Rhein-Neckar, Ahrtal, 02. August 2021. (red/pro) Aktualisiert. Insbesondere die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz und deren Präsident Thomas Linnertz (SPD) sind extrem in die Kritik geraten. Aus gutem Grund. Denn mittlerweile zeichnet sich ab, dass der Tod von mindestens 135 Menschen, 59 Menschen werden noch vermisst, 766 „offiziell“ Verletzten (da sind noch keine Traumata enthalten) und ein vermutlich zweistelliger Milliardenschaden auf ein Leistungsversagen der Behörden zurückzuführen ist. Die Flutkatastrophe war aktuell nicht zu verhindern, Schäden an Leib und Leben und Hab und Gut aber hätte es in diesem Umfang nicht geben müssen.
Kommentar: Hardy Prothmann
Es steht überhaupt nicht zur Debatte. Thomas Linnertz (SPD) ist ein Totalversager. Mit ihm versagen auch Innenminister Roger Lewentz sowie die Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Beide SPD. Keiner von beiden traut sich bislang, den Genossen hochkant rauszuwerfen und durch eine fähige Führungskraft in dieser historischen Notlage zu ersetzen.
Dazu muss man wissen, dass Herr Linnertz ein Partei- und Ministeriumskarrierist ist. Der Jurist hat keinerlei praktische Erfahrung mit Katastrophenschutz, ist aber Präsident des Amts, der die Bevölkerung und die Infrastruktur vor Katastrophen schützen soll. Er ist seit 2016 im Amt – nachdem seine Vorgängerin Dagmar Bartzen weggelobt worden war. (Dazu Trierischer Volksfreund)
Kommunikations- und Informationsgau
Das Thema Bevölkerungs- und Katastrophenschutz ist unter der Leitung von Herrn Linnertz kein echtes Thema. Bis heute. Geht man auf die Internetseite der Behörde, gibt es einen Reiter „Themen“. Da gibt es alle möglichen – nur keine Themensammlung zur größten Katastrophe in Rheinland-Pfalz und auch Deutschland seit Ende des zweiten Weltkriegs. Es gibt Pressemeldungen. So eine bis zwei pro Tag, an manchen Tagen auch keine. Wohl gemerkt – es handelt sich um die größte Katastrophe seit Ende des zweiten Weltkriegs. Kommunikation und Information sind von erheblicher Bedeutung.
In den Pressekonferenzen überzeugt Herr Linnertz mit einer Rekordquote an Ähs. Als er am 29. Juli 2021 zum Ende der täglichen Pressekonferenz Fragen der RZ-Journalistin Gisela Kirschstein gestellt bekommt, lacht er, als er den Namen Markus Wipperfürth hört, nennt ihn einen prominenten und gut organisierten Unternehmer. „Man hat ihm im Prinzip nochmal erklärt, wie das so funktionieren kann. (…) Dass wir keine Vertragsbeziehung oder sowas eingehen, zumindest nicht als Krisenstab des Landes, wenn vor Ort der Bürgermeister oder das Entsorgungsunternehmen oder andere sagen, könnte ihr mit anpacken, dann können wir auch, wenn dort Schäden am Gerät entstehen und wir das nachvollziehen können, können die auch hier eingereicht werden (…).
Schauen Sie sich diese Farce selbst an. Und lassen Sie es wirken. Auf rund 50 Kilometer Länge erstreckt sich die Katastrophe. Die Trümmer lagen mehrere Meter hoch. Über 40.000 Menschen sind von dieser Katastrophe betroffen. Landwirte, Unternehmer wie Markus Wipperfürth und hunderte, vermutliche weit mehr in vierstelliger Zahl sind teils aus ganz Deutschland völlig selbstlos mit ihrem Gerät, mit ihren Mitarbeitern vor Ort angekommen und haben angepackt.
Keine Vertragsbeziehungen
Und dann lacht dieser Schnösel? Und erklärt, wie es geht? Sorry für den Schnösel, das ist das sanfteste Wort, das mir zu dieser Person einfällt. Keine Vertragsbeziehungen? Nicht nachvollziehbar, wer was getan hat? Er will es verifizierbar haben. Schäden könne man dann ersetzen. Weiter fordert er auf, „Handschuhe zu tragen“, „Schutzkleidung“. Und sich danach die Hände zu waschen.
„Die Hände waschen“? Tagelang gab es nach der Flut in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli keinerlei fließendes Wasser und auch keins aus Containern für die Helfer oder die Bürger vor Ort. Der Mann erklärt tatsächlich, es gäbe „Untersuchungen von Böden, um festzustellen, wo welche Verschmutzungen sind“? Nein, das ist keine bitterböse Comedy. Das ist die Vorstellung des obersten Katastrophenschützers in meiner Heimat Rheinland-Pfalz.
Den Videoausschnitt der Pressekonferenz habe ich auf Facebook gefunden und auf dem RNB-Account hochgeladen. Ursprünglich hatte die Polizei Rheinland-Pfalz die Pressekonferenz übertragen und auf youtube zum Abruf bereit gehalten. Doch das Video ist nicht mehr abrufbar, weil auf „privat“ gestellt. Warum? Wer hat diese Anordnung getroffen? Jemand, der den brutalstmöglichsten Versager Linnertz schützen will? Kam die Anordnung vom Parteifreund und Innenminister Roger Lewentz oder war es vorauseilender Gehorsam bei einem Polizeiverantwortlichen, der sich karrieremäßig empfehlen möchte?
Ich hätte das gerne nochmal ganz nachgehört, weil insbesondere der SWR und Deutschlandfunk völlig banale Fragen stellten und sich mehr um „Querdenker“ sorgten, als um tatsächliche Sachfragen. Als wenn ein paar Querdenker ein echtes Problem darstellten. Die Leistung der öffentlich-rechtlichen Sender ist (nicht im Detail, aber) insgesamt mindestens genauso mies, wie das, was Herr Linnertz abliefert.
Malu Dreyer versucht Gemüter zu beruhigen
Die zuständigen Behörden warnten die Bevölkerung nicht rechtzeitig. Die öffentlich-rechtlichen Medien SWR und WDR ebenfalls nicht und verschliefen die Katastrophe. Wer mir sehr positiv auffällt ist die Regionalzeitung „Rhein-Zeitung“ – hier erscheinen sehr kritische Berichte, die auf guten Fragen und solider Recherche beruhen.
Und auch das eine Farce. Obwohl die RZ als erstes Medium Recherchen veröffentlichte, die erhebliche Zweifel an einem ordentlich funktionierenden Katastrophenschutz veröffentlichte, wird später die FAZ bundesweit zitiert, die das Tage später thematisiert. Das ist unanständig gegenüber der Leistung der RZ, mittlerweile aber üblich in dieser vollständig vermurksten Medienlandschaft (ja, wir gehören auch dazu, was nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig ist).
Wie krass verunglückt dieser Auftritt des Herrn Linnertz war, lässt sich daran erkennen, dass am Tag drauf Ministerpräsidentin Malu Dreyer selbst an der täglichen Pressekonferenz teilnahm und das erledigte, was für einen großen Zorn sorgte. Sie bestätigte die großartige Leistung der privaten Ersthelfer – allerdings blieb auch sie wie ihr Innenminister Lewentz im Ungefähren. Schauen Sie sich das Video an.
Doch auch die Rolle des Landrats Jürgen Pföhler (CDU) ist zweifelhaft – er steht zwischen der ADD und den Gemeinden. Warum hat er nicht eindringlich gewarnt und zur Evakueriung aufgerufen? (Siehe Rhein-Zeitung)
Bis heute haben immer noch sehr „Helden der ersten Tage“ (nicht Stunden) keine Zusicherung, dass sie wenigstens einen Ausgleich für ihre Kosten erhalten. Tatsächlich gibt es aber seit einigen Tage wohl teilweise Aufträge. Auch das berichtet Markus Wüpperfürth transparent in seinen Videos. Die macht er häufig live – das heißt unzensiert. Die Inhalte sind äußerst informativ und alles andere als eine „Selbstdarstellung“, wie manche diese ganz herausragende Leistung negativ machen wollen.
Ohne die Spezialisten wäre und würde nichts laufen im Tal
Wären alle diese selbstlosen Helfer nicht gewesen, würde nichts im Tal laufen. Sie haben mit schwerem und vor allem auch kleinem Gerät die Wege freigemacht, über die dann die Feuerwehren, das THW, die Bundeswehr überhaupt erst vor Ort wirksam werden konnten.
Um hier keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Seit 2009 berichte ich überwiegend regional/lokal in der Metropolregion Rhein-Neckar. Ich habe hier ständig mit Feuerwehr, THW, DLRG und anderen Rettungsdiensten zu tun. Ich habe hohen Respekt vor der ehrenamtlichen Leistung und weiß wie wichtig auch berufliche Wehren sind, weil Freiwillige eben nicht alles leisten können. Selbst wenn man alle Rettungskräfte Deutschlands zusammenziehen würde – sie hätten nicht leisten können, was die privaten Unternehmer, ob Landwirt, Baufirma oder andere seit Tag 1, also dem 15. Juli 2021 hier geleistet haben. Sie kamen und kommen mit großem Gerät, mit Spezialgerät und können damit umgehen. Solche Geräte haben die Rettungsdienste nicht.
Beeindruckende Aufnahmen von den Aufräumarbeiten. Markus Wipperfürth dokumentiert mit hunderten Videos die Aufräumarbeiten und lässt Anwohner wie Helfer zu Wort kommen. Und alle machen mit. Wenn er einen Aufruf startet, wird sofort reagiert. Er ist mit seinem Mobiltelefon eine der Schaltzentralen des zivilen Bevölkerungsschutzes.
Ein-Mann-Unternehmen hat mehr Reichweite als der SWR
Das Schicksal von Markus Wüpperfürth ist, dass er schon länger eine Community auf Facebook aufbaut. Bislang berichtete er über seine Reiterhöfe, über die Arbeit als Lohnunternehmer, die Landwirtschaft. Er kann frei reden, ist ein aufmerksamer Beobachter, hat klare Standpunkte, manchmal trägt er sein Herz auf der Zunge.
Und er hat eine enorme Reichweite, die sich manches Medium wünschen würde. Zum Vergleich: SWR aktuell hat knapp 238.000 Abonnenten auf Facebook. SWR Fernsehen 126.000. Die Seite Lohnunternehmen Markus Wüpperfürth hat über 245.000 Abonnenten. Wir reden hier also von einer der größten Sendeanstalten in Deutschland mit einem milliardenschweren Etat und einem Einzelunternehmer, der den Sender locker abhängt.
Der Grund ist ein einfacher: Die Beiträge von Markus Wüpperfürth sind authentisch, geben einen hervorragenden Überblick (natürlich immer nur von da, wo er gerade ist, was er auch immer wieder deutlich macht) und sind voller Informationen. Denn Markus Wüpperfürth kennt sich mit großen Geräten aus und wenn nicht, dann befragt er die Fahrzeugführer. Dazu auch emotional, denn die Schäden sind nicht nur Trümmer, die sichtbar sind, sondern diese Katastrophe hat auch massive Schäden an den Seelen und Herzen zur Folge.
Ihm und seinem Netzwerk ist es zu verdanken, dass deutschlandweit eine Mobilisierung stattfindet, die ihresgleichen sucht. Sie kommen aus allen Teilen Deutschlands ins Ahrtal, weil sie die Filme von Markus Wüpperfürth schauen, der unermüdlich darauf hinweist, dass erst der Anfang geschafft, ist, aber gut 90 Prozent noch nicht und Hilfe weiter dringend benötigt wird.
Überflieger Linnertz
Während Markus Wüpperfürth und hunderte andere Unternehmer, deren Mitarbeiter und auch viele freiwillige Helfer sofort angepackt haben, ist Präsident Thomas Linnertz am 22. Juli 2021 mit einem Hubschrauber übers Tal geflogen, um sich einen „Überblick“ zu verschaffen. Hochtrabender und herabschauender kann man das Bild nicht fassen: Unten die, die schaffen, ob der, der aus großer Distanz herabschaut.
Wozu dieser Flug? Wozu diese sinnlose Verschwendung von Steuergeldern? Es gab und gibt Aufklärungsflüge durch Polizei und Bundeswehr – die haben Spezialkameras, durch deren Aufnahmen man alles viel besser sehen kann, als auf einem Spazierflug.
Der Medientross ist mittlerweile in großen Teilen schon weitergezogen. Man will es ja nicht übertreiben. 2015, 2016 gab es ein Top-Thema – die Flüchtlingskrise. Seit Frühjahr 2020 die Corona-Krise. Die Ahrtal-Krise scheint langsam abgefrühstückt zu sein. Dabei wird diese noch mehrere Jahre andauern, bis die Orte wieder hergestellt sind.
Keine Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Koblenz
Die Ahrtal-Krise benötigt weiterhin hohe Aufmerksamkeit. Innenminister Roger Lewentz verspricht Aufklärung, warum die Warnketten nicht funktioniert haben. Da sind wir mal gespannt. Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt nicht – man sehe keinen Anfangsverdacht. Aha. Vielleicht sollten die mal ins Strafgesetzbuch schauen – unterlassene Hilfeleistung, Paragraf 323c.
Aktualisierung, 14:45: Laut einem Bericht der Rhein-Zeitung ermittelt die Staatsanwaltschaft jetzt doch.
Die Ahrtal-Krise ist ein Thema von übergeordneter Bedeutung. Wir haben in Deutschland noch zahlreiche andere bewohnte Täler. Wir haben sehr viele Städte und Gemeinden in hochwassergefährdeten Gebieten. Ob der Katastrophenschutz überall so dilettantisch organisiert ist wie in Rheinland-Pfalz, sollte überall vor Ort überprüft werden.
Naturkatastrophen gab es schon genug. Aus allen kann man lernen und Szenarien und Ablaufpläne entwickeln. Am Beispiel der Ahrtal-Krise wird deutlich, dass Behörden und Rettungskräfte ohne zivile Unterstützung völlig überfordert sind. Daraus muss man Lehren ziehen und Pläne entwickeln, wie in Notsituationen eben die, die das Gerät haben und bedienen können, auch beauftragt werden, um wenigstens keine Kosten zu haben, wenn sie schon keine Umsätze machen, sondern einfach nur Mitmenschen helfen, die in höchste Not geraten sind.
Aber dafür muss man sich ja aufs gemeine Volk einlassen.
-Anzeige- |