Mannheim, 07. Mai 2015. (red/ms) Es ist ein Konflikt zwischen Grundbedürfnissen: Sicherheit gegen Freiheit. Die Bundespolizei und die Deutsche Bahn wollen Videoüberwachung am Mannheimer Hauptbahnhof. Bis Juli sollen dort 77 Kameras in Betrieb genommen werden. Im Sicherheitsausschuss sprechen sich Vertreter aus dem Gemeinderats dafür und dagegen aus – haben aber nichts zu sagen.
Von Minh Schredle
36 Millionen Euro. Mit dieser Summe soll die Sicherheit an deutschen Bahnhöfen verbessert werden – durch Überwachungskameras. Die Deutsche Bahn hat gemeinsam mit der Bundespolizei alle größeren Bahnhöfe in Deutschland auf „mögliche Schwachstellen im Sicherheitskonzept“ untersucht und eine Reihenfolge festgelegt, um die Mängel zu beseitigen. Mannheim steht ganz oben auf der Liste.
„Der Mannheimer Hauptbahnhof ist mitnichten ein Kriminaliätsschwerpunkt“, sagt Prof. Gerd Neubeck. Er ist der Leiter für Konzernsicherheit bei der Deutschen Bahn und will „die letzten weißen Flecken“ schließen: Laut Prof. Neubeck sei es sehr ungewöhnlich, dass es noch keine Kameras im Hauptbahnhof gebe:
Bremen und Mannheim sind die einzigen beiden Großstädte, in denen es noch keine Videoüberwachung gibt.
Es sei ihnen schon lange ein Anliegen, auch in Mannheim aufzurüsten, erklärte Prof. Neubeck. Schließlich sei Mannheim ohne Überwachung „benachteiligt“. Videokameras würden nicht nur der Polizei bei der Aufklärung von Verbrechen dienen, sondern hätten außerdem eine präventive Funktion: „Seitdem es in der Münchner S-Bahn Kameras gibt, ist der Vandalismus deutlich zurückgegangen.“
„Wir wollen keine totale Überwachung“
Prof. Neubeck ist mit drei Kollegen aus Berlin angereist, um dem Sicherheitsausschuss des Mannheimer Gemeinderats Fragen zu beantworten. Von der Bundespolizei ist niemand gekommen – obwohl der Erste Bürgermeister Christian Specht (CDU) Vertreter eingeladen hat. Die Antwort: Man sei nur gegenüber dem Bundestag verpflichtet und nehme Sitzungstermine und Anhörungen im Rahmen von parlementarischen Anfragen auf kommunaler Ebene nicht wahr.
Eine gute Stunde diskutierte der Sicherheitsausschuss das Konzept von Bahn und Bundespolizei. Es gibt einige Bedenken – vor allem, was die Persönlichkeitsrechte von Kunden und Mitarbeiter angeht. Alexander Bergfink ist bei der Bahn für Kundendatenschutz zuständig. Er war ebenfalls in der Sitzung anwesend und versicherte, dass man „den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ wahren wolle:
Wir wollen keine totale Überwachung – wir zeichnen nur in Teilbereichen auf.
Diese Teilbereiche sind zum Beispiel die Gleise oder die Unterführung. In allen privat vermieteten Räumlichkeiten, also in den Geschäften, wird es keine Videoüberwachung geben. Insgesamt sollen 77 Kamers installiert und bis Juli in Betrieb genommen werden – im März war in Sicherheitsausschuss noch von „bis zu 72 Kameras“ die Rede. Für die Stadt Mannheim entstehen durch die Maßnahme keine Kosten, alle Ausgaben werden von Bahn und Bundespolizei getragen.
Das gesamte Videomaterial läuft schließlich in der ortsansässigen Sicherheitszentrale der Bahn zusammen, die nach Angaben der Bahn für knapp 150 Bahnhöfe in der Region zuständig ist. Die Bahn selbst darf Aufnahmen nur für 72 Stunden speichern. Die Bundespolizei hat das dagegen Recht, die Aufzeichnungen für bis zu 30 Tage aufbewahren zu dürfen. Wie viel dieser Zeitspanne sie tatsächlich nutzt, legt die Polizei nach eigenem Ermessen fest und kann sie nach freiem Verfügen abändern.
So viele Kameras?
Steffen Ratzel (CDU) befürwortet für gewöhnlich eine harte Linie und ein striktes Durchgreifen in der Sicherheitspolitik. Doch sogar er bezeichnete die Menge von 77 Kameras als sehr hoch:
Da werde ich mir als Pendler zukünftig zwei Mal überlegen, ob ich mir die Nase kratze.
Laut Prof. Neubeck seien 77 Kameras vergleichsweise eher wenige, man müsse schließlich ein sehr komplexes Gebäude ausstatten: „Die Polizei hätte gerne noch deutlich mehr gesehen. Es wurde um jede einzelne Kamera gefeilscht.“ Er selbst sei kein uneingeschränkter Verfechter der Videoüberwachung – es sei allerdings ein Instrument, auf das man bei der aktuellen Gefährdungslage nicht mehr verzichten könne:
Wenn es zu einem Bombenanschlag kommt, will ich nicht die Verantwortung dafür tragen.
Ob Kameras wirklich effektiv vor Terrorismus schützen, ist umstritten. Laut Prof. Neubeck sei das Risiko deutlich geringer, wenn die Attentäter sich der Gefahr aussetzen müssen, entdeckt zu werden. Er gestand allerdings ein, dass „Überwachung allein ist nicht die Lösung aller Sicherheitsprobleme“ ist:
Der entscheidenste Faktor bleibt immer der Mensch.
Daher sollen die Kameras das vorhandene Sicherheitspersonal nicht ersetzen, sondern unterstützen. Holger Schmid (Mannheimer Liste) und Roland Geörg (AfD) sprachen sich uneingeschränkt für die Pläne von Bahn und Bundespolizei aus. Auch die Vertreter von SPD und CDU zeigten sich – wenn auch mit gewissen Vorbehalten – überzeugt.
Widerstand ist zwecklos
Gökay Akbulut (Die Linke) steht dem Konzept kritisch gegenüber: „Mit einer Überwachung beseitigt man nicht die Ursache von Problemen.“ Ihrer Meinung nach sollten die 36 Millionen besser dazu eingesetzt werden, um Präventionsprogramme auf den Weg zu bringen.
Auch Volker Beisel (FDP) und Melis Sekmen (Die Grünen) sprachen sich gegen die Kameras aus. Jede Überwachung führe zur Verhaltensänderung, sagte Herr Beisel. Das könne er als Liberaler nicht befürworten. Frau Sekmen merkte an, dass so viele Kameras sie eher beunruhigen würden:
Wenn man überall überwacht wird, suggeriert das, man würde überall bedroht sein.
In einigen Fraktionen gibt es also einen gewissen Widerstand gegen das Vorhaben. Aber das ist im Grunde egal. Letzten Endes könnte der Gemeinderat sich sogar einstimmig gegen die Überwachung aussprechen – sie würde trotzdem kommen.
Der Gemeinderat hat in dieser Sache nichts zu sagen. Das Bahnhofsgebäude ist Privatbesitz im öffentlich zugänglichen Raum. Somit liegt die Entscheidungsgewalt ausschließlich bei der Deutschen Bahn und der Bundespolizei. Bis Juli werden im Hauptbahnhof also 77 Kameras installiert und in Betrieb genommen.