Mannheim, 13. Mai 2015. (red/ms) Die Deutsche Bahn und der Bund wollen für etwa drei Milliarden Euro eine neue Bahntrasse zwischen Mannheim und Frankfurt schaffen. Diese wird nach Planung nicht nur für den Persononenverkehr genutzt, sondern auch für den Güterverkehr. Für Mannheim würde das pro Tag rund 160 zusätzliche Güterzüge bedeuten – und jede Menge Lärm. Im Hauptausschuss wurde das Vorhaben diskutiert. Laut Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz begrüße man die Grundkonzeption – müsse aber insbesondere beim Lärmschutz noch „mehr Hirnschmalz“ aufwenden.
Von Minh Schredle
Die Verbindung zwischen Frankfurt und Mannheim gehöre zu den meist befahreren Schienenstrecken Europas, heißt es von Seiten der Mannheimer Verwaltung:
Kein Abschnitt des ICE-Netzes der Deutschen Bahn ist derart stark belastet.
Um keine europaweiten Engpässe entstehen zu lassen, planen Bund und Bahn, die Kapazitäten der Strecke zu erweitern – und das nicht erst seit gestern. Schon 1998 begann die Deutsche Bahn mit der Vorplanung. Damals ist sie allerdings auf großen Widerstand gestoßen.
Ursprünglich sollte Mannheim ohne Anbindung umfahren werden. Für die Stadt hätte das schwerwiegende Konsequenzen gehabt: Die schlechtere Infrastruktur hätte den Standort weniger attraktiv gemacht und der Rangierbahnhof hätte an Bedeutung verloren.
Mannheim die Milchkanne?
Der damalige Bahnchef Hartmut Mehdorn sagte in diesem Zusammenhang, dass die Bahn „nicht jede Milchkanne mitnehmen“ könne. Sein Nachfolger Rüdiger Grube denkt offensichtlich etwas anders über Mannheim: Im Mai 2012 sagte er zu, dass auch künftig alle Personenzüge über den Mannheimer Hauptbahnhof geführt werden.
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„Das Bedrohungsszenario ist vom Tisch,“ sagte Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz. Mit den neuen Plänen könne die Stadt sich eher anfreunden – allerdings sei die Situation auch eine ganz andere, als noch vor 15 Jahren:
Inzwischen haben sich viele Parameter verändert. Jetzt sind Dinge möglich, die früher nicht denkbar waren.
Im März wurden die Ergebnisse einer Studie vorgestellt, die von Bahn und Bund schon im Februar 2012 in Auftrag gegeben worden ist. Das Ergebnis: Mannheim kann nicht wirtschaftlich umfahren werden – weder vom Personen, noch vom Güterverkehr.
Menschen bei Tag, Güter bei Nacht?
Bund und Bahn beabsichtigen mit dem Streckenneubau, die Schienen in Mannheim tagsüber für Personenverkehr und nachts für Güterverkehr zu nutzen. Diese Verkehrslenkung sei laut Dr. Kurz nach der bestehenden Rechtslage gar nicht zulässig – dass der Bund allerdings damit plane, sei ein eindeutiges Indiz, dass es hier bald Veränderungen geben wird.
Thomas Trüper (Die Linke) glaubt, schon heute sagen zu können, dass dieses Konzept zwar nett klingt – aber praktisch nicht umsetzbar ist: „Das wird sich nicht strikt durchziehen lassen. Oder soll ab 22:00 Uhr kein Personenverkehr mehr möglich sein.“ Andere Stadträte äußerten sich bislang noch nicht zu dieser Problematik.
Licht und Schatten
Nach den neuen Plänen der Bahn würden sich die Fahrtzeiten zwischen Mannheim und Frankfurt tagsüber von 37 auf 32 Minuten verkürzen und die Stadt bliebe weiterhin modern angebunden. Die Schattenseite: Der Güterverkehr würde rapide zunehmen. Davon profitiert vielleicht die Wirtschaft. Es könnte sich aber zur enormen Belastung für die Bevölkerung entwickeln. 160 Güterzüge sollen pro Nacht zusätzlich zu dem vorhandenen Verkehr durch Mannheim fahren.
Laut dem Ersten Bürgermeister Christian Specht könne man nicht darauf verzichten, dass der Güterverkehr durch Mannheim läuft. Ansonsten könnte der Rangierbahnhof seine Stellung als zweit wichtigster Güterbahnhof in Deutschland verlieren. Doch die enorme Lärmbelastung, die damit einhergehen wird, problematisierten verschiedene Stadträte. Steffen Ratzel (CDU) sagte:
Schon heute leiden viele Mannheimer unter dem Bahnlärm. Aber was dann auf sie zukommen würde, hätte eine ganz andere Dimension.
Diese Ansicht vertritt der Großteil der Mannheimer Stadträte: Alle wollen den Personen- und Güterverkehr. Aber der Lärm solle dabei auf ein Minimum reduziert werden. Doch wie das erreicht werden soll, ist momentan noch völlig offen. Bahn und Bund haben bislang nur den Großraum untersucht und die Details außer Acht gelassen. Der Frage, wie Mannheim an die Neubaustrecke angebunden werden soll, ist man noch nicht nachgegangen. Hier braucht es laut Oberbürgermeister Dr. Kurz „noch mehr Hirnschmalz“, um eine vernünftige Lösungen zu finden – vor allem beim Lärmschutz.
Güterverkehr untertunneln?
Die Pläne von Bahn und Bund könnten nur dann realisiert werden, wenn an den bestehenden Schienennetzen „optimale Lärmschutzmaßnahmen mindestens im Standard einer Neubaustrecke“ realisiert werden, sagte Herr Kurz. Dafür gibt es bislang keine gesetzliche Verpflichtung, Bestandsstrecken mit Lärmschutz aufzurüsten. Da allerdings das bestehende Schienennetz für den Personalverkehr fortan auch für den Güterverkehr genutzt werden soll, werden auch hier neue Regelungen festgesetzt werden müssen.
Im Hauptausschuss des Gemeinderats verlangten Stadträte und Bürgermeister eine vertiefende Studie, in der alle denkbaren Varianten für optimalen Lärmschutz geprüft werden. „Es reicht nicht aus, nur darüber zu diskutieren, wie hoch die Lärmschutzwände werden sollen,“ sagte Dr. Kurz – auch Alternativen, wie etwa eine Untertunnelung der Bahnstrecken müsste in Betracht gezogen werden.
Lärmschutzwände helfen nur bedingt
Eine Tunnellösung wurde von vielen Stadträten befürwortet – Lärmschutzwände allein stellen keine befriedigende Lösung da, so der Tenor. Diese müssten – um flächendeckend Nutzen zu bringen – überall entlang an den Gleisen aufgestellt werden. Dann würde sich eine meterhohe Mauer durch das gesamte Mannheimer Stadtgebiet ziehen. Es ist allerdings fraglich, ob Bahn und Bund bereit wären, für einen Tunnel aufzukommen – denn das ist für gewöhnlich eine Investition im mehrstelligen Millionenbereich. Eine Kosten-Nutzen-Analyse könnte Klarheit bringen – die gibt es momentan aber noch nicht.
Die Politik habe eine Verpflichtung, die Belastung für die Bürger so gering wie möglich zu halten, sagte Carsten Südmersen, Fraktionsvorsitzender der CDU:
Das wird wieder ein Kampf, der 20 Jahre dauert. Aber es wird sich lohnen.
Die Neubaustrecke wird laut einer Studie des Bundes rund drei Milliarden Euro kosten. Die Bauzeit wird wohl zwischen sieben und acht Jahren liegen. Der Baubeginn ist allerdings noch in weiter Ferne, denn aktuell befindet sich das Planungsverfahren noch in den Anfängen. Oberbürgermeister Dr. Kurz rechnet frühestens 2025 mit dem Spatenstich: „Und das ist schon ein sehr optimistischer Zeitplan“.
Mannheim hat keine Planungshoheit
Das Projekt wird von der Bahn und dem Bund geplant, finanziert und umgesetzt. Mannheim, die Gemeinden und Städte, die Rhein-Neckar-Region und sogar die Bundesländer haben dabei nur ein bedingtes Mitspracherecht: Sie können Einwendungen und Anregungen einbringen, aber nichts eigenständig planen. Und – wie sich in der jüngeren Vergangenheit gezeigt hat – können sie durch entschlossenen Protest bestimmte Vorhaben verhindern.
2004 hat beispielsweise das Regierungspräsidium Karlsruhe die Ursprungsplanung von Bahn und Bund als nicht raumverträglich beurteilt. Daraufhin wurde die Planung verändert. Gegen die neue Version scheint es weniger Widerstand zu geben: Der Planungsausschuss der Rhein-Neckar-Region befürwortete die Vorhaben von Bahn und Bund einstimmig.
Gemeinderat übergangen?
Der Planungsausschuss setzt sich stadtübergreifend aus 44 Mitgliedern zusammen – darunter zahlreiche Bürgermeister aus verschiedenen Gemeinden und Landrat Steffen Dallinger (CDU). Der Vorsitzende ist Mannheims Erster Bürgermeister Christian Specht (CDU). Außer ihm wird Mannheim dort von Baubürgermeister Lothar Quast (SPD), Ralf Eisenhauer (Fraktionsvorsitzender der Mannheimer SPD) und Wolfgang Raufelder (Stadtrat und Landtagsabgeordneter für die Grünen) vertreten.
Prof. Dr. Achim Weizel, der Fraktionsvorsitzende der Mannheimer Liste, kritisierte, dass die Vertreter im Planungsausschuss schon stellvertretend für die Stadt ausgesprochen haben, bevor das Thema im Gemeinderat oder zumindest einem der Ausschüsse beraten worden ist.
Erster Bürgermeister Christian Specht entgegnete darauf, dass man sich als Region zunächst über die grundsätzlichen Ziele einigen müsse, bevor die einzelnen Städte und Gemeinden individuelle Bedenken äußern und sich bei der Detailplanung im Streit verlieren.
Kein Gleichklang in Mannheim
In den weiteren Verfahren könnten dann immer noch einzelne Kommunen widersprechen, sagte Herr Specht. Dass man aber nun als Region eine – „überraschenderweise einstimmige“ – Stellungnahme abgegeben habe, sei wichtig und richtig:
Wenn man Forderungen gegenüber dem Bund stellen will, ist ein Gleichklang sehr bedeutend.
Diesen Gleichklang gab es unter den Mannheimer Stadträten noch nicht: Die Grünen positionierten sich gegen die Beschlussvorlage, die die Verwaltung vorbereitet hatte. Auch die Mannheimer Liste stimmte noch nicht zu. Herr Weizel sagte, man habe die umfangreichen und komplexen Informationen noch nicht lange genug vorliegen, um sich eine wirklich fundierte Meinung zu bilden. Daher werde er sich heute enthalten – in der kommenden Gemeinderatsitzung am 19.Mai, so kündigte Herr Weizel an, werde die Mannheimer Liste allerdings eindeutig Position beziehen.
Aktualisierung, 20. Mai 10:52 Uhr
Inzwischen hat der Gemeinderat mit Gegenstimmen von den Grünen, Julien Ferrat (parteiunabhängig) und Konrad Schlichter (CDU) abgesegnet, was im Hauptausschuss vorberaten und ausführlich diskutiert worden ist. Im Gemeinderat selbst wurde der Punkt in wenigen Minuten abgearbeitet und verschiedene Fraktionen verzichteten sogar auf Wortmeldungen.
Oberbügermeister Dr. Peter Kurz erläuterte, dass Bahn und Bund mit einem sogenannten Konsultationsverfahren vorgehen: Jeder – also auch Bürgerinnen und Bürger – sind aufgerufen, Anregungen einzubringen und Stellungnahmen abzugeben. Diese sollen dann als Grundstein für spätere Abwägungen dienen. „Aber natürlich hat hier die Stimme eines politischen Gremiums mehr Gewicht als die eines Einzelnen,“ fügte er hinzu.