Rhein-Neckar/Südwesten, 30. Mai 2016. (red) Der Wetter-Unternehmer Jörg Kachelmann ist bekannt für deftige Worte. In einem heute veröffentlichten Text unterstellt er insbesondere dem SWR und dem BR und der ARD insgesamt, mitverantwortlich für den Tod von Menschen zu sein, weil sie ihrer Informationspflicht nicht nachgekommen seien: “Faulheit kostet Menschenleben.” Er benennt die aus seiner Sicht Schuldigen auch beim Namen: Volker Herres (Programmdirektor ARD), Peter Boudgoust (Intendant SWR), Ulrich Wilhelm (Intendant BR).
Von Hardy Prothmann
Stell Dir vor, es ist Naturkatastrophe in Deutschland, Menschen sterben, werden schwer verletzt. Und das ganze Leid, die ganze Katastrophe findet im Stillen statt. Kein Brennpunkt im Ersten, keine Sondersendungen in SWR und BR, wo das Desaster hauptsächlich stattgefunden hat, kein Trend bei Twitter (…)
So beginnt Jörg Kachelmann, früher als Wetter-Dienstleister Zulieferer für mehrere ARD-Sender, seinen Text “Hochwatergate”, indem er kein gutes Haar am Südwestrundfunk, am Bayerischen Rundfunk und am Gemeinschaftsprogramm ARD (Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands) lässt.
Konkret wirft er den Sendern vor, die Bevölkerung nicht frühzeitig genug vor einer äußerst gefährlichen Wetterlage gewarnt zu haben. Die Programmverantwortlichen nennt er “faul, dumm, inkompetent oder alles zusammen”.
ARDSWRBR haben einen ganzen Nachmittag und Abend bis in die Nacht so gesendet, als ob in ihrem Sendegebiet niemand verzweifelt um sein Leben kämpfen würde, als ob keine Naturkatastrophe stattfände. Die Brennpunkte und Sondersendungen werden heute Montag stattfinden, wenn sie adrett in ihren frisch auf Spesen gekauften Stiefelchen im Schlamm stehen, sturzbetroffen gucken und behaupten, dass die Menschen vom Hochwasser überrascht worden seien. Sie werden irgendwas Ablenkendes faseln, dass irgendjemand anderes irgendwas besser machen müsste, damit man es in Zukunft besser machen könnte.
Lügner. Ja, viele Menschen wurden überrascht, weil die öffentlich-rechtlichen Sender einmal mehr ihren eigentlichen Auftrag schamlos, wissentlich und willentlich ignoriert haben. Die Intendanten, Direktoren und Würdenträger von ARDSWRBR haben ihre Arbeit nicht gemacht, weil sie zu faul, dumm, inkompetent oder alles zusammen sind und es auch nach dem WDR-Desaster zum Pfingstunwetter 2014 nicht gelernt haben, was es heisst, Verantwortung für Menschen zu haben und diese zu leben.
Nach den Beleidigungen, die wir uns nicht zu eigen machen, kommt ein Vorwurf, der es in sich hat und den wir uns auch nicht zu eigen machen: Herr Kachelmann gibt drei namentlich benannten ARD-Progammverantwortlichen indirekt die Mitschuld an den Todesfällen infolge der Unwetter vom Wochenende:
Die Toten aus Schlamm und Wasser sind Tote, die hätten vermieden können. Auch durch Sie, Volker Herres, Peter Boudgoust, Ulrich Wilhelm, wenn Sie die Gnade gehabt hätten, Ihre Aufgabe wahrzunehmen. Der Respekt vor den Toten gebietet, dass sowas nie mehr wieder vorkommen darf, und zwar ab sofort. Deshalb darf man nicht die nächste Gremiensitzung abwarten, an dem der Rundfunkrat Ihre Arbeit toll findet. Sie müssten einmal im Leben agieren, nur einmal, ohne dass ein Politiker Sie vorher anruft. Auch heute ist schon wieder Unwettertag. Gestern hatten Sie sicher einen netten ruhigen Sonntag im Kreise der Lieben. Schämen Sie sich für Ihr faules Nichtstun in Zeiten der Not. Und wachen Sie endlich auf.
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Kachelmanns Kampf gegen die ARD
Jörg Kachelmann hatte als der “Wetter-Man” im Hörfunk seine Karriere als vermutlich bekanntester Wetter-Moderator gestartet. Am 20. März 2010 war er wegen des Verdachts der Vergewaltigung einer Frau festgenommen worden, im Mai wurde Anklage erhoben. Der Prozess wurde bundesweit von Medien verfolgt, teils mit einer beispiellosen Vorverurteilung des Tatverdächtigen in zahlreichen Medien. Am 31. Mai 2011 wurde Herr Kachelmann “im Zweifel für den Angeklagten” frei gesprochen. (Hier finden Sie unsere Berichte zum Prozess)
Im Anschluss ist Herr Kachelmann gegen sehr große Zahl von Medien und Privatpersonen juristisch vorgegangen und hat nach unserer Kenntnis einen Großteil der Verfahren gewonnen. Mit der Ex-Freundin, die die Vergewaltigungsvorwürfe erhoben hatte, lieferte er sich noch Jahre nach dem Prozess eine juristische Auseinandersetzung.
Insbesondere die ARD wandte sich im Zuge des Prozesses gegen den Moderator und von diesem ab. Damit dürfte neben der Rufschädigung ein erheblicher finanzieller Schaden entstanden sein – vermutlich ein Motiv für den Wetter-Unternehmer, besonders hart mit der ARD und den Landesrundfunkanstalten “ins Gericht zu gehen”.
Berechtigte Kritik?
Wir distanzieren uns von den beleidigenden Aussagen des Herrn Kachelmann.
Auf den Programmauftrag bezogen, sind die Vorwürfe möglicherweise aber nicht ohne Gehalt – das betrifft allerdings nicht nur die ARD-Sender, sondern auch die Politik: Wurde die Bevölkerung ausreichend vor der Gefahrenlage gewarnt? Das ist eine entscheidende Frage.
Wir selbst hatten in der vergangenen Nacht gegen 3:00 Uhr – also zu einem Zeitpunkt, als bereits seit neun Stunden massive Extremlagen bekannt waren und enorme Schäden bereits eingetroffen waren – Kontakt mit dem Lagezentrum des Innenministeriums aufgenommen. Dort ging man von keiner besonderen Gefährungslage aus und verwies uns für weitere Informationen an die zuständigen Feuerwehren und Polizeipräsidien. Eine zentrale Inforamtionsaufnahme und -verarbeitung hatte nach unserem Eindruck zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen. Es gab keinen Hinweis, dass das Lagezentrum eine besondere Ausnahmesitution erkannt hätte.
Heute äußerten sich Politiker “entsetzt” über das Ausmaß der Schäden. Auch Innenminister Thomas Strobl (CDU), aus dessen Ministerium zuständigkeitshalber genau keine Warnmeldung im Vorfeld kam.
Und natürlich berichteten der SWR und andere Sender heute über die massiven Schäden. Und wie Herr Kachelmann das ankündigt: Wirklich kritische Fragen werden keine gestellt – auch nicht über die eigene Rolle.
Insbesondere die Aussage des Bürgermeisters von Braunbach, Frank Harsch, lässt aufhorchen:
Auch die Notrufnummern waren dann irgendwann mal nicht mehr erreichbar, das muss man glasklar sagen.
Für den SWR, der das Zitat sendet, kein Grund, nachzufragen oder zu recherchieren.
Insoweit ist die Kritik des Herrn Kachelmann berechtigt. In Notlagen wie diesen braucht es Sirenen, die allerorts abgebaut werden und vor allem den Rundfunk – oft das einzige Medium, mit dem man Menschen in Gebieten mit zerstörter Infrastruktur technisch noch erreichen kann. Man braucht allerdings auch den Willen und Konzepte, über den Rundfunk die notwendigen Informationen zu transportieren.
Information der Bevölkerung mangelhaft
Die Schuldzuweisung durch Herrn Kachelmann halten wir für problematisch. Wir können weder im Fall der ertrunkenen Person in einer Tiefgarage noch das tragische Unglück, bei dem ein Feuerwehrmann zu Tode kam, weil er eine Person retten wollte, die ebenfalls zu Tode kam, noch im Fall eines Mädchen, dass unter einem Bahnübergang Schutz suchte und durch einen Zug tödlicher erfasst wurde, eine direkte Schuld der Programmverantwortlichen erkennen.
Inhaltlich sei angemerkt, dass Medien bei Hochwasserlagen reflexartig von “Ertrunkenen” berichten. Doch das ist meistens falsch. Die Todesopfer werden meist durch das reißende Wasser “erschlagen” und ertrinken nicht, weil sie bereits vorher tot sind. Einen ähnlichen Unsinn verbreiten viele Medien auch bei Bränden: Regelmäßig kommen laut Medien Todesopfer “in den Flammen um”, tatsächlich sind die meisten, bevor das Feuer sie erreicht, längst erstickt.
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Man stelle sich vor…
Für nachvollziehbar halten wir aber die Kritik, dass die Sender im Vorfeld über die Gefahren nicht ausreichend informiert hatten und auch während des Unwetters keine “Energie” erkennbar war, die Menschen mit notwendigen Informationen zu versorgen, die Schäden vermeiden.
Man stelle sich vor, die Unwetter hätten nicht am Ende eines Urlaubswochenendes vom Abend über die Nacht stattgefunden, sondern unter der Woche tagsüber. Man mag sich nicht ausmalen, wie viele Opfer dann zu beklagen gewesen wären.
Man darf gespannt sein, ob es ein politisches Nachspiel zu diesen Unwettern und der mangelhaften präventiven Information der Bevölkerung gibt oder wie Herr Kachelmann das meint, “man die nächste Gremiensitzung abwartet und der Rundfunkrat die Arbeit toll findet”.
Anm. d. Red.: Da gehört nicht zum direkten Thema, aber zum Themenkomplex. Besten Dank der Redaktion an alle Rettungskräfte, Polizeibeamte und Helfer für ihren selbstlosen Einsatz. Wir sind oft mit dabei und wissen, was geleistet wird. Ein Feuerwehrkamerad ist am Wochenende zu Tode gekommen, als er einen Menschen retten wollte. Unser Beileid gilt der Familie, ebenso denen der anderen Todesopfer.