Mannheim, 11. Juli 2015. (red/me) Wenn bei hochsommerlichen Temperaturen an Schlaf kaum zu denken ist und die Nerven immer dünner werden, kann plötzlich der Kirchturm in der Nachbarschaft in den Mittelpunkt des alltäglichen Ärgers rücken. So mancher hat sich schon darüber aufgeregt, wenn einmal mehr die Glocken vom Kirchturm läuten und man gerade jetzt seine Ruhe braucht. Muss man diese Lärmbelästigung tatsächlich ertragen? Man muss. Wer neben einer Kirche wohnt und sich über das Glockengeläute aufregt, hat wenig Aussicht auf Stille. Die Relionsfreiheit schützt das sakrale Läuten der Kirche und so muss es auch dann ertragen werden, wenns mal wieder etwas lauter ist. Die Aussichten auf Erfolg, sich dagegen zu wehren, sind gering.
Von Mathias Meder
Es wurde mal wieder spät und die hochsommerlichen Temperaturen taten ihr übriges, um nachts nicht schlafen zu können. Doch als dann frühmorgens schon die Kirchenglocken läuteten und an Schlaf nicht zu denken war, da kann man sich schon fragen, ob das denn so ertragen werden muss.
Dabei ist die Antwort doch simpel und zugleich typisch deutsch. Denn juristisch gesehen ist Glockenläuten nicht gleich Glockenläuten. In gleich mehreren Verwaltungsgerichtsurteilen wird zwischen kirchlichem und weltlichen Glockenläuten unterschieden. Während das sakrale Glockenläuten, also das Betläuten oder das liturgische Läuten während eines Gottesdienstes zum Bestandteil der Glaubensausübung zählt und damit vom Grundrecht der freien Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) geschützt wird, ist die Zeitansage als weltliches Läuten anders zu werten. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte dazu bereits am 30. April 1992:
Für die Beurteilung der Zumutbarkeit des sakralen Läutens gilt nach der ständigen Rechtsprechung im Vergleich zum Zeitschlagen ein anderer Maßstab, der sich aus der Priviligierung dieser kirchlichen Lebensäußerung aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und dem von Schutz des Art. 4 Abs. 2 GG erfassten Akt freier Religionsausübung ergibt.
Doch wenn man das Glockengeläute schon nicht abstellen lassen kann, muss man sich doch nicht jede Lautstärke gefallen lassen. Oder etwa doch? – Es genügt der Blick in das gleiche Urteil, um festzustellen, dass selbst bei der Lautstärke des Glockengeläutes die Nerven doch mehr ertragen müssen, als man vermutet.
Liturgisches Glockenläuten ist danach regelmäßig keine schädliche Lärmimmission, sondern eine zumutbare, sozialadäquate und allgemein akzeptierte Äußerung kirchlichen Lebens.
Das Bundesimmissionsschutzgesetz, das auch die Belastung durch Lärmquellen zum Inhalt hat, gilt im Fall sakralen Glocklengeläutes lediglich als Orientierung und nicht als starrer Richtwert. Denn schließlich ist das Läuten zum Gottesdienst, das Betläuten, das Läuten bei Trauerfeiern, Hochzeiten und Konfirmationen keine regelmäßige Erscheinung. Und einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen die Immissionsrichtwerte tagsüber um maximal 30 dB(A) und in der Nacht um maximal 20 dB(A) überschreiten. Diese sind:
- in Kerngebieten, Dorfgebieten und Mischgebieten tags 60 dB(A), nachts45 dB
- in allgemeinen Wohngebieten und Kleinsiedlungsgebieten tags 55 dB(A) nachts 40 dB
- in reinen Wohngebieten tags 50 dB(A), nachts 35 dB
Die Zeitansage vom Kirchturm darf nicht zu laut sein
Etwas anders als beim sakralen Glockengeläute bewerteten die Gerichte das weltliche Glockengeläute, also die stündlichen oder viertelstündlichen Glockenschläge vom Kirchturm. Zwar muss heutzutage eigentlich niemandem mehr regelmäßig die Uhrzeit mitgeteilt werden, da es genügend Uhren gibt, auf dem man die Zeit ablesen kann.
Doch das Landgericht Heilbronn hat in einem Urteil 2007 festgestellt, dass auch dieses Glockengeläute zulässig ist, solange die genannten Grenzwerte eingehalten werden. Das Gleiche gilt übrigens auch für Glockenspiele, die keinem liturgischen Zweck dienen.
Und was ist mit dem muslimischem Gebetsruf per Lautsprecher?
Es gibt aber neben den christlichen Kirchen auch in der Rhein-Neckar-Region Moscheen, in denen regelmäßig gebetet wird. Und so liegt die Frage nahe, ob denn auch der muslimische Gebetsruf per Lautsprecher zu ertragen wäre, wenn er denn von den Moscheen installiert würde.
Doch schon aus der Tatsache, dass dies kaum irgendwo praktiziert wird, kann man erkennen, dass der Gebetsruf nicht zwingend per Lautsprecher verbreitet werden muss, um an die Gebetszeiten zu erinnern. Denn erstens gibt es den Lautsprecher erst seit wenigen Jahrzehnten und zweitens sind die muslimischen Gebetszeiten, anders als bei den christlichen Kirchen, festgelegt.
Kirchtürme sind nicht unsichtbar
Die beste Möglichkeit, dem Glockengeläute zu entgehen, lautet daher: Augen auf bei der Wohnungssuche. Denn ein Kirchturm ist wahrnehmbar und bekanntermaßen eine mögliche Lärmquelle, die man auch meiden kann. Das kann man wissen und braucht sich dann hinterher nicht aufregen, wenn plötzlich und „unerwartet“ das Glockengeläute einsetzt.
Im Übrigen gilt das natürlich genauso für Industriebetriebe, Flughäfen und Eisenbahnlinien in der Nachbarschaft.