Mannheim/Rhein-Neckar, 27. August 2015. (red/ms) Sollten ehemalige Militärkasernen auf dem Spinelli-Gelände zur Unterbringung von Asylsuchenden verwendet werden? Das schlägt die Bürgerinitiative “Gestaltet Spinelli” aktuell in einem offenen Brief vor, der sich an Mannheims Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble richtet. Ganz neu ist die Idee nicht – aber aktueller denn je.
Von Minh Schredle
Containersiedlungen, überfüllte Massenlager, zweckentfremdete Turnhallen und Zeltstädte: Bereits jetzt sind die Unterkünfte für Asylsuchende in vielen Fällen eine Zumutung. Und die Zahl der Flüchtlinge wird weiter steigen. Nach Angaben des Integrationsministeriums sind bis Ende Juli dieses Jahres gut 29.000 Asylbewerber in Baden-Württemberg aufgenommen werden. Bis zum Ende des Jahres werden es voraussichtlich über 100.000 Menschen sein.
Schon jetzt sind aus Notlösungen Standardlösungen geworden – wie soll sich das weiterentwickeln?
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Aktuell wendet sich die Bürgerinitiative “Gestaltet Spinelli” in einem offenen Brief an Mannheims Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD), Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis90/Die Grünen) und Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU). Darin heißt es:
Während viele andere Gemeinden Zelte für die Flüchtlinge aufbauen, könnte man ihnen in Mannheim dagegen auf dem Spinelli-Gelände sofort winterfeste Wohnungen anbieten.
Nach eigenen Angaben arbeitet die Bürgerinitiative bereits seit etwa vier Jahren an einem Konzept zur Entwicklung der ehemaligen Militärkasernen auf dem Spinelli-Gelände. Auf Grund der aktuellen Situation sei man jedoch bereit, die “mittelfristigen Pläne für die Nutzung der Spinelli-Gebäude zurückstellen, um den Flüchtlingen geeigneten Wohnraum zur Verfügung stellen zu können”.
Unterbringung auf Franklin
Bereits auf dem Benjamin-Franklin-Village (BFV) in Mannheim sind aktuell knapp 1.100 Flüchtlinge in ehemaligen Militärkasernen untergebracht. Einige Gebäude auf dem BFV wurden kurzfristig in eine sogenannte Bedarfsorientierte Erstaufnahmestelle (BEA) umfunktioniert.
Bis Asylbewerber auf Kommunen verteilt werden, verbringen sie für gewöhnlich sechs bis zwölf Wochen in Landeserstaufnahmestellen (LEAs). Da es in den LEAs Baden-Württembergs seit Monaten zu Überbelegungen kommt, weicht das Land bei der Verteilung von Asylsuchenden auf BEAs auf. Hier sollen Flüchtlinge “im Notfall” untergebracht werden, wenn es in den LEAs zu Kapazitätsengpässen kommt. Inzwischen sind auch die BEAs regelmäßig überbelegt.
Stadtentwicklung in Gefahr?
Die Konversion von BFJ ist das wichtigste Stadtentwicklungsprojekt Mannheims. Das Investitionsvolumen wird auf rund 220 Millionen Euro geschätzt. Die Gespräche mit Investoren laufen teils schon über mehrere Jahre. Die Stadt befindet sich bereits tief in der Detailplanung. In diesem Herbst will die Stadt die ehemalige Kaserne dem Bund abkaufen – doch könnten sich Investoren von einer Flüchtlingsunterbrinung im großen Stil auf nicht absehbare Zeit abschrecken lassen. Dann wäre alle Planung zur Makulatur.
Die Entwicklung von Spinelli steht im Gegensatz dazu noch am Anfang und konkrete Maßnahmen würden voraussichtlich ohnehin erst in einigen Jahren angegangenen werden. Insofern erscheint es weniger wahrscheinlich, dass die Konversion auf Spinelli durch eine Flüchtlingsunterbringung verzögert oder sogar gefährdet werden könnte. Auf dem BFV ist das dagegen durchaus denkbar.
Das Spinelli-Gelände wurde vom US-amerikanischen Militär in erster Linie zu Lagerungszwecken verwendet – nicht wie auf BFV überwiegend zur Wohnnutzung. Sollte Spinelli tatsächlich für die Unterbringung von Asylbewerbern in Betracht kommen, wäre daher wohl mit hohen Erschließungskosten zu rechnen.
Auch die Strom- und Wasserleitungen müssten in diesem Fall erneuert oder grundlegend saniert werden, wie das schon auf BFV oder im Patrick-Henry-Village (PHV) in Heidelberg geschehen ist, um Asylsuchende unterbringen zu können. Nichtsdestotrotz dürfte eine Instandsetzung der Kasernen deutlich günstiger ausfallen als jedwede Neubauten.
Große Dringlichkeit
Außerdem ist es in Heidelberg gelungen, das PHV innerhalb weniger Wochen bezugsfähig zu machen. Das wäre bei Neubauten unmöglich zu leisten – und die Zeit drängt. Darauf macht auch die Bürgerinitiative “Gestaltet Spinelli” in ihrem offenen Brief aufmerksam und appelliert an die Politiker:
Bitte warten Sie mit Ihren Entscheidungen nicht bis zum nächsten „Flüchtlingsgipfel“. Die verzweifelten und oft traumatisierten Menschen müssen so bald wie möglich menschenwürdig untergebracht werden.
Ganz neu ist der Gedanke nicht, auf Spinelli Asylsuchende unterzubringen: Unsere Redaktion zog diese Möglichkeit erstmals am 30. Juli in Betracht. Wir baten auch die verschiedenen Fraktionen und Gruppen im Mannheimer Gemeinderat, zur möglichen Flüchtlingsunterbringung auf Spinelli Stellung zu nehmen – die mehrheitliche Haltung war eher ablehnend.
Das war allerdings noch am 14. August. Damals wurde noch prognostiziert, dass im Jahr 2015 bundesweit etwa 450.000 Asylanträge gestellt werden würden.
Inzwischen hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Schätzung jedoch drastisch nach oben korrigiert: Mittlerweile rechnet man mit bis zu 800.000 Anträgen. Das macht deutlich: Wenn man den Asylsuchenden eine einigermaßen menschenwürdige Unterbringung ermöglichen will, kann man in dieser Notlage nicht mehr wählerisch sein und muss frühere Haltungen den Realitäten anpassen.