Rhein-Neckar/Stuttgart, 05. Januar 2016. (red/me) Die Hürden für Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg wurden im Dezember auch auf kommunaler Ebene deutlich gesenkt. Das wird sehr wahrscheinlich für ein Mehr an Partizipation sorgen. Doch die Gretchenfrage bleibt vor erst offen: Werden mehr Bürgerentscheide auch mehr Akzeptanz für die jeweiligen Entscheidung herbeiführen? In Mannheim streiten sich Buga-Gegner und Befürworter beispielsweise noch immer.
Von Mathias Meder
Das Problem direkter Bürgerbeteiligung in den vergangenen Jahren war in Baden-Württemberg hauptsächlich ein juristisches. Denn rund ein Drittel aller Bürgerbegehren wurde nicht von den Bürgerinnen und Bürgern entschieden. Sie kamen gar nicht erst zur Abstimmung. Mal waren es juristische Vorgaben, die einzelne Fragestellungen unzulässig machten, mal waren es zu hohe Hürden beim Sammeln von Unterstützungsunterschriften. Das ändert sich wohl nun.
Denn der Landtag hat nach der Änderung der Landesverfassung und erleichterten Vorschriften für Volksentscheide auch die Angleichung auf die kommunale Ebene vorgenommen. Seit dem 01. Dezember 2015 gelten auch bei direkter Demokratie in den Städten und Gemeinden niedrigere Hürden. Inwieweit die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich von ihren Rechten Gebrauch machen werden, wird sich zeigen.
Mehr direkte Demokratie im Land und in der Kommune
Bayern hat es vorgemacht. Der Freistaat mit jahrelanger Einparteienherrschaft hat sich zum Vorzeige-Bundesland in Sachen direkter Demokratie entwickelt. In ihrem Jahresbericht zu “20 Jahre Bürgerbegehren in Bayern” kommt Mehr Demokratie e.V. zu eindeutigen Ergebnissen:
Bayern ist weiterhin bundesweiter Spitzenreiter: 40 Prozent aller Verfahren fanden in Bayern statt (im Durchschnitt 134 Verfahren pro Jahr, Stand 2014).
Dass es in Baden-Württemberg niedrigere Hürden bei der Direkten Demokratie geben soll, darauf hat sich der Landtag zunächst mit breiter Mehrheit verständigt. Auf Landesebene wurden durch Änderung der Landesverfassung die Quoren für Volksentscheide und Volksbegehren gesenkt, auf kommunaler Ebene wollte man das zunächst auch mit breiter Mehrheit entscheiden, zerstritt sich am Ende schließlich wegen Detailfragen. Die grün-rote Mehrheit im Landtag musste daraufhin die neue Gemeindeordnung alleine beschließen.
Hürden gesenkt
Ab sofort müssen bei einem Bürgerbegehren nur noch sieben Prozent der Stimmberechtigten unterschreiben, bislang waren zehn Prozent gefordert. Die oft knappe Frist zur Sammlung der Unterschriften wurde von von sechs Wochen auf drei Monate verdoppelt.
Im Falle des Mannheimer Bürgerbegehrens gegen den Kohlekraftwerksblock 9 wurden binnen sechs Wochen zwar rund 16.000 Unterstützerunterschriften gesammelt, nötig gewesen wären jedoch rund 20.000 Unterschriften. Ein Misserfolg der Initiatoren, der damals maßgeblich auf die zu kurze Frist zurückzuführen war. Die verlängerte Frist zur Sammlung der Unterschriften wird das Erreichen des vorgeschriebenen Quorums sicherlich erleichtern. Allerdings zu spät für den Widerstand gegen Block 9.
Auch die Hürden für die Bürgerentscheide werden gesenkt: Das Zustimmungsquorum wird von bisher 25 auf 20 Prozent der Stimmberechtigten gesenkt. Das bedeutet, dass eine Mehrheit beim Bürgerentscheid bindend wird, wenn diese Mehrheit gleichzeitig über 20 Prozent der Wahlberechtigten umfasst.
Streit um Bauleitplanung
Während man bei der Änderung der Landesverfassung noch an einem Strang zog, verweigerte die Opposition bei der Gemeindeordnung ihre Zustimmung. Dies hatte seine Gründe vor allem in der nun beschlossenen Möglichkeit, Bürgerbegehren auch über die Bauplanung und die Stadtentwicklung zu initiieren.
Denn eine große Zahl der Bürgerbegehren musste bislang aufgrund der bereits begonnenen Bauleitplanung für unzulässig erklärt werden und scheiterte somit an den formalen Hürden. Dass nun auch diese Fragen der direkten Demokratie unterliegen können, werten die Regierungsparteien natürlich als Erfolg. So erklärt der Landtagsabgeordnete Uli Sckerl (Grüne):
Das ist ein großer Fortschritt, denn gerade diese Fragen treiben die Menschen besonders um.
Sein SPD-Kollege Gerhard Kleinböck meint sogar:
Baden-Württemberg macht im Bundesländervergleich einen überfälligen Schritt nach vorne und stärkt die Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte der Menschen auf breiter Front.
Die Argumente der Opposition werden sich hingegen in den kommenden Wochen bereits als wahr oder falsch erweisen. Denn sie argumentierte, dass bei den bevorstehenden Entscheidungen zum Bau von Flüchtlingsunterkünften die Direkte Demokratie in solchen Fragen eine Erschwernis “in nicht zu verantwortender Weise” darstelle, so der CDU-Landtagsabgeornete Karl Klein. Er verwies auch darauf, dass diese Position in den Städten und Gemeinden ähnlich gesehen werde:
Die Auffassung der CDU-Landtagsfraktion vertrete nicht nur ich als kommunalpolitischer Sprecher und als ehemaliger Bürgermeister, sondern das Gleiche sagen Ihnen auch Ihre eigenen Oberbürgermeister und Bürgermeister, so zum Beispiel Herr Oberbürgermeister Salomon aus Freiburg, Herr Oberbürgermeister Kurz aus Mannheim oder auch Herr Oberbürgermeister Gönner aus Ulm. Und dies sogar öffentlich über die Presse.
Es bleibt also spannend, wie sich in den kommenden Wochen die Neuerungen bei der Direkten Demokratie und die Herausforderungen beim Bau von Flüchtlingsunterkünften in Einklang bringen lassen. Oft heißt es von Seiten der Anwohner, man habe ja grundsätzlich nichts gegen Flüchtlinge. Aber genau dieser Standort sei aus einem x-beliebigen Grund völlig ungeeignet.
Vermutlich wird es in den meisten Fällen aber gar nicht erst zu Bürgerbegehren kommen. In Weinheim zum Beispiel gehen inzwischen alle davon aus, dass eine ursprünglich geplante Bebauung des Kinderspielplatzes in der Klausingstraße mit einem Mehrfamilienhaus für Flüchtlingsfamilien vom Tisch ist. Nach der Reform der Gemeindeordnung könnte es ansonsten wohl zu einem wirklichen Aufbegehren der Bürger kommen.
Die Spielregeln der Demokratie müssen akzeptiert werden
Die Gretchenfrage – nämlich ob ein Mehr an Beteiligungsrechten auch tatsächlich zu mehr Beteiligung führt und ob hierdurch auch die Akzeptanz von Entscheidungen besser funktioniert – müssen die Bürgerinnen und Bürger jedoch selbst erst noch beweisen. Auf der Landesebene steht der nächste Beteiligungstest bei der Landtagswahl im März unmittelbar bevor. Hier kann sich schon zeigen, ob nach der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 die Menschen auch bei der Wahl mehr als zuvor von ihrem Beteiligungsrecht Gebrauch machen.
Im Gegensatz zum Mannheimer Bürgerentscheid ist es jedenfalls nach der getroffenen Entscheidung pro Stuttgart 21 relativ schnell akzeptiert worden, dass der Bahnhof auch wirklich gebaut wird. Wohl auch deswegen, weil selbst bisherige Gegner des Bahnhofsprojekts die Volksentscheidung nicht weiter torpedieren.
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Am Beispiel des Mannheimer Bürgerentscheids zur Bundesgartenschau zeigt sich dagegen, wie sich die Gräben zwischen Gegnern und Befürwortern auch nach einer Bürgerentscheidung noch unversöhnlich gegenüberstehen oder gar durch veränderte Gemeinderatsmehrheiten noch zusätzlich angeheizt werden. So hat der neu gewählte Mannheimer Gemeinderat jüngst entschieden, die Verlegung der Straße am Aubuckel nicht durchzuführen, was praktisch bedeutet, dass die Bundesgartenschau in Mannheim nicht wie geplant umgesetzt werden kann. Die Bürgerinnen und Bürger hatten das einmal anders entschieden.
Es wird also auch von den verantwortlichen Polikerinnen und Politkern vor Ort abhängig sein, ob ein Mehr an Direkter Demokratie auch tatsächlich zu mehr Zufriedenheit bei den Bürgerinnen und Bürgern führt, wenn diese für Entscheidungen selbst verantwortlich sind. Es müssen deswegen nicht auch automatisch besserer Entscheidungen als in den gewählten Volksvertretungen herauskommen. Dazu kommt, dass ein Mehr an Bürgerbeteiligung jedoch nicht immer bedeuten muss, dass dies über Abstimmungen erfolgen muss. Es gibt eine Vielzahl von Beteiligungsmöglichkeiten. Entscheidend wird sein, ob alle Beteiligten sich an die grundlegende Spielregel der Demokratie halten wollen, nach der eben Mehrheiten entscheiden, auch wenn sie nur denkbar knapp sind.