegenteil: Sie wirkten wie mustergültige Demokraten. Offenherzig und tolerant. Als beispielsweise Oberbürgermeisterkandidat Christopher Probst davon spricht, dass er selbst Religionen im Allgemeinen eher fern steht, wird diese Ehrlichkeit vom Publikum sogar mit – wenn auch zurückhaltendem – Applaus belohnt.
Dialog intensivieren
„Insgesamt sind unsere Erwartungen deutlich übertroffen worden,“ sagt Herr Yalçinkaya. Bei Herr Probst waren am 03. Juni knapp 40 Zuschauer anwesend, bei Herrn Rosenberger am 01. Juni rund 60 und bei Herrn Dr. Kurz am 29. Mai sogar etwa 110. Herr Yalçinkaya sagt dazu:
Es war natürlich eine große Sache für uns, den Oberbürgermeister begrüßen zu dürfen.
Cem Yalçinkaya trat bei der vergangenen Kommunalwahl als Gemeinderatskandidat für die SPD an und ist aktuell der Vorsitzende der Jusos Innenstadt/Jungbusch. Er sagt über sich selbst und die muslimischen Gemeinden in Mannheim:
Wir haben in unseren Reihen viele SPD-Mitglieder. Aber wir haben uns bemüht, die Veranstaltungen so neutral, wie nur möglich zu halten.
Zwischen der Mannheimer Liste und der CDU und den muslimischen Gemeinden habe es bislang kaum Dialog gegeben. Dennoch seien auch Herr Rosenberger und Herr Probst sehr gut angekommen. Herr Yalçinkaya sagt dazu:
Besonders Herr Rosenberger war herausragend gut vorbereitet und konnte punkten. Er hat der CDU sicher eine Tür geöffnet.
Es sei jetzt wichtig, dass der Dialog zwischen den muslimischen Gemeinden Mannheims und den Parteien und Fraktionen weiterhin aufrecht erhalten und intensiviert werde.
Großes Engagement
Man habe im Vorfeld der Veranstatlungen zwei Workshops mit interessierten Jugendlichen ausgerichtet, sagt Herr Yalçinkaya. Dort sei es im Wesentlichen darum gegangen, für was Kommunalpolitiker und Oberbürgermeister zuständig sind – und was Aufgaben der Länder und des Bundes sind.
Dementsprechend war das Publikum gut vorbereitet. Zunächst hatten die Kandidaten Gelegenheit, ihre Wahlprogramme vorzustellen. Anschließend stellten die Zuschauer Fragen – auf einem inhaltlich höheren Niveau als bei vielen anderen Veranstaltungen zum Oberbürgermeisterwahlkampf.

Beim Amtsinhaber Dr. Peter Kurz waren erwartungsgemäß die meisten Gäste da. Foto: Betül Sadikoglu.
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz hatte laut Herrn Yalçinkaya einen „Heimvorteil“ und habe unter den anwesenden Besuchern ohnehin schon zahlreiche Unterstützer gehabt. Auf große Zustimmung traf seine Forderung nach einer Gesamtschule mit Oberstufe im Stadtteil Rheinau.
Herr Rosenberger sprach sich – im Gegensatz zur Gemeinderatsfraktion der CDU – deutlich für muslimische Kindergärten aus. Das kam besonders gut an. Bei Herrn Probst wirkte das Publikum zunächst skeptisch – gegen Ende hin allerdings zunehmend überzeugt und zwar vor allem dann, wenn Herr Probst konkrete Zahlen benannte und mit diesen argumentierte. Herr Probst bezeichnete sich als wertkonservativ – auch das gefiel.

Herr Rosenberger stellte für die CDU „Erstkontakt“ zu den muslimischen Gemeinden in Mannheim her – darauf kann aufgebaut werden. Foto: Seyma Sadikoglu.
Peter Rosenberger erklärte unter großem Beifall, dass er sich als Oberbürgermeister für freie Wahlen des Migrationsbeirats einsetzen wolle und dafür kämpfen werde, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Mannheimer Gemeinderat einziehen zu lassen, damit dieser repräsentiver für die Mannheimer Stadtgesellschaft werde.
Auch das ist eine Forderung, die man nicht unbedingt zuerst mit der CDU in Verbindung bringen würde. Insgesamt erweckt es zunehmend den Eindruck, dass Herr Rosenberger zahlreiche Positionen vertritt, die im Gegensatz zu den Stadtpunkten der CDU-Fraktion stehen.

Christopher Probst weiß, dass er sich mit vielen Standpunkten nicht unbedingt bei allen beliebt macht. Trotzdem hält er an ihnen fest – unabhängig vom Publikum.
Viele der Zuschauer – darunter auch zahlreiche männliche in den Zwanzigern – beklagten, dass es in der Stadt zahlreiche Angsträume gebe. Viele Stellen in der Stadt seien etwa schlecht ausgeleuchtet und man fühle sich unwohl. Das Publikum bemängelte ebenfalls die starke Vermüllung in der Innenstadt und dem Jungbusch, so wie den Verlust von Respekt, unter dem die Gesellschaft leide.
Alle drei Kandidaten versprachen, sich dafür einzusetzen, die muslimischen Jugendorganisationen in den Stadtjugendring mitaufzunehmen. Bislang ist das nicht der Fall, offenbar ist es an der finanziellen Kostendeckelung für das Projekt gescheitert.
Viele positive Überraschungen
Im Anschluss an den offiziellen Teil der Veranstaltung fanden Privatgespräche zwischen den Zuschauern und den Oberbürgermeisterkandidaten statt. Insbesondere Herr Probst nahm sich dafür Zeit. Gegenüber dem Rheinneckarblog sagt er:
Ich bin positiv überrascht, wie groß das Interesse der muslimischen Jugend an der Kommunalpolitik ist und wie gut die Leute hier informiert waren.
„Viele Besucher waren bei allen drei Veranstaltungen anwesend,“ sagt Herr Yalçinkaya: „Das ist gut, denn das war unsere eigentliche Absicht: Wir wollten den Leuten präsentieren, welche Kandidaten es gibt und wofür sie stehen, damit sie sich eigenständig eine Meinung bilden können.“
Auch ohne Stimmrecht: Interesse für die Politik
Die meisten Muslime in Mannheim sind türkischer Herkunft. Allerdings dürfen von den knapp 28.000 Menschen nur gut 10.000 am 14. Juni ihre Stimme abgeben – die anderen 17.341 werden ohne deutsche Staatsbürgerschaft und als Nicht-Unionsbürger vom Wahlrecht ausgegrenzt.
Aber auch ohne eine Stimme abgeben zu dürfen, interessieren sich viele von ihnen für Kommunalpolitik, wie aus Gesprächen mit verschiedenen Zuschauern klar wird. Und das sollte insbesondere denen als Vorbild dienen, die als Nichtwähler ihre Möglichkeit zur Mitgestaltung wegwerfen.
Umso bedauerlicher, dass die großen Tageszeitungen in der Region die Einladungen zu den Veranstaltungen offenbar nicht wahrgenommen haben. Denn in großen Teilen der deuschen Medienlandschaft ist das Bild vom Islam als friedfertiger Religion und Muslimen als völlig normalen Menschen leider kaum präsent. Stattdessen wird ein Zerrbild durch Minderheiten vermittelt, dass Ängste schürt, Blockaden schafft und Intoleranz befördert.

Vor den Diskussionen wurden die Oberbürgermeisterkandidaten durch die Moscheen geführt, während ihnen dabei etwas über die kulturellen und historischen Hintergründe erläutert wurde. Foto: Fatih Agirman.
Anm. d. Red.: Verschiedene Sonderzeichen aus der türkischen Sprache wurden in diesem Artikel nicht korrekt wiedergegeben. Das ist keine Nachlässigkeit, sondern hängt damit zusammen, dass diese Zeichen von unserem System nicht erkannt werden und stattdessen als Fragezeichen angezeigt werden würden.
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