Rhein-Neckar, 03. Oktober 2015. (red) Aktualisiert. Die Nachricht hängt unterm Scheibenwischer am Auto und lautet am Ende „womöglich sterben Sie“. Die Nachricht ist eine klare, unmissverständliche Morddrohung gegen meine Person. Das ist kein Scherz, das ist eine Botschaft und die lautet: Terror. Bewusst und gezielt boshaft.
Von Hardy Prothmann
Ich neige nicht zur Hysterie und bin einiges gewohnt. Aber dieser Zettel unterm Scheibenwischer hat es in sich. Er bringt meine journalistische Arbeit direkt mit einer „Aussicht“ in Verbindung: „Sie sterben womöglich“.
Ich denke:
Ich sterbe mit absoluter Sicherheit irgendwann, aber darüber muss ich mit dem Deppen nicht diskutieren. Der droht mir ein Sterben von der Sicherheit des Irgendwann an. Und das ist bedrohlich.
Irgendein böses Wesen hat diesen Zettel geschrieben und im Laufe des 02. Oktober unter den Scheibenwischer meines Fahrzeugs geklemmt. Wann, weiß ich nicht. Nur soviel, am Abend rauche ich am Fenster, sehe einen Zettel unterm Scheibenwischer und denke: „Sauber, vermutlich hat jemand mein Auto angebumst und seine Nummer hinterlassen. Ist zwar auch Fahrerflucht, aber wenigstens ehrlich. Seufz.“
Gegen 20:30 Uhr nehme ich den Zettel, stecke ihn in die Brusttasche meines Hemdes, direkt ans Herz sozusagen und fahre los, um für diesen Artikel zu recherchieren:
Weitere Flüchtlinge auf Benjamin Franklin Village – 2.000-3.000 über das Wochenende erwartet
Funari wird belegt
Sie sterben womöglich
Ich schreibe die Story, mache noch andere Arbeiten, es wird 2 Uhr nachts, wie meistens in den vergangenen Wochen und dann erinnere ich mich an den Zettel und gucke drauf. Ich lese die knappe Botschaft mehrmals:
Sie sterben womöglich.

Klare Botschaft: Wir müssen nicht „womöglich“ sterben, wir sterben alle, irgendwann. Der Journalist Hardy Prothmann lässt sich nicht durch Zettel bedrohen, er nimmt sie zur Kenntnis und bringt sie zur Anzeige. Foto: sap
Der Rest der Botschaft steht eindeutig mit meiner Arbeit als Journalist in Zusammenhang. Der Zettel ist handschriftlich. Jemand kennt mein Auto, weiß, wo die Redaktion ist (steht im Impressum, haha) und hat bei Tageslicht irgendwann den Mut gehabt, mir die Todesbotschaft unter den Scheibenwischer meines Autos zu klemmen.
Mein erster Impuls – ich muss nicht jeden Idioten auf dieser Welt ernst nehmen. Mein zweiter: Es gibt leider sehr viele Idioten, die unberechenbar sind. Deshalb nehme ich die Botschaft ernst.
Ich konstatiere, dass es in meinem Umfeld mindestens einen Menschen gibt, der mich für meine Arbeit über einen Zettel mit dem Tod bedroht. Die Frage lautet nicht, wie irre das ist. Die Frage lautet: Wer ist dieser Irre?
Einschläge häufen sich
Am Tag der Deutschen Einheit werde ich natürlich Anzeige erstatten – gegen Unbekannt. Auch, weil die „Einschläge“ immer öfter erfolgen. Abendliche „Vorbeifahrten“ und ein gegröhltes „Arschloch“, seltsame Anrufe und Leute, die rumstehen und gucken, habe ich wahrnehmen müssen, weil das offensichtlich passiert. Ebenso emails, die mir „die Meinung geigen“ – die kommen von rechts und von links.
Dieser Zettel, scheinbar einfach so dahingeschrieben, richtet sich aber nicht nur gegen mich, sondern gegen alle meine Mitarbeiter, darunter sind viele junge Menschen. Die machen hier eine engagierte, hoffnungsvolle Arbeit. Sie setzen sich ein, glauben an Demokratie und Menschenrechte, an Kultur und Bildung.
Ich muss mit meinen Mitarbeitern darüber reden, dass da draußen mindestens ein Irrer rumläuft, der mich mit dem Tod bedroht.
Ich bin Lokaljournalist und baue eine kleines Unternehmen auf. Die Herausforderungen sind hart. Ich trage Verantwortung für meine Mitarbeiter.
Mit Kritik kann man umgehen…
Und ich neige, wie gesagt, nicht zur Hysterie. Ich bereite alle meine Mitarbeiter darauf vor, dass sie damit rechnen müssen, dass ihre Veröffentlichungen nicht auf „Gegenliebe“ stoßen. Und einige haben diese Erfahrung schon machen müssen. Ablehnung, blöde Sprüche, Verweigerungshaltungen. Damit können meine Mitarbeiter umgehen. Sie sind vorbereitet.
Nun werde ich sie – verantwortlich – auch darüber informieren müssen, dass es mindestens einen Menschen gibt, der mich offenbar observiert hat und gezielt mich mit einer Morddrohung belegt.
Ich bin aus Überzeugung Journalist und fest davon überzeugt, dass ein unabhängiger Journalismus absolut notwendig für stabile Demokratien ist. Ohne einen unabhängigen Journalismus gibt es kein freies Leben, keine freie Politik und keine freie Wirtschaft. Schon gar keine freie Kunst und kein freies Leben.
Irgendjemand hat sich zum Terror entschlossen
Irgendjemand hat sich zum Terror entschlossen, indem er/sie eine Botschaft geschrieben hat, die mein Leben in Frage stellt, weil ich journalistisch arbeite.
Ganz ehrlich? Das beeindruckt mich persönlich nicht. Irre Dumpfbacken gibt es überall auf der Welt. Aber wenn Irre versuchen, den Kopf und das Herz eng zu machen, dann werde ich sauer. So richtig sauer. Keine Sorge – ich reagiere mit Verstand darauf.
Ich werde Anzeige erstatten, das Beweismittel vorlegen und weil es öffentlich ist, ist die Dumpfbacke, die den Zettel geschrieben hat, ab dann im Fokus von Ermittlungen.
Und selbst wenn diese Dumpfbacke „womöglich“ mein Leben verkürzt, was eh endlich ist, wird sie sich verantworten müssen. Das Problem der Dumpfbacken ist – die allermeisten gehen der Polizei ins Netz und das ist gut so.
Der Täter soll wissen, was man über ihn weiß
Die Polizei wird vielleicht wegen „laufender Ermittlungen“ die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, weil ich „Täterwissen“ veröffentlicht habe und damit Ermittlungen „gefährde“. Das habe ich mit diesem Artikel einkalkuliert und abgewogen. Der Täter ist ein durchgeknallter Volldepp. Vermutlich eine arme Wurst. Ein Feigling – wer sonst schreibt Morddrohungen, die er unter einen Scheibenwischer klemmt?
Feiglinge oder vor allem Feiglinge sind trotzdem extrem gefährlich. Menschen, die selbstbewusst und stark sind, würden keine solchen Drohungen schreiben. Feiglinge kommen auf durchgeknallteste Ideen.
Ich denke, es ist wesentlicher als ein Ermittlungserfolg der Polizei, dass die Öffentlichkeit weiß, dass die Einschläge immer kürzer werden. „Lügenpresse“ ist nur ein Wort – „womöglich zu sterben“ ist eine Drohung. Eine ganz konkrete. Nicht im Osten, sondern im Westen. In Mannheim.
Bedrohter Journalismus – von allen Seiten
Brandanschläge nehmen zu – auch das sind konkrete Drohungen. Hier im Westen sind wir Journalisten noch privilegiert – woanders sind die Bedrohungen noch realer, noch härter. Nicht nur gegen Journalisten, sondern vor allem gegen Flüchtlinge, die viel weniger Chancen haben, sich zu wehren.
Damit mich niemand falsch versteht. Ich halte das Bedrohungspotenzial auf unsere freiheitliche Grundordnung durch Rechtsextreme für weitaus gravierender als durch Linksextreme. Aktuell kann ich aber nicht entscheiden, wer die Morddrohung unter den Scheibenwischer geklemmt hat. In Frage kommen Rechts- oder Linksextreme oder Irre.
Fakt ist: Ich werde gezielt und vorsätzlich bedroht. Weil ich Journalist bin.
Und darüber bildet sich jeder seine eigene Meinung.
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