Rhein-Neckar, 10. August 2015. (red) Die Welt scheint sich schneller und schneller zu drehen – vor allem Informationen. Aber mit diesen auch Menschen. „Der Journalismus“ muss längst vor dieser Geschwindigkeit kapitulieren. Er ist chancenlos gegen die weltweite Gleichzeitigkeit. Wer diese aber fordert – wie aktuell der Branchendienst „meedia“ – hetzt den Journalismus zu Tode. Wir merken das selbst und unsere Strategie ist deshalb nicht „Geschwindigkeit“, sondern Relevanz und gute Recherche. Demokratische Gesellschaften brauchen einen gründlichen Journalismus, keinen hektischen.
Von Hardy Prothmann
„Ihr habt dazu gar nichts gebracht“, ist so ein Satz, auf den ich unterschiedlich als verantwortlicher Redakteur reagiere.
Manchmal schmerzt er sehr, weil ich weiß, dass die Kritik nachvollziehbar ist. Ja, wir haben ein Thema nicht bearbeitet, weil wir nicht genug „Man-power“ hatten, weil wir nicht bereit waren, einfach irgendwas zu berichten, um zu berichten, Hauptsache „Thema gehabt und Haken dran“. Nein. Der „Mut zur Lücke“ ist in unserer kleinen Redaktion täglicher Begleiter.
Manchmal denke ich mir aber auch: „Und weiter? Da gab es nichts zu berichten, was die Öffentlichkeit wirklich zu interessieren hätte.“ Das gilt vor allem für Feste mit Grinse- und Posting-Fotos der lokalen Prominenz, die manchmal ein halbes Dutzend und mehr „Foto-Termine“ am Wochenende absolviert: Oberbürgermeister XY besuchte ein Fest, aß eine Bratwurst, trank einen Radler (oder eine gespritzte Apfelschorle und tat so, als sei es Bier oder „war da wirklich Bier drin, wie viele waren das?“), unterhielt sich mit Bürgern und ging zum nächsten Fest. Viel mehr ist an Nachricht nicht zu übermitteln, aber „Bratwurstjournalisten“ haben eine Kunst daraus gemacht, über diesen einen Satz „Stories“ im halb- bis ganzseitigem Großformat zu erfinden.
Kritik an Medien
Der Branchendienst „meedia“ versohlt gerade kollektiv Hamburger Medien den Hintern:
Der Ansatz zur Kritik ist berechtigt – wieso haben Medien nicht schnell genug reagiert? Die Analyse ist allerdings schmal – was sich „Mediendienst“ nennt, ist nicht ansatzweise fähig zu einer sachgerechten Analyse.
Kritik ohne Analyse ist Bratwurst
Was meedia und andere bislang nicht ansatzweise verstanden haben: Journalisten sind keine „Gate-Keeper“ mehr, schon gar nicht bei aktuellen lokalen Ereignissen. Schon gar nicht in der Ferienzeit, am Wochenende, nachts. Selbst wenn Redaktionen 24-Stunden-Reporter vorhalten würden – sie sind niemals so schnell wie ein Passant vor Ort, der mit dem Smartphone ein Foto macht und das über alle sozialen Netzwerke verteilt.
Mediennutzer und „Mediendienste“, die der „Branche“ vorhalten, dass das ein „Skandal“ sei, sind, mit Verlaub, dummdreist auf Skandal gebürstet. Leute, die sich echauffieren, wollen keine Lösung, sie wollen Stress – erzeugen und auskosten. Leider ist das symptomatisch für die Medienbranche.
Und sie haben eines nicht verstanden oder ignorieren das: Die ersten vor Ort sind meist die Rettungskräfte. Polizei, Feuerwehr, Sanitäter. Journalisten kommen oft erst entscheidend später vor Ort. Und immer öfter kommen von diesen Rettungskräfte und Privatpersonen Fotos und Infos direkt vor Ort in die Welt. Und zwar ohne jegliche journalistisch-redaktionelle Prüfung. Dabei werden immer wieder Menschen in Ausnahmesitutationen gezeigt und es werden in unverantwortlicher Weise Informationen publik gemacht.
Material zeigen ist noch längst nicht Material verarbeiten
Diese Dokumentationen, ob Foto, Text oder Video, sind oft wichtiges Material, die Journalisten und anderen wertvolle Informationen geben. Aber ohne eine verantwortliche Bearbeitung können sie einfach nur brutal sein. Sinnlos, aber aufregend. Boulevard-Medien und Leute, denen das gefällt, „freuen sich“ und „liken“, was die Maustaste hergibt.
Gute Journalistische Arbeit regt durch Bearbeitung von „Material“ auf – aber bitte-schön immer verantwortlich und nicht mit der Bild-Formel TTT, Tiere, Titten, Tote.
Wir waren in Hamburg nicht vor Ort – aber Medien vorzuwerfen, dass sie nicht schneller als der Primär-Sender einer Nachricht sind, ist schon arg dreist. Vollständig auszublenden, dass Informationen überprüft werden müssen, um verantwortlich zu sein, ist noch dreister. Und dann mitten in der „Sensationsstory“ diese Information:
Ups. Es ist also nichts passiert.
Alle journalistisch arbeitenden Menschen müssen sich fragen und fragen lassen – was sie eigentlich wollen und was man von ihnen will. „Pimp up the story bis zum Blödsinn?“ Hauptsache, einen Aufreger produziert? Oder informiert man die Menschen verantwortlich und verlässlich? Oder kreischt man sie nur an? Insbesondere Feuerwehren nenne ich hier explizit – so sehr ich die oft freiwillige Arbeit schätze, so sehr missfällt mir manchmal mit zunehmender Tendenz die „Eigendarstellung“, die sich keiner Überprüfung stellt. Denn wehe, wenn man die „Helfer“ kritisiert – es gibt kaum Lokaljournalisten, die sich das trauen. Wir schon und wir wissen, was das an „negativen Erfahrungen“ mit sich bringt.
Hinter jedem Text steckt ein Mensch – egal wie (un)erfahren
Der meedia-Autor ist sicher eins nicht – ein erfahrener Reporter. Denn sonst wüsste er, dass man „vor Ort“, mitten und am Anfang des Geschehens eigentlich nichts „weiß“, sondern nur sammelt – Informationen, Bruchstücke von Informationen, gegensätzliche Informationen. Erst durch Recherche, die man so gut wie niemals mitten in der Nacht oder am Wochenende oder in Ferienzeiten leisten kann, wird eine nachhaltige journalistische Information daraus. Vermutlich ist meedia dann schon weiter am nächsten „Skandal“ dran.
Eine „Story“, die Substanz hat und den Menschen erklärt, was wie passiert ist. Mal erklärend, mal bitter, mal schmerzhaft, mal erleichternd, ist viel Arbeit. Eben so, wie man die Geschichte recherchieren konnte – und oft fehlt etwas, weil man eben niemals alles recherchieren kann. Außer Geld, Infrastruktur und Personal spielt keine Rolle.
Unser Rheinneckarblog ist seit geraumer Zeit Thementreiber in der Region – uns lesen Bürger und Entscheider in Firmen und Behörden. Und auch andere Medien. Deswegen legen wir allen diese Montagsgedanken ans Herz.
Der „alte Journalismus“ hat sich erledigt. Er ist am Ende. Vollständig. Das Internet treibt uns alle, also die Journalisten (auch uns als Online-Medium) und die Entscheider und die Bevölkerung vor uns her. Ob wir wollen oder nicht, ob wir bei Facebook sind oder nicht.
Netzpolitik.org – Aktivisten im Schafspelz von Journalismus
Ein gutes Beispiel ist netzpolitik.org. Eher unprofessionelle „Blogger“, die eigentlich nie „Journalisten“ sein wollten und sich als „Aktivisten“ sogar heftig dagegen gewehrt haben, bis sie die „Vorzüge“ verstanden hatten, treiben seit Tagen die Nachrichten. Ein Generalbundesanwalt wurde gefeuert, ein Minister steht vor dem Abruf. Der Grund: Irgendjemand hat Netzpolitik „Dokumente zugespielt“, die längst bekannt waren und der „verantwortliche Redakteur“ Markus Beckedahl hat eben mal alles im Original online gestellt – das ist kein Journalismus, das ist gezielte Provokation und aktuell hat sich jemand provozieren lassen.
Der angebliche „Skandal“ ist vollständig überbewertet, was den Angriff auf die Pressefreiheit angeht, aber vollständig unterbewertet, was die Panikmache angeht – Mittäter der allgemeinen Verwirrung sind ausgerechnet eine überwältigende Mehrzahl von „Medienvertretern“, die selbst angesichts der Causa „netzpolitik“ nicht verstanden haben, was Sache ist.
Seriöser Journalismus muss erkennen, dass es genau keine Chance gegen die Geschwindigkeit des Netzes gibt, wohl aber eine große Chance in solider Recherche und überprüfbarer, verantwortlicher Berichterstattung.
Wer redet heute noch über Wiki-Leaks? Diese Aktivisten haben unglaublich viel „Material“ online gestellt – wie viele Menschen dafür sterben mussten, ist unklar. Klar ist, dass „der Journalismus“ vollständig überfordert ist, damit umzugehen. Aber andere werden es tun – im Zweifel konsequent tödlich.
Die Frage, inwieweit „netzpolitik.org“ seine Quellen proaktiv gefährdet hat, stellt kaum ein Medium. Das ist bedenklich – denn es zeigt, dass die wenigsten Medien tatsächlich nur geringste Kenntnisse von „investigativem“ Journalismus haben, aber behaupten, dass „netzpolitik“ diesen betreibe.
Skandal, Skandal – und weiter?
Journalismus, der sich auf das Skandalgeschrei einlässt, wird darin untergehen. Ich spreche da aus Erfahrung, weil ich mit hehrem Ansatz sehr viel Zeit damit verbracht habe, „den Bürgern“ zuzuhören und ihnen „Raum“ zu geben. Und letztlich feststellen musste, dass die allermeisten keine „hehren Ziele“, sondern nur eigene verfolgen.
Auch das ist legitim – es muss aber ordentlich eingeordnet werden. Es muss wahrhaftig benannt werden, wer welche Ziele verfolgt. Und manchmal bringen wir auch „gar nichts dazu“ – tun wir es doch, wirft man uns „persönliche Feldzüge und Abrechnungen“ vor. So sei es. Auch diese „Meinungsfreiheit“ muss man hinnehmen.
Merke: „Wie Du es machst, ist es falsch.“ Davon lassen wir uns nicht beeindrucken, weil wir begründen können, warum wir was wie machen – auch, wenn sich die Begründung ändern kann, weil sich die Verhältnisse ändern.
Das Internet gewinnt jede Exklusivität in Sachen Geschwindigkeit
Fest steht: Ein Feuerwehrbericht ist ein Feuerwehrbericht. Ein Polizeibericht ist ein Polizeibericht. Eine Unternehmenspresseinformation ist eine ebenso einseitig gesteuerte Information. Ebenso wie eine kommunale oder eine sonstige, die nicht mit journalistischen Methoden überprüft worden ist.
Und Sie, liebe Leser/innen, entscheiden, was Sie wollen und was Sie bekommen. Wenn Sie die „Bild“ kaufen oder -24-Portale liken oder es hinnehmen, dass Ihre Tageszeitung nur noch aus Agenturmeldungen und Bratwurstjournalismus besteht, dann akzeptieren Sie als Kunde das.
Guter Journalismus kostet immer Geld, weil es viel Arbeit ist, verlässliche und analytische Informationen zu erarbeiten. Es gibt Medien hier im Raum, die preisen, dass ein Video über ein Loch in der Straße alle Rekorde gebrochen hat. Wir gucken auf unsere Leser und stellen fest, dass vor allem unsere „harten“ Themen regelmäßig die „Bestseller-Liste“ der meistgelesenen Artikel bei uns anführen. Und darauf sind wir stolz – auch auf unsere Leser/innen, die besseres zu tun haben, als sich Loch-Videos anzugucken.
Wir bringen nicht „zu allem etwas“ – wir bringen auch viele „Service-Meldungen“ und allgemeine Informationen – aber wir bringen immer wieder Journalismus, der wertvoll ist. Und wir freuen uns auf Ihren Förderbeitrag, der unsere Arbeit für Ihre Information unterstützt. Wir berichten exklusiv und transparent.
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