Rhein-Neckar, 24. April 2015. (red/nw) Nachhaltig und umweltfreundlich kommt man mit der Bahn an sein Ziel. Die Kehrseite der Medaille wird oftmals nur unbewusst wahrgenommen. Denn die Bahnen sind laut und Bahnlärm kann ungeahnte gesundheitliche Folgen haben, wie ein Bremer Professor in einer Studie errechnet hat – bei uns sind nahezu alle Gemeinden betroffen, insbesondere an der Bergstraße und Mannheim.
Von Nadja Weber
Mehr als 120.000 Züge verkehren im Ballungsraum Mannheim pro Jahr. Mehr als 300 Züge pro Tag. Der damit verbundene Dauerlärmpegel stellt eine gesundheitliche Belastung für den menschlichen Körper dar. Außerdem ist unser Ohr Autolärm, Straßenbahnen und anderweitigem Stadtverkehrslärm ausgesetzt.
Der Bremer Epidemiologe Prof. Dr. med. Eberhard Greiser hat auf Grundlage einer der Kölner Fluglärmstudie die Auswirkungen des Schienenverkehrslärm für die Transversale Rotterdam-Genua errechnet. Im Mittelrheintal führt die Bahnstrecke, auf der Mannheim liegt, oft nur in einer Entfernung von 50 Metern an Wohnhäusern vorbei. Die Ergebnisse der Studie von Prof. Greiser sind bedenklich.
Krankheit und Todesfälle
Als Basis seiner Daten verwendet der Bremer Epidemiologe die Ergebnisse der Kölner Fluglärmstudie sowie Daten von acht gesetzlichen Krankenkassen. Für seine Bahnlärm-Prognose untersuchte er die Risiko-Erhöhungen für relevante Krankheiten. Seine Prognose ist eine Hochrechnung, die bedenkliche Ergebnisse zeigt: Der Lärm kann nicht nur zu Krankheiten, sondern sogar zu Todesfällen führen. Innerhalb der nächsten zehn Jahre könnte es zu 75.000 neuen Krankheitsfälle und 30.000 „Lärmtoten“ kommen. Herzinfarkte, Schlaganfälle und Demenzerkrankungen, aber auch Depressionen und Zuckerkrankheiten nehmen zu.
Mit den erzeugten Lärmquellen schädigen wir uns selbst. Nicht nur körperlich, sondern auch finanziell. Lärm ist teuer. Das Statistische Bundesamt errechnet bis zum Jahr 2021 für im Bereich der Transversale Rotterdam-Genua lärmbedingte Krankheitskosten von drastischen 3.887 Millionen Euro. Professor Greiser weist darauf hin, dass Bahnlärm deutlich belastender sei als Fluglärm:
Die Lärmbelästigung durch den Bahnverkehr erfolgt regelmäßiger als durch Flugzeuge. Deshalb ist die Dauerlärmbelastung höher. Experten meinen, dass der Bahnverkehr im Vergleich zum Flugverkehr um sieben Prozent belastender ist.
Im Vergleich zum normalen Straßenverkehr wirkt der von Zügen verursachte Lärm auch deshalb intensiver auf den Organismus, da er relativ schnell ansteigt und wieder abklingt. Ein Zug hat viele Lärmquellen. Motoren, Lüfter oder sonstigen Aggregate, das Roll- und Bremsgeräusch oder das erodynamischen Geräusch, das ab 200 Kilometer pro Stunde entsteht. Hinzu kommen Störgeräusche von Vibrationen, die nicht gemessen werden können.
Auch Heiko Luginsland vom Landesamt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg bestätigt, dass es keine gesetzlich oder anderweitig festgelegten Grenzwerte gibt, die den Umgebungslärm in Verbindung mit gesundheitlichen Schäden für den Menschen einstufen.
Macht Bahnlärm krank?
Die dauerhafte und regelmäßige Lärmbelastung von Zügen kann Krankheiten verursachen und fördern. Vor allem die Messungen von Güterverkehr zeigt eine hohe Lärmbelastung. Gemessen bei 80 Kilometer pro Stunde erzeugt ein alter Personenwagen oder ein Güterzug durchschnittlich 95 Dezibel (dB). Es gilt: Nicht nur je älter, sondern auch je schneller ein Zug ist, desto mehr Lärm verursacht er.
Sind es bei 80 Stundenkilometern noch rund 95 dB, steigen die Werte bei 140 Stundenkilometer auf 104 dB. Im Vergleich: Ein Presslufthammer erzeugt 100 dB. Lärm von mehr als 110 dB wird als unerträglich empfunden, bei 130 dB liegt unsere „Schmerzgrenze“. Derzeit ist die Prognose des Bremer Epidemiologen wohl die verlässlichste Studie, wenn man sich auf die gesundheitlichen Schäden von Bahnlärm bezieht. Eine Verifizierung seiner Untersuchungen gibt es nicht. Professor Greiser erklärt:
Es gibt weltweit keine einzige Studie, die die Schäden von Bahnlärm nachweislich belegen kann.
Einen Anhaltspunkt, um gesundheitliche Schäden zu vermeiden, gibt das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg. Aktuell gilt:
Eine dauerhafte Lärmbelästigung von 55 dB in der Nacht und 65 dB am Tag sollte nicht überschritten werden.
Wie viele sind in der Region betroffen?
Die Zahl der von Schienenlärm Betroffenen ist vermutlich erheblich unterschätzt, wenn auch die Lärmstatistik vom deutschen Eisenbahn-Bundesamt belegt, wie viele Menschen in der Metropolregion mit Bahnlärm belastet sind. Demnach sind knapp über 7.000 Menschen tagsüber mit einem Lärmpegel von 65 bis über 75 dB belastet. Nachts sind 5.540 Bewohner einer Geräuschkulisse von mehr als 55 dB ausgesetzt.
Im Ballungsraum Mannheim sind tagsüber acht Krankenhäuser und 131 Schulen mit 55 bis 65 dB belastet, 26 Schulen sogar mit einem Wert von über 65 dB. Lernen unter Lärm? Nicht nur schulisch keine gute Voraussetzung, sondern auch gesundheitlich. Nicht jeder kann sich aussuchen, welcher Geräuschkulisse er früher oder später ausgesetzt ist. Betroffene Bürger können sich nur eingeschränkt wehren. Ein gesetzlicher Anspruch auf Lärmschutz besteht nämlich nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz nur dann, wenn Schienenwege neu gebaut oder wesentlich geändert werden.
Das Mittelrheintal ist aufgrund seiner „Enge“ und der erhöhten Zugfrequenz besonders stark belastet. Dehalb ist dort Lärmschutz ein wichtiges Thema. Die Deutsche Bahn wächst und baut Verkehrskonzepte aus, gleichzeitig will sie in Zusammenarbeit mit dem Bund den Schienenlärmverkehr bis 2020 halbieren. Güterzüge werden entsprechend umgerüstet und saniert, weitere Lärmschutzmaßnahmeren sollen zukünftig ausgebaut werden. Das ist auch dringend notwendig – für die Gesundheit der Menschen.