Mannheim/Rhein-Neckar, 05. Januar 2016. (red/ms) Immer wieder erreichen unsere Redaktion „Liebesbriefe“: Wir sind perfekte Projektionsflächen für Hasskommentatoren jeglicher Gesinnung – Linksextremisten schmähen uns als Nazi-Steigbügelhalter, Rechtsextremisten bezeichnen unsere Berichterstattung als linksgrünversiffte Gutmenschenpropaganda. Nach der Entscheidung, die Zusammenarbeit mit unserem syrischen Praktikanten nicht weiter zu verlängern, haben wir aus beiden Lagern (!) neben Kommentaren massig emails erhalten, die jedes zumutbare Maß überschreiten. Normalerweise ersparen wir unserer Leserschaft solche Zuschriften. Ausnahmsweise gibt es ein „Best of Pöbelei“.
Von Minh Schredle
Die Beleidigung kennt viele Formen. Mal sticht sie als subtile Spitze. Mal kriegt man ein Brecheisen voll in die Fresse.
Als Onlinemedium müssen wir immer wieder schlucken, wie respektlos und hasserfüllt viele Kommentare sind, mit denen wir uns herumschlagen müssen. Die ganz üblen Auswürfe bleiben Ihnen in aller Regel erspart, denn da wir auf einen anständigen Umgangston wert legen, landen Kommentare und Zuschriften, die nur stänkern und mit Mist werfen, direkt im Spam.
Manchmal sind wir so „überrascht“, wie tief das Niveau sinken kann, dass wir ein paar „Perlen“ dokumentieren. Wir sehen das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Hin und wieder ist es regelrecht belustigend, mit welchem aberwitzigen Pathos abstrusester Unsinn zusammengeschustert wird. Andererseits ist es natürlich tief traurig, dass dieser Stuss erschreckend oft „ernst“ gemeint ist. Da tun sich Abgründe auf. Sehr tiefe.
Interessante Wortschöpfungen

Minh Schredle (21) ist Redakteur in Ausbildung beim Rheinneckarblog.
Am 26. Dezember haben wir öffentlich bekannt gegeben, einen unserer ehemaligen Praktikanten – einen anerkannten Flüchtling aus Syrien – nicht weiter zu unterstützen. Zuvor hatten wir diesen mit dessen Einverständnis wohlwollend „öffentlich“ gemacht. Um Integration zu fördern. Um einen Kollegen auszubilden, der Landsleute informieren kann.
Nach unserer Entscheidung sind vermutlich mehrere Hektoliter Wutschaum wilderzürnter Hasskommentatoren auf deutsche Tastaturen getropft.
Überraschenderweise kommen die „Liebesbriefe“ nicht nur von links außen – sondern vor allem von rechts. Und „lustigerweise“ sehen beide Extreme das Rheinneckarblog als Propagandaorgan für das jeweils verhasste Lager des „Feindes“.
Aus dem Sammelsurium der linken Stänkereien und Feindseligkeiten: Wir hätten mit der Bereitschaft, einem syrischen Flüchtling ein Praktikum anzubieten, nur versucht ein „Integrationsmäntelchen umzuhängen und auf ner Erfolgswelle mitzuschwimmen“, meint ein Kommentator, ein anderer spricht von einem „Alibiflüchtling um die rechte Gesinnung der Redaktion zu verschleiern“. Ein anderer sagt: „Der Opferklimmzug ist gehörig daneben gegangen“.
„Wer zensiert, trägt das Nazi-Gen“
Unsere Entscheidung ältere Beiträge des Praktikanten offline zu nehmen, veranlasst einen Email-Verfasser zur folgenden Äußerung:
Sehr geehrter Herr Prothmann,
oder besser
Heil Prothmann!
Ja, ja, die Beiträge Ihres Praktikanten aus dem Netz zu nehmen, das ist typisch für NAZIs, wie Sie einer sind.
Immer schön zensieren.
Was das Volk liest bestimmen wir.
Sie, werter Herr Prothmann, sind ein Beweis dafür, dass es das Deutsche NAZI-Gen gibt, die abgrundtiefe Verkommenheit und Boshaftgkeit des Deutschen Volkes.
Sie benutzen die Flüchtlinge für Ihre Belange. Diese Menschen sind Ihnen doch scheißegal.
Spannend, dass ein offenbar entschiedener Antifaschist etwas von einem „Nazi-Gen“ schwafelt. Oder ist das jetzt auch Satire und der gesamte Kommentar ist eine Parodie auf was auch immer?
Auch inhaltlicher Unsinn ist eine Zumutung
Der Vorwurf, dass die Redaktion mit „Humor“, „Ironie“, „Kunst“ oder „Satire“ nicht umgehen könne, wurde übrigens ebenfalls unzählige Male in verschiedensten Ausführungen wiederholt. Ein Beispiel:
Also ich habe dieses ominöse Video jetzt gesehen und konnte mich vor Lachen nicht mehr halten. Natürlich verstehe ich kein Arabisch, aber der eindeutig persiflierende und komische Charakter dieses harmlosen Filmchens war auch ohne Sprachkenntnisse mehr als offensichtlich.
Auch das ist spannend. Man weiß also gar nicht, worum es geht, versteht auch die Dialoge nicht, aber man weiß: Das muss als Scherz gemeint sein. Es ist nämlich an eine Serie angelehnt, „begründen“ andere Kommentatoren den „Humor“.
Flinke Finger, schneller als jedes Hirn
Mit den Hintergründen hat sich vorher offenbar leider kaum jemand befasst – oder die Finger waren schneller als das Hirn. Wir hätten dem „armen Jungen“ „völlig grundlos“ und „ohne vorher mit ihm zu reden“ oder „ein Gespräch zu suchen“ plötzlich „gekündigt“, weil er „privat“ ein Video verbreitet, in dem wir die „eindeutige Satire“ eines „arabischen Kultklassikers“ nicht erkannt hätten – so der Vorwurf aus dem linkskorrekten Anteilnahmelager.
Wahr ist: Wir haben uns entschieden, die Zusammenarbeit mit einem erwachsenen Mann (33) nicht zu verlängern. Dieser Mann war nie festangestellt oder freier Mitarbeiter. Er hat ein Praktikum in unserer Redaktion absolviert, das zu diesem Zeitpunkt bereits regulär abgelaufen war. Es wurde niemandem gekündigt. Und natürlich haben wir versucht ihn zu kontaktieren, bevor wir eine Entscheidung getroffen haben – nur wurde unsere Anfrage, „was das Video soll“, bis heute nicht beantwortet.
Öffentlicher Job
Fakt ist auch: Unser ehemaliger Praktikant hat das Video nicht privat, sondern öffentlich auf Facebook geteilt. Es ist noch immer online und hat inzwischen knapp 20.000 Aufrufe.
Wir machen einen öffentlichen Job. Natürlich nehmen wir dazu öffentlich Stellung. Und ja, das Video ist ganz eindeutig an eine syrische Serie angelehnt und ja, in dem Video grinsen einige Protagonisten – ist das schon Satire? Ein anderer syrischer Journalist sieht das nicht so.
Selbstverständlich haben wir uns den Inhalt des arabisch-sprachigen Videos erklären lassen, bevor wir eine Entscheidung getroffen haben. Satirische Elemente konnten wir keine feststellen – im Gegensatz zu etlichen Wutkommentatoren, die zwar selbst überwiegend kein arabisch sprechen, aber aus irgendwelchen Gründen zu wissen glauben, dass es nur eine Parodie sein könne – was anderes ist ja „unvorstellbar“. Hu.
Bei genauerer Recherche ist das Bild plötzlich ganz anders: Denn bei der vermeintlich parodierten Serie „Bab al-Hara“ handelt es sich um streng kontrolliertes Regime-Fernsehen, in dem Frauen patriarchalisch unterdrückt und diskriminiert werden. Und um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Damit wollen wir nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Die taz etwa seit Neuestem?
Was ist denn bitte in diesen Köpfen los?
Noch viel interessanter als die Wortmeldungen von links, die zu erwarten waren, sind die Schlaumeier, die überraschend aus dem rechtspopulistischen bis -extremen Sumpf aufgetaucht sind. Die leugnen zwar gerne und mit viel Vorrede, irgendwas mit Nazis zu tun haben, betonen dann aber im nächsten Satz voller Hohn, dass man eben genau das zu erwarten habe, wenn man sich mit „einem Flüchtling“ einlasse. Ihr rechten Hohlköppe. Hier mussten schon einige „biodeutsche“ Mitarbeiter die Segel streichen, weil sie unsere Anforderungen nicht erfüllen konnten.
Wir lassen uns auf Menschen ein, nicht auf Rassen. Capice?
Ein vergleichsweise „harmloses“ Beispiel:
Wenn die kunterbunte Brille brutal geputzt wird, staunt der naive welterklärende Gutmensch und ist arg betroffen. Ich könnte mich kugeln vor Lachen.
Die schon sehr viel unverschämtere Version:
komme aus einem kleinen Dorf in unserem Tante Emma Laden wurden früher Grosspackungen O-WIE- DUMM verkauft denke ihr habt den Laden leergekauft! DUMM DÜMMER AM DÜMMSTEN LÜGENPRESSE HALT! Seid froh das der kriminelle Mohammedaner euch nicht abgestochen hat, armes Deutschland !
Eine noch deutlich extremistischere Variante:
Nicht mal die Nachbarländer Syriens wollen diese “ Flüchtlinge“. Und Sie fallen auf so einen Typen rein! als Journalist! Schreiben Sie lieber die Wahrheit über das, was da über uns hereingebrochen ist, eine Invasion unzivilisierter und amöbenhaft gebildeter Radikalmuslime, die uns ob unsrer Laschheit gegenüber anderen verlachen.
An der Grenze zur Volksverhetzung:
Könnt mich schieflachen über soviel Gutmenschenidiotie! Da sieht man wieder mal, dass ein niedriger IQ gepaart mit krankhaften Wahrnehmungsschwierigkeiten in der Masse Gesellschaftsruinös ist. Aber Leutchen; macht nur so weiter. Der Tag, wo Eure heissgeliebten Muselchen anfangen werden, Eure so strohnaiven Kehlchen durchzuschneiden, ist nicht mehr fern. Und was wird das für eine tolle Metzgete! Heissa!!!!!!! und Allah Akbar
Ebenfalls sehr erschreckend:
Na ihr Vollidioten. Da habt ihr euch aber ganz schön selbst gefickt. Tja wer Arabern Zigeunern und Niggern meint den Arsch pudern zu müssen,der wird am Ende selbst gepudert. Idioten wie euch sollte man in der Kläranlage oder in einer Jauchegrube ertränken. Ali Achmet Machmut Arschficken Tutgut.
Bei Kommentaren wie diesen, sollte man den Vorwurf, „Zensur“ mache uns zu „Nazis“, vielleicht freundlicherweise nochmals überdenken. Wir „stehen“ redaktionell zur Zensur von solchem Dreck.
Normalerweise würde solche Hetze im Papierkorb landen – um zu dokumentieren, wie sehr wir angefeindet werden, weil wir einem Flüchtling Möglichkeiten und Chancen geschaffen haben, dokumentieren wir diese paar Beispiele auszugsweise. Und das dürfen Sie auch glauben: Die ganz, ganz harten haben wir Ihnen nicht „präsentiert“.
Was wird nun aus den linksversifften Rechtspopulisten?
Aus Sicht der Redaktion ist der Vorgang mehr als bedauerlich. Mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln haben wir unser Mögliches versucht, einem jungen Mann Journalismus, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nahezubringen. Ob das in knapp drei Monaten umfänglich möglich ist? Sicher nicht. Wir hatten Hoffnung, dass wir zumindest eine Basis bilden konnten.
Der Versuch ist an dieser Stelle nicht gelungen und das haben wir öffentlich gemacht. Ebenso wie die Unterstützung. Und damit es keine Missverständnisse gibt: Es geht nicht gegen die Person und daraus lassen sich keine „allgemeinen“ Schlüsse ziehen. Nur der: Es ist eine große Herausforderung. Und nicht alles gelingt, was man sich vorstellt.
Wir informieren unsere Leser transparent und hintergründig – die Reaktionen auf diese Ehrlichkeit sollten nachdenklicher stimmen.
Was bleibt? Hintergrund, Transparenz, Meinungsstärke
Die einen werfen uns vor, wir wären Rassisten, weil wir uns von Gewalt und Diskriminierung distanzieren, und die Rassisten bezeichnen uns als Lügenpresse, weil wir transparent darüber berichten, wie unser Versuch gescheitert ist, Integration zu leisten.
Das ist hart. Berichte sind für viele Leser nur dann „seriöser Qualitätsjournalismus“, wenn sie deren bereits vorhandene Meinungen weiter stützen. Was lernen wir also daraus?
Die rechtspopulistische, links-grün versiffte, opferklimmziehende Lügenpresse mit Nazi-Gen wird genau so weitermachen wie bisher und weiterhin den Journalismus anbieten, den man von uns kennt: Hintergründig, transparent und meinungsstark.
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