Rhein-Neckar, 19. Juli 2021. (red/pro) Die verheerenden Fluten haben im rheinland-pfälzischen Ahrtal bislang 116 Menschen das Leben gekostet, knapp 50 weitere Menschen starben in Nordrhein-Westfalen. Die einen machen den Klimawandel dafür verantwortlich, andere bezweifeln dies erheblich. Dabei sollte die Debatte eine ganz andere sein: Wie gut ist Deutschland auf Katastrophen eingestellt, die jederzeit überall passieren können? In Sachen Bevölkerungsschutz geben die zuständigen Behörden kein gutes Bild ab. Und insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk, obwohl mit Abstand mit den meisten Mitarbeitern und Gebühren-Milliarden ausgestattet, hat gezeigt, dass er dringend reformbedürftig ist.
Von Hardy Prothmann
Selbstverständlich gehen jedem vernünftigen Menschen die Toten zu Herzen und das Mitgefühl gilt ihnen wie den Angehörigen, aber auch allen Menschen, die viel verloren haben oder deren Existenz bedroht ist. Das ist die eine Seite, die andere ist, mit kühlem Blick die Ursachen für die Katastrophe zu analysieren und daraus abzuleiten, was für die Zukunft zu tun ist.
In Westdeutschland hat sich in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 die schwerste Flutkatastrophe seit der Hamburger Flut 1962 ereignet. Was von den meisten Medien nicht berichtet wird: Bereits 1804 (63 Tote) und 1910 (53) gab es Hochwasserkatastrophen, die nichts mit einem durch Treibhausgase beeinflussten Klimawandel zu tun haben können. Trotzdem waren die Fluten ähnlich verheerend wie aktuell.
Kein Zusammenhang zwischen Klimawandel und lkalem Extremwetter
Ordnet man die aktuelle Hochwasserkatastrophe nach Zahl der Opfer, ist die aktuelle Flut im Vergleich die tödlichste mit rund doppelt so vielen Opfern. Tatsächlich hinkt der Vergleich, den aktuell leben rund 130.000 Menschen im betroffenen Gebiet an der Ahr, 1815 waren es weniger als ein Drittel, knapp 40.000 Menschen. Es gab deutlich weniger Flächenversiegelung.
Seriöse Klimaforscher (das sind zahlreiche Disziplinen), die keine Agenda betreiben, sondern wissenschaftlich arbeiten, machen deutlich, dass keinerlei Beweis für einen Zusammenhang der Erderwärmung und dieses lokalen Extremwetters geführt werden kann. Solche Wetterlagen (Höhentief) kommen immer wieder vor, ob sich daraus eine Katastrophe entwickelt, hängt von vielen weiteren Umständen ab. Und Hochwasser ist nicht gleich Hochwasser – insbesondere in Berglagen können sich massive Sturzfluten entwickeln, es stehen also nicht nur Gebäude voll, hinzu kommt eine massive Bewegungsenergie durch die Strömung, was zu krasseren Schadensbildern führt.
Aktuell waren die Böden durch wochenlanges Regenwetter nicht mehr in der Lage, weitere große Mengen Wassers aufzunehmen. Dazu kommt die topografische Lage des Ahrtals, das V-förmig zugeschnitten ist. Treffen verschiedene Faktoren aufeinander, werden überschüssige Wassermassen wie in einem Kanal geführt und entwickeln sich zu einem zerstörerischen Strom mit hoher Fließgeschwindigkeit.
Mehrere Schlussfolgerungen
Die Schäden und der Wiederaufbau
Eine Schlussfolgerung daraus ist: Der Wiederaufbau der teils völlig zerstörten Infrastruktur (Straßen, Schienen, Versorgungsleitungen, öffentliche Gebäude wie Schulen, Kitas, usw.) , die Reparatur der Schäden an den Gebäuden wird vermutlich viele Monate, eher Jahre in Anspruch nehmen und Milliarden Euro kosten. Erhebliche Umweltschäden sind zusätzlich eingetroffen. Dazu kommen direkte und indirekte Folgeschäden: Betriebe haben teils ihre Geschäftsgrundlage verloren und sind damit mutmaßlich pleite. Arbeitnehmer verlieren ihre Jobs. Mit Geduld, Hilfsmitteln und Zeit kann man zwar die Ortschaften wieder herstellen, allerdings nicht so, wie sie einmal waren. Weitläufige Auffangbecken sind in Talschluchten nicht oder nur unter erheblichem Kostenaufwand zu realisieren. Das nächste Jahrhunderthochwasser wird wieder mit verheerender Wucht alles kurz und klein schlagen – außer, man nimmt diese dritte massive Katastrophe innerhalb von 200 Jahren zum Anlass, die Bebauung im Tal zu überdenken.
Überforderte Behörden
Eine weitere Schlussfolgerung ist: Offenbar haben die Behörden nicht nur bei der rechtzeitigen Warnung und Evakuierung der Bevölkerung versagt, sondern tun das nach dem Unglück wieder, weil es massive Probleme gibt, die Rettungsmittel zu organisieren. Das Problem dahinter: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat viel zu wenig Informationen über vorhandenes technisches Gerät bei den einzelnen Einheiten der Feuerwehren, des Technischen Hilfswerk und anderer Rettungsorganisationen (zynischerweise hat dessen Bundesakademie seinen Sitz in Bad Neuenahr-Ahrweiler). Und schon gar keine über einsatzfähige Land- und Baumaschinen, die man nicht über große Strecke erst an den Einsatzort bringen muss, sondern die vor Ort zur Verfügung stehen, wie man bei vielen Landwirten und Bauunternehmungen sehen konnte, die spontan und ohne organisatorische Unterstützung vor Ort Hilfe leisten – auf eigene Kosten.
Es gibt, soweit wir das überblicken, zudem keine oder nur mangelhafte Pläne, wie die Zivilbevölkerung mit Rettungsorganisationen sinnvoll zusammenarbeiten können. Weiter fehlt es an geeigneten Ablaufplänen, was im Falle einer Katastrophe zu tun ist, wie man sich sinnvoll verhält und sich außer und andere nicht in Gefahr bringt. Ich erinnere nur an das Desaster des deutschlandweiten Sirenentages im Herbst 2020. Ein Hochindustrieland ist nicht in der Lage, läppischen Sirenalarm zu organisieren?
Und wenn das Bundesamt meint, auf die Länder und die Landkreise zeigen zu müssen, weil die zuständig sind, dann fragt man sich, wofür es dieses Amt mit 400 Mitarbeitern eigentlich gibt? Und offenbar sind Rheinland-Pfalz und die Landkreise mit dem Bevölkerungsschutz überfordert.
Es gibt kaum eine Alternative zu diesem Warnmittel, denn wenn der Strom weg ist, funktionieren weder Internet, noch Fernseher, noch Radio und wenn die Mobilfunknetze nicht infrastrukturell Schaden nehmen, dann brechen sie wegen zu hoher Last zusammen.
Es gibt viele Gründe, die “Bild” kritisch zu betrachten. Aktuell kommentiert Chefredakteur Julian Reichelt zu Recht:
“Wenn jetzt alle Politiker über das dankbare Thema Klima reden, dann ist das keine engagierte, visionäre Politik, sondern Verschleierung. Verschleiert werden soll, dass Sirenen nicht heulten. Dass Warnungen seit Tagen vorlagen, aber die Bürger nichts erfuhren. Verschleiert werden soll, dass in den öffentlich-rechtlichen Medien, für die wir alle zahlen müssen, weil sie einen Informationsauftrag haben, keine Gefahrenmeldungen und Warnungen verkündet wurden. Das Programm wurde nicht unterbrochen, um Menschen zu warnen. Weder der Staat, noch WDR, noch SWR kümmerten sich. Sie lieferten nicht, wofür sie teuer bezahlt werden. Verschleiert werden soll, dass diese Katastrophe ohne die Warnung kam, für die unsere gewählten Regierungen verantwortlich sind.”
Reform der Öffentlich-rechtlichen drängt
Eine dritte Schlussfolgerung ist: Die öffentlich-rechtlichen Sender kommen ihrem Programmauftrag nicht nach. Wieder einmal haben SWR und WDR das Hochwasser und die katastrophale Lage verschlafen. Wenn der WDR anführt, man habe selbst Probleme mit dem Studio Wuppertal gehabt, dann ist das ein Treppenwitz. Es gibt zig andere Studios und genug technisches Equipment für Außenübertragungen.
Warum gibt es bei den Sendern keine Reporter und Programmplaner, die sich mit Katastrophenlagen auskennen? Warum werden keine Einsatzteams gebildet, die immer dann auf Stand-by sind, wenn sich extreme Wetterlagen ankündigen? Konnte man nicht wissen? Das Wasser kam “plötzlich”? Was für ein Blödsinn – schwere Fluten haben sich seit Wochen angekündigt und sowohl Herr Kachelmann als auch der Deutsche Wetterdienst und das europäische Hochwasserwarnsystem “Efas” haben vor Katastrophenwetter gewarnt. Wo es zu schweren Katastrophen kommen kann, kann man einfach herausfinden: Das Wundermittel nennt sich Recherche.
Wir erinnern an die Hochwasser im Südwesten vor fünf Jahre, Ende Mai 2016. Offenbar hat man die damalige Lage schon wieder vergessen – in der Politik, in den meisten Medien. Damals hatte es auch hier in der Region (Neckar-Odenwald-Kreis) massive Niederschläge gegeben und in den Berglagen reißende Sturzbäche. Der Wetter-Unternehmer Jörg Kachelmann kritisierte die Politik scharf – noch mehr aber den SWR (hier unser Bericht, in dem wir schon ähnliche Thesen wie heute vertreten):
“Stell Dir vor, es ist Naturkatastrophe in Deutschland, Menschen sterben, werden schwer verletzt. Und das ganze Leid, die ganze Katastrophe findet im Stillen statt. Kein Brennpunkt im Ersten, keine Sondersendungen in SWR und BR, wo das Desaster hauptsächlich stattgefunden hat, kein Trend bei Twitter (…)”
Und weiter:
“ARDSWRBR haben einen ganzen Nachmittag und Abend bis in die Nacht so gesendet, als ob in ihrem Sendegebiet niemand verzweifelt um sein Leben kämpfen würde, als ob keine Naturkatastrophe stattfände. Die Brennpunkte und Sondersendungen werden heute Montag stattfinden, wenn sie adrett in ihren frisch auf Spesen gekauften Stiefelchen im Schlamm stehen, sturzbetroffen gucken und behaupten, dass die Menschen vom Hochwasser überrascht worden seien. Sie werden irgendwas Ablenkendes faseln, dass irgendjemand anderes irgendwas besser machen müsste, damit man es in Zukunft besser machen könnte.
Lügner. Ja, viele Menschen wurden überrascht, weil die öffentlich-rechtlichen Sender einmal mehr ihren eigentlichen Auftrag schamlos, wissentlich und willentlich ignoriert haben. Die Intendanten, Direktoren und Würdenträger von ARDSWRBR haben ihre Arbeit nicht gemacht, weil sie zu faul, dumm, inkompetent oder alles zusammen sind und es auch nach dem WDR-Desaster zum Pfingstunwetter 2014 nicht gelernt haben, was es heisst, Verantwortung für Menschen zu haben und diese zu leben.”
Nach der Katastrophe ist vor der Katastrophe
Die nächste Schlussfolgerung ist: Maßnahmen zum Klimawandel spielen beim Bevölkerungsschutz keine Rolle. Mal abgesehen davon, dass Deutschland nur 2 Prozent der CO²-Produktion weltweit beiträgt, sind alle Maßnahmen, insofern weltweit angewandt erst in einigen Jahrzehnten möglicherweise wirksam. Bis dahin wird es noch viele Extremwettersituationen geben – und darauf kann man sich vorbereiten. Oder drauf hoffen, dass die aktuelle Lage ein Jahrhunderthochwasser war, man also statistisch gesehen, wieder 100 Jahre lang vor sich hin träumen kann.
Wie schon bei der Flüchtlingskrise, der Corona-Krise, so auch jetzt bei der Extremwetter-Krise versagen die verantwortlichen in den Ämtern und politischen Führungsebenen. Ohne die umfassende zivile Hilfe wäre der Zustrom von Zuwanderern 2015/2016 nicht zu stemmen gewesen. Auch hier fehlte es funktionierenden Konzepten. Dasselbe bei der Corona-Krise – erst wurde nicht gehandelt, dann kopflos, dann führte man “Regime-Maßnahmen” ein, die Logistik beim Impfen holperte nicht, sie war eine einzige Katastrophe. Und jetzt sind zehntausende Landsleute und sicher auch Zuwanderer von einer Jahrhundertkatastrophe getroffen worden. Helfer werden weggeschickt, weil man nicht weiß, wie man sie koordinieren soll. Gehts noch?
Eine weitere Schlussfolgerung ist: Erwiesenermaßen kommt der Staat bei Großlagen meist nicht ohne die Unterstützung von Freiwilligen aus der Bürgerschaft aus. Daraus folgt, dass man die Bürger besser und immer wieder informieren muss und auch üben lässt. Das müssen auch die Bürger verstehen und einfordern. Nicht nur die Feuerwehr rufen, sondern im Notfall selbst ein “Kamerad” sein, der anderen hilft. Hier sind wir bei einem sehr großen Problem auf mittlere Sicht. Schon heute fehlt vielen Freiwilligen Feuerwehren der Nachwuchs. Wehrersatzdienst ist nicht mehr attraktiv, seit die Wehrpflicht abgeschafft worden ist. Das ist aus meiner Sicht ein erhebliche Fehler, weil sowohl Nachschub an militärischen Kräften wichtig ist wie auch der Zivildienst. Junge Menschen lernen dabei zudem fürs Leben – was heutzutage fehlt.