Ludwigshafen, 26. Oktober 2015. (red/cr) Am Freitag wurde in den Räumen von OK TV Ludwigshafen ein Zwischenstand des Journalismus-Projekts „Bürgermedien für interkulturellen und politischen Dialog“ mit ukrainischen Journalisten vorgestellt. Mit der Projektkooperation soll unabhängiger Journalismus in der Ukraine gefördert werden. Freier Journalismus ist der Grundstein der Demokratie. Etwas, das zur Stabilisierung der aktuellen innenpolitischen Spannungen beitragen kann.
Von Christin Rudolph
Wenn man objektiv schreibt, kriegt man keinen Job. So gut wie jede Zeitung, jeder Radio- oder Fernsehsender gehört einem Unternehmen,
berichtet Yevgen Tsymbalenko, Dozent für Kommunikationswissenschaften am Institut für Journalismus der Taras-Schewchenko-Universität in Kiew. Die anderen Mitglieder der ukrainischen Delegation nicken.
Wenn die Medien keine Infos haben, schreiben sie über den Präsidenten
Die ukrainischen Medien werden von Oligarchen gesteuert. Es gibt zwar keine staatliche Zensur, die demokratischen und wirtschaftlichen Strukturen für informativen, offenen Journalismus fehlen allerdings noch. Wem das Medium gehört, für und über den wird geschrieben. Kleine regionale Redaktionen haben kaum Geld für Qualitätsjournalismus oder aufwändige Recherche. Die staatlichen Mittel sind verschwindend gering. Doch seit der Revolution 2013 gibt es Hoffnung.

Ein Teil der Projektgruppe bei der Pressekonferenz zum aktuellen Stand, Foto: OK TV Ludwigshafen, Ausschnitt
Die jungen Ukrainer wollen unabhängigen, demokratischen Journalismus ohne Korruption. Doch ohne Geld und bestehende Strukturen ist es schwer, professionell zu arbeiten. Um bei der Stabilisierung der innenpolitischen Lage in der Ukraine zu helfen, gibt es das deutsch-ukrainischen Projekt „Bürgermedien für interkulturellen und politischen Dialog“. Übergeordnetes Ziel des Projekt ist die Errichtung eines Zentrums für Bürgermedien in Kiew.
Kompetente Partner
Gefördert wird die Kooperation vom Auswärtigen Amt in Berlin. Beteiligt sind der Bundesverband Bürger- und Ausbildungsmedien (BVBAM), die europäische Medieninitiative youth4media, das Bennohaus Münster und OK TV Ludwigshafen. Die Förderung läuft bis Ende des Jahres. Sie beinhaltet die Projektarbeit und kulturellen Austausch sowie technische Grundausstattung wie Videokameras für die ukrainischen Journalisten. Ziel des Projektes ist es zunächst einen Trainerpool zu qualifizieren, sowie die Infrastruktur für gemeinsame Fortbildungsmaßnahmen im Bereich „Neue Medien und bürgerschaftliches Engagement“ zu schaffen. Im Mittelpunkt steht die Qualifizierung von aktiven zivilgesellschaftlichen Organisationen (NGOs) im Bereich digitaler Medienproduktion, Journalismus und politischer Bildung.
Die Trägerschaft für die Zukunft steht noch nicht fest. Möglicherweise können EU-Mittel die Finanzierung sichern, vielleicht gibt es wieder Mittel im Rahmen des Programms der „Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft“. Da die Initiative vom „Forum Ukrainischer Journalisten“ (Lutsk) und der einflussreichen Kiewer Universität unterstützt wird, mache man sich aber keine Sorgen um die Weiterfinanzierung und die Nachhaltigkeit des Projekt, so Dr. Wolfgang Ressmann, Vorsitzender des Bundesverbandes Bürger- und Ausbildungsmedien (BVBAM).
Gegenseitige Unterstützung
Das Bürgermedien-Projekt unterteilt sich geografisch und thematisch in drei Abschnitte: Im ersten Teil reiste eine deutsche Delegation nach Kiew. Zunächst machten sich die ukrainischen Teilnehmner mit der technischen Ausrüstung aus Deutschland vertraut. Die 16 ukrainischen Teilnehmenden beteiligen sich an unterschiedlichen Video-, Radio- und Text-Formaten. Bei dem Projekt arbeiteten alle gemeinsam an Video-Beiträgen, um sich gegenseitig zu unterstützen.

TV-Gespräch mit Dr. Vitalii Kornieiev, journalistische Fakultät der Universität Kiew im Studio von OK-TV Ludwigshafen. Foto: OK TV Ludwigshafen,
Der zweite Teil des Projekts findet aktuell parallel in Münster und in Ludwigshafen statt. Hier geht es um praktische Erfahrung und darum, die ukrainischen Delegierten zu Trainern auszubilden, die das Gelernte in der Heimat selbst weitergeben können. Das sollen sie in der letzten Projektphase im November dann in die Praxis umsetzen.
Mehr als ein normaler Delegationsbesuch
Die Projektgruppe besucht nicht nur Orte, die etwas mit dem Thema Bürgermedien und Meinungsfreiheit zu tun haben wie das Hambacher Schloss. Sie macht auch Videobeiträge über ihre Ausflüge, die für eine abschließende Sendung über das Projekt benutzt werden. Dieser Beitrag wird dann in beiden Ländern ausgestrahlt. Zusätzlich soll eine zweisprachige Projektbroschüre in Englisch und Ukrainisch entstehen.
Die Teilnehmer auf unkrainischer Seite sind junge Medienschaffende, teilweise noch Studierende, sowie Dozenten der journalistischen Fakultät in Kiew. Die Dozenten werden die Erfahrungen aus dem Projekt in der Aus- und Weiterbildung an der Universität einfließen lassen.
Unterstützung durch die Uni
Auf dem Internet-Portal der Uni werden sie die Ergebnisse des Bürgermedien-Projekts ebenfalls veröffentlichen. Damit erreichen sie nach eigenen Angaben aktuell rund 500 Personen am Tag.
Durch den Besuch habe ich gesehen, dass ich etwas verändern kann. Wir arbeiten jetzt an einer Internetseite für unsere Zeitung, die unabhängiger und vielfältiger berichten soll als das Printmedium,
sagt Alena Merzhevska, Chefredakteurin einer lokalen Zeitung „Nashe Slowo“ der umkämpften Donbas-Region.
Lügenpresse?
Das Vertrauen der Ukrainer in die Medien ist seit 2014 stark gesunken, sagt Herr Tsymbalenko, Dozent der Universität in Kiew. Wenn ein Journalist etwas falsch berichtet, habe das keine Folgen. Es glaube sowieso kaum jemand, was in der Zeitung steht. Eigenbeteiligung an Medien ist kaum ein Thema. Man müsse die Idee von gesellschaftlichem Engagement und Gutbürgertum erst in der Bevölkerung etablieren.
Unabhängige Bürgermedien müssen eben noch gefördert werden. Auch wird Online-Journalismus meist nicht ernst genommen. Aber wenn Mode-Blogs funktionieren, warum sollte sich dieses Medium nicht mit ernsteren (und wichtigeren) Themen beschäftigen, hat sich die Gruppe gefragt?
Die Revolution 2013 war die Geburtsstunde des offenen demokratischen Journalismus. Jetzt müssen wir dranbleiben.
sagt Anastasiya Russu, Journalismus-Studentin. Sie weiß, dass die Lage des Lokaljournalismus in der Ukraine katastrophal ist. Viele sind nicht professionell ausgebildet, lernen vom Zuschauen. Doch sie ist auch der Meinung: „Nur wenn wir unsere Ziele hoch stecken, können wir das Bestmögliche erreichen.“
Freie Bürger-Plattform
Nächstes Jahr soll es eine Plattform geben, auf der man sendefähige Projektergebnisse hochladen kann, die dann im Idealfall für (Web-)Videosendungen lokaler Sender benutzt werden können. Den Webserver stellen die deutschen Kooperationspartner. Eine ähnliche Test-Plattform war bisher erfolgreich. Das Material ist frei zugänglich. Leser oder Zuschauer konnten bisher für Beiträge freiwillig zahlen. Auch eine Crowdfunding-Finanzierung sei laut den teilnehmenden Dozenten vorstellbar.
Bis Journalisten in der Ukraine, insbesondere im Lokalen von ihrer Arbeit leben können, wird es noch sehr lange dauern. Da sind sich alle Anwesenden einig. Sie betonen aber auch, dass es viele junge Menschen es in der Ukraine gibt, die sich für die Zivilgesellschaft engagieren, die das Land auch über Medien verändern und weiterentwickeln wollen.