Rhein-Neckar/Ahrtal, 07. August 2021. (red/pro) Die Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, verspricht eine schnelle und unbürokratische Hilfe für die rund 40.000 Menschen, die von der Flutkatastrophe im Ahrtal betroffen sind. Tatsächlich wird eine enorme Bürokratie aufgebaut, an der viele verzweifeln. Vor allem die, die überhaupt erst möglich gemacht haben, dass „institutionelle“ Hilfe möglich sein kann. Ein Kommentar.
Von Hardy Prothmann
Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Dreyer,
wir kennen uns, Sie können sich vermutlich nicht erinnern. Ich hatte Ihnen nach Ihrer Wahl ein paar Tipps zu Ihrem Auftritt auf Facebook gegeben. Das ist schon lange her und das habe ich gerne gemacht, weil ich Sie früher gerne mochte.
Ob ich Sie heute noch mag oder nicht, spielt für meinen Job als Journalist keine Rolle. Da spielen nur Fakten eine Rolle.
Fakt ist, dass hunderte Unternehmer, ob Landwirte, Bauunternehmer oder andere verwandte Berufe wie Landschaftsgärtner, die mit schwerem Gerät umgehen können, deren täglich harte Arbeit es ist, „etwas zu bewegen“ Ihnen und der Landesregierung, ich schreibe das jetzt mal volksnah, „den Arsch gerettet haben“. Verzeihen Sie bitte den Ausdruck.
Ohne diese Ersthelfer, die direkt nach der Flut ganze drei Tage lang ohne jegliche behördliche Unterstützung erstmal den Weg frei gemacht haben, damit andere überhaupt „vorankommen“, wäre das Katastrophengebiet Ahrtal noch aufgeschmissener gewesen, nachdem es von einer heftigen Flutwelle massiv zerstört worden ist.
Es ist mir vollständig unerklärlich, warum Sie sich mit der Bundeskanzlerin medientechnisch inszeniert begleiten lassen, um sich vor Ort zu präsentieren, aber offenbar überhaupt nicht in der Lage sind, beispielsweise nach Walporzheim zu fahren (der Weg ist freigeräumt), ins Helferzelt gehen und jedem, der von Tag 1 an, nach der Flut, persönlich die Hand geschüttelt und einfach nur Danke gesagt haben.
Sie waren nicht erst am 06. August 2021 vor Ort, um eine Pressekonferenz zu geben. Sie waren schon ein paar Mal vor Ort, aber mit den Unternehmern, den Ersthelfern oder mit den anderen zivilen Helfern haben Sie keine Chance genutzt, mal ein Gespräch zu führen und ein Zeichen zu setzen.
Eines könnte sein, Ihren Parteigenossen Thomas Linnertz, „Präsident“ der Aufsicht- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in den Ruhestand zu schicken. Rund 7.000 Euro monatliche Ruhestandseinnahmen für einen 45-Jährigen mögen happig klingen. Aber jeder Tag, an dem dieser völlig unfähige Mensch weiter Schaden anrichtet, ist in Summe sehr, sehr, sehr viel teurer.
Sie machen Fehler um Fehler, vor allem in der Kommunikation, wie ich selbst erleben durfte, als ich am 06. August 2021 verspätet an der Pressekonferenz mit Ihnen teilgenommen habe.
Ich bin nur Gründer und Leiter eines kleinen medialen Angebots in der Metropolregion Rhein-Neckar. War aber vor Ort, während die Pressedame des ADD Fragen des ZDF vorgelesen hat, die per elektronischer Nachricht übermittelt wurden.
Ich habe auch ein paar Fragen gestellt. Sie waren abgenervt und Herr Lewentz hat minutenlang geantwortet, ohne meine Frage zu beantworten.
Wissen Sie eigentlich, was Sie für einen Schaden anrichten, vermutlich im Bemühen, den Schaden klein zu halten?
Der Schaden ist eingetreten und geht nicht weg: Eine katastrophale Flutwelle hat die Gemeinden im Ahrtal teils vernichtet. Nach meiner Einschätzung beläuft sich der materielle Schaden in zweistelliger Milliardenhöhe.
Und über 140 Menschen mussten sterben – unter anderem, weil frühere Landesregierungen und auch Sie nicht, Frau Ministerpräsidentin Dreyer, in der Lage waren, die „möglicherweise“ gefährliche Lage Ihrer Bürgerinnen und Bürger in diesem Tal ordentlich einzuschätzen und Maßnahmen zu ergreifen. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, dass bereits nach dem Hochwasser 1910 Pläne gemacht worden sind, um die Lage zu entschärfen.
Sie äußern sich nicht zu „staatsanwaltlichen Ermittlungen“, wer hierfür die Verantwortung trägt. Ob sich ein nach Gesetz Schuldiger für die Toten und die Schäden finden wird, bleibt abzuwarten.
Politisch sind Sie wegen Unterlassung verantwortlich, sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Dreyer. Ebenso ihr Innenminister Roger Lewentz. Ihr Katastrophenschutz ist vor allem eins – eine einzige Katastrophe.
Dass Sie nun, angenervt bis arrogant, die unternehmerischen Ersthelfer derart vor den Kopf stoßen, ist brandgefährlich.
Jeder Unternehmer kann kalkulieren und überlegt sich in Zukunft sehr genau, ob er selbstlos hilft oder erstmal ein Angebot einreicht, Hilfe leisten zu können und dann auf die Vertragsbestätigung wartet.
Ich bin überzeugt davon, dass viele Unternehmer auch in Zukunft das Heft in die Hand nehmen und helfen – auch, wenn sie das möglicherweise ihre Existenz kostet. Denn das sind die Menschen aus dem Mittelstand, die deutschlandweit den meisten Menschen anständige Arbeit geben und das mit viel Stolz und nicht mit Blick auf den Börsenkurs.
Die haben keine Lobbyisten, die Sie ständig hofieren und nach Cum-Ex-Möglichkeiten suchen. Die stehen morgens früh auf, nachdem sie oft spät ins Bett gegangen sind.
Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Dreyer, ich bin sicher, dass Sie auch hart arbeiten. Aber Sie haben den Blick auf die Realitäten verloren, warum und wann auch immer.
Ich schreibe Ihnen das so direkt, weil ich mein Grundrecht auf Meinungsfreiheit ausübe, als Bürger und als professioneller Journalist, dessen Aufgabe es ist, anderen Bürgerinnen und Bürgern (nein, hier gibt es kein Gendern) Informationen zur Meinungsbildung an die Hand zu geben.
Ihre Landesregierung hat die Menschen nicht gewarnt, brauchte ganze drei Tage, um die „Leitung“ zu übernehmen und ist auch in der vierten Woche nach der Katastrophe nicht in der Lage, überzeugend darzulegen, warum man auf Sie und den Krisenstab vertrauen sollte.
Das ist meine persönliche und professionelle Meinung nach alledem, was ich selbst vor Ort und ortsfern durch meine Eindrücke und Recherchen zum Ausdruck bringe.
Ich kannte keinen der Unternehmer zuvor persönlich. Ich habe zu keinem geschäftliche oder sonstige Verbindungen und ich war noch nie zuvor im Ahrtal.
Was mich begeistert, ist, was ich dort erlebt habe – Menschen, die anpacken, ob die Unternehmer oder die vielen helfenden Hände aus ganz Deutschland.
Aus meiner täglichen Arbeit kenne ich viele Feuerwehren und das THW und Rettungsdienste und haben hohen Respekt vor deren Einsatz.
Ich bin völlig verständnislos, warum Sie, sehr geehrte Frau Dreyer, dazu beitragen, die Gesellschaft enorm zu spalten, indem hier Frontlinien aufgebaut werden, statt eine gemeinsame Kraftanstrengung befördert wird.
Alle Rettungskräfte sind angesichts der enormen Katastrophe völlig, absolut völlig überfordert ohne zivile Helfer, die übrigens ganz hervorragend unter Beweis gestellt haben, dass sie keinen 200-köpfigen Krisenstab von Führungskräften brauchen, um das erste Chaos zu bewältigen.
Sie hätten sagen können: „Ich bin stolz auf diese Menschen in diesem Land und damit meine ich natürlich Rheinland-Pfalz, aber auch alle Menschen aus den anderen Bundesländern. Ohne diese Energie gibt es keine Gemeinsamkeit, keine Zukunft, keine Hoffnung.“
Das haben Sie aber nicht.
Sie sind sichtlich genervt und überfordert.
Ich verstehe auch Ihre Nöte. Mit Sicherheit gibt es Leute, die eine Krise ausnutzen wollen. Da muss man vorsichtig agieren und immer kritisch bleiben.
Wenn ein öffentlicher „nobody“ wie ein Markus Wipperfürth auftaucht, enorme Reichweite aufbaut, dann dürfen Sie nicht nur vorsichtig sein, Sie müssen es, um verantwortlich zu handeln.
Wenn es aber ganz offensichtlich so ist, dass allein dieser Mann mehr „gewuppt“ bekommt als Ihr Krisenstab, bundesweit durch sein „Sendungsbewusstsein“ hunderte von Unternehmen und tausende von Helfern mobilisiert, dann stelle ich mir die Frage, warum noch niemand in Ihrem ach so rund um die Uhr arbeitenden Krisenstab auf die Idee gekommen ist, dieses Ausnahmetalent sofort einzuladen und für die Bewältigung der Krise zu nutzen.
Stattdessen will Herr Wipperfürth die Pressekonferenz am Freitag besuchen und es wird klar, dass der Sicherheitsdienst strikte Anweisung hat, diesem Herrn Wipperfürth den Zugang zu verbieten.
Haben Sie Angst vor der Courage des Herrn Wipperfürth, sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Dreyer?
Oder liegt das Problem woanders?
Liegt es daran, dass Herr Wipperfürth kein Genosse ist? Liegt es daran, dass Sie noch keinen Plan haben, wer unternehmerisch am Wiederaufbau verdienen soll und für tolle Aufträge in Ihrem Sinne und für Ihre Partei dankbar sein soll?
Haben Sie was gegen Menschen, die Eigeninitiative haben und selbst entscheiden können, ohne vorher den Gang durch die Gremien mit der verbundenen Strippenzieherei zu gehen?
Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Dreyer, ich wäre sehr gerne „auf Ihrer Seite“, wenn ich nur ansatzweise davon überzeugt wäre, dass Sie diese Krise gut im Griff haben. Das würde ich den Menschen, die meine Angebote nutzen, dann auch verantwortlich vermitteln, denn ich weiß, dass jede Entscheidung nicht nur Wohlwollen nach sich zieht.
Ich bin aber nicht mehr auf Ihrer Seite, zumindest aktuell nicht, weil ich nicht erkennen kann, dass Sie und Ihr Krisenstab diese Katastrophe auch nur ansatzweise im Griff haben, Ihr Innenminister Roger Lewentz schon gar nicht.
Verstehen Sie mich richtig: Ich stehe, trotz erheblich schlechter Erfahrungen, nach wie vor zur rechtsstaatlichen Grundordnung, weil ich diese als einzige erkenne, die ein geordnetes Leben in Frieden ermöglicht.
Allerdings habe ich, wie immer mehr Bürgerinnen und Bürger, wachsende Zweifel, ob für das Volkswohl gewählte Frauen und Männer dies auch genauso im Blick haben und nicht nur Posten und Pensionen.
Selbst wenn, gemutmaßt, vereinzelt „Glückritter“ am Werk sein sollten, die sich produzieren und Geld verdienen wollen anhand der Krise – und jetzt nenne ich mal explizit zwei, Herrn Wipperfürth mit seiner Reichweite und Herrn Zintel, der die Bundesstraße behelfsmäßig wieder aufgebaut hat. Selbst wenn man diesen Unternehmern nur selbstsüchtige Absichten unterstellen würde, muss man sie bezahlen. Der eine hat eine Hilfswelle ohne gleichen ausgelöst, der andere eine wichtige Verkehrsader einfach so, ohne Ausschreibung, wiederhergestellt.
Ohne nur diese beiden Unternehmer, sehr geehrte Frau Dreyer, wären sie politisch bankrott, weil die sowieso schon unermesslichen Schäden gigantisch geworden wären und mit Sicherheit auch mehr Menschen gestorben wären.
Ich kenne nicht alle anderen Unternehmer, die sich eingesetzt haben, das kann ich als einzelner Journalist auch gar nicht leisten. Ich kenne nur einen Bruchteil der Helferinnen und Helfer, die von überall her kommen, um anzupacken.
Was ist wahrnehme, ist, dass Sie und Herr Lewentz nur auf sich und auf die Ihnen untergeordneten Strukturen schauen, sich selbst loben, ein bisschen Demut üben, aber ansonsten meinen, alles im Griff zu haben.
Das haben Sie nicht, Frau Ministerpräsidentin Dreyer.
Warum haben Sie diese Angst vor Machtverlust? Diese Flutkatastrophe hat gezeigt, dass Sie keine Macht mehr haben, aber alle zusammen viel Macht haben, zu bewegen. Warum nutzen Sie das nicht? Weil Ihre Genossen sich fragen, welcher Posten damit verbunden ist?
Es tut mir leid, Frau Dreyer, aber ich habe das Vertrauen in Sie und Herrn Lewentz und Ihren Genossen Linnertz aktuell völlig verloren.
Gleichzeitig weiß ich, dass Sie an der Macht sind und ich gar nichts tun kann. Außer, einen offenen Brief zu schreiben und an Sie zu appellieren, sich neu zu orientieren, umzudenken und vor allem für die Menschen in Not da zu sein. Koste es, was es wolle.
Ihre Krisenkommunikation ist erbärmlich.
Ihr Innenminister meint, man habe die Infrastruktur weitestgehend im Griff und das ist eine öffentliche Lüge. Haushalte haben wieder Strom, aber das ist nicht entscheidend. Das Wasser ist die entscheidende Infrastruktur und hier hat man gar nichts im Griff, das müssen Sie wissen.
Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Dreyer. Ich kenne das aus meiner 30-jährigen Erfahrung als Journalist. Möglicherweise bin ich mit diesem offenen Brief nun für Sie der Staatsfeind Nummer 1. Das könnten Sie so denken, das wäre aber falsch. Ich habe viele Feinde, also Leute, die mich wegen kritischer Berichte so einordnen, ich bin aber niemandem feindlich gesinnt und Hass kommt in meinem Wertekanon nicht vor.
Ich mache mich nie gemein mit irgendeiner Sache, aber ich beziehe Standpunkte – die sich verändern können, je nach Lage.
Von Ihnen erwarte ich, dass Sie klug und umsichtig agieren. Bezahlen Sie, notfalls per Abschlag, die Ersthelfer, die selbst in erhebliche Vorlage gegangen sind. Und zwar unbürokratisch. Setzen Sie Energie frei, um den Zustrom der freiwilligen Helferinnen und Helfer aus ganz Deutschland und dem Ausland aufrecht zu erhalten, denn sonst sind die Menschen vor Ort in größeren Nöten als aktuell schon. Tauschen Sie dringend Ihre unfähigen Berater aus uns setzen Sie auf Kommunikation. Treffen Sie sich vor Ort mit Unternehmern, ohne die alles ganz anders wäre, als es ist.
Trauen Sie sich. Sie machen keinen Fehler, nur dann, wenn Sie sich nicht trauen.
Das sind sehr freundliche Menschen.
Mit freundlichen Grüßen
Hardy Prothmann
P.S. Vater aus Rostock, Mutter aus Dresden. Vater in Lüneburg, Mutter in Hannover groß geworden. In Köln gemacht, in Ludwigshafen geschlüpft. Dann Limburgerhof, Hochdorf-Assenheim, Frankenthal. Wenn mich jemand fragt, wo ich herkomme, antworte ich „Pfalz“, der schönsten Gegend auf der ganzen Welt. Seit 1990 lebe ich in Mannheim (und teils Umgebung).
Hinweis: Durch die Corona-Krise haben wir fast alle Einnahmen aus Werbung verloren. Die Reise ist Ahrtal dauert einfach 2,5 Stunden. Dazu kommen Vorarbeit, Hintergrund-Recherche, vor Ort-Recherche, Sichtung der Aufnahmen, Schnitt.
Wir freuen uns über Ihre/Deine Zuwendung:
https://www.paypal.com/donate/?cmd=_s-xclick&hosted_button_id=ZWGWLCV6UNFPL