Heidelberg/Rhein-Neckar, 23. Dezember 2014. (red/ms) Auf dem ehemaligen Militärgelände des Patrick-Henry-Village in Kirchheim werden übergangsweise bis zu 2.000 Flüchtlinge untergebracht. Seit Samstag sind bereits rund 1.000 Menschen hier angekommen. Die Unterkunft dient als sogenannte Bedarfsorientierte Erstaufnahmeeinrichtung (BEA): Die Asylbewerber bleiben hier jeweils nur wenige Wochen, dann werden sie an Städte und Landkreise in Baden-Württemberg zugewiesen. Für Heidelberg entstehen dadurch keine Kosten – das Regierungspräsidium in Karlsruhe kommt für den Betrieb und sämtliche Baumaßnahmen auf. Die Unterkunft entstand im Eilverfahren: Gerade einmal fünf Wochen hatten Handwerker Zeit, um die Militärflächen wieder bewohnbar zu machen.
Von Minh Schredle
„Ein neuer Rekord“, sagt Uwe Zentsch zufrieden. „Heute haben wir die rund 1.000 Gäste in einer halben Stunde bedient.“
Die Gäste sind Flüchtlinge. Menschen aus Syrien, aus dem Irak, aus ganz Afrika und sehr viele aus dem Kosovo. Und aus anderen Gebieten dieser Welt, in denen man täglich um sein Überleben fürchten muss. Heute gibt es zum Mittagessen Cannelloni mit Rindfleischfüllung und Nudeln mit Käse für die Vegetarier. Viele sind Moslems. Schwein gibt es grundsätzlich nicht bei diesem Catering.
In einer Alufolie ist das Essen auf 75 Grad erhitzt. Zum Mittagessen wird auch das Abendessen ausgeteilt. In Papiertüten, die sich hinter den Köchen stapeln. Es geht konzentriert und geschäftig zu. Die Flüchtlinge reichen Zettel: „Ein Essen, fünf Essen, einmal vegetarisch.“
„Der hier will zwei Essen, aber da steht nur eins drauf.“ Jemand erklärt auf Französisch, ein anderer auf Italienisch. Das verstehen die Köche nicht. „Only one, please next.“
Wer hier Essen holt, ist schon „angekommen“. Hat ein Zimmer, ein Bett. Szenenwechsel: Gerade fahren wieder Busse vor. Im Stundentakt. Die Menschen steigen aus. Die Neuankömmlinge wirken verunsichert. Viele von ihnen haben eine geduckte, eingeschüchterte Haltung. Viele Kinder. Auch ihre Augen sind gezeichnet von Sorge und Verzweiflung, von Unsicherheit und Leid. Sie klammern sich an ihre Mütter. Die Männer versuchen kontrolliert zu wirken. Auch sie wissen nicht, wie es weitergeht.
Registrierung. Wohnblockzuweisung. Plastiksack mit Bettwäsche, Hygieneartikel. Die Mitarbeiter von European Homecare sprechen englisch mit denen, die sie verstehen: „You take your bag and go to…“ Es geht ruhig, konzentriert und geschäftig zu. Ein Security-Dienst sorgt bestimmt, aber freundlich für einen reibungslosen Ablauf.
Draußen warten die, die schon vor ein paar Tagen angekommen sind. Sie helfen den Neuankömmlingen. Es wird albanisch gesprochen, serbo-kroatisch, französisch, englisch und afrikanische Sprachen. Die, die schon „eingelebt“ sind, machen Mut. Lächeln.
Minimalistische Versorgung
Bis zu acht Personen werden auf nicht einmal 50 Quadratmetern untergebracht. Die Zimmer sind minimalistisch eingerichtet. Es gibt pro Wohnung acht Betten, vier Stühle, zwei Tische, ein Badezimmer mit Dusche und Toilette und zwei Kochnischen. Die Herdplatten sind ohne Funktion. Man habe sie aus Sicherheitsgründen abgeschaltet, sagte ein Mitarbeiter. 15 Wohneinheiten pro Kasernenhaus.
In elf von zwanzig Gebäuden, die jeweils Raum für bis zu 120 Personen bieten, fließt außerdem noch kein Wasser – Menschen, die hier untergebracht sind, müssen Dixi-Toiletten und zentrale Duschen verwenden.
„Eine kleine Sensation“
Der Heidelberger Gemeinderat hat erst Mitte November der Unterbringung von Flüchtlingen auf dem Patrick-Henry-Village zugestimmt. Nicht das gesamte Gelände wird für diesen Zweck genutzt, sondern nur ein etwa 200.000 Quadratmeter großer Teilbereich, der durch einen Bauzaun abgetrennt wird.
„Etwa 80 Handwerker haben fünf Wochen auf Hochtouren gearbeitet“, sagt ein Mitarbeiter des Regierungspräsidiums:
Für diese sehr knappe Zeitspanne ist es eine kleine Sensation, was hier geleistet worden ist. Großes Lob an die Handwerker.
Eine dieser Leistungen war es, neue Wasserleitungen zu verlegen. Die bereits vorhandenen hätte man aus hygienischen Bedenken wegen Verkeimung nicht mehr in Betrieb nehmen können. Allerdings konnten bislang nur neun Gebäude an das System angeschlossen werden. „Bis die anderen in Betrieb genommen werden können, wird das vermutlich noch sechs bis acht Wochen dauern“, sagte ein Mitarbeiter.
Improvisierte Notlösungen
Für die Stadt Heidelberg entstehen durch die Flüchtlingsunterkunft keinerlei Kosten – sowohl der Betrieb als auch sämtliche Baumaßnahmen werden im vollen Umfang vom Regierungspräsidium Karlsruhe übernommen.
Das gesamte Gelände ist noch eine Baustelle. Die Unterbringung liegt abgeschieden vom Stadtgebiet, etwa sechs Kilometer vom Vorort Kirchheim entfernt. Die Flüchtlinge haben Bewegungsfreiheit und können das Gelände jederzeit verlassen. Allerdings ist es für sie nicht einfach, in die Stadt zu kommen.
Es befindet sich zwar eine Bushaltestelle in der Nähe. Allerdings kosten Hin- und Rückfahrt je 2,50 Euro. „Das ist für uns eine Menge Geld“, sagt Alban, ein Flüchtling aus dem Kosovo. Die meisten laufen die sechs Kilometer deswegen. Hin und zurück.
Stundenlohn: 1,05 Euro
Sie bekommen, anders als etwa in Schwetzingen, kein Taschengeld ausgezahlt. Um sich etwas zu verdienen, können sie gemeinnützige Arbeiten verrichten – für einen Stundenlohn von 1,05 Euro.
Alban ist bereits seit drei Tagen in der Unterbringung und gehört somit zu den ersten, die auf dem Gelände untergebracht worden sind. Und er sieht zufrieden aus – verhältnismäßig zumindest. Insbesondere bei denjenigen, die sich gerade registrieren lassen, überwiegt die Unsicherheit.
„Vermutlich haben sie ähnliches durchmachen müssen wie ich“, sagt Alban. Er erzählt, wie er fast drei Wochen mit seinen Kindern auf der Flucht war:
Ich wusste, wenn wir erwischt werden, ist es aus.
Er ist vom Kosovo über Serbien nach Ungarn und von dort aus nach Deutschland geflohen. Dabei sei er bestohlen und verprügelt worden – unter anderem von der serbischen Polizei. Auch die Ungarn sind nicht zimperlich. Hier in Deutschland sei das so viel besser:
Die Sicherheitsbeamten hier machen ihre Arbeit hervorragend. Es hat zu keinem Zeitpunkt Ärger gegeben. Ich fühle mich wirklich sicher hier. Und sie sind richtig freundlich.
Die Sicherheitsbeamtem kontrollieren vor allem, wer das Gelände wann betritt. Auch, um die Asylbewerber vor Übergriffen von Nazis zu beschützen. Auf der Flucht ist das anders. Man braucht Geld, für die Kinder. Und das wissen die, die einem das Geld abnehmen. Wie geht es weiter?
Du musst bezahlen. Sie erpressen Dich. Wenn Du Glück hast, lassen sie dich gehen, dann schicken dir Freunde oder Familie Geld über Western Union, um ein Zugticket zu bezahlen. Dann kommt man weiter.
Ein Rückkehrer
Alban spricht ein fast perfektes, weitgehend akzentfreies Deutsch. Er hat schon einmal in Deutschland Zuflucht gesucht – während des Kosovokriegs, von 1991 bis 2000:
Dann bin ich freiwillig wieder zurück. 14 Jahre schlechte Arbeit, schlechte Bezahlung. Und die Zeiten werden wieder böse.
Kosovo ist seine Heimat. Aber schon wieder gefährlich und für seine drei Kinder gibt es keine Zukunft. Der Kosovo ist muslimisch, lange „normal“. Das ändert sich rasant. Man rekrutiert für den Kampf in Syrien und Irak:
Niemand verlässt seine Heimat gerne. Aber es ist besser als zu sterben. Die sagen Du kämpfst und wenn Du es nicht tust, weiß niemand, was mit Deiner Familie passiert. Du kämpfst in Syrien oder du fliehst. So einfach ist das.
Er habe mitbekommen, wie Terroristen die Kinder seiner Freunde entführt haben und die Familienväter gezwungen hätten in den Krieg zu ziehen.
„Ich bin sehr dankbar, hier eine Unterkunft zu finden“, sagt Alban. Dennoch hat er eine Sache zu beklagen:
Das Essen schmeckt zwar wirklich gut. Aber es ist einfach zu wenig.
Und tatsächlich ist die tägliche Versorgung knapp bemessen: Zum Mittagesssen gibt es eine warme Mahlzeit, heute 400 Gramm Cannelloni. Zum Frühstück und zum Abendessen gibt es in der Regel zwei Brötchen mit Belag. Einen Keks. Obst. Drei Mal einen halben Liter Wasser und Milch für die Kinder. Die allermeisten der Flüchtlinge hier sind schlank.
Mangelhaftes Budget
Uwe Zentsch betont, dass sie gerne größere Portionen anbieten würden – aber das Budget ist knapp bemessen. Er sei verpflichtet, zu schweigen und dürfe daher keine Angaben darüber machen, wie viel Geld ihm pro Mahlzeit zur Verfügung steht.
Man gebe sich außerdem größte Mühe, den verschiedenen Essgewohnheiten gerecht zu werden:
Auf Schweinefleisch wird grundsätzlich verzichtet. Außerdem bieten wir immer eine vegetarische Alternative an und ein Essen für Allergiker.
Lediglich als Veganer habe man ein Problem. Herr Zentsch sagt: „Irgendwann muss auch mal Schluss sein. Bei einem so großen Koordinationsaufwand kann man leider nicht auf jeden einzelnen Wunsch Rücksicht nehmen.“
Vieles noch ausbaufähig
Den Auftrag, die Asylbewerber mit Essen zu versorgen, habe sein Unternehmen, die Z. Event und Catering GmbH, gerade mal vor einer Woche erhalten.
Größenordnungen von mehreren tausend Portionen sei man in seinem Betrieb mit circa 40 Köchen zwar gewohnt, insofern sei die Essenszubereitung also kein Problem. Eine größere Herausforderung sei dagegen jedoch die Logistik.
Vor allem um die Weihnachtszeit müsste man wegen der zahlreichen Feiertage und Lieferengpässe besonders vorausschaund planen. „Wir haben beispielsweise 60.000 Flaschen Wasser auf Vorrat gekauft“, sagte Herr Zentsch.
Seit heute habe man Strom bekommen. „Davor mussten wir das Frühstück mit Taschenlampen ausgeben – hat auch geklappt.“ Er grinst.
Das ist sinnbildlich für den aktuellen Zustand im Patrick-Henry-Village. Fast alles ist improvisiert. Aber irgendwie funktioniert es. Und dafür, dass der Zeitraum, um ein unbenutztes Gelände wieder bewohnbar zu machen, wirklich knapp bemessen war, gebührt allen Beteiligten Respekt.
Ein weiter Weg
Die Unterbringung ist alles andere als luxuriös – ein schönes Leben und soziale Hängematte auf Kosten des Steuerzahlers ist das sicher nicht. Klar, es kostet. Aber die Menschen, die hier untergebracht werden, haben Leid erfahren, das ich mir nicht einmal im Ansatz vorstellen kann. Und sie leben tatsächlich in einer Notunterkunft. Da gibt es nichts zu beschönigen.
Ein kleiner Junge, etwa acht Jahre alt, kommt vorbei und spielt recht geschickt Fussball. Er strahlt: „Hallo.“ Dann zeigt er seine Tricks.
Ein Mann läuft von den Duschen in Schlappen zu seinem Zimmer – ein Handtuch über dem Kopf. Ein Gruppe von Menschen mit Plastiksäcken in der Hand überquert den Platz und sucht ihr Kasernenhaus. Hinter Ihnen kommt der nächste Bus. Menschen steigen aus. Werden registriert, bekommen die Plastiksäcke mit der Bettwäsche in die Hand. So wird das weitergehen die nächsten Tage. Allein an diesem Wochenende sind 550 neue Flüchtlinge in Karlsruhe angekommen – sie werden verteilt, nach Heidelberg, Meßstetten, Mannheim – wo Platz ist. Und der ist knapp.
Fotostrecke: Wir zeigen die Fotos chronologisch in der Abfolge, wie sie entstanden sind.